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Calvin, Jean - Psalm 36.

Calvin, Jean - Psalm 36.

Inhaltsangabe: Fast alle Ausleger meinen, dass David in diesem Psalm im Allgemeinen seine Bewunderung ausspreche über die Güte Gottes, der die Verworfenen in seinem Mitleid und Erbarmen trägt, obwohl er frevelhaft von ihnen verachtet wird. Ich bin jedoch etwas anderer Ansicht, nämlich dass der heilige Prophet, weil er von bösen und frevelhaften Leuten hart gequält wurde, sich über ihre Schlechtigkeit beklagt. Dann tröstet er sich aber mit der unermesslichen Güte Gottes, die er nicht nur allen Sterblichen insgemein, sondern besonders seinen Kindern erweist. Dieses Vertrauen gibt ihm neuen Mut. Denn wenn Gott ihm nur gut ist, so wird er doch endlich erlöst werden. Dies geht aus dem Schlusse hervor, wo er sich mit dem Gedanken, dass er durch Gottes Schutz erhalten bleiben werde, gegen alle Angriffe der Feinde wappnet und schützt.

V. 1. Es ist ungewiss, weshalb David nur in diesem und im 18. Psalm der Ehrenname eines Knechtes Gottes beigelegt wird. Vielleicht geschieht es deshalb, weil er sich in diesem Kampfe, der schwerer als alle anderen war, als ein unbesiegter Held Gottes bewährt hat. Wir wissen ja, welch eine seltene Tugend es ist, dass jemand, wenn die Gottlosigkeit ungestraft waltet und aller Augen verfinstert, mit den Augen des Glaubens auf die Vorsehung Gottes blickt. Und doch ist diese Erkenntnis durchaus nötig, damit unser Herz sich in Geduld fasse und unsere Frömmigkeit fest und beständig bleibe.

V. 2. In meinem Herzen spüre ich, wie die Gottlosigkeit dem Frevler zuredet usw. Ganz wörtlich müsste dieser schwierige Satz etwa übersetzt werden: „Es spricht in meinem Herzen die Gottlosigkeit zum Frevler.“ Die Meinung ist, dass die Frevler ihre Gottlosigkeit verborgen wähnen: aber sie spricht deutlich in Davids Herzen, und er kann als zuverlässiger Zeuge dessen auftreten, was sie ihm kundtut. So sehen wir, dass der heilige Sänger hier nicht von offenbaren Verbrechen redet, sondern dass er bis zur tiefsten Quelle vordringt. Er sagt etwa: mögen die Gottlosen auch durch schlaue Verstellungen ihre Bosheit verdecken, so ist sie mir doch genügend bekannt, so dass es mir vorkommt, als hörte ich sie selbst reden. Nun ist es ja wahr, dass man ein solches Urteil über die gottlosen Weltmenschen, die sich in Verbrechen jeglicher Art stürzen, als ob sie keine Rechenschaft zu geben hätten, ohne weiteres fällen kann, wenn man nur ihr Leben ansieht. Aber viel eindrücklicher ist es noch, dass verborgene Sündhaftigkeit sich den Knechten Gottes offen darstellt. Übrigens spricht David nicht von allen Menschen, sondern nur von den entschlossenen Gottesverächtern: denn es gibt viele, die von diesem äußersten Wahnsinn frei bleiben, wenn sie sich auch frech in ihren Lastern gehen lassen. Aber wenn jemand sich in der Sünde verhärtet hat, dann flößt die Gottlosigkeit ihm endlich diese Sicherheit ein, und die Folge davon ist, dass er Gottes Gericht verachtet und sich ohne Furcht überall hinstürzt, wohin die Begierde ihn treibt. Diese Sicherheit in der Sünde, besonders wenn Verachtung und Spott hinzukommen, ist gleichsam eine Bezauberung Satans und das Kennzeichen eines heillosen Menschen. Wenn nun auch die wahre Frömmigkeit die frommen Seelen in der Furcht Gottes bewahrt und alle gottlosen Gedanken von ihnen fernhält, so können sie doch in ihrem Herzen innewerden, welch furchtbare Raserei die Gottlosen erfüllt, wenn sie nicht nach Gott fragen und um seine Gerichte sich nicht kümmern. – Dass keine Gottesfurcht vor ihren Augen sein solle. Diese Worte zeigen in Kürze, wohin die bösen Einflüsterungen schließlich führen, nämlich dahin, dass die Menschen jede Empfindung für den Unterschied von Gut und Böse unterdrücken und verlieren, und alles sich herausnehmen, als wenn kein Gott als Richter im Himmel säße. David will etwa sagen: Wie ich das Bild des Frevlers in meinem Herzen trage, redet ihm die Gottlosigkeit zu und will ihn zur äußersten Verrücktheit treiben, dass er alle Gottesfurcht fahren lasse und sich der Sünde ganz und gar verschreibe; was die Gottlosen in ihrem Herzen herumwälzen, ist mir so wohl bekannt, als hätte mich Gott zum Zeugen und Richter bestellt, der ihre Heuchelei aufdecken soll, durch die sie ihre Bosheit ganz zu verbergen meinen. Wenn also die Gottlosen durch keine Scheu vor Gott sich vom Sündigen zurückhalten lassen, so ist dies eine Folge jener geheimen Eingebung der Gottlosigkeit, die sie so unverständig macht, dass sie sich wie vernunftlose Tiere gebärden. – Erklärungsbedürftig ist noch der Ausdruck „vor ihren Augen“. Weil die Augen gleichsam unsere Führer im Leben sind und die anderen Sinne durch ihre Bewegung hierhin oder dorthin leiten, so heißt es, dass ein Mensch Gottesfurcht „vor Augen“ habe, wenn sie sein Leben regiert und ihm überall, wohin er sich wendet, entgegentritt, um dadurch seine Begierden zu zügeln. Wenn David nun von den Frevlern sagt, dass keine Gottesfurcht vor ihren Augen sei, so meint er damit das Gegenteil von dem, was wir soeben beschrieben, nämlich dass die Gottlosen, ohne an Gott zu denken, sich zügellos gehen lassen, weil ihre Bosheit sie verblendet hat.

