Calvin, Jean - Vom rechten Gebrauch der irdischen Güter

Calvin, Jean - Vom rechten Gebrauch der irdischen Güter

Es ist eine wichtige Frage, wie man dieses gegenwärtige Leben und das, was dazu gehört, besonders aber die irdischen Güter auf rechte Art genießen und gebrauchen soll. Soll man nämlich leben, so muß man auch von den zu diesem Leben nötigen Dingen Gebrauch machen; wir können zuweilen sogar das nicht vermeiden, was mehr zum Vergnügen als zur Notdurft dienlich zu sein scheint. Darum muß man das rechte Maß halten, damit wir diese Dinge, es sei nun zur Stillung der Not oder es sei zum Vergnügen, mit reinem Gewissen gebrauchen. Ein solches Maß gibt uns der Herr an die Hand, indem er uns in seinem Worte lehrt, daß dieses Leben für die Seinigen eine Pilgerschaft sei, auf der sie zum Himmel dringen. Da wir also durch diese Welt nur wallen sollen, so ist kein Zweifel, daß wir ihre Güter nur insoweit gebrauchen sollen, daß sie unsern Lauf nicht aufhalten, sondern fördern. Daher ermahnt uns Paulus mit gutem Grunde, wir sollten dieser Welt so brauchen, als wenn wir ihrer nicht brauchten, wir sollen ihre Güter mit eben der Gesinnung erwerben, mit der wir sie hergeben. Es ist das aber ein sehr schlüpfriger Ort, auf dem viele gefallen sind - von beiden Seiten.

Wir müssen uns daher befleißigen, hier sichere Tritte zu tun. Einige fromme und heilige Leute haben hier empfohlen, sich allen Besitzes und Genusses irdischer Güter zu enthalten, soweit sie nicht unbedingt zum Leben nötig seien; sie meinen, das sei das einzige Mittel, um die so leicht einreißende Üppigkeit zu bekämpfen. Ihr Rat ist nicht zu verachten, doch geht er über das Maß hinaus und sind jene Menschen strenger als sich ziemt. Sie haben denn auch die Gewissen viel härter geknechtet als Gottes Wort sie bindet. Sie sagten, man solle nur die Notdurft pflegen, und sie verstanden darunter, sich von allem zu enthalten, was man entbehren könne; so durfte man denn nach ihrer Regel kaum Brot essen und Wasser trinken. Heutzutage aber gibt es viele, welche - im Gegensatz zu jenen Asketen - alle Schwelgerei, Geilheit und Üppigkeit verteidigen, indem sie behaupten, man dürfe sich seine Freiheit nicht beschneiden lassen, sondern müsse es dem Gewissen jedes Einzelnen anheimstellen, wieviel er genießen dürfe.

Das bekämpfen wir durchaus. Ich gebe zwar gerne zu, daß es in dieser Frage kein bestimmtes Gewissensgesetz für alle gibt; aber da die Schrift über den rechten Gebrauch des Irdischen eine Regel gibt, müssen wir sie ohne Zweifel beobachten. Das Erste aber, worauf wir sehen müssen, ist dieses, daß wir beim Gebrauch der irdischen Gaben den rechten Zweck verfolgen und erreichen, für den Gott sie uns gegeben hat, und zwar, daß er sie zu unserm Heile, nicht aber zu unserm Verderben bestimmt. Jeder rechte Gebrauch der Gaben Gottes wir diesem Zweck dienlich sein. Wir dürfen aber dabei auch glauben, daß er sie uns nicht nur zur Notdurft, sondern auch zur Freude bereitet hat. Speise und Trank sollen uns nicht nur sättigen, sondern auch erheitern. In der Kleidung hat Gott nicht nur auf den Schutz, sondern auch auf den Schmuck und die Ehrbarkeit Rücksicht genommen. In Baum und Blume sowie den mannigfaltigen Erdfrüchten hat er nicht nur den vielartigen Gebrauch, sondern auch die schöne Gestalt und den lieblichen Geruch im Auge gehabt. Wenn dem nicht so wäre, würde es der Prophet nicht unter die Wohltaten Gottes rechnen, daß der Wein des Menschen Herz erfreut und Öl sein Angesicht schön macht; auch würde die Schrift, um seine Güte zu rühmen, nicht hin und wieder erzählen, daß er solches alles den Menschenkindern gegeben habe. Hinweg darum mit jener unfreundlichen Weltweisheit, welche nur den allernotdürftigsten Gebrauch der Kreatur zulassen will; sie beraubt uns nicht nur des erlaubten Genusses der göttlichen Wohltaten, sondern nimmt auch alle Empfindungen und macht uns zu unempfindlichen Steinklötzen.

