Calvin, Jean - Der Prophet Jesaja - Kapitel 53.

Calvin, Jean - Der Prophet Jesaja - Kapitel 53.

Die Kapiteleinteilung ist falsch, sie hätte bereits nach 52, 12 gemacht werden müssen.

V. 1. Aber wer glaubt unserer Predigt? Dieser Satz bezeichnet ein Anhalten in einem schon zuvor (52, 13) begonnenen Gedankenzuge. Nachdem nämlich der Prophet darlegte, dass Christi Name überall verkündigt und sogar den unwissenden Heiden kundgetan werden müsse, nachdem er insbesondere von seiner zuvor eintretenden Erniedrigung so Unbegreifliches sagte, bricht er seine Rede ab mit dem Ausruf: Niemand wird es glauben! Zugleich drückt er seinen Schmerz darüber aus, dass die Menschen so ungläubig sind und ihr Heil verwerfen. Das ist eine fromme Klage im Munde dessen, der Christum allen bekannt machen möchte und nun sehen muss, wie so wenige der guten Botschaft glauben. Deshalb ruft er aufseufzend aus: Wer glaubt unsrer Predigt? Wir wollen mit dem Propheten seufzen und klagen und es als ein Kreuz empfinden, wenn wir sehen, dass unsere Arbeit so wenig Frucht schafft, und wir wollen unsere Klage vor Gott bringen. Solche Stimmung ziemt frommen Predigern, die ihr Werk treulich ausrichten wollen. Jesaja erklärt also, dass nur wenige sich dem Evangelium von Christo hingeben werden. Der Ausruf: Wer glaubt der Predigt? – will etwa sagen, dass von hundert Hörern des Evangeliums kaum einer zum Glauben kommen werde. Der Prophet spricht auch nicht allein von sich, sondern im Namen aller Prediger. Wenn also Gott auch eine Anzahl Diener am Wort gibt, so werden doch wenige ihrer Verkündigung sich hingeben; was wird es erst sein, wenn diese Diener fehlen? Soll man sich da über die größte Blindheit noch wundern? Wenn der sorgfältig bearbeitete Boden gar wenig Frucht bringt, was wird von dem rohen und unfruchtbaren zu erwarten sein? Doch verliert darum Christi Evangelium nichts, weil nur wenig Jünger da sind, und ihre geringe Zahl mindert seine Gültigkeit nicht, verdunkelt nicht den überirdischen Glanz; es ist eben die Erhabenheit des Geheimnisses, die es macht, dass es so wenig Glauben in der Welt findet. Eben darum ist es Torheit, weil es alles menschliche Verstehen überragt. Ganz klar zeigt das zweite Versglied, warum es so wenig Gläubige geben wird, nämlich weil niemand ohne besondere Offenbarung des Geistes zu Gott kommen kann: Wem wird der Arm des Herrn offenbart? Der Scharfsinn des natürlichen Verstandes reicht nicht aus, den Glauben zu erlangen. Die Stelle ist berühmt und wird in diesem Sinn von Johannes und Paulus angeführt. Johannes sagt (12, 37 f.): „Ob er wohl solche Zeichen vor ihnen getan hatte, glaubten sie doch nicht an ihn; auf dass erfüllt würde der Spruch des Propheten Jesaja, den er sagte: „Herr, wer glaubt usw.“ – Bei Paulus lesen wir (Röm. 10, 16): „Aber wer glaubt usw.“ Beide Apostel erinnern daran, dass es nicht wunderbar ist, wenn das lange zuvor Verkündigte eintrifft; sie wollen damit den Anstoß heben, den man aus dem Abfall dieses Volkes herleitet, das Christo hartnäckig widerstand, als es ihn hätte anerkennen müssen. Jesaja tadelt ja nicht nur seine Zeitgenossen, sondern alle Späteren auch bis ans Ende der Welt. Sein Wort wird sich erfüllen müssen, so lange Christi Reich dauert. Darum sollen die Gläubigen durch dies Zeugnis gegen ein solches Ärgernis sich wappnen lassen. Diese Wort stehen der Ansicht entgegen, als ob es jedermanns Sache wäre, zu glauben, weil allen das Evangelium verkündigt wird. Obwohl gewiss alle zum Heil gerufen werden, betont doch der Prophet, dass die äußerliche Einladung wirkungslos bleibt, wenn nicht die besondere Geistesgabe hinzutritt. Woher aber der Unterschied, wenn nicht aus der geheimen Erwählung Gottes, deren Grund in ihm verborgen ist?