V. 3. Die schmeicheln sich untereinander. Jetzt wird an ihrem Verhalten gezeigt, dass bei den Gottlosen in der Tat keine Gottesfurcht ist. Sie ergötzen sich derartig an ihren Schandtaten, dass sie allen anderen Menschen verhasst werden; dennoch fahren sie hartnäckig fort und verstocken sich mehr und mehr. Zuerst heißt es nur, dass sie mit Schmeicheleien ihre Laster hegen, damit sie ja nicht ein Missfallen an ihrer eigenen Sünde anwandle. Wenn wir aber dann weiterlesen, dass ihr Frevel erfunden werde bis zur Verhasstheit, so wird damit die äußerste Verhärtung beschrieben. Denn dies bedeutet: in ihrem heuchlerischem Selbstruhm treiben sie es so weit, dass ihr gottloses Wesen jedermann verhasst wird. Und auch dieser Erfolg lässt sie ganz kalt; ja sie klatschen sich Beifall, während das Volk sie auszischt und ihr lasterhaftes Leben verabscheut. Welche Verblendung gehört dazu, die Hässlichkeit der eigenen Schandtaten nicht zu sehen, an welchen alle anderen sich stoßen! Aber sie haben eben, so viel sie vermochten, den Unterschied zwischen Gut und Böse ausgelöscht und haben ihr Gewissen eingeschläfert, damit es sie nicht zur Buße rufe.

V. 4 u. 5. Die Worte ihres Mundes sind Frevel und Trug. Beide Satzglieder haben offenbar einen und denselben Sinn: die Frevler spielen derartig mit Lügen, dass gar kein Licht rechter Erkenntnis mehr in sie eindringen kann. Denn Davids Anklage lautet nicht einfach dahin, dass sie mit List und Betrug andere hintergehen, sondern dass in ihnen selbst sich kein rechter und zuverlässiger Grund mehr findet. Wir haben ja schon vorher gesagt, dass er hier nicht von solchen Sündern redet, in denen noch etwas von dem göttlichen Samen übrig geblieben ist, sondern von den gemeinen Verächtern, die sich ihren Sünden ganz ergeben haben. Von diesen sagt er, dass sie immer trügerische Vorwände im Munde führen, um dadurch jede heilsame Lehre zu verspotten. Und dann fügt er hinzu, dass sie es aufgegeben haben, Verstand zu fassen, um Gutes zu tun. Sie wollen Gut und Böse grundsätzlich nicht unterscheiden, um sich nicht bessern zu müssen: darum fliehen sie die Vernunft, die sie zum Guten anleiten könnte. So enthält dieser Satz eine wichtige Lehre: sind wir ja einmal vom rechten Wege abgewichen, so ist das einzige Heilmittel, dass wir die Augen unseres Verstandes öffnen, damit die Erkenntnis des Unterschiedes zwischen Gut und Böse uns vom Irrtum zurückrufe. Und es ist das Zeichen eines heillosen Zustandes, wenn jemand diese Erkenntnis verachtet. –

