Calvin, Jean - Das Buch Josua – Kapitel 15.

Calvin, Jean - Das Buch Josua – Kapitel 15.

V. 1. Das Los des Stammes der Kinder Juda usw. Man beginnt denjenigen Teil des Landes zu verlosen, der schon erobert war. Dabei wird Judas Name zuerst ausgelost und empfängt ein durch seine Lage ausgezeichnetes Gebiet mit den besten Weideplätzen und edlen sowie durch ihre Fruchtbarkeit berühmten Weinpflanzungen. Dies alles deutet schon auf die künftige Königswürde. Und wenn zudem in dieser Erhebung Judas sich die Weissagung des Erzvaters Jakob erfüllt (1. Mo. 49, 8 ff.), so ist klar, dass es nicht Zufall war, der das Los so fallen ließ. Es war eine große Fläche, welche für den Stamm Juda ausgelost wurde, und wenn auch später eine Verkleinerung eingetreten ist, so hat er doch stets das weiteste Gebiet beherrscht. – Auf die Beschreibung der Grenzen ausführlich einzugehen, erübrigt sich. Nur über die Stadt (V. 8) des Jebusiters, die später Jerusalem hieß, will ich ein Wort sagen: sie war durch den geheimen Ratschluss Gottes zum Heiligtum erwählt; dort sollte der König herrschen, - und dennoch blieb sie im Besitz der Feinde bis zur Zeit Davids. Dass Gott diesen Ort, auf welchen die Heiligkeit, Herrlichkeit und Zier des ganzen übrigen Landes sich gründen sollte, den Israeliten noch so lange vorenthielt, war ein Zeichen seines Fluches, mit dem er die Trägheit des Volkes strafte. Es war, als fehlte dem Lande noch das Hauptstück seines Schmucks. Anderseits freilich konnte sich Gottes wunderbare Güte im hellsten Lichte zeigen, als die Jebusiter, die in der langen ihnen gegebenen Frist offenbar tiefe Wurzeln geschlagen hatten, endlich von ihrem sicheren Platze verdrängt wurden (2. Sam. 5, 6 ff.).

V. 13. Kaleb aber, dem Sohn Jephunnes usw. Hier wird sowohl Gottes Wahrhaftigkeit gepriesen, als auch Kalebs fromme Zuversicht, mit der er sich auf Gottes Verheißung verließ. Vorwitzige Menschen spotten wohl über Josuas Freigebigkeit, mit der er Feindesland verschenkt: aber Gott hat die Richtigkeit seiner Entscheidung durch die Tat bestätigt. Und Kaleb sah wohl, dass ihm der Zutritt zu seinem Gebiet zurzeit noch verwehrt war, aber er gab sich mit dem bloßen Worte Gottes zufrieden. Es ist ein Kennzeichen rechten Glaubens, dass man auf den Genuss der versprochenen Dinge gerne verzichtet, bis die Zeit kommt. Aus diesem Verse geht hervor, dass Kalebs Berufung auf Moses Namen nicht etwa Betrug und Lüge war: es wird deutlich hervorgehoben, dass Mose tatsächlich auf Gottes Befehl so verfügt hatte.

V. 14. Und Kaleb vertrieb usw. Was hier erzählt wird, geschah erst nach Josuas Tode, wie das Richterbuch (1, 10 ff.) zeigt. Der Schreiber fügt seinem Buche diese Geschichte ein, damit nichts bei dem Lose Judas zweifelhaft oder fraglich bleibe. Zuerst wird erzählt, dass Kaleb nach der Eroberung von Hebron einen Angriff auf Debir oder Kirjath-Sepher machte. Dabei versprach er, den als Schwiegersohn anzunehmen, der zuerst die Stadt betreten würde. Aus dieser eigenartigen Belohnung, durch die er seine Mitstreiter zu kühner Eroberung antreiben wollte, erkennen wir, dass es sich um ein schwieriges Unternehmen handelte. So bestätigt sich auch, was wir schon sahen, dass dem Kaleb mit seinem Besitz, den er erst unter Gefahren erobern musste, eine schwierige Aufgabe gestellt war. Darum verspricht er die Hand seiner Tochter dem, der zuerst die Mauer übersteigt. Der sich dieselbe durch seine Tapferkeit erkämpfte, war (V. 17) Othniel, der Sohn des Kenas, der Bruder Kalebs. Doch wird diese in unserem geläufigen Text überlieferte Lesart verändert werden müssen: „der Sohn des Kenas, des Bruders Kalebs.“ Sonst hätte ja Othniel seine Nichte zur Ehe genommen, was durch das Gesetz verwehrt war. Doch erhebt sich hier die Frage: Wie durfte Kaleb es wagen, über seine Tochter also zu verfügen, bevor er ihrer Einwilligung gewiss war? Gewiss ist es der Eltern Aufgabe, ihre Töchter unterzubringen; dennoch ist ihnen keine tyrannische Herrschaft über sie gestattet, durch die sie, ohne zu fragen, ihre Töchter dem ersten besten Mann zusprechen könnten. Alle Bundesschließungen müssen freiwillig zustande kommen; vor allem aber bei der Eheschließung muss Freiheit herrschen: niemand soll ohne seinen Willen gebunden werden. Wahrscheinlich brauchte aber Kaleb an der Einwilligung seiner Tochter nicht zu zweifeln, weil solch ehrenvoller Antrag kaum abgewiesen werden konnte. Als Gatte wurde ihr eben nicht ein beliebiger Mann aus dem Volkshaufen gegeben, sondern einer, der durch kriegerische Tüchtigkeit alle anderen übertraf. Sicherlich hat Gott den Wunsch Kalebs erhört und ihm einen Schwiegersohn nach seinem Herzen zugeführt. Denn wenn in anderer Weise ihm die Wahl freigestanden hätte, so würde er wohl keinen anderen lieber gewählt haben.