V. 2. Er schoss auf vor ihm wie ein Reis. Dieser Satz blickt auf das zurück, was wir hörten, dass Christus anfänglich kein glänzendes Ansehen bei den Menschen haben werde, vor Gott aber nichtsdestoweniger aufs höchste erhöht und wert gehalten ist. Daraus erkennen wir, dass dem menschlichen Blick kein Urteil über die Ehre zusteht, die Christo zukommt, sondern wir müssen im Glauben uns aneignen, was die heiligen Schriften über ihn lehren. Das „vor ihm“ steht also im Gegensatz zu dem menschlichen Wahrnehmungsvermögen, das Christi Erhabenheit nicht fassen kann. Fast dasselbe Bild wurde im 11. Kapitel gebraucht: „Es wird eine Rute aufgehen von dem Stamme Isais.“ Denn das Haus David bot das Bild eines dürren Stammes, ohne Kraft und ohne Ansehen. Darum wird dort nicht das königliche Haus genannt, sondern Isai, dessen Name an sich schon weniger bekannt war. Neu ist an unserer Stelle nur der Zusatz, dass die Wurzel „aus dürrem Erdreich“ aufschießt. Christus nimmt also die Kraft zum Aufwachsen nicht wie die Bäume aus der Feuchtigkeit des Erdbodens, sondern empfängt sie in einer übernatürlichen Weise. Aber eine Beziehung auf die jungfräuliche Geburt liegt hier nicht vor, denn es ist nicht von der Geburt Christi, sondern von seinem ganzen Königtum die Rede. Der Verfasser sagt, Christus werde einem Reise ähnlich sein, das aus dürrem Boden aufsprießt, weil es den Anschein hat, dass es sich nie zu seiner natürlichen Größe auswachsen werde. Die Erfüllung der Weissagung entspricht diesem Bilde: die ganze Art der Errichtung des Reichs, die Gehilfen bei diesem Werk, die Geringfügigkeit des Anfangs, die Menge der Gegner. Wer waren denn die Apostel, die berufen wurden, so viele Könige und Völker mit dem Schwert des Wortes zu unterwerfen? Kann man sie nicht mit Recht schwanken Reisern vergleichen? Also zeigt der Prophet, auf welche Weise das Reich Christi errichtet und befestigt werden soll, damit wir nicht mit menschlichem Maße messen. Dass Christus keine Gestalt noch Schöne hat, darf man auch nicht allein auf die Person Christi beziehen, welche der Welt verächtlich vorkommt (Luk. 23, 11) und schließlich zu schimpflichem Tode verurteilt wird, sondern auf sein ganzes Reich, das in der Menschen Augen weder Gestalt noch Schönheit und Pracht besaß, überhaupt nichts, wodurch es die Augen der Menschen angezogen hätte. Selbst Christi Auferstehung machte auf die Juden keinen Eindruck, sie verachteten den „Gehenkten“.

V. 3. Er war der Allerverachtetste. Auch dieser Vers verfolgt noch den gleichen Gedanken: Christus wird von den Menschen verworfen, weil an ihm nur Schmerz und Schwäche zu sehen ist. Dies musste den Juden fest eingeprägt werden, damit sie nicht eine falsche Meinung von dem Christus und seinem Reiche fassten. Denn um seine Herrlichkeit zu erkennen, muss man von seinem Tode, als ob er dadurch besiegt und vernichtet wäre; aber seine Macht und Herrlichkeit muss an seiner Auferstehung erkannt werden. Wer dagegen zunächst auf den Auferstandenen sieht, folgt nicht der vom Propheten vorgeschriebenen Ordnung und wird die Kraft und die Macht des Herrn nicht erfassen.

Darum haben wir ihn nichts geachtet. Mit gutem Grund bedient sich die Rede der ersten Person: so wird klar, dass man ganz allgemein in dieser Weise urteilen wird. Bei bloß menschlichem Nachdenken wird eben niemand einen anderen Eindruck gewinnen. Nur Gottes Geist kann ein anderes und besseres Urteil eingeben. Trifft dies auch in erster Linie die Juden, die am wenigsten den verheißenen und gegebenen Sohn Gottes so verachten durften, und stellt sich also auch der Prophet in ihre Reihe, weil er ein Glied dieses Volkes war, so geht es doch auch uns an; auch unsere wie aller Menschen Undankbarkeit, die sich in der Verachtung Christi zeigt, wird hier aufgedeckt und verurteilt: dass man ihn nicht einmal des Anblicks wert achtet, sondern seine Augen von ihm wie von einer widerwärtigen Sache abwendet.

V. 4. Fürwahr, Er trug unsere Krankheit. Durch das „Fürwahr“ wird noch eine Steigerung in diese Betrachtung hineingebracht. Denn es ist sozusagen etwas Ungeheuerliches, dass er so preisgegeben und verworfen wird, dem doch Gott die höchste Gewalt über alles gegeben hat; darin liegt ein von jedermann empfundener Widerspruch, und es muss ein Grund dafür angegeben werden. Und hier ist er: Christus trug, da er schwach ward und Schmerzen und Schande litt, unsere Krankheit. Matthäus (8, 17) führt diese Weissagung an, wo er von der Heilung vielfacher Krankheiten durch Christus berichtet hat, obwohl er doch sicherlich zur Heilung der Seele und nicht so sehr des Leibes gekommen war; der Prophet redet von geistlichen Schmerzen. Aber in den wunderbaren, leiblichen Heilungen gab Christus Zeichen des Heils, das er unserer Seele bringt. Also überträgt Matthäus auf das Zeichen, was der so viel wichtigeren Sache selbst zukommt. – In der zweiten Vershälfte zeigt der Prophet, wie groß die schändliche Undankbarkeit des Volkes war, das nicht erkannte, warum Christus so leiden musste, sondern man hielt dafür, dass er wegen seiner eigenen Verbrechen von Gott geschlagen wäre, obgleich seine völlige Unschuld bekannt war, - gab doch der Richter selbst ihr Zeugnis. Wenn man also einsah, dass ein Unschuldiger Strafe litt für Untaten, die er nicht begangen hatte, warum kam man nicht darauf, dass in ihm etwas Außerordentliches offenbart sei? Sie sehen ihn zerschlagen und verworfen, fragen nicht nach der Ursache, aber nach Toren Art urteilen sie lediglich nach dem sichtbaren Ausgang. Also klagt Jesaja über das verkehrte Urteil der Menschen, die den Grund des schweren Leidens Christi nicht erkennen; besonders beklagt er aber die Stumpfheit seines Volkes, das Gott für den erbitterten Feind Christi ansah, seine eigenen Verbrechen aber nicht in Betracht zog, die so gesühnt werden mussten.

