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Calvin, Jean - Psalm 19.

Calvin, Jean - Psalm 19.

Inhaltsangabe: David will die Gläubigen ermahnen, Gottes Herrlichkeit zu betrachten. Zuerst weist er uns darauf hin, wie diese sich in dem Bau der Himmel und ihrer vorzüglichen und wunderbaren Ordnung spiegelt. Dann ruft er uns zum Gesetz, durch das Gott sich dem auserwählten Volke noch vertrauter offenbart hat. Diese besondere Gnade behandelt er dann eingehender, um uns den Gebrauch des Gesetzes zu empfehlen. Zuletzt schließt er den Psalm mit einem Gebet.

V. 2. Die Himmel erzählen die Ehre Gottes. Ich habe schon gesagt, dass dieser Psalm aus zwei Teilen besteht. Im ersten preist David Gottes Herrlichkeit, die sich in seinen Werken kund tut. Im zweiten Teil lehrt er uns, dass sich uns im Worte noch eine vollere Erkenntnis darbietet. Allerdings redet er nur von den Himmeln, doch ist es unzweifelhaft, dass unter diesen edelsten Teil, dessen Glanz besonders sichtbar ist, die ganze Schöpfung mitbegriffen wird. Ohne Zweifel zeigt sich auch in dem dunkelsten, verachtetsten und kleinsten Erdenwinkel etwas von der göttlichen Kraft und Weisheit. Aber da sie sich vornehmlich an den Himmeln spiegelt, so hat David diese vor allem erwählt, damit ihr Glanz uns zur Betrachtung der ganzen Welt anleite. Denn wenn jemand Gott aus dem Anblick des Himmels erkannt hat, so lernt er seine Weisheit und Kraft nicht nur an dem gesamten Schmuck der Erde, sondern auch in den kleinsten Pflanzen sehen und bewundern. Übrigens wiederholt der Dichter nach seiner Gewohnheit im ersten Verse den gleichen Gedanken mit doppeltem Ausdruck: und die Feste verkündigt seiner Hände Werk. Er führt uns die Himmel gleichsam als Zeugen und Herolde der göttlichen Herrlichkeit vor und lässt die stummen Geschöpfe wie Menschen reden, um damit zu zeigen, wie undankbar wir uns zeigen würden, wollten wir diese deutliche Stimme mit tauben Ohren überhören. Diese Redeweise ist nachdrucksvoller, als wenn es einfach hieße, dass die Himmel uns Gottes Herrlichkeit zeigen. Es ist ja allerdings etwas Großes, dass der Glanz des Himmels unseren Augen ein lebendiges Bild Gottes bietet. Aber eine Predigt mit deutlicher Stimme erregt mehr unsere Aufmerksamkeit oder belehrt uns wenigstens mit mehr Erfolg als ein einfacher Anblick ohne angeknüpfte Ermahnung. Daher ist der Nachdruck wohl zu beachten, der in der Redewendung liegt, dass die Himmel durch ihre Verkündigung Gottes Ehre offenbaren. Sie tun es dadurch, dass sie es deutlich bezeugen, dass sie nicht durch Zufall entstanden, sondern von dem besten Künstler in wunderbarer Weise gegründet sind. Denn es kann nicht ausbleiben, dass der Anblick der Himmel uns zu dem Urheber derselben erhebt, und dass die wunderbare Ordnung, die dort sich zeigt, ihr Schmuck und Glanz, uns seine Vorsehung aufs glänzendste bezeugen. Die Schrift beschreibt uns ja die Zeit und die Weise der Schöpfung. Aber wenn Gott auch schweigen würde, so rufen doch die Himmel laut, dass sie durch seine Hand geschaffen sind, so dass dieses allein zur Bezeugung seiner Herrlichkeit genügen würde. Denn sobald wir Gott als den Werkmeister der Welt erkannt haben, muss unser Geist zur Bewunderung seiner unermesslichen Güte, Weisheit und Macht fortgerissen werden.

V. 3. Ein Tag sagt es dem andern. Die Naturforscher haben es genauer erkannt, in welch schöner Ordnung die Gestirne eingeteilt sind, sodass in dieser großen Menge sich gar keine Unordnung findet. Aber für die Einfältigen und Ungebildeten ist die ununterbrochene Folge der Tage ein viel sicherer Beweis für die göttliche Vorsehung. David wendet sich hier nicht von den Himmeln weg zu anderen Teilen der Welt, sondern durch Hinweis auf eine näher liegende und leicht bemerkbare Erscheinung bestätigt er, was er früher sagte, dass aus den Himmeln Gottes Ehre nicht nur hervorleuchtet, sondern auch erschallt. Die einzelnen Worte können verschieden erklärt werden, aber der Sinn bleibt immer derselbe. Einige fassen sie so, dass kein Tag vergeht, an dem Gott nicht ein besonderes Zeichen seiner Macht gebe; andere denken an ein fortgehendes Wachstum der Erkenntnis, für welches jeder neue Tag einen Beitrag bringt. Gesuchter ist eine andere Erklärung, nämlich dass die Tage und Nächte miteinander ein Zwiegespräch halten und über die Ehre ihres Schöpfers sprechen sollen. Ich zweifle nicht, dass David uns hier an dem regelmäßigen Wechsel der Tage und Nächte lehren will, dass der Lauf der Sonne, des Mondes und der Sterne und ihre Veränderungen durch einen wunderbaren Ratschluss Gottes bestimmt sind. Allerdings würde ein Tag allein für uns schon ein genügender Zeuge der göttlichen Ehre sein, wenn wir so aufmerksam wären, wie es uns geziemt. Ja, eine Nacht allein schon würde diesen Dienst tun. Aber wenn wir sehen, dass die Sonne und der Mond täglich durch ihren Umgang die Welt erleuchten, dass jeden Tag die Sonne über unseren Häuptern steht, dass der Mond wechselt, dass die Sonne langsam emporsteigt und uns zugleich näher kommt, nachher aber ihren Lauf rückwärts wendet, um sich allmählich von uns zu entfernen, wodurch die Veränderungen in der Länge der Tage und Nächte entstehen, - wenn wir sehen, dass diese Verschiedenheit nach einem sich immer gleichbleibenden Gesetze so geordnet ist, dass sie sich jährlich wiederholt, so ist dies allein ein noch viel deutlicheres Zeugnis. Daher sagt David mit Recht, dass diese wohlgeordnete Folge der Tage eine großartige Sprache von der Ehre Gottes reden würde, wenn Gott auch kein Wort spräche. So dürfen die Menschen nichts zu ihrer Entschuldigung anführen. Denn da Tag und Nacht so treu ihre Pflicht als Lehrer erfüllen, so könnten sie aus ihrem Unterrichte genügende Erkenntnis gewinnen.

