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Calvin, Jean - Psalm 105.

Calvin, Jean - Psalm 105.

Inhaltsangabe: Der Psalm rühmt die besondere Gnade Gottes, der aus dem ganzen Erdkreis ein einziges Volk unverdienter Weise zu seinem Eigentum angenommen hat. Und um zu zeigen, dass er nicht bloß dem Namen nach einen Bund mit Abraham und seinen Nachkommen schloss, hat er nach der Erlösung sie unablässig noch mit zahllosen Wohltaten geleitet. Er verfolgte damit den Zweck, dass die Erlösten auch ihrerseits seinen Bund heilig halten und sich ganz für seine unverfälschte Verehrung bestimmen sollten.

1Danket dem Herrn, und rufet seinen Namen an; verkündiget sein Tun unter den Völkern; 2singet von ihm und lobet ihn; redet von allen seinen Wundern; 3rühmet seinen heiligen Namen; es freue sich das Herz derer, die den Herrn suchen; 4fraget nach dem Herrn und nach seiner Macht; suchet sein Antlitz allewege; 5gedenket seiner Wunderwerke, die er getan hat, seiner Wunder und der Gerichte seines Mundes.

V. 1. Danket dem Herrn. Dieser Eingang zielt darauf, dass Abrahams Geschlecht sein ganzes Glück in der gnädigen Annahme zur Gotteskindschaft suchen soll. Gewiss war es ein nicht zu verachtendes Gut, dass sie als Menschen geschaffen waren, durch Gottes väterliche Fürsorge in dieser Welt behütet wurden und ihre Nahrung aus seiner Hand empfingen: weit vorzüglicher war aber diese Würde, dass sie zu Gottes Eigentumsvolk erwählt waren. Denn nachdem in Adam der Ursprung aller Sterblichen verflucht ward, sah sich dieses Volk von den übrigen ausgesondert, so dass es sich rühmen durfte, Gottes Heiligtum zu sein. Darum preist der Prophet diese Gnade mit so vielen Worten. Denn er redet nicht, wie im vorigen Psalm, von der Regierung der ganzen Welt, sondern verkündet die väterliche Freundlichkeit, mit welcher Gott die Kinder Israel umfasste. Er spricht zwar im Allgemeinen von seinem Tun und (V. 2) von seinen Wundern: aber er beschränkt doch beides auf den Bund, in welchem Gott seine Gemeinde zu geistlicher Gemeinschaft aussonderte, damit sie hier auf Erden dem himmlischen Leben entgegenstrebe. Denn nicht von den Wundern ist jetzt die Rede, dass Sonne, Mond und Sterne täglich aufgehen, die Welt zu erleuchten, dass die Erde zu bestimmten Zeiten grünt und blüht, dass die Fülle aller Güter den Lebewesen zur Nahrung dargeboten wird, dem Menschengeschlecht aber in besonderer Freundlichkeit so viel Förderungen zur Verfügung stehen, - sondern vielmehr, dass Gott aus Adams verderbter Nachkommenschaft einen kleinen Teil sich auserwählt, dem er sich zum vertrauten Vater gab. Darum sollen wir fröhlich sein im Herrn und seinen Namen anrufen: dies ist ja das besondere Vorrecht der Gottesgemeinde. Es ergibt sich daraus, dass die Rede sich allein an die Gläubigen wendet, welche Gott in seine treue Obhut nimmt, und die sich darum seines Namens rühmen sollen.

V. 4. Fraget nach dem Herrn. Waren die Gläubigen soeben (V. 3) als Leute bezeichnet, die den Herrn suchen, so werden sie doch jetzt ermahnt, eifrig nach ihm zu fragen. Das hat seinen guten Grund: denn wenn es auch wahr ist, dass man eben an diesem Merkmal die Gläubigen von den Weltmenschen unterscheidet, so fehlt doch viel, dass sie ihn mit der gebührenden Inbrunst suchten; darum bedarf es immer wieder eines Stachels, der sie, die freilich schon von selbst laufen, antreibt. Denn der Prophet ruft hier nicht völlig abgeirrte oder ganz träge und irdisch gesinnte Menschen auf, den Herrn zu suchen, sondern solche, die schon mit willigem Geiste diese Richtung eingeschlagen hatten: denn er sieht, dass viele Hindernisse sie in ihrem Laufe aufhalten. Bei allem guten Willen bedürfen wir also dieses Anreizes und dieser Züchtigung unsrer Trägheit. Dass wir Gottes Macht und sein Antlitz suchen sollen, deutet auf die besondere Weise seiner Offenbarung, in welcher Gott damals, entsprechend dem noch rohen Zeitalter, seine Gläubigen zu sich zog. Denn eben als Gottes Macht oder als sein Angesicht pflegte die Bundeslade bezeichnet zu werden: durch dieses Symbol wurde das Volk erinnert, dass Gott ihm nahe sei, und durch dasselbe erfuhr es tatsächlich seine Kraft. Je vertrauter sich also Gott uns darbietet, desto frischeren Mut sollen wir beweisen, ihn zu suchen. Die Hilfsmittel, durch welche der Herr unsrer Schwachheit zu Hilfe kommt, sollen unsern Eifer verdoppeln. Es wird uns auch bescheidene Demut empfohlen, damit wir im Bewusstsein davon, wie schwach unser Streben nach Gott ist, den von ihm vorgeschriebenen Weg einhalten und nicht die elementaren Hilfen verschmähen, durch die er uns allmählich zu sich empor leitet. Hinzugefügt wird: „allewege“, - damit niemand in diesem Lauf ermüde oder, vom Aberglauben an seine Vollkommenheit aufgeblasen, die äußeren Hilfsmittel der Frömmigkeit verachte. Entziehen sich doch nur zu viele, nachdem sie wenige Schritte in der Erkenntnis Gottes vorangekommen sind, dem allgemeinen Gesetz, als wären sie erhabener als die Engel. Noch einmal werden wir aufgerufen (V. 5): Gedenket seiner Wunderwerke, nämlich derjenigen, die Gott bei der Befreiung seines Volks getan hat, und in denen er in neuer und unerhörter Weise seine Macht bewies. Die Gerichte seines Mundes deuten manche Ausleger auf das Gesetz. Weil man aber die drei Stücke dieses Verses in einem zusammenhängenden Satze lesen muss, denke ich lieber an die Zeichen, durch welche Gott den Stolz Pharaos brach. Zweifelhaft bleibt dabei allerdings, warum gerade von den Gerichten „seines Mundes“ die Rede ist. Manche erklären dies dadurch, dass Gottes Mund diese Gerichte durch Mose vorausgesagt hat. Obwohl sich dies hören lässt, möchte ich doch noch einfacher daran denken, dass der Ausdruck auf die klare Verständlichkeit der Wunder deutet, etwa in dem Sinne: obwohl Gott keine Worte machte, wurde es doch durch die Tat selbst klar, dass er als Rächer für sein Volk auftrat.

