Dettinger, Christian Friedrich von - Predigt am zweiten Sonntag nach Epiphanias

Dettinger, Christian Friedrich von - Predigt am zweiten Sonntag nach Epiphanias

von Diaconus Dettinger in Stuttgart.

Text: Matth. 3, 13-17. und Cap. 4, 1-11
13 Zu der Zeit kam Jesus aus Galiläa an den Jordan zu Johannes, daß er sich von ihm taufen ließe. 14 Aber Johannes wehrte ihm und sprach: Ich bedarf wohl, daß ich von dir getauft werde, und du kommst zu mir? 15 Jesus aber antwortete und sprach zu ihm: Laß es jetzt also sein! also gebührt es uns, alle Gerechtigkeit zu erfüllen. Da ließ er's ihm zu. 16 Und da Jesus getauft war, stieg er alsbald herauf aus dem Wasser; und siehe, da tat sich der Himmel auf über ihm. Und er sah den Geist Gottes gleich als eine Taube herabfahren und über ihn kommen. 17 Und siehe, eine Stimme vom Himmel herab sprach: Dies ist mein lieber Sohn, an welchem ich Wohlgefallen habe.
1 Da ward Jesus vom Geist in die Wüste geführt, auf daß er von dem Teufel versucht würde. 2 Und da er vierzig Tage und vierzig Nächte gefastet hatte, hungerte ihn. 3 Und der Versucher trat zu ihm und sprach: Bist du Gottes Sohn, so sprich, daß diese Steine Brot werden. 4 Und er antwortete und sprach: Es steht geschrieben: „Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von einem jeglichen Wort, das durch den Mund Gottes geht.“ 5 Da führte ihn der Teufel mit sich in die Heilige Stadt und stellte ihn auf die Zinne des Tempels 6 und sprach zu ihm: Bist du Gottes Sohn, so laß dich hinab; denn es steht geschrieben: Er wird seinen Engeln über dir Befehl tun, und sie werden dich auf Händen tragen, auf daß du deinen Fuß nicht an einen Stein stoßest. 7 Da sprach Jesus zu ihm: Wiederum steht auch geschrieben: „Du sollst Gott, deinen HERRN, nicht versuchen.“ 8 Wiederum führte ihn der Teufel mit sich auf einen sehr hohen Berg und zeigte ihm alle Reiche der Welt und ihre Herrlichkeit 9 und sprach zu ihm: Das alles will ich dir geben, so du niederfällst und mich anbetest. 10 Da sprach Jesus zu ihm: Hebe dich weg von mir Satan! denn es steht geschrieben: „Du sollst anbeten Gott, deinen HERRN, und ihm allein dienen.“ 11 Da verließ ihn der Teufel; und siehe, da traten die Engel zu ihm und dienten ihm.

Unser heutiges Evangelium ist in jeder Beziehung ein gewaltiger Text. Es erzählt uns aus dem Leben unsers Herrn zwei Ereignisse, in denen sich der Himmel und der Abgrund vor Ihm aufthat, und die für Ihn selbst und für Sein ganzes Werk von größter, entscheidungsvoller Wichtigkeit waren. Beide Geschichten haben etwas ganz Eigenthümliches; was dort am Jordan und in der Wüste geschah, das konnte so nur Er erleben und erfahren; eine ganz gleiche Erfahrung kann's bei uns nicht geben, darum, weil wir nicht Er sind. Dessen ungeachtet haben diese Geschichten mich für uns etwas Vorbildliches, indem sie uns eine heilige Ordnung veranschaulichen, die im Reiche Gottes gilt, und unter welcher auch unser geistliches Leben sich entwickelt.

Wir sehen nämlich in unserm Evangelium den Messias, den von Gott verordneten Stifter des Reiches Gottes, den Anfänger und Vollender auch unseres Glaubens und Lebens, wie Er Seine Messiasweihe empfängt, wie er sodann Seine Messiasprobe besteht, Seine Messiaswaffen braucht, und seinen Messiassieg feiert. Hieran können wir lernen

Wie es im Reiche Gottes überhaupt keine geistliche Weihe gibt, ohne geistliche Proben, keine geistlichen Proben ohne geistliche Waffen und keine geistlichen Waffen ohne geistlichen Sieg.