V. 4. Es ist keine Sprache noch Rede usw. Für diesen Vers gibt es zwei fast entgegengesetzte und doch gleicherweise annehmbare Erklärungen. Wörtlich heißt es: „Nicht ist Sprache noch Rede, noch wird ihre Stimme gehört.“ Solch ungefärbte Redeweise, bei der man die logische Beziehung erst ergänzen muss, ist bei den Hebräern häufig. Verbindet man nun die Worte mit den folgenden: „Ihre Schrift geht aus in alle Lande“ – so ergibt sich der Sinn: Wenn auch die Himmel stumm und der Sprache nicht mächtig sind, so verkündigen sie doch mit deutlicher Stimme Gottes Ehre. Aber wenn dieses Davids Meinung wäre, weshalb wiederholt er dann dreimal, dass sie keine deutliche Rede haben? Diese dreifache Hervorhebung einer bekannten Sache wäre ziemlich überflüssig. Die andere Erklärung hat mehr Anklang gefunden und scheint auch besser zu passen. Danach wäre die Meinung, dass die Verschiedenheit der Sprachen kein Hindernis sei, diese Predigt der Himmel überall zu vernehmen. Infolge des Unterschieds der Sprachen können verschiedene Völker schlecht miteinander verkehren. Denn wer unter seinem eigenen Volke beredt ist, muss unter Fremden verstummen oder würde, falls er zu reden versuchte, doch nicht verstanden werden. Ja, wenn auch jemand alle Sprachen verstünde, könnte er doch nicht zu gleicher Zeit einen Lateiner und einen Griechen anreden: denn sobald er sich an den einen wenden würde, würde er von dem anderen nicht verstanden werden. David vergrößert also durch einen stillschweigenden Gegensatz die Wirksamkeit dieses Zeugnisses, das die Himmel ihrem Schöpfer geben: Mögen die Sprachen der Völker sehr verschieden sein, so haben doch die Himmel eine gemeinsame Rede und können alle Menschen auf gleiche Weise belehren. Alle Menschen, die sonst einander ganz fremd sind, könnten hier aus dem einen Munde des gleichen Lehrers lernen. Dass dies nicht geschieht, liegt nur an ihrer trägen Achtlosigkeit.

V. 5 bis 7. Ihre Schrift geht aus in alle Lande. Hier wird erklärt, wie die Himmel zu allen Völkern ohne Unterschied reden. Es geschieht dadurch, dass die Völker überall in der Welt erkennen, dass die Himmel als Zeugen zur Verkündigung der Ehre Gottes eingesetzt sind. Das Wort, welches wir durch „Schrift“ übersetzen, heißt im Hebräischen buchstäblich die Linie. Deshalb denken manche Ausleger an die regelmäßigen Linien des Weltgebäudes, deren Anblick weit und breit Gottes Herrlichkeit verkünde. Da aber die Bewegung des Universums soeben als ein Lehrer dargestellt wurde, und auch im nächsten Satzglied wieder an die Rede erinnert wird, so würde der Ausdruck nicht gut passen, dass die Linien des Himmels in alle Lande ausgehen. Dass dagegen „Linien“ Schriftsätze bedeuten können, ergibt sich aus Jes. 28, 10. Dort vergleicht der Herr die Juden ungelehrigen jungen Kindern, denen „Satz auf Satz, Linie auf Linie“ geschrieben werden solle. Diese Deutung passt auch an unserer Stelle trefflich: am Himmel und seiner Feste steht wie auf einem jedermann lesbaren Buche Gottes Herrlichkeit geschrieben. Daran schließt sich dann im gleichen Sinne die Aussage, dass sie diese Herrlichkeit gleichsam mit einer ihnen verliehenen Stimme in unsere Ohren rufen: ihre Rede geht aus bis an der Welt Ende. Wir werden also daran erinnert, dass die Sprache, um die es sich hier handelt, so zu sagen eine sichtbare ist. Denn die Himmel reden zu den Augen, nicht zu den Ohren: die Züge, die sie an sich tragen, sind wie eine scharf ausgeprägte Schrift. Gottes Herrlichkeit ist dort nicht nur dunkel und unsicher zu entziffern, sondern aus deutlichen Buchstaben leicht zu lesen. – Nur kurz sei angemerkt, dass einige Ausleger an unserer Stelle allegorisch den Himmel als ein Bild der Apostel, die Sonne aber als ein Bild Christi deuten. Dazu werden sie veranlasst, weil angeblich Paulus Röm. 10, 18 unseren Vers in diesem Sinne anführt. Diese Künsteleien sind indessen unangebracht: denn tatsächlich verwendet Paulus den Psalm in seinem einfachen und natürlichen Verstand (siehe z. d. St.).