6Ihr, der Same Abrahams, seines Knechts, ihr Kinder Jakobs, seines Auserwähleten! 7Er ist der Herr, unser Gott; er richtet in aller Welt. 8Er gedenkt ewiglich an seinen Bund, des Worts, das er verheißen hat auf tausend Geschlechter, 9den er gemacht hat mit Abraham, und des Eides mit Isaak; 10und stellte es Jakob zu einem Rechte und Israel zum ewigen Bunde, 11und sprach: Dir will ich das Land Kanaan geben, das Los eures Erbes;

V. 6. Ihr, der Same Abrahams. Der Prophet redet sein Volk mit Namen an, welches Gott durch gnädige Annahme zur Kindschaft an sich gebunden hatte. Denn es war dies ein besonders heiliges Band der Gemeinschaft, dass es durch Gottes reines Wohlgefallen allen Völkern vorgezogen wurde. Die Bezeichnung als Kinder Abrahams und Jakobs erinnert daran, dass sie diese Ehre nicht aus eigener Kraft gewonnen hatten, sondern weil sie die Nachkommen der heiligen Väter waren. Außerdem wird aber eingeprägt, dass schon die Heiligkeit der Väter allein aus Gottes Erwählung floss, nicht aus der Natur. Beides nämlich wird ausdrücklich gesagt: noch bevor sie als Kinder Abrahams geboren wurden, waren sie schon Erben des Bundes, weil sie ihren Ursprung auf die heiligen Väter zurückführen konnten. Zum andern: auch die Väter selbst haben ihre Stellung nicht durch ein Verdienst und eine Würdigkeit erworben, die einen Rechtsanspruch begründet hätte, sondern waren aus freier Gnade erwählt. Darum wird Jakob Gottes Auserwählter genannt. Allerdings heißt Abrahams selbst Gottes Knecht (1. Mos. 26, 24), weil er ihn in reiner Weise verehrte; aber an zweiter Stelle bezeugt der Prophet doch, dass der Anfang nicht von Menschen gemacht wurde, sondern allein von Gott, der sich herabließ, sie zu seinem Eigentum anzunehmen. Aus diesem Bundesverhältnis ergibt sich der Schluss, dass der Herr, dessen Reich den ganzen Erdkreis umspannt, und der überall seine Gerichte ausübt (V. 7), doch der besondere Gott dieses einen Volkes war, wie es im Liede Moses heißt (5. Mos. 32, 8): Da der Allerhöchste die Völker zerteilte und zerstreute der Menschen Kinder, umspannte er Jakob mit seiner Grenze. Und noch einmal will der Prophet einprägen, dass die Kinder Israel diesen Vorzug nicht besaßen, weil sie besser waren als andere, sondern allein wegen Gottes Wohlgefallen. Denn wenn Gottes Gerichte sich über alle Teile der Welt ausdehnen, erscheint in Rücksicht auf sie die Lage aller Völker gleich. Gibt es einen Unterschied, so ist er in Gottes Liebe begründet; haben wir eine Würdigkeit, so fließt sie aus freier Gnade. Obgleich also Gott nach gutem Recht die ganze Erde besitzt, spricht er doch aus, dass er ein Volk besonders angenommen hat, um es zu regieren. Diese Erinnerung geht heute noch uns an. Denn wenn wir unsere Berufung recht bedenken, werden wir sicherlich finden, dass Gott nicht von außen sich bestimmen ließ, uns anderen vorzuziehen, sondern dass ihm dafür allein seine Gnade genügte.

V. 8. Er gedenkt ewiglich an seinen Bund. Jetzt rühmt der Prophet die wirkliche Durchführung und die Frucht des Bundes; und durch die Erlösung beweist er, was er zuvor schon sagte, dass der Gott, der gleicher weise über alle Völker herrscht, doch allein das Geschlecht Abrahams mit seiner Gunst umfasste. Dass Gott bei der Erlösung seines Volkes die Kraft seines Arms mit so vielen Wundern öffentlich verherrlichte, kam doch eben daher, dass er seinen Knechten das einst gegebene Versprechen treulich halten wollte. So war ohne Zweifel der in der Vorzeit geschlossene Bund der Grund der Erlösung: ehe Gott seine Wahrhaftigkeit in der Durchführung seiner Zusage beweisen konnte, musste er zuvor barmherzig sein. Weil aber eine lange Reihe von Jahren zwischen der Verheißung und ihrer Durchführung verflossen war, sagt der Prophet, dass Gott an seinen Bund gedachte: die Verheißungen hatten also nicht etwa durch die Länger der Zeit ihre Kraft verloren, vielmehr, während die Welt sie erloschen und vergessen glaubte, lebte ihr Gedächtnis vor Gott, so dass er sie nun zur rechten Zeit erfüllte. Dies wird aus dem nächsten Satzglied noch deutlicher, wo die Übereinstimmung zwischen dem Bundesvertrag und seiner Durchführung rühmend hervorgehoben wird: Gott hat seinen Bund mit Abraham nicht bloß für einige Tage oder auch für die Lebenszeit eines Menschen geschlossen, sondern hat auf tausend Geschlechter verheißen, dass er der Gott auch seiner Nachkommen sein wolle. Blieb nun auch die Erfüllung lang in der Schwebe, so zeigte Gott doch durch die Tat, dass seine Treue durch das Alter nicht hinfällig oder verflüchtigt wird. Weil nun (V. 9) Abraham aus der Mitte der Götzendiener zuerst berufen ward, hebt mit seiner Person der Prophet an. Er weist aber auch darauf hin, dass Sohn und Enkel die Bestätigung erfahren haben. Der Herr hat also seinen Bund bei Abraham niedergelegt und sich mit feierlichem Eid verpflichtet, der Gott seines Samens sein zu wollen. Um aber die Zusage desto glaubwürdiger zu machen, wollte er sie auch an Isaak und Jakob wiederholen. Die Ausdrucksweise wechselt dabei, damit die Bekräftigung desto sicherer wirke. Wir wollen aber unserm Gedächtnis wiederum einprägen, dass Gott mehr als herablassend für unsere Schwachheit sorgt, indem er durch Eidschwur und wiederholte Rede bekräftigt, was er einmal versprochen hat. Umso hässlicher ist der Undank, welcher dem Herrn, der nicht bloß redet, sondern schwört, den Glauben verweigert.

V. 11. Und sprach: Dir will ich das Land Kanaan geben. Da dies nur ein kleiner Teil der den Vätern verheißenen Gnadengaben war, scheint der Prophet den Bund Gottes, der doch auch die Hoffnung auf ein ewiges Erbe in sich schloss, gar zu eng einzugrenzen. Aber der Prophet wollte nur an diesem einen Beispiel zeigen, dass geleistet und erfüllt wurde, was Gott den Vätern versprochen hatte. Der Satz will uns ja einprägen, dass die Israeliten das Land Kanaan nur darum mit Recht besitzen, weil es infolge des Bundes Gottes Abrahams rechtmäßiges Erbe war. Wenn jemand das Unterpfand für eine Abmachung vorzeigt, schmälert er doch nicht die Abmachung selbst. Indem also der Prophet durch dies sichtbare Zeichen beweist, dass Gott den Bund mit seinen Knechten nicht vergeblich geschlossen, noch ihre Hoffnung getäuscht habe, hebt er die anderen Stücke der Gnade nicht auf, noch streicht er sie durch. Vielmehr wenn die Israeliten hören, dass sie als Gottes auserwähltes Volk das Land auf Grund des Erbrechts besitzen, sollen sie nun weiter denken und alle Vorzüge sich vergegenwärtigen, mit denen Gott sie zu schmücken sich herabließ. Wir wollen uns dabei merken: wenn Gott in irgendeinem Stück uns seine Verheißungen erfüllt, so wären wir böswillig und undankbar, wollten wir uns diese Erfahrung nicht zur Glaubensstärkung dienen lassen. Will doch Gott ohne Zweifel, so oft er sich uns als Vater erweist, die Kraft und Wirksamkeit seines Wortes uns wahrhaftig versiegeln. Wenn nun der Hinweis auf das Land Kanaan die Gedanken der Israeliten zum Himmel leiten musste, weil sie wussten, dass sie in Rücksicht auf den Bund dahin geführt worden waren, so muss es bei uns noch viel schwerer wiegen, dass Gott uns seinen Christus gegeben hat, in welchem alle Verheißungen Ja und Amen sind (2. Kor. 1, 20). Dass in unserem Satze ein Wechsel zwischen Einzahl und Mehrzahl stattfindet: Dir will ich das Land Kanaan geben, das Los eures Erbes, lässt ersehen, dass Gott seinen Bund mit dem ganzen Volk schloss, wenn er auch seine Worte nur an wenige Menschen richtete. So hörten wir ja auch vorher, dass dieser Bund ein ewiges Recht sein sollte. Waren die heiligen Erzväter seine ersten Hüter, so überkamen sie diese Gnadengabe doch nicht für sich allein, sondern als einen gemeinsamen Besitz für die Nachkommen.