V. 5. Aber er ist um unserer Missetat willen verwundet. Nochmals nennt der Verfasser die Ursache der Leiden Christi, um jedem Ärgernis zu begegnen, das daraus entstehen könnte. Denn viele hält der Anblick des Kreuzes von Christo fern, da sie auf das sehen, was vor Augen ist, und nicht auf den Grund der Sache gehen. Jeder Anstoß wird da gehoben, sobald wir einsehen, dass durch den Tod Christi unsere Sünden gesühnt sind und unser Heil beschafft ist.

Die Strafe liegt auf ihm, auf dass wir Frieden hätten. Buchstäblich: „die Züchtigung unseres Friedens“, d. h. die zu unserem Frieden diente, lag auf ihm. Darunter verstehen manche Ausleger den Frieden des Gewissens: Christus musste leiden, um uns ein ruhiges Gewissen zu schaffen, wie auch Paulus sagt (Röm. 5, 1), dass wir Frieden mit Gott haben, nachdem wir durch den Glauben gerecht geworden. Ich möchte einfach an die Versöhnung denken. Christus war der Preis, der zur Abwehr der von uns verdienten Züchtigung gezahlt wurde. So wurde der Zorn Gottes gestillt, der mit Recht gegen uns entbrannt war. Friede wurde geschlossen durch den Mittler, sodass wir umsonst mit Gott versöhnt werden, weil Christus den Preis unseres Friedens bezahlte. Zwar bekennt man dies auch bei den Papisten, aber dann beschränkt man diese Lehre auf die Erbsünde, als ob es nach der Taufe keinen Raum für die Versöhnung aus Gnaden mehr gäbe, sondern der Mensch durch Verdienste der Heiligen und eigene Werke Gott genugtun müsse. Doch handelt der Prophet hier keineswegs nur von einem Teil der Erlösung, sondern bezieht sie auf das ganze Leben. Darum kann seine Lehre ohne Versündigung nicht eingeengt oder auf eine bestimmte Zeit beschränkt werden. Von hier aus ist es leicht, die von den Römischen erfundene Unterscheidung zwischen dem Erlass der Strafe und der Schuld zu beseitigen: die Strafe, meinen sie, soll nur erlassen werden, wenn an ihre Stelle eine Genugtuung unserseits tritt. Dagegen lehrt offenbar der Prophet, dass die Strafe für unsere Sünden auf Christus gelegt worden ist.

Und durch seine Wunden sind wir geheilt. Wieder ruft er uns zu Christus zurück: wir sollen unsere Zuflucht zu seinen Wunden nehmen, um unser Leben wiederherzustellen. Denn hier stellt er ihn uns gegenüber: bei uns ist nur Verderben und Tod zu finden, bei Christus allein Leben und Heil. Er allein hat für uns Arznei; ja, Gesundung erwarb er uns durch seine Schwachheit, wie durch seinen Tod das Leben, weil er allein des Vaters Zorn trug, er allein mit ihm uns versöhnte. Hier wäre der Ort, von den Früchten des Leidens Christi zu reden, wenn ich zu predigen, nicht nur zu erklären hätte. Darum will ich mich mit der Erklärung begnügen. Aber jeder mag aus dieser Stelle Trost schöpfen und das Ergebnis dieser Lehre auf seine persönlichen Verhältnisse anwenden. Denn die Worte des Propheten sind nicht nur eine öffentliche Ansprache für die Gesamtheit, sondern auch für jeden einzelnen bestimmt.

