Calvin, Jean - Von der freien Gnade

Calvin, Jean - Von der freien Gnade

Von dem, was in der Schrift von der Wahl gelehret wird, sollen wir die Gläubigen keineswegs abhalten: damit es nicht den Anschein gewinne, als wollten wir sie entweder der Gnaden Gottes mißgünstigerweise berauben oder gar den Geist Gottes bezüchtigen, als habe er etwas gelehrt, das besser verschwiegen oder unterdrückt geblieben wäre. Nein, wir sollen vielmehr einem jeden Christen gestatten, allem und jedem Worte Gottes Herz und Ohr zu öffnen, doch allezeit mit der Bescheidenheit, daß, sobald der Herr seinen heiligen Mund zuthut, auch der Mensch den Weg, weiter nachzuforschen, verlasse. Das wird das beste Ziel der Bescheidenheit sein, daß wir nicht allein im Lernen Gott als dem vorgehenden Lehrmeister allezeit nachfolgen: sondern auch, daß wir sobald er aufhöret zu lehren, zugleich aufhören weiter nachzuforschen.


Mit welchem Scheine werden aber diejenigen, welche so gar witzig und sorgsam sind, daß sie die Erwählung ganz vergraben wollen, damit sie die schwachen Seelen nicht bekümmere, womit wollen solche ihre Vermessenheit beschönigen, da sie verdeckter Weise Gott einer thörichten Veranstaltung beschuldigen, als habe er eine Gefahr, der sie weislich begegnen wollen, nicht zuvor gesehen? Wer darum die Lehre von der Erwählung verhaßt macht, der lästert öffentlich Gott selbst, als wenn ihm unbesonnener Weise etwas entfallen wäre, das der Kirche schädlich sei.


Ich will nicht fragen, wie und woher Abrahams Samen den Vorgang gehabt vor allen andern Völkern, da doch in Wahrheit ausserhalb Gott keine Ursache mag gefunden werden; sie sollen mir nur darauf antworten, warum sie doch Menschen geworden sind, und nicht Ochsen oder Esel? Es stand Gott doch frei, Hunde aus ihnen zu machen, er hat sie aber gleichwol zu seinem Ebenbilde erschaffen. Wollen denn diese Leute zugeben, daß auch die unvernünftigen Thiere ihres Standes halber mit Gott hadern dürfen, als hätte er unbillig mit ihnen gehandelt? Ist Gott nicht befugt, seine Wohlthaten, nach dem Maaße seines Urtheils ungleich auszutheilen?


Demnach soll dieser Grund bei den Gläubigen feststehen, daß wir darum in Christo zur himmlischen Erbschaft erkoren sind, weil wir aus uns selbst solcher ehren nicht fähig waren. Solches zeigt der Apostel auch anderswo, da er die Colosser ermahnt zur Danksagung dafür, daß sie von oben herab tüchtig gemacht seien zum Erbtheil der Heiligen. Wenn nun die göttliche Wahl der Gnade vorangeht, dadurch wir tüchtig gemacht werden zur Herrlichkeit des künftigen Lebens: was wird dann Gott selbst wol in uns finden, dadurch er bewogen werden könnte, uns zu erwählen? Dasselbe wird noch in einem andern Spruch dargethan, da er sagt: Er hat uns erwählet, ehe der Welt Grund gelegt war, nach dem Wohlgefallen seines Willens, daß wir sein sollten heilig und unsträflich vor ihm. Auch in diesem Ausspruche setzt er Gottes Wohlgefallen all‘ unserm Verdienste entgegen.


Will aber jemand zum Hauptbrunnquell gehen, warum Einer mehr denn der Andere erwählet sei, so antwortet St. Paulus, da- es Gott also verordnet habe, und zwar nach dem Wohlgefallen seines Willens, mit welchen Worten er alle Mittel zunichte macht, dadurch die Menschen vermeinen, in sich selbst einige Ursache zu haben, weßhalb sie Gott erwählet habe. Denn er sagt ausdrücklich, daß alle Wohlthaten, welche uns Gott zum geistlichen Leben mittheilt, aus dem Brunnen herquillen, nemlich daß Gott erwählt habe, welche er gewollt, und daß er ihnen, ehe denn sie geboren wurden, die Gnade zubereitet und bewahrt habe, die er ihnen zu geben willens war.