12Da sie wenig und gering waren und Fremdlinge drinnen. 13Und sie zogen von Volk zu Volk, von einem Königreiche zum andern Volk. 14Er ließ keinen Menschen ihnen Schaden tun, und strafte Könige um ihretwillen. 15„Tastet meine Gesalbeten nicht an, und tut meinen Propheten kein Leid!“

V. 12. Da sie wenig und gering waren usw. Hier werden die Wohltaten aufgezählt, mit denen Gott die heiligen Väter schon von Anbeginn geleitete: man soll daraus sehen, dass der Bund schon längst vor der Erlösung nicht wirkungslos war. Darauf deutet auch die Erzählung der Geschichte, die wir alsbald lesen werden: seitdem Gott den Abraham in seine Obhut nahm, hat er ihn wunderbar gehegt und ließ auch in der Behütung der beiden anderen Erzväter seine väterliche Liebe und Fürsorge sehen. Dass sie wenig und gering waren, soll nicht bloß Gottes Kraft ins rechte Licht setzen, sondern auch den Grund angeben, weshalb er so gütig gegen sie verfuhr. Vor allem also sollen die Juden vor Anmaßung gewarnt werden, indem der Prophet ausdrücklich darauf hinweist, dass ihre Väter Gottes Gnade bereits erfahren durften, als sie noch schwach und verächtlich waren, arme und nach dem Fleisch in jeder Weise elende Pilger. So hält ihnen auch Mose vor (5. Mos. 7, 7): Nicht hat der Herr eure Väter erwählt, weil sie zahlreicher gewesen wären oder edler, als andere Völker, sondern weil er sie geliebt hat. Alles in allem: als Gott dies Volk erwählte, ließ er sich weder durch seine Zahl, noch durch den Blick auf irgendeinen Vorzug bestimmen. Das Haus Abrahams stand ganz allein und war unfruchtbar. Isaak wurde gezwungen, den einen seiner beiden Söhne in weite Ferne zu schicken, den andern sah er von seiner Familie abgeschnitten. Jakobs Haus war fruchtbarer, wurde jedoch beraubt. Ferner waren sie nicht bloß unangesehen und verachtet, da sie als Beisassen auf fremdem Boden weilten; es zwangen sie auch der Hunger und allerlei Mangel, öfter ihren Wohnsitz zu wechseln. Wenn man dies sich vorstellt, fällt der Gedanke an menschliche Würdigkeit dahin, und es wird klar, dass alle Wohltaten, die Gott ihnen schenkte, allein aus dem Quell seiner Liebe flossen. Die Ursache dieser Liebe soll man aber nicht außerhalb Gottes suchen. Rühmt nun der heilige Geist Gottes Gnade schon bei irdischen Wohltaten so hoch, wie viel mehr müssen wir dies festhalten, wenn von dem himmlischen Erbe die Rede ist. Dass sie (V. 13) von Volk zu Volk zogen, zeigt noch deutlicher, wie wunderbar sich Gottes Schutz in ihrer Behütung betätigte. Hätten sie irgendein ruhiges Nest gefunden, so wäre diese bequeme Lage ein bemerkenswertes Zeichen göttlicher Gnade gewesen. Da sie aber an den verschiedensten Orten als Fremdlinge weilen mussten und hier und dort durch starken Neid vertrieben wurden, wie der Wind die Spreu vor sich her stäubt, so rückt Gottes Schutz in ein besonders helles Licht. Da ihr Leben überall an einem Faden hing und jede Veränderung ihres Zufluchtsortes sie immer wieder neuem Unrecht aussetzte, ließ allein Gottes Kraft sie unversehrt bleiben.

V. 14. Er ließ keinen Menschen ihnen Schaden tun. Wir wissen, dass Abraham und seine Nachkommen nicht bloß zwei oder drei Feinde hatten, sondern von ganzen Völkern belästigt wurden. So viele Schwärme aber wider sie aufstanden, - Gott hielt sie zurück, dass sie keinen Schaden tun durften. Zu höherem Ruhm der Liebe Gottes gegen seine Knechte muss es dann dienen, dass er um ihretwillen sich auch wider Könige stellte: denn dass Gott nicht einmal die Könige von Ägypten und Gerar schonte, ist ein Beweis dafür, wie kostbar ihm das Wohlergehen Abrahams und seines Geschlechts war. Wir haben gesagt, dass die heiligen Väter vor der Welt in keiner Schätzung noch Ansehen standen: umso herrlicher offenbart sich Gottes Güte, wenn er sie Königen vorzieht. Wir sehen also, dass in der Person der Väter die Juden gedemütigt wurden, damit sie ja nicht glaubten, dass irgendeine in die Augen fallende Würdigkeit ihnen die Gnade Gottes erworben habe.

V. 15. „Tastet meine Gesalbeten nicht an!“ Jetzt greift der Gedanke noch weiter: wenn Gott den Krieg wider die Könige zu Gunsten seiner Knechte anhob, so wurden sie von ihm nicht bloß verteidigt, wie er überhaupt elenden und ungerecht unterdrückten Leuten zu helfen pflegt, sondern weil er es auf sich genommen hatte, sie mit seinem Schutz zu decken. Denn nicht bloß um jenes allgemeinen Grundes willen schützt Gott die Seinen, sondern weil seine gnädige Annahme zur Kindschaft ihnen ein Rechtsgrund wurde, durch welchen Gott sich ihnen zum Rächer gab. Darum werden die heiligen Erzväter jetzt auch durch zwei Ehrentitel ausgezeichnet: sie heißen Gottes „Gesalbete“ und „Propheten“. Gewiss hätte Gott auch von anderen Leuten sagen können: „Tastet die unschuldigen Leute nicht an, tut den Elenden kein Leid, die euch keinen Anlass dazu gegeben haben!“ Dass er für Abraham und seine Nachkommen eintrat, hat, wie unsere Worte zeigen, doch noch einen anderen Grund. Sie sind Gottes Gesalbte, weil er sie sich zum Eigentum geheiligt hat. In demselben Sinne tragen sie den Prophetentitel, mit welchem auch Abraham selbst geschmückt wird (1. Mos. 20, 7): denn nicht bloß hatte Gott sich ihnen vertraulicher geoffenbart, sondern sie hatten die himmlische Lehre auch treulich ausgebreitet, so dass sie noch nach ihrem Tode im Gedächtnis der Menschen fortlebte. Allerdings stand damals die Salbung noch nicht im Gebrauch, wie später unter dem Gesetz: aber Abraham war tatsächlich, was nachmals unter den Zeremonien des Gesetzes die Salbung ausdrückte, wie denn Gott allen seinen Auserwählten eine heilige Salbung innerlich einprägt. War dies bereits vor den Zeiten des Gesetzes, noch ehe das äußere Zeichen vorhanden war, von so hohem Wert, mit wie viel größerer Fürsorge wird Gott uns jetzt schützen, nachdem er in seinem eingebornen Sohne die Fülle der Salbung ergossen hat!

16Und er rief eine Teuerung ins Land, und zerbrach alle Stütze des Brots. 17Er sandte einen Mann vor ihnen hin; Joseph ward zum Knecht verkauft. 18Sie zwangen seine Füße im Stock, sein Leib musste ein Eisen liegen, 19bis dass sein Wort kam und die Rede des Herrn ihn durchläuterte.