Er hat der Sonne usw. Wie David aus dem ganzen Weltgebäude vor allem die Himmel auswählte, um uns an ihnen das Bild des Herrn vor Augen zu stellen, der dort wie auf einer hohen Bühne am besten gesehen werden kann, so weist er uns jetzt auf die Sonne hin, die hoch am Himmel steht, da in ihrem Glanze Gottes Herrlichkeit sich am glänzendsten offenbart. Denn wenn auch die Wandelsterne ihre eigenen Bahnen haben und das Himmelsgewölbe alle feststehenden Sterne mit sich herumdreht, so würde es doch umsonst gewesen sein, wenn er es versucht hätte, die Geheimnisse der Sternkunde den Einfältigen und Ungebildeten beizubringen. Deshalb begnügt er sich damit, es durch eine allgemein fassliche Darstellung zu beweisen, wie undankbar die Menschheit sein würde, ließe sie sich nicht durch den Anblick der Sonne in der Frömmigkeit fördern. Dies ist der Grund, weshalb David sagt, dass der Sonne eine Hütte gemacht sei und dass sie an einem Ende des Himmels herausgehe und schnell wieder an sein anderes Ende hinüberlaufe. Mit alledem soll nicht eine genaue wissenschaftliche Belehrung gegeben, sondern nur für das roheste Verständnis der erfahrungsmäßige Augenschein ausgesagt werden: denn von der anderen Hälfte des Laufs, die man auf unserer Halbkugel nicht sieht, hören wir nichts. Drei Stücke sind es aber, die wir an der Sonne beobachten sollen: ihre glänzende und herrliche Gestalt, ihr schneller Lauf und die unglaubliche Kraft ihrer Hitze. Auf ihre herrliche Pracht deutet der Vergleich mit einem Bräutigam. Es folgt der weitere Vergleich mit einem Schnellläufer. Denn in alten Zeiten bestaunte man die Schnelligkeit derer, die mit dem Viergespann oder zu Fuß in der Rennbahn liefen. Blieb sie auch weit hinter derjenigen der Sonne zurück, so konnte doch David im gewöhnlichen Leben der Menschen nichts finden, das ihr näher gekommen wäre. Die Hitze, die an dritter Stelle genannt wird, deuten manche Ausleger auf die lebenspendende Wärme der Sonne. Allerdings ist es ein wunderbares Werk Gottes und ein besonderer Beweis seiner Güte, dass die Kraft der Sonne bis in die Erde dringt und sie durch ihre Erwärmung fruchtbar macht. Da jedoch angemerkt wird, dass nichts oder niemand sich vor der Sonnenhitze zu bergen vermag, so wird hier vielmehr an die verzehrende Glut zu denken sein, welche die Menschen und alle Lebewesen, die Bäume und alle Pflanzen ausdörrt: denn der belebenden Wärme, deren förderliche Wirkung wir empfinden, wird niemand zu entfliehen wünschen.