Wo aber nun dieses Wohlgefallen Gottes den Vorgang hat, da gelten die Werke nichts. Diesen Gegensatz spricht zwar der Apostel hier nicht aus, aber er wird doch dabei verstanden, wie er dann anderswo von ihm gerade zu ausgesprochen wird: Er hat uns berufen (spricht er) mit einem heiligen Ruf, nicht nach unsern Werken, sondern nach seinem Vorsatz und Gnade, die uns gegeben ist in Christo Jesu vor der Zeit der Welt. Sprichst du aber, er habe uns darum erwählet, weil er zuvor ersehen hat, daß wir heilig sein würden, so verkehrest du Pauli Ordnung. Demnach kannst du sicher also schließen: hat er uns erwählet, auf daß wir heilig würden: so hat er uns nicht erwählt in Ansehung und Voraussehung künftiger Heiligkeit. Denn diese beiden Dinge streiten wider einander. Wenn die Seligwerdenden es aus der Wahl haben, daß sie heilig werden, so können sie nicht vermittelst der Werke dazu kommen. Hier gilt auch jene wohlbekannte Ausflucht nicht, daß nämlich Gott, wiewohl er die Gnade der Erwählung den vorgehenden Werken nicht zuschreibe, dennoch den Menschen wegen der zukünftigen Werke erwähle. Denn da es heißt, die Gläubigen sind erwählet, auf daß sie heilig werden, so wird dadurch zugleich angezeigt, daß ihre folgende Heiligkeit aus der Gnadenwahl ihren Ursprung habe.


Die Worte Christi sind zu deutlich, als daß sie nebelicht und dunkel gemacht werden könnten: Es kann niemand zu mir kommen, es sei denn, daß ihn der Vater ziehe. Wer es aber höret vom Vater, und lernets, der kommt zu mir. Wenn sie allesammt Christo die Kniee beugten, so wäre die Wahl allgemein, aber die so kleine Anzahl der Gläubigen lehret augenscheinlich das Gegentheil.


Man hat die sehr schwere Frage aufgeworfen: ob Gott recht daran thue, daß er etlichen gewissen Leuten seine Gnade zutheile. Dieß hätte der Apostel mit Einem Wort sagen können, wenn er das Ansehen der Werke hätte vorwenden wollen. Warum thut er es aber nicht, warum vertieft er sich je länger je schwerer in seiner Rede? – Darum, daß er nicht anders thun sollte: Denn der heilige Geist, welcher durch seinen Mund redete, war nicht vergeßlich. Darum antwortet er frei und ohne Umschweif, daß Gott darum seinen Auserwählten gnädig sei, weil er will; daß er darum sich erbarme, weil er will. Denn der Spruch: Welchem ich gnädig bin, dem bin ich gnädig, und wessen ich mich erbarme, dessen erbarme ich mich, sagt uns, daß Gott aus keiner anderen Ursache zur Erbarmung bewogen werde, als weil es also sein gnädiger Wille ist. Darum bleibt der Spruch Augustins wahr, daß Gottes Gnade die Seligwerdenden nicht finde, sondern mache.


Da die Versehung nichts anders ist, als eine Ordnung und Verwaltung der verborgenen, aber unsträflichen Gerechtigkeit Gottes: weil es ja gewiß ist, daß solche Leute der Verwerfung nicht unwürdig waren; so ist es eben sowohl gewiß, daß auch ihr Verderben ganz gerecht sei, worein sie aus Gottes Versehung gekommen sind. Ihr Verderben geht freilich also aus Gottes Versehung hervor, daß die Ursache und Schuld in ihnen selbst haftet.