V. 16. Und er rief eine Teuerung ins Land. Hier wird der vornehmste Erweis des göttlichen Vorsehungswaltens über dem auserwählten Volk gerühmt, in einer Zeit, da der Bund vergeblich und erloschen schien. Denn wie wir früher hörten, was als ein bekräftigendes Unterpfand die Erbschaft des Landes Kanaan hinzugefügt. Wenn nun die Auswanderung nach Ägypten, durch welche Jakobs Haus den Anblick des gelobten Landes entbehren musste, das Bundesverhältnis nicht abschneiden konnte, so leuchtete eben dort Gottes beständige Treue umso heller. Durch eben diese Versuchung zeigte Gott besonders deutlich, wie er als ein fürsorglicher Vater Abrahams Geschlecht schützte. Doch es empfiehlt sich, die einzelnen Stücke zu erwägen. Zuerst hören wir, dass die Hungersnot, welche den Jakob nach Ägypten trieb, nicht zufällig eintrat. Wir ziehen aus diesem einen Falle den allgemeinen Schluss: jede Hungersnot hat darin ihren Grund, dass Gott seine Hand zurückzieht und uns die Nahrung verweigert. Ein anschaulicher Ausdruck für Gottes Fluch ist es, dass er die Teurung ins Land „rief“: so stand sie wie eine Dienerin seines Zornes zum Gehorsam bereit, - ein Fingerzeig, dass Hungersnot, Pest und andere Geißeln nicht durch Zufall entstehen noch durch ein blindes Geschick daherstürmen, sondern dass die Hand Gottes, der sie gehorchen müssen, sie lenkt, wohin es ihm gut scheint. Es wird auch die Weise beschrieben, wie Gott die Hungersnot ruft. Er zerbrach die Stütze oder den Stecken des Brots. Ein überaus passendes Bild. Denn Gott hat dem Brot die Kraft und Eigenschaft eingestiftet, dass es den Menschen wie eine verborgene Stütze aufrecht hält, und es ist in ihm gleichsam ein Stecken verborgen, so lange der Herr durch dieses Mittel unsere Kräfte erquicken will. Dieser Stecken kann aber in einer doppelten Weise zerbrochen werden. Einmal kann Gott die zu unserer Ernährung erforderliche Menge von Getreide uns versagen. So scheint des Prophet Hesekiel (4, 16) zu meinen: „Ich will die Stütze des Brots zu Jerusalem wegnehmen, dass sie das Brot essen müssen nach dem Gewicht und mit Kummer.“ Oder Gott kann das Brot selbst gleichsam aufblasen, dass es den Hunger nicht stillt, sondern hungrig bleibt, wer es herab schlingt, um sich zu sättigen. Dies Zweite gesellt sich dann noch zur Unfruchtbarkeit der Erde, dass Gott die Stütze aus dem Brote hinweg nimmt: denn es hat in sich selbst keine belebende Kraft (5. Mos. 8, 3), sondern entlehnt dieselbe aus dem Munde Gottes.

V. 17. Er sandte einen Mann vor ihnen hin usw. Dieser ganze Abschnitt zeigt in einem anschaulichen Bilde, dass alles, was seinem Volk zufließt, durch Gottes Hand und Rat geleitet war. Es hätte einfach erzählt werden können, dass eine Hungersnot ins Land kam, nachdem Joseph von seinen Brüdern verkauft und nach Ägypten gebracht war. Aber der Prophet sagt mit großem Nachdruck, dass Joseph nach Gottes Rat vorangeschickt wurde, um das Haus seines Vaters am Leben zu erhalten. Es sei der Hunger herbeigerufen und dann durch Gottes Vorsehung wider Erwarten Hilfe geschafft worden. Trifft dies auch im Allgemeinen für die Geschicke der Menschen zu, so will doch der Prophet uns die besondere Fürsorge vor Augen stellen, mit welcher Gott seine Gemeinde lenkt und nährt. Er verzeichnet aber an zweiter Stelle, was der Zeit nach das erste war. Zur Verdeutlichung würde man etwa übersetzen können: Er hatte einen Mann vor ihnen hergesandt. Bevor nämlich Gott das Land Kanaan mit Hunger schlug, hatte er für seinen Knecht Jakob und dessen Familie die Hilfe schon bereitet. Es werden aber zwei Stücke gegensätzlich vorgeführt, damit Gottes Vorsehung in desto helleres Licht rücke. Denn in welcher Weise wurde Joseph von Gott gesandt? Da er bereits zum Tode bestimmt war, fügte es sich zufällig, dass seine Brüder ihn lieber verkaufen als in der Grube lassen wollten. Wenn man also diesen Verkauf für sich betrachtet, ist er wie eine Wolke, die Gottes Vorsehung verdunkelt und verdeckt. Wer hätte, als der Mordplan gefasst war, hoffen dass Joseph der Ernährer seines Vaterhauses werden würde? Allerdings erfand man nachher eine weniger grausame Todesart; aber da er in die Zisterne geworfen war, wie konnte er anderen helfen? Die Hoffnung stieg dann wieder, als er endlich verkauft und aus der Zisterne befreit wurde. Dann aber fehlte nicht viel, dass er während seines ganzen Lebens im Kerker hätte verfaulen müssen. Wer hätte glauben sollen, dass Gottes Vorsehung diese viel verschlungenen Umwege leitete? Um falschen Gedanken zuvorzukommen, sagt also der Prophet, was vor Menschenaugen liegt: Joseph wurde verkauft, - fügt aber hinzu, was Gottes Werk war: er wurde voraus gesandt. Diese Stelle ist sehr bemerkenswert, weil sie trefflich gegen den sündhaften Stumpfsinn unseres Fleisches für Gottes Vorsehung eintritt. Weil wir bei den Zwischenursachen stehen bleiben, auf die wir stoßen, also alles, was geschieht, auf menschlichen Rat oder auf bloßen Zufall zurückführen, so dringt fast niemand zu Gott hindurch. Und doch erscheint Josephs Verkauf hier nicht wie eine Decke, die Gottes Vorsehung verhüllt, sondern wie ihr ausgezeichnetes Denkmal, welches lehrt, dass der Ausgang in Gottes Hand liegt, wenn auch die Menschen dieses oder jenes anstreben. Ja, der Herr lenkt die Herzen der Menschen durch geheimen Ratschluss hierhin und dorthin, um durch sie ohne ihr Wissen und Wollen durchzuführen, was er beschlossen hat. So sagte Joseph selbst seinen Brüdern (1. Mos. 45, 5): Ihr selbst habt mich nicht verkauft, sondern Gott hat mich voraus gesandt, dass ich euer Vater würde. Wenn übrigens Gott mit verborgenem Zügel die Menschengeschicke lenkt und böse Anschläge zu gutem Ziel verwendet, so haben doch seine Gerichte innerlich keine Gemeinschaft mit der Menschen Bosheit. In sündhafter Weise verschwören sich Josephs Brüder, ihn zu töten. In ungerechter Weise verkaufen sie ihn: so haftet die Schuld an ihnen. Gott bedient sich ihrer, um für sie selbst, ihren Vater Jakob und seine ganze Gemeinde zu sorgen. Dieser heilige Ratschluss wird durch ihre Schlechtigkeit nicht befleckt noch besudelt, weil beiderseits ein ganz verschiedener Zweck vorschwebt. So hat nachmals eben Joseph bezeugt (1. Mos. 50, 20): „Ihr gedachtet es böse mit mir zu machen, aber Gott gedachte es gut zu machen.“

V. 18. Sie zwangen seine Füße im Stock usw. Mit bestimmter Absicht verfolgt die Rede jenen Umweg, um dessentwillen sich ein Nebel auf der Menschen Sinne legen konnte, der ihnen die Aussicht auf Gottes Ratschluss benimmt. Denn was erscheint unpassender, als dass Gott sein Ziel erst durch so viele Querzüge erreichen soll? Aber die Vorsehung Gottes steht viel leuchtender da, wenn sie so viele Hindernisse überwindet, als wenn sie das ganze Geschäft kurz und leicht abmachte. Wäre Joseph sofort nach seiner Ankunft zum Könige geführt und über Ägypten gesetzt worden, so wäre der Übergang zum zweiten Akt leicht gewesen. Aber da er ins Gefängnis geschleppt wird und außerhalb der menschlichen Gemeinschaft ein halbtotes Dasein führen muss, bis er endlich nach langer Zeit wider Erwarten dem Könige bekannt wird, so rückt durch diese plötzliche Veränderung das Wunder in ein ungewöhnliches Licht. Eben dieser Umweg ist beinahe die Hauptsache. Kann es nun noch deutlicher werden, dass der Gott, der im Himmel zu schlafen scheint, ganz trefflich für die Seinen wacht, dass er durch diese mannigfachen Querzüge besser vorwärts kommt, als wenn er auf geradem Wege schnell voran liefe? Dass Josephs Füße in den Stock gelegt wurden, erzählt der Prophet wie eine allgemein bekannte Sache, obgleich bei Mose nichts davon berichtet wird. Sicherlich besaßen die Juden viele Überlieferungen, von denen in der Schrift nichts steht. Es ist auch durchaus wahrscheinlich, dass Joseph nicht gleich im Anfang in freierer Haft gehalten wurde, wie später, sondern sich in harter Behandlung befand.