Der folgende Vers zeigt, wie tief und fest diese Erkenntnis sitzt. Es kommt ja vor, dass auch solche, die sonst nicht schlecht gesinnt sind, fallen und sündigen, weil sie von der Versuchung übereilt werden. Ganz anders aber steht es mit den Verworfenen, wie David sie hier schildert: sobald sie sich vor Menschenaugen verborgen wissen, brauen sie böse Pläne in ihren Herzen; auch wenn keine Verführung noch ein böses Beispiel sie lockt, so steigen Schandtaten ohne fremden Antrieb aus ihren ureigensten Gedanken auf. Ist es nun die Art der Verworfenen, auf ihrem Lager nach Schaden zu trachten, so sollen die Gläubigen demgegenüber lernen, ihr Trachten ganz anderswohin zu richten, wenn sie allein sind: sie sollen ihr Leben prüfen und wider alle bösen Gedanken ernstlich ankämpfen. Weiter wird die Hartnäckigkeit der Verworfenen gekennzeichnet: sie stehen fest auf dem bösen Weg d. h. sie verstocken sich mit Wissen und Willen in der Sünde. Davon ist der Grund, dass sie kein Arges scheuen: denn die selbstverschuldete Blindheit stürzt sie ins Verderben, so dass sie sich freiwillig dem Laster preisgeben. Hier tritt uns der Gegensatz entgegen zwischen den Gläubigen und den Verworfenen. Diese täuschen sich durch falsche Schmeicheleien, jene sind gegen sich selbst strenge Richter; diese lassen sich mit verhängten Zügeln zum Laster fortreißen, jene dagegen werden durch den Zügel der Gottesfurcht in Schranken gehalten. Diese suchen ihre Vergehungen durch Ausflüchte zu entschuldigen und verwandeln das Licht in Finsternis, jene erkennen es freimütig an, dass sie gesündigt haben und ermahnen sich durch ein offenes Bekenntnis zur Buße; diese verwerfen jedes vernünftige Urteil, jene wünschen zum Licht des Lebens zu gelangen; diese sinnen auf immer neue Sünden, jene hüten sich eifrig, dass sie keine Freude an der Sünde bekommen; diese versenken sich tief in die Verachtung Gottes, jene geben sich Mühe, immer mehr Missfallen an ihren bösen Werken zu bekommen.