Es fällt der Mensch zwar aus Ordnung der göttlichen Versehung, aber doch fällt er aus eigener Schuld. Der Herr hatte kurz zuvor gesprochen, daß Alles, was er gemacht habe, sehr gut sei. Woher kommt nun dem Menschen die böse Art, denn daher, daß er von seinem Gott abfiel? Damit nun niemand meine, dieß habe in der Schöpfung seinen Ursprung, so lobt Gott vorher seine Werke. Demnach hat der Mensch durch eigene Bosheit die von Gott gut empfangene Natur verderbt, und durch seinen Abfall all‘ sein Geschlecht mit sich in Unheil gestürzt. Darum thun wir besser, wenn wir in der verderbten Natur des menschlichen Geschlechts die augenscheinliche Ursache der Verdammniß in der Nähe anschauen, als daß wir die verborgene und unbegreifliche in Gottes Versehung erforschen: sollen uns aber zugleich nicht verdriessen lassen, der unendlichen Weisheit Gottes unsern Verstand zu unterwerfen, weil er ja in vielen seiner Geheimnisse erliegt. Denn in den Dingen, die wir nicht wissen können noch sollen, ist Unwissenheit eine Kunst, und kunstreich sein wollen, eine Unsinnigkeit. Denn ob wohl der Mensch aus Gottes ewiger Versehung zu dem Jammer, der ihn trifft, erschaffen ist, so hat er doch das Grundübel desselben von sich selbst und nicht von Gott bekommen, weil er ja darum also verderbt worden ist, daß er von der reinen Natur, die ihm der Schöpfer gab, in diese unreine, böse Unart gefallen ist. –


Man fragt, wie es komme, daß unter zweien, von welchen der eine nichts besser ist, denn der andere, Gott dennoch in seiner Erwählung einen überhüpfe, und den andern annehme. Dagegen frage ich wiederum, ob sie denn meinen, daß in dem Erwählten etwas sei, dadurch Gottes Gemüth zu ihm geneigt werde. Wenn sie sagen, es sei nichts, (wie sie denn bekennen müssen) so wird folgen, daß Gott nicht den Menschen ansehe, sondern von seiner Güte die Ursache nehme, warum er ihm wohlthue. Daß nun Gott einen Menschen erwählt mit Uebergehung des andern, das kommt nicht daher, weil er die Person ansiehet, sondern von seiner bloßen Gnade, der ja freisteht, sich zu erzeigen wo und wann sie will. Denn wir wissen ja, daß von Anfang her nicht viel Edle, oder Weise, oder Gewaltige berufen wurden, damit Gott des Fleisches Hoffarth demüthigte, geschweige daß seine Gunst an die Personen gebunden sein sollte.


Wenn Gott über die Verworfenen verdiente Strafen verhängt, den Berufenen aber unverdiente Gnade schenkt, so ist er in diesem Fall von aller Anklage frei, wie das Gleichniß von einem Schuldherrn lehrt, welcher ja Macht hat, dem einen die Schulden zu erlassen, dem andern hingegen nicht. So kann auch der Herr seine Gnade schenken, wem er will, weil er barmherzig ist; und wiederum nicht allen schenken, weil er ein gerechter Richter ist.