V. 8. Das Gesetz des Herrn usw. Es folgt jetzt der zweite Teil des Psalms. Nachdem David nämlich gezeigt hat, dass das ganze Menschengeschlecht durch stumme Lehrer genügend über den einen Gott unterrichtet werde, wendet er sich jetzt besonders an die Juden, die durch das Gesetz noch eine genauere Kenntnis Gottes empfangen hatten. Denn das, was die Himmel von ihm bezeugen, bringt die Menschen nicht dahin, dass sie wirklich wahre Frömmigkeit lernen, sondern dient nur dazu, ihnen jede Entschuldigung zu nehmen. Allerdings, wären wir nicht so stumpf, so würde das Schauspiel der Schöpfung uns fromm machen, weil sie reich ist an Zeugnissen Gottes. Da wir aber bei hellem Lichte blind sind, so würde diese glänzende Offenbarung der Herrlichkeit Gottes, obgleich sie uns eine laute Predigt hält, uns doch nichts nützen, wenn wir das Wort nicht hätten. Daher würdigt Gott seine Auserwählten, die er zur Seligkeit beruft, einer besonderen Gnade. So hat er auch den Kindern Abrahams, obgleich er allen Menschen ohne Ausnahme sein gottheitliches Wesen bezeugt hatte, noch besonders das Gesetz gegeben, um ihnen dadurch eine genauere und deutlichere Erkenntnis mitzuteilen. Daraus folgt, dass die Juden durch ein doppeltes Band an Gott gebunden und zu seiner Verehrung verpflichtet sind. Denn wenn schon die Heiden, zu denen Gott nur durch stumme Geschöpfe gesprochen hat, sich nicht mit Unwissenheit entschuldigen können, so ist ihr Stumpfsinn noch weniger zu verzeihen, wenn sie das überhören, was er mit seinem heiligen Munde zu ihnen redet. Die Juden müssen sich dem Herrn also mit umso freudigerem Gehorsam ergeben, weil er sie durch ein heiligeres Band an sich geknüpft hat. Übrigens versteht David hier unter dem Gesetz nicht nur die Vorschrift für ein gerechtes Leben oder die zehn Gebote, sondern er befasst darunter den ganzen Bund, durch den Gott sein Volk von den übrigen Völkern unterschieden hat, ja die ganze Lehre Mose, deren einzelne Teile er später unter den Titeln: Zeugnisse, Befehle usw. aufzählt. Denn die Lobeserhebungen, mit denen der Psalm das Gesetz empfiehlt, passen für die zehn Gebote nur dann, wenn zu ihnen die Annahme aus Gnaden, die davon abhängigen Verheißungen, ja das ganze Lehrgebäude, das die Grundlage für die wahre Religion und Frömmigkeit bildet, hinzukommen. Die erste Empfehlung des Gesetzes ist, dass es vollständig und vollkommen sei. Mit diesen Worten meint David, dass wenn jemand durch das Gesetz recht unterwiesen wurde, ihm nichts an der vollkommenen Weisheit fehle. Allerdings finden sich auch in den weltlichen Schriften hin und her wahre und nützliche Gedanken: denn Gott hat den Menschen einige Erkenntnis der Gerechtigkeit ins Herz gegeben. Aber infolge der Verderbtheit der menschlichen Natur findet man dort doch keine reine Erkenntnis, sondern nur einige abgerissene Grundsätze, die zudem die Zeichen der finsteren Unwissenheit an sich tragen, der sie entstammen. Daher sagt David mit Recht zum Lobe des Gesetzes, dass in ihm die vollkommene und vollständige Weisheit zu finden sei. So gilt auch: es erquickt die Seele, buchstäblich: es stellt sie wieder her. Wie die Seele den Körper belebt, so ist das Gesetz das Leben der Seele. Insbesondere enthält aber der Ausdruck eine Anspielung auf den traurigen Zustand, in dem wir alle geboren werden. Denn wenn bei uns auch noch einige Reste des ursprünglichen Zustandes geblieben sind, so ist doch keiner derselben frei von Unreinigkeit und Befleckung. Deshalb unterscheidet sich dieser verderbte Zustand der Seele wenig vom Tode, dem er ganz und gar entgegenstrebt. Mithin ist nötig, dass Gott uns mit dem Gesetze zu Hilfe komme. Der Buchstabe des Gesetzes kann allerdings solche Wirkung nicht haben, sondern das Gesetz erquickt die Seele nur insofern, als Gott es als Mittel gebraucht, durch das er wirkt. Wird des Weiteren das Zeugnis des Herrn als gewiss bezeichnet, so ist dies nur eine Wiederholung des vorhergehenden Gedankens. Denn vollkommen verdient das Gesetz eben deshalb zu heißen, weil sein Zeugnis zuverlässig und wahr ist. Lassen wir uns durch Gottes Wort regieren, so sind wir in keiner Gefahr des Abweges: denn der Herr führt auf diesem Wege die Seinen sicher zum Heil. Dass das Gesetz die Unverständigen weise macht, scheint hinzugefügt, weil eben dies die Grundlage für die Erquickung der Seele ist. Denn die Erkenntnis ist die vorzüglichste Fähigkeit der Seele, und David lehrt uns hier, dass sie nur aus dem Gesetz gewonnen werden kann, weil wir sie von Natur nicht besitzen. Der Satz lässt aber auch ersehen, welche Jünger Gott haben will, nämlich solche, die sich selbst als unverständig einschätzen und zur Schulbank sich erniedrigen, die sich nicht durch eigensinnigen Hochmut vom gelehrigen Aufmerken auf Gottes Wort abhalten lassen.