V. 6 u. 7. Die Ausleger meinen, dass David, nachdem er beschrieben hat, wie groß und auf Erden weit verbreitet das Verderben und die Verkehrtheit sind, hierdurch veranlasst werde, in Bewunderung über die unglaubliche Güte Gottes auszubrechen, dass er nicht aufhört, dem menschlichen Geschlecht, obgleich das Böse bei ihm so sehr die Oberhand gewonnen hat, noch immerfort seine Gunst und sein Wohlwollen zu erweisen. Ich möchte dagegen lieber einen anderen Gedankenzusammenhang herstellen: der heilige Sänger hat die große Schlechtigkeit der Menschen geschildet, und um nun nicht selbst durch den Ansturm solcher Flut fortgerissen zu werden und zu fallen, sammelt er sich. Denn auch wenn wir die Gottlosen verdammen, dringt eine Ansteckung von ihnen her nur zu leicht in unsere Seele; und trotz aller Klagen über ihre Schlechtigkeit hält sich doch unter hundert kaum einer in wahrer Frömmigkeit ganz rein und fest. Der Sinn ist mithin folgender: Obgleich eine traurige und schreckliche Verwüstung sich den Augen darbietet, die wie eine ungeheure Flut die frommen Seelen verschlingen könnte, so behauptet David trotzdem, dass die Erde voll sei der Güte des Herrn und seiner Gerechtigkeit, und dass Himmel und Erde mit größter Gerechtigkeit von ihm regiert werden. Und gewiss müssen wir, so oft die Verderbtheit der Welt unser Herz erschüttert, uns hüten, dass unsere Gedanken nicht bei der Bosheit der Menschen, die alles in Unordnung und Verwirrung bringt, stehen bleiben. In dieser verworrenen Finsternis müssen wir auf die verborgene Vorsehung Gottes blicken. David zählt hier vier hervorragende Eigenschaften Gottes auf und fasst darin alle anderen zusammen. Er will damit kurz sagen, dass wir die unschätzbare Kraft und Macht Gottes auch dann anerkennen müssen, wenn unser fleischlicher Sinn uns einreden möchte, dass in der Welt alles durch Zufall geschehe. Wenn er ausspricht, dass Gottes Güte reicht, so weit der Himmel ist, so will er damit sagen, dass sie so groß ist wie der Himmel. Aus demselben Grunde setzt er hinzu: und deine Wahrheit, so weit die Wolken gehen. Die Wahrheit Gottes kann an sich sowohl Gottes Treue, die er in der Erfüllung seiner Weissagungen beweist, als seine gerechte Weltregierung bedeuten, in der sich seine Gerechtigkeit klar und durchaus untrüglich offenbart. Aber verschiedene andere Stellen zwingen uns, hier an Gottes Verheißungen zu denken: der Herr beweist seine Wahrheit darin, dass er hält, was er verspricht. Gleich darauf folgt eine Lobpreisung der Gerechtigkeit, von der es heißt, dass sie wie „Berge Gottes“ d. h. wie hocherhabene Berge feststeht: denn der Hebräer bezeichnet alles Hervorragende als göttlich, - und in seiner Gerechtigkeit zeigt sich Gottes Ruhm im hellsten Glanz.

Zuletzt sagt der Dichter, dass Gottes Recht oder seine Gerichte wie eine große Tiefe seien. Mit diesen Worten erinnert er uns daran, dass wohin wir auch unsere Augen wenden, sei es nach oben oder nach unten, alles von Gott recht geordnet ist. Diese Stelle pflegt auch in einem anderen Sinne angeführt zu werden, nämlich, dass Gottes Gerichte weit über unser Fassungsvermögen hinausgehen, und dass sie so verborgen sind, dass wir ihren Grund nicht erkennen können. Hierfür passt das Bild der Tiefe sehr gut. Aber aus dem Zusammenhange schließen wir, dass Davids Worte einen umfassenderen Sinn haben. Sie wollen besagen, dass wenn auch eine noch so große Flut von Übeltaten sich über die Menschen ergießt und die ganze Erde bedeckt, die Tiefe der göttlichen Vorsehung doch noch größer ist, so dass der Herr trotzdem alles gerecht ordnet und regiert. So oft daher bei dem blinden und dunklen Wirrwarr unser Glaube anfängt, schwach zu werden, lasst uns daran denken, dass in der gesamten Weltregierung die Gerichte Gottes mit Recht mit einer großen Tiefe verglichen werden, die Himmel und Erde erfüllt und einnimmt, damit ihre unermessliche Größe alle unsere Sorgen und Beschwerden verschlinge. Wenn David am Schluss des Verses hinzusetzt, dass sowohl Vieh als Menschen von Gott erhalten werden, so will er darauf hinweisen, dass wenn Gottes Sorgfalt sich bis auf die unverständigen Tiere erstreckt, er erst recht für die Angelegenheiten der Menschen sorgt. Und fürwahr, so oft ein Zweifel an der göttlichen Vorsehung uns beschleicht, müssen wir ihm diesen Schild entgegenhalten: unmöglich kann der Gott, der dem Vieh seine Nahrung gibt und es in seinem Stand erhält, das Menschengeschlecht vernachlässigen.