V. 18. Und es begab sich, da sie einzog usw. Man darf wohl annehmen, dass Achsa ein Mädchen von guter Erziehung und vortrefflichen Sitten war, da ihre Hand als einzigartiger Siegespreis versprochen wurde. Doch wird hier ihre hässliche, überaus große Habsucht aufgedeckt. Sie wusste, dass die Weiber nach Gottes Gesetz von dem Erbbesitz ausgeschlossen waren; nichtsdestoweniger verlangt sie danach und reizt ihren Gatten durch unbillige Forderung. So lassen ehrgeizige und habgierige Weiber nicht ab, ihren Männern lästig zu werden, bis sie sie dazu bringen, dass sie alle Scheu, Bescheidenheit und Billigkeit vergessen. Denn wenn auch die Habsucht der Männer unersättlich ist, so werden doch die Weiber noch viel heftiger davon getrieben. Darum müssen sich die Männer davor hüten, ihre ungestümen Wünsche wie mit Fächern anzufachen. Größer noch wird Achsas Übermut, als sie durch die Zustimmung des Gatten und die Nachgiebigkeit des Vaters kühn gemacht wird. Noch nicht zufrieden mit dem ihr geschenkten Acker, verlangt sie noch ein Gebiet mit Wasserquellen. Wer einmal die Grenze rechter Bescheidenheit überschritten hat, wird immer tiefer in Unverschämtheit hineingerissen. Des Vaters Liebe schlägt ihr freilich auch diese Bitte nicht ab; trotzdem bleibt die schändliche Begierde nach Gewinn hassenswert, weil sie den Sinn verblendet und ein rechtes Urteil unmöglich macht. – Dass Achsa vom Esel stieg, wäre buchstäblich zu übersetzen: sie glitt oder fiel vom Esel. Das deuten manche Ausleger als eine erheuchelte Ohnmacht, mit der sie ihre Traurigkeit besonders eindrücklich machen wollte. Aber sie wird einfach abgestiegen sein, ihren Vater fußfällig zu bitten. Wie dem aber auch sei: jedenfalls hat sie durch List und Schmeicheln sich ein fremdes Recht verschafft, sodass der Anteil ihrer Brüder nun so viel verkleinert wurde.

V. 20. Dies ist das Erbteil des Stammes der Kinder Juda. Vorher waren schon die Grenzen dieses Gebietes angegeben; jetzt wird seine Größe und sein Umfang auf andere Weise gezeigt, damit Gottes Freigebigkeit desto heller erstrahle. Es werden 113 Städte aufgezählt und mit zugehörigen Dörfern und Flecken. Diese Zahl lässt nicht nur einen Schluss auf die Dichtigkeit der Bevölkerung zu, sondern vor allem auf die Fruchtbarkeit des Landes. Gottes Segen hatte diese Fülle hervorgerufen, weil er seine Gnade schon in der Natur des Landes zeigen wollte, das er mit allem seinem Reichtum für sein Volk bestimmt hatte. Der Kopfzahl nach hätte schon die Hälfte der Ortschaften zur Wohnung genügt. Kurz darauf wird ja wieder ein Teil abgetrennt und dem Stamme Simeon gegeben. Die von Jakob (1. Mo. 49, 7) vorausgesagte Zerstreuung dieses Stammes war so groß, dass die Nachkommen Simeons sozusagen auf fremdem Boden wohnen mussten. So wurden sie auch von den Kindern Juda als Gäste aufgenommen.

V. 63. Die Jebusiter aber usw. Dieser Vers dient nicht zur Entschuldigung des Volkes. Denn wenn sie sich mannhaft darangemacht hätten, und der Erfolg wäre dann ausgeblieben, dann würde die Schmach auf Gott zurückfallen. Der hatte ja versprochen, er werde allezeit ihr Führer sein, bis er ihnen ein von den Feinden gesäubertes Land überliefern könnte; er werde Hornissen senden, welche die Einwohner vertilgen sollten (5. Mo. 7, 20). Nur infolge ihrer Feigheit wurde die Stadt Jerusalem nicht erobert. Ihre eigene Schlaffheit war das Hindernis: denn ihrer Neigung zur Ruhe hatten sie Gottes Gebot vergessen. Wir können hier lernen, dass man seine Kräfte unverdrossen gebrauchen soll, wenn es sich darum handelt, Gottes Befehle auszuführen. Sonst geht die Gelegenheit vorüber, und die offene Tür schließt sich wieder, während wir zögern. Ein vorübergehendes Ausruhen hätten keinen Tadel verdient: aber um der langanhaltenden Verweichlichung willen musste sich Gottes Segen gleichsam zurückziehen.

Cookies helfen bei der Bereitstellung von Inhalten. Diese Website verwendet Cookies. Mit der Nutzung der Website erklären Sie sich damit einverstanden, dass Cookies auf Ihrem Computer gespeichert werden. Außerdem bestätigen Sie, dass Sie unsere Datenschutzerklärung gelesen und verstanden haben. Wenn Sie nicht einverstanden sind, verlassen Sie die Website.Weitere Information
autoren/c/calvin/calvin-josua/calvin-josua_-_kapitel_15.txt · Zuletzt geändert: von 127.0.0.1
Public Domain Falls nicht anders bezeichnet, ist der Inhalt dieses Wikis unter der folgenden Lizenz veröffentlicht: Public Domain