I. Die Messias-Weihe des Herrn ist das erste, was unser Text uns vorhält.

Der 30 jährige Jesus kommt aus Galiläa, Seinem Heimathlande, an den Jordan zu Johannes dem Täufer. Sein äusserliches Leben hatte sich bisher in stiller Verborgenheit durch die einfachsten und unscheinbarsten Lebensverhältnisse hindurch bewegt; im verachteten Galiläa, im geringen Nazareth, im Schoos einer schlichten Zimmermannsfamilie war Er herangewachsen; aber in dieser äußerlichen Niedrigkeit hatte sich zugleich auch Sein inwendiges Geistesleben aus dem innersten, geheimnißvollen Mittelpunkte Seiner gottmenschlichen Persönlichkeit heraus zur vollen männlichen Reife entfaltet, in welcher Er nunmehr vor der Welt hervortreten und Sein Werk vollenden sollte. So als durchgebildeter Mann, in Seiner von der Fülle der Gottheit durchdrungenen Lebensreife, als der fleischgewordene Sohn Gottes erscheint Er am Jordan bei dem Täufer Johannes, um sich von ihm taufen zu lassen.

Die Taufe des Johannes war eine Taufe - eine Weihe zum Reiche Gottes. Aber ihre Bedeutung mußte eine andere seyn bei denen, die erst aus dem Reiche der Welt und der Sünde heraus in das Reich Gottes eintreten und in dasselbe hineingebildet werden sollten, und eine andere bei dem, der da kam, um aus sich selbst, aus Seiner Gottesfülle heraus das Reich Gottes zu stiften. Bei jenen war es eine Taufe zur Buße, denn sie waren allzumal Sünder - eine feierliche Weihe zu einem erst von ihnen aufzunehmenden und anzueignenden neuen göttlichen Leben; bei diesem aber war's eine Besiegelung dessen, was Er schon war, und eine Einweihung zur Offenbarung Seiner ihm einwohnenden Herrlichkeit, eine göttliche Ordination zu Seinem nun anzutretenden und zu vollendenden Heilandsberufe und Heilandswerke. Und wenn es überhaupt Seine Bestimmung war, alle Gerechtigkeit zu erfüllen, und durch Sein ganzes Leben in als Seinem Thun und Leiden den reinsten Gehorsam gegen den Willen Seines himmlischen Vaters, und die demüthigste Unterwerfung unter alle seine göttlichen Ordnungen darzustellen, so geziemte es Ihm, auch diesem göttlichen Reichsgesetze, der Taufe, sich zu unterziehen, und durch den Dienst desselben Mannes, der gesandt war von Gott zu taufen, diese Weihe zu empfangen.

Wie das sich schicke, das konnte freilich der Täufer im ersten Augenblick nicht recht verstehen. Er begriff es nicht, wie es auch mit zu der Gerechtigkeit, die er für seine Person zu erfüllen hatte, gehöre, dem, der größer war, denn er selbst, die Weihe der Taufe zu ertheilen; er meinte, es gezieme ihm vielmehr der Empfangende, als der Verleihende zu seyn. Doch reichte ein einziges Wort aus dem Munde des Herrn hin, alle seine Bedenklichkeiten zu beseitigen, daß er that, wie ihm befohlen war.