V. 8. Wie teuer ist deine Güte. Weil Gottes Güte so groß ist und sich so herrlich offenbart, suchen die Menschenkinder unter seinem Schatten Zuflucht. Bisher hat David die Güte Gottes gepriesen, die sich über alle Geschöpfe erstreckt, jetzt handelt er von der besonderen Gunst, die er seinen Kindern erzeigt. Allerdings scheint es, dass er hier von den Menschenkindern im Allgemeinen rede, aber das Folgende passt eigentlich nur auf die Gläubigen. Absichtlich nennt er diese „Menschenkinder“, um Gottes Gnade dadurch zu verherrlichen, dass er sich herablässt, die Sterblichen, die von Adam abstammen, unter seine Flügel zu sammeln; wie es heißt (Ps. 8, 5): „Was ist der Mensch, dass du sein gedenkst, und des Menschen Kind, dass du dich sein annimmst?“ Jetzt verstehen wir den Sinn dieser Stelle. Obgleich die Gottlosen grässlich in ihren Schandtaten schwelgen, so lassen doch die Gläubigen, weil sie auf Gottes Güte vertrauen, sich durch diese Versuchung nicht abhalten, sich seiner väterlichen Fürsorge zu übergeben. Die Gottlosen schmecken nichts von dieser Güte in ihrem Herzen, weil sie kein Verständnis dafür haben. Sie lassen sich dadurch auch nicht zum Glauben bringen, um unter dem Schatten der Flügel Gottes zu ruhen. Das Bild der Flügel ist sehr gebräuchlich in der Schrift. Gott drückt dadurch aus, dass er uns unter seinem Schutz hegt wie die Henne ihre Küchlein. So liebreich und freundlich lädt er uns zu sich!

V. 9. Sie werden trunken von den reichen Gütern usw. Ich zweifle nicht, dass David damit nicht die Güter meint, die für alle ohne Ausnahme da sind, sondern allein diejenigen, die für die Kinder Gottes, die sich ganz auf seine Treue verlassen, zurückgelegt sind. Einige verstehen darunter nur die geistlichen Gnadengüter. Ich halte es jedoch für wahrscheinlicher, dass hiermit alle Wohltaten Gottes gemeint sind, sowohl die sich auf dieses Leben beziehen, als auch die Bezug haben auf die ewige und himmlische Glückseligkeit. Das freilich müssen wir uns einprägen, dass man alle diese Güter nur durch wahren Glauben schmecken kann: er allein macht, dass wir sie recht und richtig zu unserem Heil genießen. Die Gottlosen schlingen die Fülle der göttlichen Güter hinunter, und wenn ihr Fleisch dadurch auch ebenso wie bei dem Vieh gemästet wird, so bleibt ihre Seele doch auf ewig ungesättigt. Nur allein die Gläubigen sättigt, wie schon gesagt, Gottes Freigebigkeit, indem sie ihnen zum Unterpfand seiner väterlichen Liebe wird. Dass sie „getränkt“ werden, deutet auf eine volle Sättigung, und der „Strom“ auf die reiche Menge.

V. 10. Denn bei dir ist die Quelle des Lebens. Dieser Satz bestätigt den vorhergehenden Gedanken, dessen Erkenntnis für uns so nützlich ist, dass es gar nicht mit Worten ausgedrückt werden kann. Denn da die Ungläubigen auch die besten Gaben Gottes durch ihren gottlosen Missbrauch entheiligen, so würde es für uns, falls wir den oben beschriebenen Unterschied nicht beachten, besser sein, hundertmal in Mangel unterzugehen, als reichlich durch die Wohltätigkeit Gottes genährt zu werden. Da die Ungläubigen es also durchaus nicht anerkennen, dass sie in Gott leben, weben und sind, sondern sich vielmehr einbilden, durch eigene Kraft zu bestehen, so versichert David hier im Sinne der Frommen und gleichsam in ihrem Namen, dass in Gott die Quelle des Lebens ist. Damit gibt er eben zu verstehen, dass wir außer ihm auch nicht das geringste Leben finden können, denn alles Leben fließt aus seiner Gnade. Das Bild vom Licht hat besonderen Nachdruck. Es erinnert uns daran, dass die Menschen des Lichts entbehren, wenn Gott es ihnen nicht strahlen lässt. Wenn dies schon von dem Lichte des gegenwärtigen Lebens gilt, wie sollten wir dann das himmlische Leben schauen können, wenn Gott uns nicht erleuchtet? Es ist nämlich wohl zu beachten, dass die Menschen von Natur wenig Einsicht besitzen, so dass, obgleich das Licht in die Finsternis hineinleuchtet, die Finsternis es doch nicht begreift. Wenn wir daher erleuchtet werden, so ist dies eine übernatürliche Gabe. Indessen merken es nur die Gläubigen, dass die Menschen das Licht von Gott entlehnen müssen, wenn sie nicht in dichter Finsternis bleiben wollen.