Die Feinde der göttlichen Wahrheit hängen der ewigen Versehung Gottes auch diesen Schandfleck an, daß, so lange sie besteht, alle Sorge und jeder Fleiß, fromm zu sein, hinweg falle. Denn wer sollte, (sprechen sie) wenn er hört, daß ihm durch Gottes ewigen, unwandelbaren Beschluß entweder das Leben oder der Tod schon zuerkannt sei, nicht bald in solche Gedanken fallen: es gelte gleich, wie er sich halte; da ja Gottes Versehung durch sein Thun weder gehindert noch befördert werden könne? Auf solche Weise werden ja die Leute alle zaumlos dahin rennen, und verruchter Weise sich in allen Muthwillen stürzen. – Nur ja, das ist freilich so ganz erlogen nicht. Denn es giebt viele solcher Säue, welche die Lehre von der Wahl mit diesen unfläthigen Lästerungen besudeln, und unter dem Schein derselben alle Vermahnungen und Strafen verlachen. Gott weiß wohl, was er einmal mit uns machen will; will er uns selig haben, so wird er uns zu seiner Zeit selig machen. Will er uns aber verdammen, so sperren wir uns umsonst dawider. Aber die Schrift, die da gebeut, daß wir mit grosser Ehrerbietung und Andacht an dieses Geheimniß denken sollen, unterweiset die Kinder Gottes ganz anders, und wehret den gottlosen Muthwillen gewaltig ab. Denn sie predigt uns nicht darum von der Versehung, daß wir frech werden, und die verborgenen Geheimnisse Gottes freventlicherweise ergrübeln: sondern dazu vielmehr, daß wir demüthig und niedrig vor seinen Gerichten erzittern, und die Barmherzigkeit groß achten lernen. nach diesem Ziele sollen die Gläubigen sich ausstrecken. Aber den unfläthigen Schweinen, welche Gottes Geheimnisse zum Deckmantel ihrer Bosheit in den Koth treten, wird trefflich von St. Paulus begegnet. Sie geben vor, daß sie weidlich forttaumeln wollen in ihren Lastern, weil ihnen ja doch, da sie aus der Zahl der Auserwählten seien, nichts hinderlich sein könne, daß sie nicht endlich das Leben erreichen sollten. Aber St. Paulus erinnert uns, daß wir zu diesem endlichen Ziele erwählet sind, damit wir ein heiliges unsträfliches Leben führen. Wenn nun das Ziel der Erwählung ein heiliger Wandel ist, so soll sie uns vielmehr erwecken, demselben wacker nachzujagen, als daß sie eine Faulheit verursachen sollte. Dann diese beiden Dinge, daß man sich um die Frömmigkeit wenig bekümmern soll, weil die Wahl zur Seligkeit hinreichend ist, und daß der Mensch dazu erwählet sei, daß er sich des Guten befleißige, sind gar weit von einander unterschieden. Darum hinweg mit solchen Gotteslästerungen, die den ganzen Prozeß der göttlichen Wahl muthwillig verkehren. Daß sie aber ihr Lästermaul weiter aufsperren, indem sie sagen, daß derjenige, welcher von Gott verstoßen sei, umsonst arbeite, wenn er ihm auch mit unschuldigen frommen Wandel treulich diene, das ist schändlich erlogen. Denn wo sollte ein solcher Fleiß herkommen, als aus der Erwählung? Denn die, welche zu der Zahl der Verworfenen gehören, sind Zorngefäße zu Unehren zugerichtet, und darum hören sie auch nicht auf, mit unablässigem Lästern Gottes Zorn wider sich zu reizen, und mit augenscheinlichen Merkzeichen kund zu thun, daß Gottes Urtheil wider sie schon gefällt sei: geschweige, daß sie vergebens sich abarbeiten sollten, Gottes Gerichten zu entrinnen.


Andere suchen diese Lehre auf eine giftige und unverschämte Weise dadurch zu verläumden, daß sie vorgeben: es hebe dieselbe alle Vermahnungen zur Gottseligkeit auf. Darum ist Augustinus einst sehr verhaßt gewesen. Er hat sich aber darüber ausgesprochen in dem Buche de Correptione et Gratia ad Valentinum. Ich will daraus Einiges anführen, was alle wahren und friedliebenden Leser, wie ich hoffe, befriedigen wird: Was für ein stattlicher Prediger der Gnadenwahl Paulus gewesen sei, haben wir vernommen. Ist er aber darum kalt im Anhalten und Vermahnen? Möchten doch jene Eiferer sich spiegeln in seinem Ernst, so würden sie finden, daß ihre Andacht eitel Eiszapfen sind gegen seine Inbrunst. Nimmt nicht schon dieser Spruch allen Zweifel hinweg, daß wir nicht berufen sind zur Unreinigkeit, sondern daß ein jeder sein Gefäß in Ehren halte. Ferner daß wir Gottes Werk sind, geschaffen zu guten Werken, welche er bereitet hat, daß wir darin wandeln sollen. Ueberhaupt, wer nur ein wenig mit St. Paulus bekannt ist, der wird ohne weitläufigen Beweis verstehen, wie fein er an’s Licht stellt, was diesen streitig dünkt. Christus befiehlt, daß man an ihn glauben soll; diesem Gebot ist aber dennoch der andere Spruch nicht zuwider, da er sagt: Niemand kann zu mir kommen, es sei ihm dann von meinem Vater gegeben. Darum soll man allerdings predigen, wodurch die Leute zum Glauben gebracht, und in täglichem Zunehmen beharrlich erhalten werden. Nichts destoweniger soll daneben die Erkenntniß der Versehung Gottes ungehindert bleiben, damit die Gläubigen nicht mit dem Ihrigen prangen, sondern sich in dem Herrn rühmen. Christus spricht nicht vergebens: Wer Ohren hat zu hören, der höre. Demnach wenn wir vermahnend predigen, so gehorchen diejenigen gern, welche Ohren haben; an denen aber, welche keine haben, wird erfüllt, was geschrieben steht: daß sie hörend nicht hören. Warum habens jene, und diese nicht? spricht Augustinus. Wer hat den Sinn des Herrn erkannt? Soll man darum verneinen, was offenbar ist, weil nicht begriffen werden kann, was verborgen ist? – Wenn darum die Apostel (spricht er) und nachfolgenden Kirchenlehrer beides thaten, daß sie nemlich von der ewigen Wahl Gottes recht gelehrt und zugleich die Gläubigen unter der Zucht eines gottseligen Lebens gehalten haben: wie wollen denn diese neuen Lehrer behaupten, man solle dem Volk nicht predigen, was die gründliche Wahrheit ist von der göttlichen Versehung? Ja freilich muß es gepredigt sein, auf daß, wer Ohren hat zu hören, höre. Wer hat sie aber, er habe sie denn empfangen von dem, der sie zu geben verheissen hat? Freilich wer solche Gabe nicht empfangen hat, der verwerfe diese gute Lehre: wer aber solche Gabe hat, der nehme sie an und trinke, und trinke also, daß er lebe. Denn gleich wie man die guten Werke predigen muß, damit Gott recht geehret werde, also muß man auch die Erwählung Gottes predigen, auf daß, wer Ohren hat zu hören, von der Gnade Gottes in Gott und nicht von sich selber rühme. –