V. 9. Die Befehle des Herrn sind richtig. Das scheint eine ganz selbstverständliche Aussage. Wenn man jedoch bedenkt, auf welche Irrwege Leute geraten, die ihrer eigenen Einsicht folgen, so erkennt man leicht, dass dieser Lobspruch von großer Bedeutung ist. Wir wissen ja, wie sehr ein jeder von sich selbst eingenommen ist, und wie schwer es hält, dieses Vertrauen auf die falsche Weisheit aus unserem Herzen fortzunehmen. Es ist daher eine wichtige Mahnung, dass wir unser Leben nur dann recht einrichten, wenn wir es nach Gottes Gesetz gestalten. Denn ohne dieses geht man immer auf verworrenen Irrwegen. Des Weiteren hören wir, dass Gottes Befehle das Herz erfreuen. Denn nur der hat dauernde Freude, der ein gutes Gewissen hat; und dieses haben wir nur dann, wenn wir fest überzeugt sind, dass unser Leben Gott gefällt. Es ist ja wohl wahr, dass der Ursprung des Friedens der Glaube ist, der uns aus Gnaden mit Gott versöhnt. Aber auch daraus erwächst den frommen Verehrern Gottes eine unschätzbare Freude, dass sie wissen, dass sie sich nicht zwecklos und umsonst abmühen, weil Gott ihr Streben billigt. Diese Freude wird allen schlechten Zerstreuungen und Vergnügungen gegenübergestellt, die unglückliche Seelen ins Verderben locken. Es ist, als riefe David uns zu: wer an der Sünde sich erfreut, bereitet sich selbst Schmerzen, während doch reine Freude nur durch eifriges Streben nach Erfüllung des göttlichen Gesetzes zu erlangen ist! Wenn er dann noch am Schlusse des Verses sagt, dass die Gebote des Herrn lauter sind und die Augen erleuchten, so deutet er damit an, dass wir nirgend anderswoher die rechte Unterscheidung für Gut und Böse erlernen können, da alles, was die Menschen von sich selbst ersinnen, durch seinen Schmutz die Reinheit des Lebens befleckt; ferner dass sie bei all ihrem Scharfsinn blind sind und immer im Finstern tappen, bis sie ihre Augen dem Lichte der himmlischen Lehre zuwenden. Daraus folgt, dass nur die recht weise sind, die Gott zum Lehrer und Führer haben, ihm nachfolgen und auf den Frieden, den er in seinem Worte vorhält, bedacht sind. Aber hier erhebt sich eine Frage, die nicht leicht zu lösen ist. Diese Lobpreisung des Gesetzes, die David hier vorträgt, scheint durch Paulus gründlich zerstört zu werden. Wie reimt es sich, dass das Gesetz die Seele erquickt, und dass es ein tötender Buchstabe ist, der ins Verderben bringt? Dass es das Herz erfreut, und dass es den Geist der Knechtschaft gebiert und Schrecken einflößt? Dass es die Augen erleuchtet, und dass es das innere Licht wie durch eine Decke unterdrückt? Hauptsächliche ist aber zu beachten, was ich schon früher bemerkt habe, dass David hier nicht von den bloßen Vorschriften des Gesetzes redet, sondern an den ganzen Bund denkt, durch den Gott Abrahams Kinder als sein Volk angenommen hatte. Er verbindet also mit den Regeln eines guten Lebens die Verheißungen der Erlösung aus Gnaden, ja Christum selbst, auf den die Annahme des Volkes gegründet war. Paulus hingegen berücksichtigt nur allein das Amt des Mose, weil er es mit verkehrten Auslegern des Gesetzes zu tun hatte, die dasselbe von der Gnade und von dem Geiste Christi trennten. Nun steht aber fest, dass das Gesetz, wenn es durch Christi Geist nicht lebendig gemacht wird, für seine Schüler nicht nur unnütz, sondern auch tötend ist. Denn losgelöst von Christo lebt in dem Gesetz nur eine unerbittliche Strenge, die das ganze menschliche Geschlecht dem Zorne Gottes und der Verdammnis unterwirft. Auch bleibt in uns eine Widerspenstigkeit des Fleisches, welche jenen Hass gegen Gott und sein Gesetz in uns anzündet, der die Quelle der bekannten traurigen Knechtschaft und Furcht ist. Wenn wir diese verschiedenen Auffassungen des Gesetzes beachten, so löst sich der scheinbare Widerspruch zwischen Paulus und David. Pauli Absicht ist, zu zeigen, was das Gesetz allein, sofern es ohne die Verheißung der Gnade in Gottes Namen seine strengen Forderungen stellt, uns bietet. David dagegen empfiehlt uns die ganze Lehre des Gesetzes, die mit dem Evangelium übereinstimmt. Er schließt also Christum mit ein.

V. 10. Unter der Furcht des Herrn ist hier die rechte Weise zu verstehen, ihn zu verehren, die Lehre, die uns vorschreibt, wie man Gott fürchten soll. Stattdessen äußerst sich die „Gottesfurcht“ der meisten Menschen bloß darin, dass sie falsche und sündhafte Kultusformen erdenken, womit sie nur des Herrn Zorn reizen. Alle solche verkehrten Unternehmungen verwirft David mit Recht, indem er betont, dass die vom Gesetz erforderte Gottesfurcht rein, d. h. von allen befleckenden Zusätzen frei sei. Er fügt hinzu, dass sie ewiglich bleibt: so ist sie ein Schatz unvergänglichen Glücks. Wir sehen ja, wie die Welt durch blinden Trieb sich zu eitlen Dingen forttreiben lässt, und indem sie nach den Trugbildern eines glücklichen Lebens hascht, geht sie der wahren Glückseligkeit verlustig. Wenn David nun in dem zweiten Gliede die Rechte des Herrn als wahrhaftig preist, so deutet er damit zugleich an, dass alles, was die Menschen mit Hintansetzung des Gesetzes nach ihrem Gutdünken unternehmen, eitel ist. Sicherlich kann er uns durch nichts Besseres antreiben, das Gesetz zu lieben und ihm eifrig nach zu trachten, als durch diese Bemerkung, dass alle, die ohne Gesetz leben wollen, sich selbst täuschen und nur Trugbildern nachjagen. Übrigens ist es irrtümlich, unter den „Rechten“ Gottes (im Unterschied von seiner „Furcht“) nur die Vorschriften der zweiten Gesetzestafel zu verstehen. Es ist vielmehr Davids Absicht, die Frucht, welche die Gläubigen aus Gottes Gesetz gewinnen, durch verschiedene Redewendungen zu verherrlichen. Sind nun alle Ordnungen des göttlichen Gesetzes wahrhaftig und gerecht, d. h. recht und gut, so heben sie sich von allen menschlichen Fehlern ab: allein in Gottes Gesetz findet sich nichts Mangelhaftes und Fehlerhaftes, sondern es ist nach allen Seiten hin vollkommen.