Aber war nun nicht unter solchen Umständen die Taufe des Johannes für den Herrn selbst weiter nichts, als eben eine leere bedeutungslose Ceremonie? Was konnte diese Taufe Ihm, dem Eingebornen vom Vater, noch geben, das Er nicht schon besaß? Diese Frage könnte sich uns um so mehr aufdringen, je lebendiger der Heiland als der wahrhaftige Gottessohn vor unserm Geistes- und Glaubensauge dasteht. Aber eben der Glaube findet auch eine Antwort auf diese Frage in dem, was unser Evangelium weiter von der Taufe des Heilandes berichtet. Allerdings, dieser Täufer und dieses Wasser konnten an sich dem Herrn nichts geben. Aber das sollten sie auch nicht. Sie sollten nur die Sinnbilder und Schattenrisse von etwas viel Höherem und Himmlischeren seyn, das jetzt sich ereignete und offenbarte. Als nämlich Jesus von Johannes getauft war, da stieg Er alsbald herauf aus dem Wasser. Und siehe, da that der Himmel sich auf über Ihm, und Johannes sah den Geist Gottes gleich als eine Taube herab fahren und über Ihn kommen; und eine Stimme vom Himmel herab sprach: Siehe, das ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe. Der Himmel also that sich jetzt auf über dem eingebornen Sohne, der vom Himmel und allezeit im Himmel und in des Vaters Schoos war, und dessen ganzes Leben eine beständige Auffahrt war. Der Vater selber war's, der jetzt den Himmel über Ihm öffnete, um taufend seinen Eingebornen zu weihen, und mit Seinem Geiste Ihn zu salben zu Seinem nun anzutretenden Gotteswerke, und mit seinem göttlichen Zeugniß Ihn zu besiegeln. Nicht zur Erweckung oder zur Vollendung des inwendigen göttlichen Lebens bedurfte Er dieser Salbung; das hatte ja bereits nach der Ordnung der menschlichen Entwicklungsgesetze bis zur vollsten Klarheit und Reife sich hindurchgebildet, und war keiner Steigerung noch Verminderung mehr fähig; sondern Er bedurfte ihrer nur zu dem bestimmten Berufe, den Er fortan in der Welt, und im Kampfe mit der Welt, und unter den mannigfaltigsten Weltverhältnissen ausrichten, und ohne Unterbrechung und Stillstand in stetiger Arbeit bis zum Ende durchführen sollte. Solch' eine ganz eigenthümliche Aufgabe erforderte auch eine ganz eigenthümliche Begabung und Ausrüstung; und während sonst die menschliche Persönlichkeit nur nach dem Maaße, nur in beschränkterem Umfang für die Mittheilung des heiligen Geistes empfänglich ist, so, daß den Einzelnen niemals alle, sondern immer nur Eine oder etliche besondere geistige Gaben zum Bau des Reiches Gottes zu Theil werden können: ward Ihm dem Eingebornen, der Eines war mit dem Vater, und der in Seiner gottmenschlichen Persönlichkeit auch die Empfänglichkeit für die ganze Fülle göttlicher Geistesgaben besaß, der heilige Geist ohne Maaß und zu bleibender Einwohnung verliehen. Und darum schwebte denn auch der heilige Geist nicht als eine Feuerflamme oder als vereinzelter Lichtstrahl, sondern in der sichtbaren Erscheinung einer Taube als eine reine lebendige Friedensgestalt aus leuchtender Himmelshöhe auf Ihn herab, und blieb auf Ihm.

So hat der Herr in der Taufe mit Wasser und Geist Seine Weihe empfangen zu Seinem ganzen Heilandsgeschäfte, und der, der diese Weihe Ihm ertheilte, der himmlische Vater selbst, hat solches alles auch noch mit seinem Wort, mit einer geheimnißvollen Gottesstimme vom Himmel herab besiegelt, die sprach: Dieß ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe. Von jetzt an ist Er der Geweihte und Gesalbte des Herrn, der Messias, der König und Herr im Reiche Gottes; in Seiner Person ist bereits das Reich Gottes da.

Seine Weihe ist nun freilich die einzige in ihrer Art in Seinem Reiche; keiner von allen Seinen Reichsgenossen konnte jemals die gleiche empfangen; aber eine ähnliche, aus der seinigen entsprungene, haben sie alle empfangen, auch wir, sofern wir überhaupt Kinder des Reichs sind. Versetzet Euch im Geiste zurück in jene erste, uns allen unbewußte Weihestunde unseres irdischen Lebens, in der wir die Taufe auf Christum, die Weihe für Sein Reich empfingen: ist's nicht also, daß da auch über uns der Himmel, ja das ganze Vaterherz Gottes sich aufthat, daß auch über uns eine Gottesstimme erscholl, die's bezeugte: das ist mein liebes Kind, dem ich ein gnädiger Vater seyn, an dem ich, als an einem mir geweihten Eigenthum, all' mein Wohlgefallen haben will? Wohl mag es seyn, daß über Manchem unter uns, die wir getauft sind, der Himmel sich längst wieder geschlossen hat, und jene Gottesstimme längst verhallt und verschollen ist, daß das Band, mit dem wir damals an den Himmel und an das Vaterherz Gottes geknüpft wurden, durch den Dienst der Sünde längst in Stücke gegangen ist; aber es kann wieder angeknüpft werden, der Himmel kann sich wieder aufthun, und der Geist, der uns verheißen ist, kann auch auf uns, wenn auch nicht in der Friedensgestalt einer Taube, doch wie eine Feuerflamme, also durchschlagend, entzündend und reinigend herniederfahren, daß wir wiedergeboren und durch die Wiedergeburt hineinversetzt werden in das Reich des lieben Sohnes Gottes. Und diese Wiedergeburt - das ist erst die volle und wahrhaftige Weihe, die heilige Geistestaufe eines Menschenherzens für das Reich Gottes.