Weil wir nicht wissen, wer in die Zahl der Auserwählten gehört, oder nicht, so soll uns zu Muthe sein, als wollten wir alle selig werden. Das wird die Folge haben, daß wir uns befleißigen, einen jeglichen, der uns vorkommt, zum Friedgenossen zu machen. Aber unser Friede wird auf den Kindern des Friedens beruhen. Darum wollen wir, so viel an uns ist, Allen, damit sie sich nicht selbst verderben, oder auch andere verderben helfen, unsere heilsame und scharfe Strafe als eine nöthige Arznei mittheilen. Gott aber wird wol wissen, wie er dieselbe denen zu Nutz kommen lasse, welche er versehen und erwählet hat.


Was für Leuten Gott sein Wort anbiete, sehen wir bei dem Propheten: Ich bin gefunden worden von denen, die mich nicht suchten: Und bin erschienen denen, so nicht nach mir fragten. Zu dem Volk, das meinen Namen nicht anruft, habe ich gesagt: Siehe da bin ich. Und damit die Juden nicht meinten, solche Gnade erstrecke sich allein auf die Heiden, so führt er auch ihnen selbst zu Gemüthe, woher er ihren Vater Abraham genommen habe, als er ihn zu Gnaden annehmen wollte, nämlich mitten aus der Abgötterei, darin er sammt allen den Seinigen ersoffen war. Indem er verdienstlosen Leuten durch das Licht seines Wortes erscheint, beweiset er offenbar seine lautere Gnade. Da zeigt sich nun Gottes unermeßliche Güte, wiewol nicht Allen zur Seligkeit; indem ja die Verworfenen ein desto schwereres Urtheil auf sich laden, weil sie die Urkunde der göttlichen Liebe von sich stoßen, und andrerseits auch Gott ihnen die Kraft seines Geistes entzieht, auf daß er seine Gnade gegen die Andern desto scheinbarer mache. Deßhalb ist der innerliche Beruf das rechte Pfand der Seligkeit, welches nicht betrügen kann. Hieher gehört der Spruch Johannis: Daraus erkennen wir, daß wir seine Kinder sind, nämlich aus dem Geiste, welchen er uns gegeben hat. Und damit das Fleisch sich nicht rühme, als ob es selbst dem Rufenden geantwortet habe, so bezeugt er, daß es weder Ohren zu hören, noch Augen zu sehen gehabt habe, die der Herr selbst geben muß. Und er giebt sie nicht nach eines jeden Dankbarkeit, sondern nach seiner Wohl. Davon finden wir ein schönes Exempel bei Lucas, da die Predigt des Paulus und Barnabas zugleich von Juden und Griechen gehört wird. Obwohl sie mit demselben Worte unterwiesen werden, so stehet doch geschrieben, daß allein geglaubet haben, so viel ihrer zum ewigen Leben verordnet waren.