V. 11. Diese Sätze empfehlen das Gesetz Gottes sowohl wegen seines Wertes als wegen seiner Süßigkeit. Sie ergeben sich aber aus dem Vorhergehenden. Denn die soeben beschriebenen mannigfachen Vorzüge des Gesetzes müssen uns dahin führen, dass wir Gold und Silber gering schätzen und die himmlische Lehre für den höchsten und einzigen Schatz halten. Kurz, das Gesetz wird von uns nicht nach Verdienst geschätzt, wenn wir es nicht allen Reichtümern der Welt vorziehen. Wenn aber diese Wertschätzung bei uns statt hat, so wird sie unser Herz leicht von der zu großen Begierde nach Gold und Silber reinigen. Zu dieser Hochschätzung kommt dann mit Notwendigkeit die Liebe und das Ergötzen hinzu. Denn das Gesetz zwingt uns nicht nur zum Gehorsam, es lockt uns auch freundlich an. Unter diesen Umständen kann es nicht ausbleiben, dass die Genüsse des Fleisches ihre Anziehungskraft für uns verlieren, die uns so lange anlocken, als wir die göttliche Gerechtigkeit verschmähen, weil wir an ihr keinen Geschmack finden. Auch hieraus erhellt wieder, dass hier nicht von den nackten Vorschriften und von dem bloßen toten Buchstaben des Gesetzes die Rede ist. Denn wenn das Gesetz uns nur mit Befehlen schreckte, wie könnte es dann liebenswürdig sein? Sicherlich, wenn es von der Hoffnung der Vergebung und von dem Geiste Christi getrennt wird, ist es so fern von der Süßigkeit des Honigs, dass es vielmehr die armen Seelen durch seine Bitterkeit tötet.

V. 12. Auch wird dein Knecht durch sie erinnert, d. h. umsichtig und vorsichtig gemacht, dass er sich der Leitung Gottes übergebe. Obgleich dies allgemein auf jeden Frommen bezogen werden kann, so nimmt man doch mit Recht an, dass David es von sich selbst aussagt, um damit zu bezeugen, dass, was er bisher gelehrt hat, sich durch die Erfahrung bei ihm bestätigt habe. Und gewiss kann nur der in Wahrheit und mit Ernst von der himmlischen Lehre reden, der sie im eigenen Herzen hegt und pflegt. David gesteht also, dass er alle seine Klugheit, mit der er sein Leben einrichtet und gestaltet, aus Gottes Gesetz bekommen habe. Doch wenn er auch von sich selbst spricht, so stellt er es doch zugleich auf Grund seiner Erfahrung als allgemeine Regel hin, dass wenn jemand wissen wolle, wie er sein Leben gut einrichten könne, das Gesetz ihm allein hierüber vollkommene Auskunft geben könne. Sobald man nämlich hiervon abweicht, gerät man auf viele Abwege. Es ist zu beachten, dass David sich plötzlich in seiner Rede an Gott wendet und ihn als Zeugen für die Wahrheit seiner Worte anruft. Er tut dies, um einen ganz gewissen Eindruck davon zu erwecken, dass er lauter und aus innerstem Herzen redet. Sodann versichert er, dass alle, die sich Gott ergeben, um seine Gerechtigkeit zu erfüllen, sich nicht vergeblich abmühen, da ihnen ein großer Lohn aufbewahrt ist. Dieses ist wiederum eine ganz besondere Empfehlung des Gesetzes, dass Gott durch dasselbe einen Vertrag mit uns schließt und sich gewissermaßen verpflichtet, unseren Gehorsam zu belohnen. Denn obgleich er mit Recht von uns fordern kann, was in seinem Gesetze steht, so verspricht er doch in seiner Großmut seinen Knechten einen Lohn, den er ihnen nicht schuldet. Wenn diese Verheißungen nicht in Erfüllung gehen, so liegt die Schuld auf unserer Seite, weil auch der Beste unter uns von der vollkommenen Gerechtigkeit weit entfernt ist und der Mensch nur dann eine Belohnung seiner Werke erwarten kann, wenn er dem Gesetze vollkommen genügt hat. So reimt sich also beides zusammen: einmal, dass, wenn jemand das Gesetz in jeder Beziehung erfüllt hat, das ewige Leben sein Lohn sein wird, - und zweitens, dass durch das Gesetz über alle das Todes- und Verdammungsurteil ausgesprochen wird, weil der ganzen Welt die Gerechtigkeit der Werke fehlt. Dieses erhellt auch aus dem nächsten Verse. Denn nachdem David es als Wohltat des Gesetzes gepriesen hat, dass es den Verehrern Gottes einen großen Lohn anbiete, schlägt er sofort einen anderen Ton an, indem er ausruft: „Wer kann merken, wie oft er fehle?“ Da er hierdurch verkündigt, dass alle Sterblichen den ewigen Tod verdient haben, so zerstört er damit alle Hoffnungen, welche die Menschen sich aus dem Verdienste ihrer Werke machen. Sollte jemand einwenden, dass also das Gesetz dieses Lob nicht verdiene, weil ja der Erfolg fehle, so kann man leicht antworten, dass für die Werke der Gläubigen ein Lohn bezahlt wird, den sie freilich nicht verdient haben: denn in dem Gnadenbunde, kraft dessen sie zur Kindschaft angenommen wurden, ist auch die Vergebung der Sünden und somit die zugerechnete Gerechtigkeit mitbeschlossen. Denn was Gott im Gesetz denen verspricht, die es vollkommen erfüllen, empfangen die Gläubigen durch seine väterliche Nachsicht, da er ihre Bemühungen und ihren frommen Eifer, ihm zu gehorchen, aus Gnaden für die vollkommene Gerechtigkeit gelten lässt.