II. Wie Viele nun aber unter uns getauft sind aus dem Wasser und Geist, die sollen aus unserm Evangelium lernen, daß auf die geistlichen Weihen auch die geistlichen Proben folgen.

Als der Herr Jesus getauft war, und so seine Messiasweihe empfangen hatte, da ward Er vom Geist, vom Trieb und Zug des Geistes, und im vollen Kraftgefühl desselben, in die Wüste geführt. Dort in der Einsamkeit, abgeschieden von allem Weltverkehr, gab es für Ihn, der nunmehr feierlich geweiht und versiegelt war zum Stifter und König des Reiches Gottes, gar viel im Geiste zu durchdenken und zu durchleben. Jetzt hatte Er's nicht mehr, wie in Seinem Stillleben zu Nazareth, blos mit Betrachtung des Wortes, des Willens, der Verheißungen, der Rathschlüsse Gottes zu thun; sondern mit der großen Frage, wie und auf welcherlei Weise Er Seinen Ihm gewordenen Beruf unter dem Volke, zu dem Er gesendet war, vollführen sollte. Dort mußte es Ihm innerlich zur entschiedensten Gewißheit werden, daß ohne einen förmlichen und völligen Bruch mit der Welt und ihrem Fürsten das Reich Gottes gar nicht aufgerichtet werden könne; ja dieser Bruch mußte dort zu einer über Sein ganzes Leben und Werk entscheidenden That werden. Das ahnte, das erkannte auch jener Oberste aller gefallenen Geister, dessen Herrschaft ist in der Finsterniß dieser Welt, in den Kindern des Unglaubens; er wußte es, daß es jetzt sich entscheiden müsse, ob sein seit Jahrtausenden auferbautes Reich stehen oder fallen soll. Darum bot er jetzt alle Kunst und Macht der Verführung auf, um diesen zweiten Adam zu fällen, wie er den ersten zu Fall gebracht. In eigener Person, freilich nicht als eine Grausen erregende Schreckensgestalt, sondern wohl in der Maske eines Engels des Lichts erscheint er jetzt auf dem einsamen Kampfplatz vor des Menschen Sohn. Stufenweise entwickelte er seinen mit satanischer Feinheit angelegten Plan. Das hatte er wohl erkannt, daß mit gemeinen Reizen zu sündlicher Lust diesen Menschensohne nicht beizukommen war, und er gibt sich daher auch gar nicht die Mühe, solche bei ihm zu versuchen; vielmehr knüpft er seine Versuchungen mit feiner Berechnung geradezu an die Gottes-Sohnschaft Jesu und an Seine göttliche Bestimmung zum Messias, zum Herrn und Könige im Reiche Gottes, an, in der Hoffnung, auf diese Weise Ihn am leichtesten bethören, und Ihn aus der Bahn des demüthigen Gehorsams heraus, und in eine selbstsüchtige, weltliche Richtung hineinziehen zu können.

Vierzig Tage und Nächte hatte Jesus gefastet; da erwachte endlich mit verstärkter Lust das Bedürfniß der gewohnten, lang entbehrten Nahrung bei Ihm, ein Bedürfniß, zu dessen natürlicher Befriedigung jetzt im Augenblick keine Aussicht vorhanden war. Auf diesen Augenblick hatte der Versucher gewartet. Alsbald tritt er hervor, und spricht zu Ihm: Bist du Gottes Sohn, so sprich, daß diese Steine Brod werden. Was wäre nicht alles gewonnen gewesen, wenn er's mir dahin gebracht hätte, daß der, dessen Bestimmung es war, allezeit mit dem Geist über das Fleisch zu herrschen, und in Armuth und Entbehrung hienieden zu wandeln, die Ihm innwohnende Gotteskraft zur selbstsüchtigen, lüsternen Befriedigung eines leiblichen Bedürfnisses und Reizes gebraucht hätte! Wäre ihm nur dieses Eine gelungen, so hätte er damit der heiligen Natur und Eigenthümlichkeit des menschgewordenen Gottessohnes den entscheidenden Riß beigebracht, und diesen zweiten Adam so sicher in seine Gewalt bekommen, als jenen ersten unter der verbotenen Frucht im Paradiese. Doch der Plan schlug fehl; vergebens hatte er's versucht, diesen Menschensohn aus Seiner göttlichen Lebensordnung herauszureißen; und diese erste Niederlage war schon bedenklich genug.