V. 19. Bis dass sein Wort kam. Obwohl nach der Empfindung des Fleisches Gott nur zu sehr zögert, so prägt uns doch dieser Ausdruck ein, dass er durchaus Maß und Ziel hält, um zu rechter Zeit zu erfüllen, was er beschlossen hat. Unter dem „Wort“ ist hier ohne Zweifel nicht eine Lehre, sondern ein himmlischer Beschluss zu verstehen. „Sein“ Wort kann sich auf Gott oder aber auf Joseph zurück beziehen. Ich bevorzuge die zweite Möglichkeit: bis das für Joseph bestimmte Wort kam, d. h. seine Befreiung, die in Gottes Ratschluss verborgen war. Dabei wollen wir immer festhalten, dass der Prophet die Gedanken der Menschen von jener unfrommen Einbildung abbringen will, als schaltete ein blindes Glück in unserm Schicksal. So lange man Joseph für einen Verurteilten halten musste, war nichts in verwirrterem Zustande als das Ergehen der Gottesgemeinde: der Prophet aber richtet unsere Gedanken höher empor auf das verborgene Wort Gottes, für dessen Offenbarung die rechte Zeit noch nicht gekommen war. Ebenso verstehe ich das folgende Satzglied: und die Rede des Herrn ihn durchläuterte. Denn dies mit vielen Auslegern auf Josephs Weissagung zu beziehen, scheint mir gezwungen. Bis aber der frohe Ausgang erschien, den Gott lange Zeit in der Verborgenheit und in der Schwebe hielt, wurde Josephs Geduld ernstlich geprüft. Und was unfromme Menschen, die von Gottes Weltregiment nichts wissen wollen, das Schicksal nennen, bezeichnet der Prophet mit seinem eigentlichen Namen als Gottes „Rede“ und das für einen jeden Menschen bestimmte „Wort“. Wenn man mit den Stoikern sich eine undurchbrechliche Kette von Ursachen und Wirkungen erträumt, entreißt man dem Herrn das Weltregiment. Es ist ein gottloser Aberglaube, dass an diesen durchaus geschlossenen Zusammenhang auch Gott selbst gebunden wäre. Unser Glaube muss vielmehr zu Gottes geheimem Ratschluss emporsteigen, durch welchen er alles frei zu seinem Zwecke lenkt. Außerdem lehren diese Sätze, dass Gott den Bedrängnissen der Frommen ein Ende macht, sobald sie recht geprüft und geläutert sind.

20Da sandte der König hin und ließ ihn los geben; der Herr über Völker hieß ihn auslassen. 21Er setzte ihn zum Herrn über sein Haus, zum Herrscher über alle seine Güter, 22dass er seine Fürsten bände nach seinem Belieben, und seine Ältesten Weisheit lehrete. 23Und Israel zog nach Ägypten, und Jakob ward ein Fremdling im Lande Hams. 24Und er ließ sein Volk sehr wachsen, und machte sie mächtiger denn ihre Feinde.

V. 20. Da sandte der König hin. Die Befreiung Josephs wird mit glänzenden Worten ausgeschmückt, weil in diesem fast unglaublichen Vorgang Gottes ungewöhnliches Wirken hell erstrahlte. Kann es etwas Unerhörteres geben, als dass ein überaus mächtiger König einen fremdländischen Mann aus dem Gefängnis holt und ihn über das ganze Reich setzt, so dass er den zweiten Platz nach dem Könige einnimmt?

V. 22. Dass er seine Fürsten bände nach seinem Belieben. Das legt man gewöhnlich dahin aus, dass Joseph als Inhaber der Obergewalt die Vornehmen des Reichs jetzt nach Belieben ins Gefängnis werfen soll. Weil dies zu hart scheint, gewinnen manche Ausleger durch Veränderung eines hebräischen Buchstabens die Lesart: „Dass er seine Fürsten unterwiese.“ Indessen wird der Ausdruck bildlich zu verstehen sein: die Fürsten Ägyptens sollen zum Gehorsam gegen Joseph verbunden und seiner Macht, ebenso wie das ganze Volk, unterworfen sein. Von Fesseln und Banden ist also nicht die Rede. Dass Joseph nicht eine tyrannische Herrschaft führte, zeigt das folgende Satzglied: und seine Ältesten Weisheit lehrete. Gewiss ist es schwer und selten, dass ein Regierender seiner Laune nicht die Zügel schießen lässt. Joseph aber war für alle hochgestellten Männer ein Vorbild trefflichster Mäßigung.

V. 23. Und Israel zog nach Ägypten. Weil es nicht nötig war, die ganze Geschichte zu erzählen, wird uns nur Gottes Vorsehung vor Augen gestellt, auf welche viele bei der Lektüre des mosaischen Berichts nicht genügend achten. Nachdem Joseph vorausgeschickt war, um seinen Vater und sein ganzes Haus gastfreundlich aufzunehmen, kam Jakob nach Ägypten. Wie wunderbar war doch dies geordnet, dass sie, inmitten eines stolzen Volkes, während alle andern im Hunger schmachteten, Brot in Fülle fanden! Wir sehen daraus, dass Gott mit seiner scheinbaren Langsamkeit nur darauf zielt, sein Werk in der besten Weise zu vollenden.

V. 24. Und er ließ sein Volk sehr wachsen. Ein weiterer Umstand dient zum Preise der einzigartigen Güte Gottes gegen sein Volk: Gottes wunderbarer Segen kam darin zur Erscheinung, dass dasselbe in einer kurzen Zeitspanne sich über alle gewöhnliche Maß hinaus vermehrte. Eben deshalb spotten manche in schamloser Weise über die unnatürlichen Angaben, die Mose darüber macht. Hätte sich aber das Wachstum des Volkes in natürlichen Grenzen gehalten, würden sie stracks behaupten, dass man von Gottes Wirken doch nichts sähe. Immer suchen sie Ausflüchte, um Gottes Segen auszutilgen. Wenn wir uns aber vergegenwärtigen, dass man Gottes Macht nicht nach unseren Gedanken oder dem gemeinen Naturgesetz messen darf, werden wir dieses sein außerordentliches Wirken in Ehrfurcht bewundern. Dass Gott die Kinder Israel mächtiger machte, denn ihre Feinde, erscheint etwas dunkel. Denn jetzt scheint nicht mehr von der ersten, ruhigen und glücklichen Zeit die Rede sein zu sollen, sondern davon, wie sie später schmählich misshandelt wurden als leibeigene Sklaven. Indessen könnten die Ägypter als „Feinde“ im Vorausblick auf die spätere, im nächsten Vers beschriebene Zeit bezeichnet werden, da sie ihren Sinn änderten und grausam gegen das Volk zu wüten begannen. Taten sie dies in der ersten Zeit noch nicht öffentlich, während Israel an Zahl und an Kräften wuchs, so würden sie doch vorausschauend bereits Verfolger genannt. Andererseits ist es auch gewiss, dass selbst in den Zeiten der knechtischen Unterdrückung das Volk seinen Feinden noch furchtbar war. Moses Bericht (2. Mos. 1, 12) zeigt deutlich, dass sich noch unter der ungerechtesten Behandlung Gottes Segen spüren ließ.

25Er verkehrte jener Herz, dass sie seinem Volk gram wurden, und dachten, seine Knechte mit List zu dämpfen. 28Er sandte seinen Knecht Mose, Aaron, den er hatte erwählet. 27Dieselben taten seine Zeichen unter ihnen und seine Wunder im Lande Hams. 28Er ließ Finsternis kommen, und machte es finster; und waren nicht ungehorsam seinen Worten. 29Er verwandelte ihr Wasser in Blut und tötete ihre Fische. 30Ihr Land wimmelte Frösche heraus in den Kammern ihrer Könige.

