Francke, August Hermann - Von der Selbstprüfung

Francke, August Hermann - Von der Selbstprüfung

  1. Wenn du dein Gewissen prüfst, so bedenke nicht, wie gut du seist. Das Gute wird Gott schon wissen hervorzubringen, wenn's Zeit ist. Heuchle dir auch nicht, sondern gib dich lieber schuldig, wenn du zweifelst; denn das wird dir soviel nicht schaden, als wenn du dich für unschuldig hieltest und wärest schuldig. Ein anderes ist es, wenn vor Menschen zu Gottes Ehre deine Unschuld soll gerettet werden, was aber dennoch in der wahren Verleugnung deiner selbst geschehen muß.
  2. Zuweilen nimm eine Hauptprüfung deines Zustandes vor nach den zehn Geboten Gottes und nach dem Hauptgebot der Liebe, wie man etwa gegen die hohen Festtage das ganze Haus pflegt zu reinigen und zu säubern. Täglich aber und ordentlich untersuche dein Gewissen in diesem und jenem Stück, das dir vorfällt; denn wenn man eines allein vornimmt, so geschieht es mit größerem Fleiß, als wenn man vieles zugleich vornimmt.
  3. Werde nicht müde, dein Gewissen zu untersuchen, sondern tue es immer fleißiger und eifriger; denn sonst gehst du in deinem Christentum zurück und meinst, du gehst vorwärts. In aller Prüfung hast du dreierlei zu bedenken: deine Fehler, ihre Ursachen, und wie du davon los werden mögest.
  4. Untersuche vielerlei: Werke, Worte, Begierden, Gedanken. - Deine Werke sind entweder offenbare Werke des Fleisches; solange du solche tust, hast du kein Erbteil im Reiche Gottes zu erwarten (Gal. 5, 20f.; 1. Kor. 6,9 f.). Oder es sind solche Werke, die du für unwichtig hältst, als da sind Werke der bloßen Natur (z. B. Essen und Trinken), und da hast du dich am meisten zu untersuchen; denn du möchtest wohl eine Sache, die an sich weder gut noch böse ist, durch eine unordentliche Begierde und Unmäßigkeit böse gemacht haben.
  5. Deine Worte zu untersuchen, wird dir schwer sein, wenn du schwatzhaft bist und dein Herz immer im Maul hast. Wie willst du alle Sünden zählen, die du dann mit Worten begehst? Willst du wissen, ob deine Worte gut seien, so mußt du sie prüfen, ob sie aus der Wahrheit geflossen sind, die den Glauben zum Grunde hat.
  6. Danach prüfe deine Lüste und Begierden und Gemütsbewegungen: prüfe, ob sie auf leibliche, irdische, sichtbare und zeitliche Dinge gerichtet sind; ob sie nicht weiter als nur auf dieses Leben gehen? Ob sie auch, wenn sie auf geistliche Dinge gehen, die rechte Triebfeder haben, die Gott erfordert, oder ob sie nur aus Furcht vor Strafe und um zeitlichen Genusses willen entstehen! (Gal. 5, 24.)
  7. Sollen aber deine Gemütsbewegungen rechtschaffen sein, so müssen sie auf das Göttliche, Unsichtbare, Geistliche gerichtet sein (2. Kor. 4, 18). Sie müssen von aller unzeitigen Eigenliebe ganz entfernt sein. Wo es um Gott und seines Namens Ehre geht, muß ihnen alles, was man auch sonst von Natur am heftigsten liebt, weichen. Denn auch Vater, Mutter, Weib, Kinder müssen verleugnet werden, wenn es die Ehre dessen erfordert, der sie gegeben (Matth. 10,37). Sie müssen allemal aus dem Geist kommen, dessen erste Frucht die Liebe ist (Gal. 5, 22), und müssen in der Liebe bleiben, sonst bleiben sie nicht in Gott (1. Joh. 4, 16). Sanftmut und Demut müssen sie allewege begleiten. Sie müssen zur Besserung und Erbauung der Seelen gereichen, aufrichtig und redlich auf die Ehre des Allerhöchsten gerichtet sein und auf das sehen, was des andern ist, nicht auf das, was dein selbst ist (Phil. 2,3 f.).
  8. Sprich nicht: ‚Gedanken sind zollfrei. Wer kann den Gedanken steuern?' Ein Kind kann leichter einen Funken austreten, als hundert Männer eine Feuersbrunst löschen. Mit den Gedanken entstehen die Lüste, und diese nehmen auch zu durch die Gedanken; die Lust aber, wenn sie empfangen hat, gebiert sie die Sünde; die Sünde aber, wenn sie vollendet ist, gebiert sie den Tod (Jak. 1, 15). Darum prüfe auch deine Gedanken, denn du bist in ewiger Todesgefahr deiner Seele! Dein Christentum, wenn anders es rechtschaffen ist, muß dich geschickt machen, alle deine Gedanken, auch die geringsten, nach der Richtschnur des göttlichen Worts durch den Heiligen Geist, der auch ein Geist der Prüfung ist, zu prüfen und zu durchforschen. Darum, willst du ein Christ sein, so prüfe dich wohl und erforsche dein Herz, ob alle seine Gedanken mit der Liebe von reinem Herzen, von gutem Gewissen und ungefärbtem Glauben bestehen können oder dawider streiten möchten. Weißt du es aber noch nicht, was ein lebendiger und in der Liebe tätiger Glaube ist, so hast du es nötig, wieder umzukehren und von vorne anzufangen.
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