Ein zweiter Versuch konnte sie aber vielleicht wieder gut machen; der Sturm, der auf der einen Seite abgeschlagen war, gelang vielleicht auf einer andern. Dieser Menschensohn war ja dazu bestimmt, Seine Herrlichkeit vor der Welt zu offenbaren, und durch diese Offenbarung sich Eingang bei ihr zu verschaffen; - wie? wenn es möglich wäre, ihn gleich von vorn herein zu einem eiteln, vermessenen Schritt, zu einem Zeichen, wie vom Himmel herab, zu vermögen? So führte Ihn denn der Teufel mit sich in die heilige Stadt, und stellte Ihn auf die Zinne des Tempels, und sprach zu Ihm: Bist du Gottes Sohn, so laß dich hinab; denn es stehet geschrieben: Er wird Seinen Engeln über Dir Befehl thun, und sie werden Dich auf den Händen tragen, auf daß Du deinen Fuß nicht an einen Stein stoßest. Was wäre abermals gewonnen gewesen, wenn er den, der nicht mit äusserlichen Geberden und Gepränge, sondern in Knechtsgestalt mit Beweisung des Geistes und der Kraft sich den Weg in die Herzen bahnen, und die Welt überwinden und gewinnen sollte, vermocht hätte, mit solch' einem Schaustück die eitle, ungläubige Menge zu blenden und an sich zu ziehen! Er hat es nicht vermocht; auf die erste Niederlage folgte die zweite.

Darum raffte jetzt der Versucher zu einem letzten entscheidenden Schlag all' seine Kraft zusammen. Jetzt galt es, diesem zur Weltherrschaft bestimmten Menschensohne mit der ganzen Macht des Fürsten dieser Welt zu imponiren, und die unter seinem Banne liegende Welt Ihm zum Lehen anzubieten. Zu dem Ende führte er Ihn mit sich auf einen sehr hohen Berg, und zeigte Ihm alle Reiche der Welt und ihre Herrlichkeit, und sprach zu Ihm: Das alles will ich Dir geben, so Du niederfällst und mich anbetest. Sollte es möglich seyn, daß dieser Mann die Herrschaft über die Welt und den Genuß all ihrer Herrlichkeit ausschlüge, und der gleichbaldigen Besitznahme eine langsame, schwierig und kampfvolle Eroberung vorzöge? Er hat es gethan. Denn es war Ihm keinen Augenblick ungewiß, daß Er die Herrschaft der Welt nicht wie einen Raub aus den Händen dieses ihres Zwingherrn empfangen dürfe, sondern daß Er berufen sey, durch Ueberwindung dieses starken Gewaffneten, und durch seine völlige Entthronung die Welt von der Obrigkeit der Finsterniß zu befreien, und so als ihr Erlöser Sein Reich in ihr zu gründen.

So hat Er Seine Messiasprobe bestanden, und alle Anschläge des Fürsten dieser Welt zunichte gemacht; zugleich aber auch demselben den Krieg erklärt. Vor der Hand mußte dieser daher den Rückzug ergreifen; aber er gab noch keineswegs alles verloren. Dem Menschensohne, den alle Zauber der Verführung nicht blenden noch zu Falle hatten bringen können, war vielleicht noch auf eine andere Weise beizukommen. Darum begann er jetzt seine Heere, nämlich die Kinder der Welt und des Unglaubens wider Ihn zu waffnen und auszusenden, die sollten durch ihren Haß und ihre Verfolgung, durch Schläge, Bande und Todesmartern bei dem Menschensohne das noch ausrichten, was ihm durch seine Lockungen nicht gelungen war. Und diese Messiasprobe, in die jetzt der Heiland geführt wurde, die Er nicht mehr in der Einsamkeit der Wüste, sondern auf dem offenen Schauplatz Seiner Wirksamkeit zu bestehen hatte - die hat nicht nur einige Stunden oder Tage, sondern sie hat drei Jahre lang gedauert, und erst mit jenem Siegesruf am Kreuz geendet: Es ist vollbracht.