Durch keine Anfechtungen setzt der Teufel den Gläubigen heftiger zu, als dadurch, daß er sie mit Zweifeln an ihre Erwählung unruhig macht, und zu verkehrtem Vorwitz reizt, dieselbe neben dem Wege zu erforschen. Neben dem Wege erforschen nenne ich das, wann ein elender Mensch in die innere Canzley göttlicher Weisheit dringen, und sich hinauf schwingen will bis in die höchste Ewigkeit, damit er wisse, was in dem Kammergericht Gottes über ihn beschlossen sei. Denn alsdann stürzt er sich in einen so tiefen Abgrund, darin man untergehen muß; er verwirret sich in solche Stricke, daraus man sich nicht herauswinden mag, er wird mit so dickem Nebel überfallen, daß man erblinden muß. Aber mit solchem schrecklichen Unfall muß die Thorheit des menschlichen Gehirns gestraft werden, wenn es aus eigner Kraft auf den hohen Berg der göttlichen Weisheit sich versteigen will. Und diese Anfechtung ist um so schädlicher, weil wir fast allesammt zu keiner mehr geneigt sind. Denn es ist selten einer, dessen Herz nicht etwa von den Gedanken bestürmt würde: „Woher kommt dir deine Seligkeit, denn aus Gottes Erwählung? Wer will dir aber sagen, ob du erwählet seist?“ Nimmt nun dieser Gedanke bei jemand Ueberhand, so hat er grausame Plage davon, so daß er entweder in Verzweiflung geräth oder kleinmüthig wird. Es giebt aber kein schädlicheres Gift für das Herz des Menschen, als wenn dem Gewissen der Friede und die Ruhe zu Gott gebrochen wird. Wollen wir darum nicht Schiffbruch erleiden, so müssen wir uns vor diesem Fels hüten, an welchem man nimmer ohne Schaden anstößt. Und obwohl diese Lehre von der Wahl Gottes als ein gefährliches Meer gilt, so kann man doch zu ihrer Beschauung eine sichere, stille, ja liebliche Fahrt halten, außer wenn jemand sich muthwillig in Gefahr begeben wollte. Denn wie diejenigen sich in einen verderblichen Abgrund stürzen, welche, um ihre Erwählung gewiß zu erkunden, den ewigen Rath Gottes ausserhalb dem Worte ergründen, so empfinden diejenigen, welche der Sache recht und ordentlich nachgehen, nach dem Inhalt des Wortes, einen gar herrlichen und nützlichen Trost.


Wenn wir Gottes väterliche Huld und gnädiges Herz suchen, so müssen wir unsere Augen auf Christum wenden, an welchem allein der Vater ein herzliches Wohlgefallen hat. Wollen wir die Seligkeit, das Leben, und des ewigen Reichs Unsterblichkeit haben, so müssen wir uns ebenfalls nicht anders wohin kehren: sintemal er allein der Brunnen des Lebens, des Heils Anker, und ein Erbe des Himmelreichs ist. Worauf gehet aber die Erwählung, denn darauf, daß wir an Kindesstatt von dem himmlischen Vater angenommen werden und durch seine Huld die Seligkeit und Unsterblichkeit erlangen? Ueberschlag’s und bedenk’s, so lang du immer willst, so wirst du dennoch finden, daß das eigentliche Ziel unserer Erwählung sich weiter nicht erstrecke. Darum heißt es, daß Gott diejenigen, welche Er zu Kindern angenommen hat, nicht erwählet habe in ihnen selbst, sondern in seinem Sohne Christo, weil er sie allein in ihm lieben, und sie nicht eher zur Erbschaft seines Reichs zulassen konnte, als bis er sie zuvor zu seinen Mitgenossen gemacht. Weil wir dann in ihm erwählt sind, so werden wir nicht in uns selbst die Versicherung unserer Erwählung finden, ja auch in dem Vater selbst nicht, so wir uns ihn außerhalb dem Sohn einbilden. Deßhalb ist Christus der Spiegel, darin wir unsere Erwählung erblicken sollen, und sicher dürfen. Denn weil Er die Person ist, dessen Leibe der Vater die Seligwerdenden einzuleiben beschlossen hat, auf daß er die für seine Kinder halte, welche er unter seines Sohnes Gliedmaßen erkennet: so haben wir daran ein augenscheinliches und starkes Zeugniß, daß wir im Buche des Lebens geschrieben stehen, wenn wir mit Christo Gemeinschaft haben. Nun hat er uns aber solche Gemeinschaft mit ihm geschenkt, indem er durch die Predigt des Evangelii bezeugt hat, er sei uns vom Vater gegeben, damit er sammt allen seinen Gütern unser sein solle. Es wird gesagt: daß wir ihn anziehen, in ihm wachsen sollen, auf daß wir leben; sintemal er lebet. Es wird uns oft wiederholt: “Der Vater hat seines eingebornen Sohnes nicht verschont, auf daß ein jeder, der an ihn glaubet, nicht verloren werde. Und wer an ihn glaubt, der sei vom Tod in das Leben gedrungen.“ In dieser Hinsicht nennt er sich das Brod des Lebens, so daß jeder, der davon esse, nimmermehr sterben werde.