V. 6. Wir gingen alle in der Irre. Um die Wohltat des Todes Christi dem Menschenherzen besser einzuprägen, zeigt der Verfasser, wie nötig die vorher erwähnte Heilung sei. Ist uns unser Elend und unser Verhängnis nicht völlig klar, so werden wir ja nicht erkennen, wie sehr wir nach dem uns von Christus beschafften Heilmittel zu trachten haben, und werden niemals mit dem brennenden Verlangen zu ihm kommen, das hier am Platze ist. Wenn wir aber einsehen, dass wir verloren sind, wird dieses Bewusstsein unseres Elends uns treiben, mit Eifer das Heilmittel anzunehmen, das uns sonst wertlos scheint. Damit wir also an Christus Geschmack bekommen, muss jeder auf sich selbst achten und sich prüfen; dann wird er einsehen, dass er verloren ist, bis Christus ihn findet. Hier ist niemand ausgenommen, das Wort des Propheten trifft alle; das ganze Menschengeschlecht ging zu Grunde, hätte Christus nicht Hilfe gebracht. Ja, er nimmt auch die Juden nicht aus, die sich mit einer falschen Einbildung von Erhabenheit trugen, sondern spricht ihnen ebenso wie den anderen das Verderben zu. Dass wir wie Schafe sind, wird nicht gesagt, um unsere Schuld gering und nur wie einen unschuldigen Irrtum erscheinen zu lassen. Vielmehr soll dadurch umso klarer werden, dass es Christi eigenstes Werk war, solche Menschen aus der Zerstreuung zu sammeln, die den unvernünftigen Tieren glichen. Dass „ein jeglicher“ auf seinen Weg sah, führt die Rede aus der umfassenden Allgemeinheit auf die persönliche Anwendung hinüber: jeder einzelne soll bei sich bedenken, ob es nicht wirklich so ist. Denn ein allgemeiner Satz berührt uns viel weniger als eine Rede, von der jeder merkt, dass sie ihn persönlich angeht. So möge denn ein jeder sein eigenes Gewissen erwecken und sich selbst vor Gottes Richtstuhl stellen, damit er sein Elend erkenne. Was die „Irre“ bedeutet, sagt der Prophet jetzt deutlich: jeder geht den Weg, den er sich selbst gesucht hat, lebt nach seiner eigenen Einsicht. Damit ist ausgedrückt, dass es für uns nur einen rechten Lebensweg gibt; wer davon abweicht, geht notwendigerweise „in der Irre“. Hier ist nicht von einzelnen Werken die Rede, sondern von unserer Natur selbst, die uns immer irreführt. Könnten wir, geleitet vom natürlichen Trieb oder von unserer Klugheit, uns selbst vom Irrtum befreien, so wäre Christus nicht nötig. Wir haben uns also alle aus eigener Schuld selbst zu Grunde gerichtet, Christus allein rettet uns. Und je mehr wir uns auf unsere Klugheit und eigenes Tun verlassen, desto mehr und desto schneller ziehen wir uns das Verderben zu. Daher zeigt der Prophet, was für Leute wir sind, bevor wir durch Christus erneuert werden. Alle sind unter der gleichen Verdammnis, denn niemand ist gerecht, niemand ist verständig, da ist keiner, der nach Gott fragt. Sie sind alle abgewichen und untüchtig geworden; da ist nicht, der Gutes tut, auch nicht einer – wie des Weiteren von Paulus auseinandergesetzt wird (Röm. 3, 10).

Aber der Herr warf unser aller Sünde auf ihn. Ein feiner Gegensatz! Aus uns selbst stammt die Zerstreuung, in Christus besteht die Sammlung; wir gehen von Natur in der Irre und eilen unserem Verderben zu, in Christus finden wir den Weg, der uns zum sicheren Hafen bringt; uns vernichten unsere Sünden, aber sie werden auf Christus gelegt, der uns entlastet. Da wir also dem Verderben geweiht waren und, los von Gott, der Hölle zueilten, nahm Christus den ganzen Haufen unserer Sünden auf sich, um uns vom ewigen Verderben zu befreien. Dabei müssen wir lediglich daran denken, dass er Schuldverhaft und Strafe auf sich nahm: denn von der Schuld selbst war er durchaus frei. Darum erwäge ein jeder bei sich sorgfältig seine eigenen Sünden, damit er wirklich die Erfahrung solcher Gnade machen und die Frucht des Todes Christi empfangen könne.

V. 7. Da er gestraft und gemartert ward usw. Hier wird der Gehorsam gepriesen, den Christus im Erdulden des Todes leistet. Hätte er sich nicht freiwillig der Todesstrafe unterzogen, so wäre ja unser Ungehorsam nicht ausgeglichen worden (Röm. 5, 19; Phil. 2, 8). Das war auch die Ursache seines Schweigens vor dem Richtstuhl des Pilatus, obgleich er sich zur Genüge hätte verteidigen können. Denn weil er sich an unserer statt in den Zustand des Angeklagten hatte versetzen lassen, wollte er schweigend das Urteil hinnehmen, um es uns zu ermöglichen, laut die Glaubensgerechtigkeit zu rühmen, die uns umsonst zuteil ward. Gleichzeitig aber werden wir hier zur Geduld und Sanftmut ermahnt, damit wir lernen, bereitwillig Schmähungen und blutige Beleidigungen, ja Misshandlungen und Qualen zu ertragen. In diesem Sinn wird diese Stelle bei Petrus (1. Petr. 2, 21) angeführt. Die Ausdrücke „Lamm“ und „Schaf“ enthalten vielleicht eine Anspielung auf die Opfer unter dem Gesetz, wie denn Christus auch sonst (Joh. 1, 29) das Lamm Gottes genannt wird.