So ist bei dem Herrn auf die Weihe die Probe gefolgt, und zwar eine lange, schwere Probe. Darinnen aber ist Er allen den Seinigen ein Vorgänger und ein Vorbild geworden. Sie müssen auch Seine Bahn gehen; ihre geistliche Weihe in der Taufe und Wiedergeburt muß sich bewähren im Kampf wider die Lust und wider den Schmerz der Zeit, im Kampf wider die Sünde, die nicht etwa nur von außen her als etwas Fremdartiges auf sie eindringt, sondern die im innersten Herzen ihren Sitz hat, also nicht blos fernegehalten, sondern ausgetrieben werden muß durch die Kraft des heiligen Geistes. O, Geliebte, wer möchte sie alle zählen, - die geistlichen Probestunden im Leben eines Christen, in denen der Weltsinn, die Lust und Bequemlichkeit des Fleisches, der Hochmuth und Eigenwille ihn anficht, und ihn versucht, seine Behausung in Christo zu verlassen, und mit seinen Gedanken, seinen Kräften, seiner Zeit, seiner Thätigkeit sich selbst, dem eigenen Ich, und ebendamit dem Obersten aller Egoisten, dem Satan, zu dienen; - die geistlichen Probestunden, in denen die Uebel dieser Zeit, in denen Armuth und Entbehrung, Schmerz und Krankheit, Sorge und Trübsal eine Seele anfechten, sie aus der demüthigen und stillen Fassung herausreißen, oder in finstere Traurigkeit versenken und so den offenen Himmel über ihr schließen wollen. Wahrlich, das Reich Gottes auf Erden ist ein großes weites Prüfungsgebiet, wo's offenbar werden und sich bewähren muß, ob eine Seele wirklich die Weihe aus Gott, die Geistestaufe empfangen hat, oder nicht.

III. Doch das darf uns nicht ängstigen. Im Reiche Gottes gibts keine geistlichen Proben und Kämpfe ohne geistliche Waffen, sie zu bestehen.

Mit großer Macht und viel List war der Satan in der Wüste zu Jesu gekommen, kaum ahnend, mit was für einem wohlgewaffneten Gegner er es zu thun bekomme. Und was war denn Seine Waffe? Gottes Wort, und abermals Gottes Wort, und zum drittenmal Gottes Wort, und zwar Gottes Wort nicht im todten Buchstaben, sondern im lebendigen Geist, nicht in willkührlicher Zerstückelung und Abgerissenheit, sondern in seinem ganzen heiligen Zusammenhang und in seiner göttlichen Einheit. Der Teufel versucht ihn mit der Aufforderung, sich mit Hülfe Seiner göttlichen Wundermacht aus Steinen Brod zu machen. Er aber hält ihm ein Wort aus Gottes Munde entgegen, ihm andeutend, daß der Gott, der einst in der Wuste, die kein Brod gab, sein Volk mit Manna speiste, auch ihm - nicht blos eine andere Nahrung für den Leib, sondern - ein verborgenes Manna, eine Speise vom Himmel bescheere, davon ein Mensch wahrhaftig lebe. Weiter versucht Ihn der Teufel, durch ein glänzendes Schauwunder, durch Erweisung Seiner übermenschlichen Erhabenheit über alle Gefahren sich der Welt als den darzustellen, dessen sie begehre, und beruft sich dabei auf eine göttliche Verheißung, durch welche ja dem Messias der Schutz Gottes und der Dienst Seiner Engel zugesagt sey. Aber mit einem einfachen „Hinwiederum stehet auch geschrieben: Du sollst Gott, deinen Herrn, nicht versuchen,“ macht der Herr die innerliche Unablösbarkeit der göttlichen Verheißungen von den göttlichen Geboten geltend, und hält wider alle Arglist des Satans zusammen, was Gott zusammengefügt hat. Endlich spreizt sich der Teufel zu der Zumuthung auf, Er solle vor ihm niederfallen, und ihn anbeten; aber ein einziges Gebot Gottes, das erste, das unter Blitzen und Donnern einst vom Sinai heraberschallte, reicht hin, den Versucher zurück und in die Flucht zu schlagen.