V. 13. Dieser Ausruft zeigt, wie die Verheißungen des Gesetzes, die an eine Bedingung geknüpft sind, aufzufassen sind. Sobald von ihnen die Rede ist, muss ein jeder sein Leben untersuchen und muss nicht nur seine Taten, sondern auch seine Gedanken an dem vollkommenen Maßstabe der Gerechtigkeit prüfen, den uns das Gesetz in die Hand gibt. Das wird zur Folge haben, dass alle ohne Ausnahme, weil die Hoffnung auf Lohn ihnen abgeschnitten ist, sich zu der Barmherzigkeit Gottes flüchten müssen. Denn es genügt nicht, dass wir bedenken, was das Gesetz uns lehrt, sondern wir müssen es auf uns selbst anwenden, damit wir unseren Mangel erkennen. Die Papisten träumen freilich, dass man das ewige Leben verdienen könne, weil es von den Vorschriften des Gesetzes heißt (3. Mo. 18, 3): „Wer dieselben tut, wird dadurch leben.“ Als ob es in ihrer Macht stünde, das zu leisten, was das Gesetz fordert, während wir doch alle Übertreter desselben sind, und zwar nicht nur eines Gebots, sondern aller! Deshalb gesteht David in demütiger Anbetung, dass er durch die Menge seiner Vergehungen erdrückt werde, gleich als wenn er in einem Irrgarten eingeschlossen wäre. Es ist also zunächst festzuhalten, dass wir, weil wir der Gerechtigkeit des Gesetzes ermangeln, auch von der Hoffnung auf den dort verheißenen Lohn ausgeschlossen sind; ferner dass wir nicht nur des einen oder anderen Vergehens vor Gott schuldig sind, sondern unzähliger, sodass wir unsere Verderbtheit mit bitterstem Schmerz beweinen müssen, dass sie uns nicht nur des göttlichen Segens beraubt, sondern auch das Leben in Tod verwandelt. Der Zusammenhang ist also ohne Zweifel der, dass der Gedanke an den herrlichen Lohn, den Gott in seiner Güte den Tätern des Gesetzes verspricht, dem David diesen Ausruf entlockt: Wer kann merken, wie oft er fehle? Buchstäblich: „wer merkt seine Verirrungen?“ Darunter verstehen viele Ausleger die kleineren, versehentlichen Sünden. Aber nach meiner Ansicht will David sagen, dass der Satan uns so durch seine Täuschungen blendet, dass keiner auch nur den hundertsten Teil seiner Übeltaten merkt. Die Heiligen sündigen ja oft aus Versehen oder aus Unachtsamkeit. Aber es kommt auch vor, dass der Satan sie so in seinem Banne hat, dass sie auch die groben Sünden nicht merken. Darum werden auch die Sünden, in welche die Menschen aus Blindheit fallen, weil sie sich durch die Lockungen des Fleisches betrügen lassen, mit Recht „Verirrungen“ genannt. David ruft sich und alle anderen Menschen vor Gottes Richterstuhl und erinnert, dass, wenn sie sich auch keines Bösen bewusst sind, sie doch deswegen nicht freigesprochen werden, da Gottes Augen viel schärfer sehen, als die Gewissen der Menschen. Auch dem Aufmerksamsten bleibt der größte Teil seiner Schuld verborgen. An das Sündenbekenntnis schließt sich die Bitte um Vergebung: Verzeihe mir die verborgenen Fehle! Dieser Ausdruck zeigt, was David unter den „Verirrungen“ verstand: verborgene Sünden, über welche die Menschen sich selbst täuschen, nicht nur absichtlich oder weil sie sich schmeicheln, sondern weil sie Gottes Urteil über sich nicht deutlich erkennen können. Nun können wir uns nicht dadurch rein machen, dass wir Unkenntnis vorgeben: die Blindheit nützt keinem, da niemand in eigener Sache ein geeigneter Richter ist. Wenn wir rein werden wollen, müssen wir Vergebung bei Gott suchen. Wenn nun schon die Fehler, die uns entgehen, in Gottes Gericht kommen, falls sie nicht vorher vergeben sind, wie soll dann der ungestraft ausgehen, der sich selbst verurteilen muss, weil sein Gewissen ihn anklagt? Es ist immer daran zu denken, dass nicht nur eine Schuld auf uns ruht, sondern dass wir durch eine unzählige Menge von Sünden belastet sind. Denn je genauer sich jemand prüft, umso mehr wird er in Davids Bekenntnis einstimmen müssen, dass kein Maß und Ende ist, wenn Gott unsere verborgenen Übeltaten aufdeckt. Niemand fasst es, wie mannigfach er verschuldet ist. Weil nun buchstäblich zu übersetzen wäre: „Reinige mich von verborgenen Fehlern“ – finden manche Ausleger hier die Bitte, Gott möge uns durch die Leitung seines Geistes vor solchen Fehlern bewahren. Aber das betreffende Wort heißt: lass mich rein d. h. unschuldig sein. Es ist also nicht von der Gabe der Erneuerung, sondern von der gnädigen Verzeihung die Rede. Erst der folgende Satz bittet um die Hilfe des heiligen Geistes zum Kampfe wider die Versuchung.