V. 8. Er ist aber aus der Haft und Gericht genommen . Der Satz wird sehr verschieden wiedergegeben. Viele Ausleger verstehen ihn als Fortsetzung des schon ausgesprochenen Gedankens, dass Christus um unserer Sünden willen durch Gottes Hand gebeugt und geschlagen worden sei. Man übersetzt dann etwa, dass er nach der Verhaftung und Verurteilung auch noch genommen und zum Kreuz geschleppt wurde. Ich glaube vielmehr, dass sich der Prophet nunmehr zur glorreichen Auferstehung wendet, nachdem er zuvor von Christi Tod gehandelt hat. Er wollte Bedenken entgegen treten, die vieler Sinne verwirren und ängstlich machen konnten. Denn wir nichts als Wunden und Schande sehen, so macht uns das bestürzt, weil die menschliche Natur bei solchem Anblick erschrickt. Also lehrt der Prophet, Christus sei aus dem Gefängnis entnommen, dem Gericht und der Verurteilung entrissen, und endlich zur höchsten Stufe der Ehre erhoben worden. Es soll also niemand meinen, er sei durch jene schrecklich und schändliche Todesart vernichtet. Denn es ist ja kein Zweifel, dass er mitten im Tode Sieger blieb und über seine Feinde triumphierte; er erstand ja gewiss als Sieger mitten im Tode und triumphierte über seine Feinde, und seine Verurteilung hat den Erfolg, dass er nun als Richter über alle eingesetzt ist, wofür seine Auferstehung der offensichtliche Beweis ist. Der Prophet hält also die gleiche Ordnung inne wie Paulus, der da sagt (Phil. 2, 8 ff.), dass Christus bis zum Tode am Kreuz erniedrigt und dann erhöht ward und einen Namen empfing, vor dem alles sich beugen muss.

Wer will seines Lebens Länge ausreden? Dieser Satz wird sehr verschieden gedeutet. Ich beziehe ihn darauf, dass Christus nicht bloß den Ängsten entnommen werden, sondern auch ein bleibendes und ewiges Leben empfangen soll. Es soll mit ihm ganz anders gehen wie mit einem Menschen, der zwar einmal vom Tode gerettet wird, danach aber doch sterben muss. Christus erstand, um ewig zu leben, denn er kann fortan nicht sterben (Röm. 6, 9): „Der Tod wird hinfort über ihn nicht herrschen.“ Wir müssen uns aber vergegenwärtigen, dass der Prophet nicht nur von der Person Christi redet, sondern den ganzen Leib seiner Gemeinde mit umspannt, der ja nicht von ihm getrennt werden kann. Da haben wir also ein sehr deutliches Zeugnis von der beständigen Dauer der Kirche: wie Christus ewig lebt, so wird er nicht zugeben, dass sein Reich untergeht. Endlich ist auch seine Unsterblichkeit auf die einzelnen Glieder mit zu beziehen.

Da er um die Missetat meines Volkes geplagt war. Auf den ersten Anblick könnte es als eine Torheit erscheinen, dass Christi Tod Ursache und Quell unseres Leben sein soll: aber da er unserer Sünden Strafe trug, fällt auf uns, was von Schmach am Kreuze haftet. Dabei leuchtet Gottes wunderbare Güte in Christo, die uns seine Herrlichkeit in hellem Lichte erscheinen lässt, sodass wir uns zu seiner Bewunderung hingerissen fühlen sollten. Unser Satz prägt auch noch einmal ein, dass Christi Plage durch die Missetat des Volkes veranlasst war. Wir sollen also fleißig erwägen, dass Christus nicht um seinetwillen, sondern um unsertwillen gelitten hat. Denn er trug die Strafen, die wir hätten erdulden müssen, wenn diese Sühne nicht eingetreten wäre. Wir müssen die Schuld als unsere anerkennen, wofür er Urteil und Strafe trug; und er stellte sich selbst als Opfer vor dem Vater dar, als unser Vertreter, damit wir durch seine Verdammung frei würden.

V. 9. Und er ließ den Gottlosen zu, ihn ins Grab zu bringen usw. Genauer: „Er überließ Gottlosen sein Grab und Reichen seinen Tod.“ Doch wird der Satz sehr verschieden übersetzt. Viele denken an Jesu Bestattung durch Joseph von Arimathia, weil buchstäblich nur von einem Reichen die Rede ist. Aber das ist gezwungen. Die Einzahl ist, wie dies im Hebräischen oft geschieht, statt der Mehrzahl gesetzt. Und unter den Reichen sind dieselben Leute zu verstehen, die vorher als „Gottlose“ bezeichnet wurden, - wie denn Reichtum die Menschen oft hochfahrend, frech und gewalttätig macht. Der Prophet will sagen, dass Christus den Schmähungen, der Frechheit und der Willkür der Gottlosen preisgegeben werden wird. Auf der einen Seite gehen Pharisäer und Priester mit zügelloser Wut und frechen Lästerungen gegen ihn vor, auf der anderen fordert das aufgeregte Volk mit andauerndem Geschrei seinen Tod. Da verurteilt ihn der ungerechte Richter, der doch seine Unschuld anerkennt, dort führen vertierte römische Söldner das grausame und gottlose Urteil grausam und gottlos aus. Wer müsste nicht urteilen, dass Christus unter diesen verbrecherischen, blutbefleckten Händen förmlich „begraben“ worden ist? Darum verstehe ich den Hinweis auf das „Grab“ hier bildlich, da die „Gottlosen“ und „Gewalttätigen“ ihn sozusagen begraben haben. Man wende nicht ein, dass Christus doch ehrenvoll bestattet worden sei. Dies ehrenvolle Begräbnis deute ich als die Einleitung zur herrlichen Auferstehung; hier aber ist von dem Tode die Rede, wofür das Wort „Begräbnis“ oft verwandt wird. Doch lasse ich einem jeden seine Meinung.