Es möchte aber jemand sagen, daß uns die Angst vor der Zukunft viel zu schaffen mache, indem uns doch Mancherlei wegen unserer Schwachheit begegnen könne. Denn wie Paulus lehret, daß die berufen werden, welche vorher erwählt worden sind, so bezeug dagegen Christus, daß viele berufen sind, aber wenige auserwählet. Ja auch Paulus selbst warnt anderswo vor Sicherheit, da er spricht: Wer da stehet, der sehe wohl zu, daß er nicht falle. Ferner: du bist eingepfropft in das Volk Gottes? Sei nicht stolz, sondern fürchte dich. Denn Gott kann dich bald aushauen, und andere wieder einpfropfen. Zudem lehrt uns die Erfahrung selbst genugsam, daß der Beruf und der Glaube wenig helfen, wenn nicht die Beharrung dazu kommt, welche nicht allen widerfährt. Darauf antworte ich, daß uns Christus dieser Angst entledigt hat. Denn seine Verheißungen gehen allerdings auch auf zukünftige Zeiten, wenn er spricht: Alles, was mir der Vater gibt, das kommt zu mir, und wer zu mir kommt, den will ich nicht hinausstoßen. Ferner: Das ist der Wille des Vaters, der mich gesandt hat, daß ich nichts verliere von allem, was er mir gegeben hat, sondern daß ich’s auferwecke am jüngsten Tage. – Meine Schafe hören meine Stimme, und folgen mir. Ich kenne sie, und gebe ihnen das ewige Leben, und sie werden nimmermehr umkommen, und niemand wird sie aus meiner Hand reißen. Der Vater, der sie mir gegeben hat, ist größer denn alles, und niemand kann sie aus meines Vaters Hand reißen. Weiter spricht er, daß ein jeder Baum, welchen der Vater nicht gepflanzet, ausgerottet werden soll, womit er zugleich anzeigt, daß die, welche in Gott gewurzelt sind, aus der Seligkeit nicht fallen können. Damit stimmt der Spruch Johannis: Wären sie aus uns gewesen, so würden sie freilich bei uns geblieben sein. Daher rührt auch der herrliche Ruhm Pauli wider das Leben und Tod, wider Gegenwärtiges und Zukünftiges, woraus erhellt, daß er dieses Geschenkes Gottes, nämlich, der endlichen Beharrung versichert war. Und gewiß ist, daß er diesen Spruch auf alle Auserwählten bezogen. Ferner sagt derselbe Paulus: Welcher in euch angefangen hat das gute Werk, der wird’s auch vollenden bis an den Tag Jesu Christi. Auch David fußte, als sein Glaube schwankte, auf diesen Grund: Das Werk Deiner Hände wollest Du nicht verlassen. Es leidet auch keinen Zweifel, daß Christus für alle Auserwählten bittet, wenn er dem Petrus wünscht, daß sein Glaube nimmer aufhöre. Daraus schliessen wir, daß sie keinen Abfall zu besorgen haben: da ja der Sohn Gottes, wenn er für ihre beständige Beharrung bittet, ohne Zweifel erhört worden ist. Was hat uns denn Christus hiemit lehren wollen, als daß wir festiglich glauben sollen, daß wir ewig selig bleiben werden, weil wir einmal sein Eigenthum geworden sind?