Ganz gewiß aber müssen wir uns auf der andern Seite mit der größten Sorgfalt vor der fleischlichen Lust hüten, welche wie ein wilder Strom herausbricht, wenn wir sie nicht im Zaume halten. Alle Dinge sind dazu geschaffen, daß wir den Schöpfer daraus erkennen und ihm für seine Liebe und Vatertreue herzlich danken sollen; wo aber bleibt denn die Erkenntnis Gottes und die Danksagung, wenn du frissest und säufst, so daß du nicht nur in allen Werken der Gottseligkeit, sondern auch des irdischen Berufes ganz unnütz wirst? Wo bleibt sie, wenn du in der Kleidung durch köstlichen Schmuck dich selbst zur Schau stellst, dich und andre dadurch zur Unzucht reizest und mit deinem Herzen an dem äußeren Schmuck hangest? Und gerade so ist es mit allem andern.

„Wartet des Leibes, doch also, daß er nicht geil werde“, sagt Paulus Römer 13,14. Wer als ein Christ dieses gegenwärtige Leben verachten und nach der himmlischen Unsterblichkeit recht trachten gelernt hat, der wird auch dieser Welt so gebrauchen, als ob er ihrer nicht gebrauchte. Er wird alle Unmäßigkeit im Essen und Trinken, alle Weichlichkeit und Hoffart, alle Künstelei in Möbeln, Gebäuden und Kleidern, ja auch alle Sorge und Angst, die ihn von dem Trachten nach dem himmlischen Leben abführt und ihn am Schmücken seiner Seele hindert, aus seinem Herzen verbannen. Diejenigen, welche sich mit vielen Sorgen um den Leib beschweren, vernachlässigen in der Regel die Seele, und diejenigen, welche vielen Fleiß auf ihren äußerlichen Schmuck verwenden, sind meistens sehr träge und gleichgültig hinsichtlich des Schmuckes ihrer Tugend. Wahre Christen sind gegen sich selbst am wenigsten nachsichtig; sie hüten sich nicht allein von Unmäßigkeit, sondern auch vor aller leeren Pracht und allem unnützen Überfluß; sie wollen nicht, daß ihre Gottseligkeit durch solches gehindert werde, was sie doch fördern soll.

Diejenigen Christen aber, welche arm sind an irdischen Gütern, müssen sich vor einer anderen Gefahr hüten: sie müssen wissen, geduldig Mangel zu leiden und sich nicht von unnützer Gier nach jenen quälen lassen. Wer die Armut mit Ungeduld erleidet, wird - wenn er reich wird - auch den Besitz nicht ertragen können; er wird entweder übermäßig stolz oder ein sinnloser Schwelger werden. Wir müssen, nach dem Beispiel des Apostels, alles können, satt sein und Hunger leiden, Überfluß und Mangel haben. Auch uns lehrt die Schrift, daß alle Gaben Gottes Unterpfänder seiner Gnade sind, von denen wir Rechenschaft ablegen müssen. Darum soll jederzeit diese Stimme in unser Ohr schallen: „Tue Rechnung von deinem Haushalt!“ Und wir sollen denken, daß Gott es ist, der Rechenschaft fordert, er, der uns in seinem Wort befohlen hat, mäßig, nüchtern, mildtätig und maßvoll zu sein, der alle Schwelgerei, Hoffart, Prachtlust und Eitelkeit verflucht, dem kein anderer Gebrauch der irdischen Güter gefällt als daß man sie benutzt zu Werken der Liebe, und der in seinem Wort alle Lüste verdammt hat, die das Gemüt von der Zucht und Reinheit abführen und unsere Sinne verdüstern und abstumpfen.

Quelle: Gärtner - Eine Wochenschrift für Gemeinde und Haus 1909

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