Wiewohl er niemand Unrecht getan hat. Hier betont der Prophet Christi Unschuld, nicht gerade, um seine Ehre zu retten, sondern um die Frucht seines Todes hervorzuheben, damit wir nicht etwa meinen, er sei vergeblich gestorben. Unschuldig erlitt er Gottes Strafurteil, nicht seinetwegen, sondern unsertwegen. Die vollkommene Unschuld Christi wird mit zwei Worten dargetan: er hat sich weder durch die Tat noch durchs Wort in irgendeiner Sache verfehlt, was anerkanntermaßen von keinem Sterblichen sonst gesagt werden kann; es passt allein auf Christus.

V. 10. Aber der Herr wollte ihn also zerschlagen usw. Hier wird vollends deutlich, warum der Prophet so ausführlich von Christi Unschuld redet. Wir sollen die Ursache erkennen, deren Wirkung uns angeht. Nicht grundlos ist Gottes Urteil, sondern Christi Todesurteil ist wohl begründet. Es gilt, auf das Widerspiel des Gedankens zu achten: An Christus fand sich keine Schuld. Warum also ließ Gott ihn leiden? Weil er an unserer statt stand und allein durch seinen Tod dem Gericht Gottes selbst Genüge geleistet werden konnte. – Beim Schuldopfer wurde ein Tier dargebracht, welches die Strafe und den Fluch der Sünde tragen und dieselbe dadurch sühnen sollte. Dies brachten die Priester dadurch zum Ausdruck, dass sie dem Opfertier die Hände auflegten: so wurden auf dasselbe gleichsam die Sünden des ganzen Volkes übertragen. Wenn aber ein Privatmann ein Sündopfer brachte, legte auch er die Hand mit auf, als schöbe er seine Sünde dem Opfertier zu. So wurde Christus mit unseren Sünden behaftet, um allein den Fluch zu tragen (Gal. 3, 13; 2. Kor. 5, 21; Röm. 8, 3). Mit diesem Worte soll also hier die Frucht des Todes Christi ausgedrückt werden: durch seine Opferung sind die Sünden gesühnt, Gott ist mit den Menschen versöhnt. So kann also die Versöhnung nur in Christo gefunden werden. Wir sind schuldig vor Gott, dem Fluch verfallen, können nur zu ihm zurück, wenn unsere Schuld und Sünde weggenommen wird. Dies kann nicht durch Sühnmittel geschehen, die wir selbst ersinnen; so kommt es zum Tode Christi, weil Gott dem Herrn anders nicht genug getan werden konnte. Jesaja lehrt, dass wir nur dann von unseren Sünden loskommen, wenn wir unsere Zuflucht zu Christi Tod nehmen. Jeder Anstoß, den wir hieran nehmen möchten, wird dann vermieden, wenn wir uns selbst mit ganzem Ernst prüfen, die Größe unserer Schuld und die ganze Schwere des göttlichen Urteils ins Auge fassen, um die unschätzbare Gnade Gottes, die in der Hingabe Christi liegt, zu erschauen.

So wird er Samen haben usw. Christi Tod ist nicht nur kein Hindernis für ihn, Samen zu haben, sondern eben das Mittel dazu; denn er bereitet sich ein Volk, indem er die Toten lebendig macht und dasselbe immer weiter ausbreitet. Sind doch alle Gläubigen sein Same, weil sie von ihm herstammen, ob sie schon sonst seine Brüder heißen. Des Weiteren kann Christi Tod nicht verhindern, dass er in die Länge leben wird. Andere, die aus dem Leben scheiden, hinterlassen Kinder, in denen allein ihr Name fortlebt, während Christus seiner Kinder genießt in einem unvergänglichen Leben: denn er ist das Haupt, sie sind die Glieder.

Des Herrn Vornehmen wird durch seine Hand fortgehen. „Hand“ steht oft für Dienst. So heißt es, dass der Herr durch Moses Hand das Gesetz gibt, oder durch Davids Hand etwas tut, indem er ihn als Diener gebraucht. So geht auch des Herrn Vornehmen durch Christi Hand fort, d. h. er wird bewirken, dass Christi Dienst ihm Frucht bringt, damit es nicht umsonst sei, dass er ihn so dahingegeben hat. Mit wenigen Worten ist hier Unermessliches gesagt. Das Vornehmen des Herrn umschließt zunächst, dass er seinen Sohn hingab, uns vom Tode zu befreien, sodann, dass er nicht zulässt, dass sein Tod umsonst und nutzlos sei, sondern ihm überreiche Frucht sichert. Denn für uns wäre Christi Tod nutzlos, würden wir nicht bei uns selbst seine Frucht und Wirksamkeit wahrnehmen.