V. 25. Er verkehrte jener Herz. Dass die Ägypter aus wohlwollenden und menschlichen Gastfreunden sich später in grausame Feinde verwandelten, wird ebenfalls dem Ratschluss Gottes zugeschrieben. Ohne Zweifel trieb dies dazu ein verkehrter und böswilliger Sinn, Hochmut und Habsucht. Aber das alles stand doch unter der Vorsehung des Gottes, der sein Werk in unbegreiflicher Weise in den Verworfenen treibt, um Licht aus der Finsternis hervorzulocken. Der Prophet will mit bewusster Absicht die gesamte Leitung des Volks als von Gott abhängig dartun: nichts soll ohne seinen Willen durch Zufall geschehen. Scheint dies manchen überzarten Ohren zu hart, so verkündigt der heilige Geist doch auch anderwärts mit voller Sicherheit, dass Gott die Menschenherzen durch geheimen Einfluss hierhin und dorthin leitet, und dass ihr Wollen und Tun durchaus an seinen Winken hängt (Spr. 21, 1). Welcher Wahnsinn ist es aber, nichts annehmen zu wollen, als was der menschlichen Vernunft einleuchtet! Welche Autorität hätte Gottes Wort, wenn man nur annimmt, was einem gefällt? Wer diese Lehre verwirft, weil sie der menschlichen Empfindung weniger angenehm ist, zeigt sich durch sündhaften Hochmut aufgeblasen. Andere sind gar zu furchtsam und möchten um des Friedens willen diese Lehre begraben sehen. Aber das ist eine üble Politik, welche einst der Anlass war, dass die kirchlichen Schriftsteller vom reinen und echten Evangelium zu weltlicher Philosophie abgebogen sind. Die Lehre vom freien Willen und von der Werkgerechtigkeit entsprang daher, dass die guten Väter aus Furcht vor böswilligen Verleumdungen nicht frei zu bekennen wagten, was in der Schrift überliefert ist. Und wenn der Herr den Augustinus1) nicht mit gewaltiger Hand ergriffen hätte, wäre er ganz wie die anderen gewesen. Indem aber Gott ihn wie mit einem Hammer bearbeitete, brach er jene törichte Klugheit, welche gegen den heiligen Geist zu kämpfen wagt. Wir hören, was der heilige Geist hier sagt: die Bosheit der Ägypter kam daher, dass Gott ihre Herzen zum Hass gegen sein Volk wandte. Die Vermittler finden die Ausflucht, dass er diese Wendung ihrer Herzen zugelassen, oder dass er den Hass, der in den Herzen der Ägypter aufwuchs, seinerseits gebraucht habe. Als ob der heilige Geist sich nicht deutlich auszudrücken verstünde! Scheint uns, was er sagt, auf den ersten Blick anstößig, so wollen wir bedenken, dass Gottes Gerichte anderswo (Röm. 11, 33) als unbegreiflich und als ein tiefer Abgrund (Ps. 37, 6) bezeichnet werden. Darum kann unser Verstand ihre Tiefe nicht fassen. Immerhin müssen wir festhalten, dass die Wurzel der Bosheit bei den Ägyptern selbst lag und man die Schuld nicht auf Gott schieben kann: sie waren durch eigenen Entschluss und von ganzem Herzen böse und wurden nicht von außen dazu gezwungen. Was aber Gott angeht, so muss uns genügen, dass er etwas will, auch wenn uns der Grund nicht deutlich wird. Aber der Grund ist sogar deutlich, und Gottes Gerechtigkeit steht gegenüber allen Verleumdungen rein da. Wenn wir uns übrigens diese Grundwahrheit tief einprägen, dass man sich in Ehrfurcht bei Gottes Wort beruhigen muss, werden wir diese Geheimnisse, an denen hochfahrende oder gar zu vorsichtige Menschen sich stoßen, ohne Widerspruch annehmen. Weiter beschreibt der Prophet, in welcher Weise die Ägypter das Volk aufreiben wollten; sie griffen es nicht öffentlich an, sondern suchten es mit List zu dämpfen. Der Ausdruck ist aus Moses eigenem Bericht (2. Mos. 1, 10) entnommen. Dies alles wurde ausdrücklich gesagt, damit wir nicht meinen, dass die Gottlosen durch freien Entschluss von ihrer Seite wider uns anstürmen. Es wäre schon viel, wenn uns gesagt würde: Mögen der Teufel und die Gottlosen gegen uns unternehmen, was sie wollen, so wird doch Gott ihre Anschläge unterdrücken. Aber eine doppelte Bestätigung empfängt unser Glaube, wenn wir hören, dass nicht bloß ihre Hände, sondern auch ihre Herzen und Gedanken gebunden sind, so dass sie nichts planen können, als was der Herr sie heißt.

V. 26. Er sandte seinen Knecht Mose. Hier überblickt der Prophet in Kürze, was bei der Erlösung des Volks bemerkenswert war. Hätten die Ägypter dasselbe gutwillig ziehen lassen, so hätte es weder des Wirkens Moses noch der Wunder bedurft. Gott hat also jene Erlösung so geordnet, dass man ihn unwidersprechlich als ihren Veranstalter erkennen musste. Darum wird auch Mose des Herrn Knecht genannt, damit wir wissen, dass er sich nicht selbst eingesetzt, noch etwas aus sich selbst unternommen hat, sondern als Gottes Diener das ihm aufgetragene Amt führt. Das wird bei Nennung Aarons noch deutlicher, von dem es ausdrücklich heißt: den er hatte erwählet. Was aber von jedem einzelnen ausgesagt wird, gilt gleicher weise von beiden. Darum kann man den Satz auch so darstellen, dass Gott den Mose und Aaron als seine Knechte gesandt habe, nicht weil sie aus sich selbst dazu tüchtig gewesen wären oder aus freien Stücken ihren Gehorsam angeboten hätten, sondern weil er sie erwählte. Diese Stelle zeigt, dass alle, die der Gemeinde einen nützlichen Dienst leisten, nicht durch eigene Leitung dazu vorbereitet, noch durch eigenen Fleiß gebildet, sondern vom Herrn erweckt werden. Mose war ein Mann von heroischer Tapferkeit, aber wenn man ihn an sich betrachtet, war er nichts. Darum heißt uns der Prophet alles, was von ihm und Aaron Bemerkenswertes erzählt wird, allein dem Herrn zuschreiben: denn es steht fest, dass es eine freie Gnadengabe Gottes ist, was Menschen zum Heil der Gemeinde beitragen.

V. 27. Dieselben taten seine Zeichen usw. Der Prophet rührt nur kurz an, was Mose ausführlicher berichtet: es genügte ihm zu zeigen, dass jene Erlösung ein göttliches Werk war. Wiederum unterscheidet er zwischen Gottes mächtigem Wirken und dem Dienst Moses und Aarons. Die Wunder, welche diese taten, waren doch Gottes Zeichen: es war himmlische Kraft, die sich deutlich durch ihre Hand offenbarte. Eines dieser Wunder wird (V. 28) genannt, nicht das erste in der Reihe, sondern dasjenige, welches vermöge der gänzlichen Verwandlung des Naturlaufs am deutlichsten zeigt, dass Gott diese Erlösung bewirkte: denn nichts ist erstaunlicher, als dass das Licht in Finsternis verwandelt wird. Der nächste Satz rühmt Moses und Aarons Treue, welche wacker ausführten, was Gott befohlen hatte. So stimmen Gottes Regiment und der beiden Diener Gehorsam aufs beste zusammen.