Es begiebt sich freilich täglich, daß die, welche für Christen gehalten wurden, wiederum ab und dahin fallen. Ja eben an der Stelle, da er sagt, es sei niemand umgekommen von denen, die ihm vom Vater gegeben wären, wird doch das Kind der Verdammniß ausgenommen. Das ist wahr, aber daneben ist nicht minder gewiß, daß solche Abfallende Christo nimmer mit wahrem Vertrauen ihres Herzens zugethan waren, und gerade in solchem Vertrauen sagen wir, daß unsere Erwählung uns versichert werde. Sie sind von uns ausgegangen, (spricht Johannes) aber sie waren nicht aus uns, denn, so sie aus uns gewesen wären, so würden sie freilich bei uns geblieben sein.


Dieselbe Bewandtniß hat es mit jener Ausnahme, wenn Christus sagt: Daß niemand umgekommen sei, denn das verlorene Kind. Das ist zwar eine ungewöhnliche, aber doch gar nicht unverständliche Redeweise. Denn er ward ja nicht gezählt unter die Schafe Christi als ein solcher, der es in der Wahrheit gewesen wäre. Wenn aber der Herr anderswo sagt, er sei von ihm sammt den andern Aposteln erwählt, so haben wir dieß allein vom Apostelamt zu verstehen: Hab ich nicht euch zwölfe erwählet, und euer einer ist ein Teufel? Redet Christo von der Erwählung zur Seligkeit, da nimmt er ihn ausdrücklich von der Zahl der Auserwählten aus. Ich rede nicht von allen, ich weiß, welche ich erwählet habe.


Ferner führt man den Spruch Pauli an, da er sagt: daß Gott alle Menschen selig haben will. Antwort: Es ist aus dem Text klar, wie er alle selig haben wolle. Denn Paulus setzt beides zusammen, daß er sie selig haben wolle, und daß sie zur Erkenntniß der Wahrheit kommen. Wenn man nun daraus schliessen will, es sei dieß also im ewigen Rathe Gottes beschlossen, daß Alle die Lehre des Heils annehmen, wie stimmt das denn mit Moses: „Wo ist so ein herrlich Volk, zu dem sich Gott so nahe thut, als zu dir?“ Wie kommts, daß Gott so viele Völker des evangelischen Lichts beraubt hat, dessen andere genossen haben? Wie ists zugegangen, daß die Erkenntniß heilsamer Lehre zu etlichen nie gekommen ist, etliche aber kaum einen dunkeln Schimmer empfingen? Daraus ist leicht abzunehmen, worauf Paulus geht. Er hatte dem Timotheus befohlen, daß man in der Kirche ein allgemeines Gebet verrichten solle für Könige und Fürsten. Weil es aber fast ungereimt schien, für ein fast verruchtes Volk zu bitten, das nicht allein von dem Leibe Christi fremd war, sondern auch mit aller Macht wider sein Reich stürmte, so fügt er hinzu, solches sei Gott angenehm, der da alle Menschen selig haben will. Damit will er denn anzeigen, daß er keinem Stande der Menschen den Weg zur Seligkeit versperrt, sondern vielmehr seine Barmherzigkeit dermaßen ausgeschüttet habe, daß er sie keinem versagen will.


Aber warum nennet er sie denn Alle? Theils damit der Gläubigen Gewissen desto sicherer und ruhiger sein möge, indem kein Unterschied der Sünder sei, so fern nur Glaube da ist, theils, damit die Gottlosen nicht zu klagen haben, als hätten sie keine Freistadt, dahin sie vor dem Sündenjoch fliehen möchten, da sie vielmehr die angebotene aus Undankbarkeit verachten. Demnach, obwohl Gottes Barmherzigkeit durch Evangelium beiden angeboten wird, so ist doch der Glaube, das ist, Gottes Erleuchtung, das Mittel, welches zwischen Gottseligen und Gottlosen unterscheidet, also, daß jene die Kraft des Evangeliums empfinden, diese aber keinen Nutzen davon bekommen. Diese Erleuchtung aber richtet sich nach der Wahl Gottes. – (Wer sie empfangen hat, der hat sie umsonst.)

Quelle: Krummacher, Emil Wilhelm - Goldene Worte über die theure Lehre von der freien Gnade
Elberfeld 1832. Bei Wilhelm Hassel

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