V. 11. Darum dass seine Seele usw. Der Prophet fährt in demselben Gedankengang fort. Nachdem Christus gelitten hat, wird er an der Errettung der Menschen die Frucht seines Todes sehen und schmecken. Das ist voll lieblichsten Trostes für uns; besser konnte der Prophet die große Liebe Christi zu uns nicht ausdrücken, als indem er sagte, Christus werde allein durch unser Heil erfreut und habe daran sein Genügen wie einer, der seines Herzens Wünsche sich erfüllen sieht; denn „die Fülle haben“ wird nur, der erlangte, was er einzig wünschte, worin er unter Absehen von allem anderen seine Befriedigung findet. Dann zeigt der Prophet Art und Weise, wie wir die Kraft und Wirksamkeit des Todes Christi erfahren und seine Frucht empfangen, nämlich durch seine Erkenntnis. Mag man dabei an die Erkenntnis denken, welche Christus besitzt und vermittelt, oder an die Erkenntnis, die man von ihm haben kann, in jedem Falle ist das Ergebnis, dass wir an Christus den Lehrer und Urheber der Gerechtigkeit besitzen: er wird viele gerecht machen. Also werden die Menschen in der Schule Christi nicht nur darüber belehrt, was gerecht ist, sondern sie werden dort tatsächlich gerecht. Das ist nun der Unterschied zwischen der Gerechtigkeit des Glaubens und der des Gesetzes: nämlich wie deutlich auch das Gesetz zeigt, was gerecht ist, so versichert doch Paulus, es sei unmöglich, daraus die Gerechtigkeit zu erlangen, und die Erfahrung bestätigt es – das Gesetz ist für uns nur der Spiegel unserer Ungerechtigkeit. Sodann ist die Anweisung, die Christus uns gibt, Gerechtigkeit zu erlangen, nichts anderes als seine Erkenntnis. Diese aber besteht im Glauben, durch den wir uns die Wohltat seines Todes aneignen und völliges Genügen in ihm finden. Die Weltweisen haben viele herrliche Vorschriften gegeben, die zur Gerechtigkeit führen sollten, aber irgendjemandem die Gerechtigkeit mitzuteilen haben sie nicht vermocht. Denn wem hätten jemals ihre Anweisungen die Kraft zu einem rechten Leben geschenkt? Es bedeutet aber nicht viel, zu wissen, was Gerechtigkeit ist, wenn man sie nicht hat. Und wenn wir von den Weltweisen absehen, das göttliche Gesetz selbst, so vollkommen seine Lebensregeln sind, konnte das nicht geben. Nicht, weil etwas daran gefehlt hätte, - denn Mose bezeugt (5. Mose 30, 19), er habe Leben und Tod, Segen und Flucht vorgelegt; sondern weil unserer verderbten Natur gegenüber das Gesetz nicht hinreicht, die Gerechtigkeit mitzuteilen, wie ja auch Paulus lehrt (Röm. 8, 3), dieses Unvermögen fließe aus unserem Fleisch, nicht aus dem Gesetz. Denn die Natur treibt uns nach der entgegengesetzten Seite, und unsere Begierden brechen aus wie durchgehende Rosse; Gottes Gebot hält sie nicht auf. So kommt es, dass das Gesetz eher Zorn als Gerechtigkeit wirkt. Das Gesetz überführt jedermann und nimmt dem Menschen, nachdem die Sünde offenbar geworden ist, jede Entschuldigung. So muss ein anderer Weg zur Gerechtigkeit gesucht werden, nämlich bei Christus, auf den auch das Gesetz als auf sein Ziel hinweist. Die Gerechtigkeit des Gesetzes aber war diese (3. Mose 18, 5): „Wer dies tut, wird darin leben.“ Aber niemand hat es getan. Also ist eine andere Gerechtigkeit nötig, wie auch Paulus aus Moses eigenem Mund lehrt (Röm. 10, 8): „Das Wort ist dir nahe in deinem Munde und in deinem Herzen. Dies ist das Wort vom Glauben, das wir predigen.“ Durch diese Lehre des göttlichen Wortes werden wir gerecht gesprochen, sofern uns dieselbe die Wohltat des Todes Christi anbietet, der unsere Sünden sühnt und uns mit Gott versöhnt. Denn wenn wir diese Wohltat im Glauben annehmen, werden wir vor Gott gerecht geschätzt. Und der Prophet erklärt sich selbst, indem er den Inhalt dieser Lehre aufzeigt. Denn diese beiden Satzglieder hängen zusammen: durch seine Lehre oder Erkenntnis wird er viele gerecht machen, denn er trägt ihre Sünden. Einmal ist das Opfer für uns gebracht, nun aber lädt uns die Lehre des Evangeliums ein, die Frucht des Todes Christi zu pflücken. Also ist Christi Tod die Grundlage der Lehre, damit er uns rechtfertige. Eine treffliche Erläuterung unseres Prophetenwortes gibt Paulus, indem er zu der Aussage, dass Christus für uns zum Sündopfer gemacht ward, damit wir in ihm die Gerechtigkeit würden, die vor Gott gilt, den weiteren Satz fügt (2. Kor. 5, 20): „So sind wir nun Botschafter an Christi statt; so bitten wir nun an Christi statt: Lasset euch versöhnen mit Gott!“ –