V. 29. Er verwandelte ihre Wasser in Blut. Wie schwer diese Plage für die Ägypter war, lässt sich daraus schließen, dass das Element des Wassers eines der beiden Lebensprinzipien ist. Gottes Macht zeigt sich besonders deutlich darin, dass die Ägypter in dieser reich bewässerten Gegend bei allem Überfluss von Wasser doch vor Durst verschmachteten. Dass die Frösche bis in die Kammern ihrer Könige vordrangen, ist ein deutlicher Beweis, dass Gott diese Wunder schaffte. Denn wenn auch ganz Ägypten von Fröschen voll gewesen wäre, hätten doch die königlichen Gemächer davon frei bleiben müssen. „Könige“ sind die Königskinder, die mit der Aussicht auf Nachfolge aufgezogen wurden: denn der wirkliche König war bekanntlich in Ägypten damals nur einer. Hier sollen wir nun lernen, wie leicht es dem Herrn ist, niederzubeugen, die auf ihre fleischliche Stellung stolz sind, und wie er ihrer spottet. Er hat sich nicht ein Heer gesammelt, um mit den Ägyptern zu streiten. Er hat nicht sofort seine Engel bewaffnet oder Blitze vom Himmel geschleudert, sondern hat Frösche hervorgehen lassen, welche das hochfahrende Gebaren jenes Volks, das bekanntlich den ganzen Erdkreis verachtete, schmählich mit Füßen treten musste. Es wäre ihnen eine Ehre gewesen, unter starken Feinden zu fallen. Welche Schande dagegen, Fröschen weichen zu müssen! Gott aber wollte dadurch beweisen, dass er nicht starker Truppen bedarf, die Gottlosen zu verderben: er kann dies spielend ausrichten, so oft es ihm beliebt.

31Er sprach, da kam Ungeziefer, Stechmücken in all ihr Gebiet. 32Er gab ihnen Hagel zum Regen, Feuerflammen in ihrem Lande; 33und schlug ihre Weinstöcke und Feigenbäume, und zerbrach die Bäume in ihrem Gebiet. 34Er sprach, da kamen Heuschrecken und Käfer ohne Zahl. 35Und sie fraßen alles Gras in ihrem Lande, und fraßen die Früchte auf ihrem Felde. 36Und schlug alle Erstgeburt in Ägypten, alle Erstlinge ihrer Kraft. 37Und er führte sie aus mit Silber und Golde; und war kein Gebrechlicher unter ihren Stämmen. 38Ägypten ward froh, dass sie auszogen; denn ihre Furcht war auf sie gefallen.

V. 31. Er sprach, da kam Ungeziefer. Dass Gott sprach, deutet darauf, dass die Fliegen und Stechmücken nicht zufällig erschienen. Wir wissen nun, dass dies Wort Gottes aus Moses Munde hervorging. Gott hätte auch ohne ihn befehlen können, aber er bediente sich des Mose als seines Heroldes. Übrigens hat Gott in sein Wort nicht darum eine geringere Wirksamkeit gelegt, wenn er es durch Menschen vortragen lässt, als wenn er selbst vom Himmel donnern würde. Denn wenn der Diener nicht schwätzt, sondern als ein Werkzeug Gottes sein Amt treulich ausrichtet, verbindet sich mit seinem äußeren Wort die innere Wirkung des Geistes. Hier wollen wir noch einmal darauf hinweisen, dass die Ägypter dem Ungeziefer ausgesetzt wurden, weil Gott ihren Hochmut durch ein besonders schmähliches Verfahren bändigen wollte.

V. 32. Er gab ihnen Hagel zum Regen, genauer: Er verwandelte ihren Regen in Hagel. Damit wird ein schrecklicher Hagelsturm beschrieben, der über ein bloßes Naturereignis hinausgeht. Wahrscheinlich war eine Schädigung durch Hagel in Ägypten seltener als in anderen Gegenden; dies Land hat nicht einmal viel Regen, sondern wird durch den Nil bewässert. So war es den Ägyptern desto ungewohnter, dass ihr Land von Hagel betroffen ward. Gott mischte auch Feuerflammen hinein, um den Schrecken zu steigern. Der Hagel ging also in einem Gewittersturm nieder: so sollten die Ägypter, die sich gegen die andern Wunder verstockt hatten, endlich in ihrem Schrecken merken, dass sie es mit Gott zu tun hatten.

V. 34. Da kamen Heuschrecken usw. Diese Plage für die Felder konnte man nicht dem Zufall zuschreiben, weil die Heuschrecken plötzlich und ohne Zahl entstanden, so dass sie ganz Ägypten überschütteten. Dass Gott auch hier sprach, machte das Wunder unwidersprechlich: die vorhergehende Ankündigung musste jeden Zweifel bannen. Darum heißt es ausdrücklich, dass auf Gottes Geheiß die Heuschrecken und Käfer einbrachen, als wenn Soldaten auf ein gegebenes Zeichen zur Schlacht anstürmten. Gewiss sind diese Insekten, wenn sie über uns kommen und die Früchte der Erde verderben, immer Gottes Geißeln: aber der Prophet wollte hier auf ein außerordentliches Werk Gottes hinweisen. Unter demselben Gesichtspunkt steht auch (V. 36) die Erinnerung an das letzte Wunder: und schlug alle Erstgeburt. Die Wiederholung dient dazu, Gottes Kraft noch größer erscheinen zu lassen: alle Erstlinge ihrer Kraft. So heißen die Erstgeborenen bei den Hebräern, weil sich in der Zeugung die männliche Kraft beweist (1. Mos. 49, 3).

V. 37. Und er führte sie aus usw. Dieser Erinnerung an den Gegensatz dient zum Ruhme der Gnade Gottes, welche das auserwählte Volk von allen Plagen unberührt und unversehrt behütete. Wenn beide Teile unterschiedslos die gleichen Plagen hätten spüren müssen, wäre Gottes Hand weniger kenntlich gewesen. Da aber bei allen diesen Schlägen die Kinder Israel überhaupt nichts von Unbequemlichkeit spürten, ist dieser Unterschied wie ein anschauliches Gemälde, welches Gottes väterliche Fürsorge für sie darstellt. Unter demselben Gesichtspunkt wird auch darauf hingewiesen, dass kein Gebrechlicher unter Israel war. Es ließe sich auch übersetzen: „kein Strauchelnder“. Ich bleibe lieber bei dem Gegensatz, dass Gottes Volk, während Ägypten dem Untergang zuneigte, lebensfrisch und von aller Krankheit bewahrt blieb. Dass von seinen Stämmen die Rede ist, deutet auf das Volk. Allerdings lasen wir zuvor in der Mehrzahl, dass Gott „sie“ ausführte: aber ein derartiger Wechsel ist im Hebräischen nichts Ungewöhnliches. „Seine“ Stämme auf Gott zu beziehen, wäre doch wohl gezwungen.

V. 38. Ägypten ward froh, dass sie auszogen. Ein neuer Umstand dient zum Zeugnis für Gottes Macht: die Ägypter ließen das auserwählte Volk mit Freuden ziehen, obgleich sie doch nichts weniger im Sinne gehabt hatten als dies. Obwohl sie dasselbe gern hundertmal vernichtet hätten, war es ihnen doch, als hielten sie einen Wolf bei den Ohren. So machte sie die Furcht vor Rache noch mehr darauf versessen, das Gedächtnis des Volkes auszutilgen. Man sieht also, dass es auf einem verborgenen Wirken der göttlichen Vorsehung ruht, wenn sie die frühere Gesinnung plötzlich fahren lassen. Eben dahin zielt die Aussage des vorigen Verses, dass sie die Kinder Israel mit Silber und Golde ziehen ließen. Hätten doch die Ägypter nicht daran gedacht, sich selbst zu berauben, um diejenigen reich zu machen, die sie mit Lust ums Leben gebracht hätten. Es war dies also ein Zeichen der Freigebigkeit Gottes, dessen Hand und Wink alle Schätze der Welt zur Verfügung stehen. Während er aber den Ägyptern gewaltsam hätte entreißen können, was er ihnen gegeben hatte, lenkte er ihre Herzen, dass sie sich aus freien Stücken entäußerten. Ihre Furcht, d. h. die Furcht vor ihnen, war auf sie gefallen. Denn ihrerseits fürchteten die Kinder Israel die Ägypter nicht, sondern waren ihnen schrecklich. Der Prophet redet auch nicht von einer gewöhnlichen Furcht: denn diese hatte sie kurz zuvor zu Grausamkeit und tyrannischem Verfahren getrieben. Da sie aber bis zu diesem Tage in verstocktem Trotz versucht hatten, die Furcht abzuschütteln, schlug Gott sie plötzlich darnieder. Darum verzeichnet der Prophet mit gutem Grunde unter den Krafttaten Gottes auch diese, dass er die bisherigen gewaltsamen und überschäumenden Angriffe der Ägypter brach, so dass sie nun frei ausziehen ließen, die sie mit Sklavendiensten aufzureiben beschlossen hatten. Es war, als hätte der Herr die Schafe den Wölfen furchtbar gemacht.