V. 14. Bewahre auch deinen Knecht vor dem Übermut. Damit sind die offenbaren Übertretungen gemeint, die sich mit übermütiger Gleichgültigkeit paaren. Dass uns der Herr vor ihnen „bewahren“ muss, ist ein Fingerzeig, wie stark unser Fleisch zur Sünde neigt: auch die Heiligen müssten sofort jeden Halt verlieren und fallen, wenn Gott sie nicht durch seine Hut bewahrte. Zu beachten ist auch, dass David, obgleich er sich einen Knecht Gottes nennt, doch bekennt, einen Zügel nötig zu haben, damit er sich nicht frech über Gottes Gesetz hinwegsetze. Denn wenn er auch als ein durch Gottes Geist wiedergeborener Mensch über seine Sündenlast aufrichtig seufzte, so wusste er doch auch, wie groß die Hartnäckigkeit des Fleisches ist und wie leicht Vergesslichkeit sich einschleicht, woraus Verachtung Gottes und Gottlosigkeit geboren werden. Wenn nun selbst David, der doch in der Gottesfurcht so weit gefördert war, nicht sicher war vor Übertretungen, wie könnte dann ein fleischlich gesinnter Mensch, in dem unzählige Begierden herrschen, sich durch seinen freien Willen selbst regieren? Wir wollen daher lernen, auf der Hut zu sein, - mag auch von dem Augenblick an, da wir uns selbst absagten, die Zügellosigkeit des Fleisches einigermaßen gebändigt sein. Denn wenn Gott uns nicht in Schranken hält, so wird unser Hochmut ungezähmt sich wider ihn erheben. Dieses bestätigt auch der gleich nachher angegebene Grund: damit er nicht über mich herrsche. Denn mit diesen Worten erklärt David deutlich, dass er ohne Gottes Beistand nicht nur untüchtig zum Widerstande sei, sondern dass die Sünden ihn dann ganz und gar beherrschen würden. Diese Stelle lehrt uns also, dass nicht allein das ganze menschliche Geschlecht von Natur in der Sklaverei der Sünde ist, sondern dass auch die Gläubigen, wenn Gott nicht fortwährend über sie wachte, um sie zu regieren, und sie zum Ausharren stärkte, Knechte der Sünde sein würden. Auch noch eine andere nützliche Ermahnung wird uns hier gegeben, nämlich dass wir immer, wenn wir um Vergebung flehen, auch zugleich bitten sollen, dass Gott uns mit seiner Kraft für die Zukunft ausrüste, damit die Versuchungen nicht die Überhand gewinnen. Doch dürfen wir auch den Mut nicht verlieren, wenn die Begierden uns reizen, sondern wir müssen Gott bitten, dass er uns bewahre. David würde sicherlich gewünscht haben, keine sündlichen Regungen mehr in sich zu spüren. Da er aber eingesehen hatte, dass er, so lange er die verderbte Natur nicht abgelegt, niemals von den Resten der Sünde frei sein werde, so bittet er, durch die Gnade des Geistes zum Kampfe ausgerüstet zu werden, damit nicht die Bosheit ihn besiege und beherrsche. – Am Schluss des Verses ist zweierlei zu beachten. Wenn David nämlich versichert, dass er dann ohne Tadel sein und unschuldig großer Missetat bleiben werde, so gibt er zunächst dem geistlichen Schutze Gottes die Ehre, so dass er allein im Vertrauen auf ihn sich den Sieg gegen alle Heere Satans verspricht. Dann versichert er, dass, wenn Gott ihm nicht geholfen hätte, er durch die große Zahl und die Masse seiner Sünden erdrückt worden wäre. Denn er gesteht ein, dass er nicht nur von der einen oder der anderen Missetat frei sein werde, sondern von vielen. Daraus folgt, dass sobald Gott uns seine Gnade entzieht, es keine Art der Sünde gibt, in die Satan uns nicht verstricken kann. Dieses Bekenntnis Davids muss den Gebetseifer in uns wecken. Bei so vielen und so mannigfachen Nachstellungen dürfen wir nicht träge sein. Zugleich muss es uns aber auch in der frommen Zuversicht stärken, dass, wenn Satan uns auch mit noch so vielen und starken Truppen bekämpft, wir doch, wenn Gott uns nur hilft, unbesiegt bleiben werden, und dass wir dann ohne Einbuße an unserer Frömmigkeit standhalten werden.

V. 15. Lass dir wohl gefallen die Rede meines Mundes. Jetzt bittet David noch ausdrücklicher, dass Gottes Gnade ihn zu einem rechten und heiligen Leben wappnen möge. Der Hauptgedanke ist nämlich, dass Gott ihn nicht nur vor Übertretungen bewahre, damit er nicht in offenbare Sünden falle, sondern auch seine Zunge und sein Herz zum Gehorsam gegen sein Gesetz bilde. Wir wissen ja, wie schwer es auch den Vollkommensten fällt, ihre Worte und Gedanken so in Zucht zu halten, dass sich in ihrem Herzen und in ihrem Munde nichts finde, das Gottes Willen zuwider wäre. Diese innere Reinheit ist es aber vor allem, die das Gesetz von uns fordert. Gerade weil die Tugend so selten ist, dass jemand sein Herz und seine Zunge in rechter Zucht hält, bedürfen wir umso mehr der Regierung durch den Geist, wenn wir rechtschaffen und fromm leben wollen. Dass David dem Herrn „wohl gefallen“ möchte, ist übrigens ein Fingerzeig, dass alle Menschen streben müssen, vor Gott zu bestehen: dies ist die einzige Regel für ein gutes Leben. Wenn er zum Schluss Gott seinen Hort und seinen Erlöser nennt, so sollen diese Anreden unser Vertrauen erwecken.

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