Claudius, Matthias - Ueber die neue Theologie.

Claudius, Matthias - Ueber die neue Theologie.

Du reibst Dir auch die Stirne, Andres, über den Unfug mit der Bibel, und daß die Menschen „sich so bald abwenden lassen auf ein ander Evangelium, so doch kein andres ist, ohne daß etliche sind, die uns verwirren und wollen das Evangelium Christi verkehren.“

Im Anfang, als die etlichen hervorrückten, wollte ich meinen Augen nicht trauen und dachte, daß dabei irgend eine andre Absicht, die ich nicht absehen könne, hinter dem Berge halte. Man hat, unbesehen, Achtung für gelehrte Leute; und ich konnte nicht glauben, daß es möglich sei, so leichtsinnig und unverschämt zu sein, andern Leuten, die doch auch Menschenverstand haben, solche Sachen zu bieten und als Weisheit auszugeben; noch weniger, daß man einer bestehenden Religion so ins Angesicht Hohn sprechen dürfe. Wie gesagt, ich dachte, hinter dem Berge halte etwas, das ich nicht absehen könne.

Aber es hält nichts hinter dem Berge, es hält alles vor dem Berge und vor Augen, und ist, worauf ihrer so viele und von allen Parteien ausgehen, mehr oder weniger, nichts anders als ihre Vernunft in der Religion den Meister spielen zu lassen und alles, was sie nicht begreifen und darin allein die Religion und der Glaube besteht, heraus zu thun, um in den Zeiten der Vernunft auch ihres Orts nicht müßig zu sein und ihre Ehre in Sicherheit zu bringen.

Und da nehmen sie nun alles zu Hülfe, Gelehrsamkeit und Wohlredenheit, Alterthümer und Sprachgebrauch, Accommodation und babylonische Teufel, Volkssinn und Volksunsinn, um den offenbaren Verstand und die klaren Worte der heiligen Schrift unmündig und aus Weiß Schwarz zu machen. Und andere, die noch wohl lieber beim Weißen blieben, laufen mit, weil sie den Werth ihrer Sache nicht kennen, und es ihnen an Kraft und Muth fehlt, den Verdacht der alten Einfalt und des Zurückbleibens auf sich zu laden.

„O ihr unverständigen Galater, wer hat euch bezaubert, daß ihr der Wahrheit nicht gehorchet? - Im Geist habt ihr angefangen, wollt ihr's nun im Fleisch vollenden?“

Aber Andres, Du bist der Meinung, es sei immer solcher Unfug gewesen; man solle schweigen und zusehen, bis auch dieser Schwindel wie der Revolutionsschwindel vorübergehe und sie aus Schaden klug werden.

Der Meinung bin ich aber nicht. Es ist wohl immer solcher Unfug gewesen, aber er ist doch mit mehr Zurückhaltung getrieben worden, und so nahe ist er uns noch nicht gekommen. Und schweigen ist freilich das sicherste und bequemste, auch die meiste Zeit das gescheiteste; aber ich denke, in einer Sache, die alle Menschen so nahe angeht, kann man nicht zu früh und zu viel widersprechen; ich denke, in einer solchen Sache darf kein ehrlicher Mann schweigen und die Pluralität scheuen, er muß unverhohlen seine Meinung sagen und vorlieb nehmen, was darauf folgt.

Wäre ein religiöses Parlament, so ließe man eine förmliche Protestation gegen die Ministerialpartei in die Parlamentsregister einrücken für Welt und Nachwelt; denn man muß sich schämen, ein Zeitgenosse gewesen zu sein, wo solche Acte passirt sind.

Die Menschen sind doch einmal unwissend und blind über das Unsichtbare, sie kennen doch ihren unsterblichen Geist nicht und wissen ihm keinen Rath; Gott weiß einen und promulgirt eine Arzenei, die sich bei Tausenden bewährt hat und sich bei allen bewährt, die sie nach Vorschrift gebrauchen - und da kommen sie und wollen Gott meistern und seine Arzenei nach ihrem Dispensatorio einrichten und ändern!… Kann es einen größern Unsinn geben? Und können sie es für die verantworten, die durch sie verführt werden, die Arzenei Gottes ungebraucht zu lassen und ihren Quacksalbereien nachzulaufen?

„Ich thue euch aber kund, lieben Brüder“, sagt der Apostel, „daß das Evangelium, das von mir geprediget ist, nicht menschlich ist. Denn ich habe es von keinem Menschen empfangen noch gelernt, sondern durch die Offenbarung Jesu Christi.“

Wenn das Christenthum weiter nichts wäre, als ein klares, allen einleuchtendes Gemächte der Vernunft, so wäre es ja keine Religion und kein Glaube; und warum wäre denn gesagt, daß die Welt den Geist des Christenthums nicht sehe und nicht kenne1), und wie hätte seine Einführung unter den Menschen so viel Widerspruch und Blut kosten können?

Und das, wozu tausend Jahre Zeit nöthig gewesen sind, um es allgemein in Europa einzuführen, wofür die Könige und Fürsten so viel gekämpft und gestritten und es als das Glück ihrer Länder angesehen, wofür unsere Väter und Vorfahren so viel gelitten und Leib und Leben gewagt und hingegeben haben, und was wir alle, ein jeder von uns, heilig zu halten und zu bewahren mit Mund und Hand gelobt und versprochen haben, was unsere Seelen selig machen kann, - das sollten wir uns ohne Schwertschlag, unter dem Schein der Aufklärung und einer bessern Einsicht, unvermerkt und unter der Hand nehmen und aus den Händen winden lassen …… das sei ferne! das wolle Gott nicht! das werden unsere Könige und Fürsten nicht wollen; das wird keiner wollen, der sich und die Seinen lieb hat.

Was aber auch werden mag, Andres, Dir und mir soll es niemand nehmen, weder Schwachheit noch Klugheit, weder Süß noch Sauer. Wir wollen es, nach Mosis Rath, „in unsere Seelen fassen, und zum Zeichen auf unsere Hand binden, daß es ein Denkmal vor unsern Augen sei; wir wollen es unsere Kinder lehren und davon reden, wenn wir im Hause sitzen oder auf dem Wege gehen, wenn wir uns niederlegen und wenn wir aufstehen“.

Dabei bleibt's, Andres. Leb wohl.

1)
Joh. 14,17.
Cookies helfen bei der Bereitstellung von Inhalten. Diese Website verwendet Cookies. Mit der Nutzung der Website erklären Sie sich damit einverstanden, dass Cookies auf Ihrem Computer gespeichert werden. Außerdem bestätigen Sie, dass Sie unsere Datenschutzerklärung gelesen und verstanden haben. Wenn Sie nicht einverstanden sind, verlassen Sie die Website.Weitere Information
autoren/c/claudius/claudius_-_ueber_die_neue_theologie.txt · Zuletzt geändert: von 127.0.0.1
Public Domain Falls nicht anders bezeichnet, ist der Inhalt dieses Wikis unter der folgenden Lizenz veröffentlicht: Public Domain