V. 11. Breite deine Güte usw. Jetzt wendet David sich wieder dem Gebet zu. Zunächst bitter er im Allgemeinen, dass Gott fortfahre in seinem Erbarmen gegen alle Frommen. Dann bringt er seine eigene Sache vor, indem er um Hilfe wider seine Feinde bittet. Neben Gottes Güte stellt er seine Gerechtigkeit, welche seine eigene Sache durchführen muss. Wir haben schon öfter gesagt, dass Gottes Gerechtigkeit sich darin herrlich erweist, dass er die Beschützung der Seinen übernimmt, ihre Unschuld beschirmt, Ungerechtigkeiten rächt und von ihnen fernhält, und sich treu zeigt in der Bewahrung ihres Heils. Da Gott den Frommen dies alles nur aus Gnade gewährt, so ist es recht, dass David mit der Güte Gottes beginnt und ihr den ersten Platz anweist. Wir sollen es eben lernen, ganz von seiner Gnade abzuhängen. Es ist noch zu beachten, dass er die Frommen als solche bezeichnet, die Gott kennen, denn hieraus schließen wir, dass die wahre Frömmigkeit mit der Erkenntnis Gottes beginnt, und ferner, dass das Licht des Glaubens unsere Herzen notwendig zur Gerechtigkeit erzieht. Dabei ist auch zu beachten, dass Gott nur dann von uns recht erkannt wird, wenn wir ihm die gebührende Ehre erweisen und unsere Zuversicht auf ihn setzen.

V. 12. Lass mich nicht von den Stolzen untertreten werden. Damit wendet David das Gebet auf seine eigene Person. Wenn er zuvor für alle Kinder Gottes gebetet hat, so wollte er bezeugen, dass er nichts Besonderes für sich begehrt, sondern sich darum nach Gottes Gnade ausstreckt, weil er einer aus der Zahl der Frommen und Rechtschaffenen ist, die auf Gott blicken. Da die Gottlosen tollkühn vorwärts stürmen, um die Guten ins Verderben zu stürzen, da sie ihre Füße erheben, um sie niederzutreten, und ihre Hände bereit haben, um jegliche Schlechtigkeit zu begehen, so bittet David, dass der Herr ihre Füße und Hände binde. Hiermit gesteht er auch, dass er ihrer Frechheit, ihren Schmähungen und ihrer Rohheit preisgegeben sein würde, wenn Gott nicht bald zu seiner Hilfe herbeieilte.

V. 13. Dort fallen die Übeltäter. Aus seinem Gebet gewinnt er Zuversicht und zweifelt nicht mehr daran, dass er das schon bekommen habe, um was er gebeten. Wir sehen hier, wie die Gewissheit des Glaubens die Heiligen zum Beten treibt. Um sich übrigens noch mehr in der guten Hoffnung zu bestärken, weist er gleichsam mit dem Finger auf den Untergang der Gottlosen hin, der bislang noch verborgen ist. Das Wörtchen „dort“ ist nicht überflüssig. Denn während die Gottlosen übermütig sind in ihrem Glück, während die Welt ihnen Beifall klatscht, erblickt David gleichsam von der erhabenen Warte des Glaubens ihren Untergang von ferne und sagt ihn so bestimmt vorher, als stünde er schon nahe bevor. Wollen wir übrigens die gleiche Zuversicht gewinnen, so dürfen wir nicht vergessen, dass es verkehrt wäre, im Eifer des Gebets dem Herrn einen Zeitpunkt vorzuschreiben: man muss vielmehr seiner Vorsehung Raum lassen, damit er sich dann zum Gericht erhebe, wenn nach seiner Entscheidung der rechte Zeitpunkt gekommen ist. Wenn David sagt, dass die Bösen niedergestoßen seien, so deutet er damit zugleich an, dass sie auf einem schlüpfrigen Boden standen, so dass ihr Glück durchaus nicht beständig war. Dass sie nicht mehr stehen können, deutet auf einen hoffnungslosen, vernichtenden Sturz.

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