So ist das Wort Gottes ein Schwert des Geistes und eine Waffe wider alle List des Feindes. Es schneidet schon viele tausend Jahre lang und hat bis heute noch keine Scharte bekommen, noch seine Schneide verloren. Wer's zu führen versteht, wer damit nicht Luftstreiche oder flache Streiche thut, dem hilft's durch, der kann bestehen in allen geistlichen Proben und Anfechtungen in der Kraft des Herrn. Alle Niederlagen, die ein Mensch, ein göttlicher Reichsgenosse im Kampfe wider die Sünde und den Satan erleidet, kommen aus dem Fleische und seiner Trägheit, und sind Folge einer mangelhaften Bewaffnung und schlechten Uebung. Wer aber den Harnisch Gottes anzieht, und das Schwert des Geistes zu führen weiß, der kann bestehen wider die listigen Anläufe des Teufels. Und ob auch sein Kampf nicht ein Kampf wäre mit Fleisch und Blut, sondern mit Fürsten und Gewaltigen, nämlich mit den Herren der Welt, die in der Finsterniß dieser Welt herrschen, mit den bösen Geistern unter dem Himmel: - er kann dennoch am bösen Tage Widerstand thun, und alles wohl ausrichten und das Feld behalten.

IV. Denn im Reiche Gottes gibts keine Waffe, keine rechtgebrauchte geistliche Waffe, ohne geistlichen Sieg.

Als ein dreifach erprobter Sieger steht der Herr in unserem heutigen Evangelium da. Der erste Sieg ist die Stufe zum zweiten, der zweite zum dritten; alle drei zusammen sind die erste große Waffen- und Siegesthat, mit welcher dem Fürsten dieser Welt und seinem Reiche vorbedeutet wurde, was seiner warte. Dieser verläßt jetzt den Herrn, und an seiner Stelle erschienen die Engel vom Himmel, die Boten aus dem Hause des Vaters, um den Sieg des Menschensohnes zu feiern, und dem neugeweihten und herrlich erprobten Könige des Reiches Gottes auch ihrem Oberhaupte und Herrn, zu huldigen und zu dienen.

So gehts noch jetzt im Reiche Gottes durch geistliche Proben und Waffenthaten zum Sieg. Wie es ein Schauplatz manches schweren Kampfes und mancher schmerzlichen demüthigenden Niederlage ist, so auch manches herrlichen, in der Kraft und Waffenrüstung des Herrn errungenen Siegs. Soll aber dieser gelingen, so muß freilich Er selber, der große Kämpfer und Sieger in unserem Texte, in Seinen streitenden Reichsgenossen das A und O, der Erste und der Letzte, der Anfang und das Ende seyn. Vor Ihm muß der Teufel noch heute weichen; Er ist der allmächtige Zerstörer aller seiner Anschläge und Werke; durch Seinen Kampf und Sieg ist der Fürst dieser Welt hinausgestoßen. Darum wollen wir an diesen großen König und Siegesfürsten uns halten, geliebte Zuhörer, wollen Ihm uns immer völliger zusagen, uns immer inniger im Glauben und im Gebet des Glaubens mit Ihm verbinden, und täglich, so lang der Streit währet, zu Ihm also bitten:

Der Du mich vom Tod erkauft, Mir das Heil erstritten,
Und mich auf Dein Blut getauft:
Herr, vernimm mein Bitten!
Mache mich,
Fleh ich Dich,
O mein Gott und König
Dir ganz unterthänig.

Schreib mich in der Brüder Zahl,
Die von Gott geboren,
Die des Vaters Gnadenwahl,
Zu dem Reich erkohren;
Schenke mir,
Herr, in Dir,
Glaubensmuth zum Kriegen,
Gottesmacht zum Siegen.

Lege mir die Rüstung an.
Die Gott selbst bereitet,
Daß ich sicher stehen kann,
Wenn der Arge streitet,
Dessen List
Mächtig ist,
Uns mit tausend Stricken
Teuflisch zu berücken.

Herr, es gilt das Vaterland,
Meine Kron', mein Erbe!
Blut hast Du daran gewandt,
Daß ich nicht verderbe.
Und auch ich
Muß durch Dich
Vollen Sieg erreichen,
Keinem Feinde weichen.

Endlich gib des Geistes Schwert
Meinen Glaubenshänden!
Gottes Worte sind bewährt,
Die den Streit bald enden.
So werd' ich,
Herr, durch Dich
Satans Macht entrinnen,
Und den Sieg gewinnen.

Wecke mich in Fried und Streit
Zum Gebet und Flehen!
Sprich auch, wenn der Glaube schreit: -
„Ja, es soll geschehen!“
Herr, nimm wahr
Deiner Schaar,
Aller, die noch kriegen,
Bis zum letzten Siegen.

Amen.

Quelle: Dr. Christian Friedrich Schmid/ Wilhelm Hofacker - Zeugnisse evangelischer Wahrheit, Bd. 3

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