39Er breitete eine Wolke aus zur Decke und ein Feuer, des Nachts zu leuchten. 40Sie baten, da ließ er Wachteln kommen; und er sättigte sie mit Himmelsbrot. 41Er öffnete den Felsen, da flossen Wasser aus, dass Bäche liefen in der dürren Wüste. 42Denn er gedachte an sein heiliges Wort, das er Abraham, seinem Knechte, hatte geredet. 43Also führte er sein Volk aus in Freuden und seine Auserwähleten in Wonne.

V. 39. Er breitete eine Wolke aus zur Decke. Es werden einige Wunder aufgezählt, in denen Gott sein gnädiges Wirken für sein Volk in der Wüste fortsetzte. Diese weitere Fortsetzung erscheint bemerkenswert: zu jenem unvergleichlichen Werk der Erlösung gesellte sich eine ungewöhnliche Bestätigung, da Gott nicht abließ, auf dem Wege als Führer zu walten. Nach dem Durchgang durchs Meer breitete er des Tags eine Wolke aus, welche das Volk gegen die Sonnenhitze decken sollte. Nachts leuchtete er mit der Feuersäule, die in der Dunkelheit ein leuchtendes Zeichen seiner Gegenwart sein sollte. Ohne Zweifel war diese reiche Beharrlichkeit ein Zeugnis fortwährender Liebe: Gott wollte handgreiflich zeigen, dass er die Kinder Abrahams zu seinen Kindern angenommen hatte, um sie bis zum Ende unter seiner Hut zu hegen. Was (V. 40) von den Wachteln gesagt wird, hat eine etwas andere Abzielung als anderwärts (Ps. 78, 26 ff.). Sicherlich wird es dort mehr dem Zorne Gottes als seiner Guttätigkeit zugeschrieben, dass eine Menge von Wachteln herbei getrieben ward, damit das Volk sich an Fleisch sättige. Es dient dies dem Volk zum Vorwurf. An unserer Stelle aber fehlt der Hinweis auf seine Undankbarkeit: der Prophet rühmt allein Gottes unermüdliche Freundlichkeit. Höchstens dass sie baten, ließe sich übersetzen: sie „forderten“. So hätte das Volk nicht demütig den Herrn gebeten, sondern in seiner Maßlosigkeit ihm widersprochen und mit ihm gestritten. Es würde dann noch zu höherem Ruhme Gottes dienen, dass er nicht das strenge Recht geltend machte und sogar ihrer sündhaften Begierde nachgab. Da aber der Satz von diesem Verbrechen doch eigentlich schweigt, wollen wir ihn einfach dahin verstehen, dass Gott zur Bekräftigung der einmal geschafften Erlösung seine Wohltaten häufte. Als Himmelsbrot wird das Manna bezeichnet. In natürlicherweise wird die Speise, die uns nährt, von der Erde hervorgebracht: wenn Gott die Juden vom Himmel her sättigte, streckte er seine Hand noch kenntlicher aus. Da aber die Speise zur Erquickung der Hungrigen nicht ausgereicht hätte ohne die Zugabe des Tranks, wird hinzugefügt (V. 41), dass Gott den Felsen öffnete, aus welchem nun Wasser durch die Wüste liefen.

V. 42. Denn er gedachte an sein heiliges Wort. Noch einmal wird der Grund angegeben, weshalb Gott so gütig mit jenem Volk handelte und so freundlich es trug: er wollte sein gegebenes Wort halten; denn er hatte sich dem Abraham verpflichtet, der Gott seines Samens sein zu wollen. Die Propheten haben guten Grund, immer wieder nachdrücklich darauf hinzuweisen, dass der Gnadenbund die Quelle ist, aus welcher die Erlösung und fortgehende Bewahrung des Volkes floss; und eben dadurch ließ sich Gottes Gnade noch besser erkennen, dass nichts plötzlich geschah, sondern der Herr lediglich erfüllte, was er vor vier Jahrhunderten versprochen hatte. Gott leuchtete also mit seinem Wort voran, damit seine Gnade und Wahrheit nicht dunkel bliebe. Darum prägt der Prophet noch einmal ein, dass Gott nicht durch einen neuen Grund zur Erlösung seines Volks veranlasst wurde, sondern dass er seinen Bund treulich durchführte, gleich als wenn jemand einen in der Erde verborgenen Schatz ausgräbt. Ohne Zweifel will der Prophet den Glauben seines Volkes für alle Zukunft stärken: weil Gott damals bezeugt hatte, dass die Wahrheit seines Wortes noch in künftigen Jahrhunderten unantastbar feststeht, durften die Nachkommen gewisslich glauben, dass er nicht anders sich zeigen werde, als ihn die Väter erfahren hatten. Darum heißt Gottes Wort „heilig“, weil es auch nach Abrahams Tode immer seine lebendige Wirkungskraft behielt. Mit Abraham hatte Gott geredet: aber die Kraft des Bundes war nicht zugleich mit diesem Manne gestorben; Gott bewährte sich auch den Nachkommen als wahrhaftig.

V. 43. Also führte er sein Volk aus in Freuden. Dass der Auszug in Freude und Wonne geschah, lässt Gottes Gnade noch größer erscheinen. Denn es war nichts Geringes, dass ein Volk, welches vor kurzem noch traurig seufzte, ja fast entseelt am Boden lag, frisch und fröhlich auszog, während die Ägypter in harter und schrecklicher Weise geschlagen wurden, das ganze Land von Tränen und Jammer, viele Häuser sogar von Totenklage erfüllt waren. Gottes Auserwählte heißen die Israeliten, weil sie wissen sollen, dass sich Gott ihnen nicht wegen ihres Verdienstes oder der Würde ihres Stammes so freundlich erwies, sondern weil er sie zu Kindern angenommen hatte: so bleibt den Menschen nichts von Ruhm, sondern sie sollen lernen, sich allein des Herrn zu rühmen.

44Und gab ihnen die Länder der Heiden, dass sie die Güter der Völker einnahmen, 45auf dass sie halten sollen seine Rechte, und seine Gesetze bewahren. Hallelujah!

V. 44. Und gab ihnen die Länder der Heiden. Der Prophet gibt den Zweck an, für welchen Gott bei der Erlösung des Volkes seine wunderbare Kraft so vielfältig bewies, um dessen willen er nicht aufhörte, es in der Wüste zu hegen und zu schützen, und ihm das gelobte Land zum Besitz gab: sie sollten (V. 45) sich ganz seiner Verehrung weihen und hingeben. Und sicherlich hat Gott uns eben darum auserwählt, weil er auf Erden ein Volk haben will, in welchem er angerufen und verehrt wird. Um übrigens die Juden noch mehr zur Dankbarkeit zu reizen, rühmt der Prophet den Reichtum der Gnadengabe: dass sie die Güter der Völker einnahmen. Was viele Volksstämme durch große Arbeit erworben hatten, empfingen sie wie durch Erbrecht. Denn dass der Prophet in der Mehrzahl sagt: „Güter“ und „Völker“, - dient zur besonderen Ausschmückung der göttlichen Wohltat. Er beschreibt auch kurz die Weise, wie man den Herrn verherrlichen soll: das Volk soll seine Gesetze bewahren. Gottes Gnade mit der Zunge zu rühmen reicht nicht aus; es müssen ernstliche Beweise der Frömmigkeit hinzukommen. Und weil Gott alle selbst gemachte Verehrung verschmäht, kann man ihn allein dadurch recht verehren, dass man seine Gebote hält.

Quelle: Müller, Karl / Menges I. - Johannes Calvins Auslegung der Heiligen Schrift - Psalter

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Der erste unter den Kirchenvätern (gest. 430), der nach schweren Kämpfen und plötzlicher Bekehrung die vergessene Lehre des Paulus von freier Gnade und göttlicher Erwählung wieder vortrug.
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