Mein Knecht, der Gerechte. Diese Bezeichnung Christi deutet darauf hin, dass er uns nicht bloß durch seine Gottheit, sondern auch durch seine Menschheit gerecht macht, weil er in seinem Fleisch uns die Gerechtigkeit erworben hat. Denn Gott nennt ihn hier nicht seinen Sohn, sondern seinen Knecht, damit wir ihn nicht nur als Gott betrachten, sondern seine menschliche Natur wahrnehmen, worin er den Gehorsam leistete, durch welchen wir vor Gott losgesprochen sind. Denn das ist die Grundlage unseres Heils, dass Christus sich zum Opfer darbrachte, wie er auch selbst verkündigt (Joh. 17, 19): „Ich heilige mich selbst für sie, auf dass auch sie geheiligt seien in der Wahrheit.“

V. 12. Darum will ich ihm Anteil geben unter den Großen. Noch einmal hebt Jesaja den Erfolg des Todes Christi hervor. Weil das bisher Gesagte – dass wir durch seinen Tod mit dem Vater versöhnt seien – unsere Herzen noch nicht hinreichend gewiss gemacht haben möchte, musste diese Lehre von dem auf den Tod folgenden Siege hinzugefügt werden. Hier wird nun die gewöhnliche Weise der Triumphierenden, sich nach einem bedeutenden Siege mit prächtigem Empfang auszeichnen zu lassen, zum Gleichnis genommen. Auch Christus triumphiert als edler Feldherr nach völligem Erfolge über seine Feinde. Nach hebräischer Weise wiederholt das zweite Satzglied den gleichen Gedanken: und mit den Starken wird er Beute teilen. Dieselben Leute, die zuvor die „Großen“ hießen, werden also nunmehr als die „Starken“ bezeichnet. Denn wenn manche Ausleger im ersten Satzglied an eine „große Menge“ denken, so trifft dies die Meinung des Propheten nicht. Der Unterschied zwischen beiden Satzgliedern ist lediglich der, dass zuerst ausgesagt wird, was Gott Christo gegeben, sodann welchen Genuss Christus von dieser Wohltat hat. Er hat aber diesen Genuss nicht um seinetwillen, sondern um unsertwillen. Denn für uns unterwirft er Tod, Welt und Teufel. Aus seinem Tode folgt also der Sieg; mag er sterben nach der Schwachheit des Fleisches, durch die Kraft des Geistes ersteht er wieder und triumphiert über die Feinde. Darum wird hier von „Beute“ gesprochen: Christus ist in die Höhe gefahren und hat Gefangene geführt und hat Gaben empfangen unter den Menschen (Ps. 68, 19; Eph. 4, 8).

Hier wird nun beigefügt, dass Christi Herrschermacht auf seiner Selbsterniedrigung beruht, wie auch Paulus sagt, Christus habe durch das Kreuz triumphiert (Kol. 2, 14 f.). Weit also davon entfernt, dass die Schande seiner Todesart ihm etwas an seinem Ruhm kürzte, ist diese vielmehr der Grund, weshalb Gott ihn zur höchsten Ehre erhöht hat. Wie Paulus zum Preis seines Gehorsams und seiner Selbsthingabe in den Tod hervorhebt, dass Christus nicht eine gewöhnliche Todesart erlitt, sondern die von Gott verfluchte und vor Menschen schändliche Kreuzigung (Phil. 2, 8), so sagt hier auch Jesaja, um die Schande zu schildern: Christus sei den Übeltätern gleich gerechnet. Aber je größer die Schande vor Menschen war, desto größer war die Ehre der Auferstehung, die darauf folgte. Markus (15, 28) erinnert an diese Stelle, da er erzählt, Christus sei zwischen zwei Mördern gekreuzigt worden – die genaueste Erfüllung dieser Weissagung. Doch redet der Prophet ganz allgemein; er will sagen, Christus sei nicht eines gewöhnlichen Todes gestorben. Der größeren Schande wegen sind ihm aber die Mörder beigegeben, damit Christus, gleich als wäre er der Verbrecherischste von allen, mitten unter sie gestellt würde, sodass die Erwähnung dieser Stelle bei Markus so passend wie möglich ist.

Er hat vieler Sünde getragen. Dies wird zur Abwehr eines Missverständnisses beigefügt. Wenn wir von der Schande dieses Todes hören, sollen wir nichts Unpassendes von Christo denken. Denn wenn unsere Gedanken daran hängen blieben, würden wir die Frucht dieses Todes, den uns darin erworbenen Sieg, uns nicht aneignen. Darum zeigt der Prophet, dass Christus vom Tode betroffen wurde, damit er unsere Sünden auf sich nähme. So oft also vom Sterben Christi die Rede ist, wollen wir an die für uns dargebrachte Sühne denken. Solche Frucht nimmt alle Schande dieses Sterbens hinweg, damit Christi Herrlichkeit und Ehre so viel sichtbarer werde und wir nur auf ihn sehen als auf den, der im Himmel seinen Thron hat. Wir haben so an ihm ein ausgezeichnetes, herrliches Zeugnis der Liebe Gottes, da er so verworfen, für nichts geachtet und mit der größten Schande bedeckt wird, damit wir, die wir dem ewigen Verderben anheimgefallen waren, unvergänglicher Ehre mit ihm teilhaftig würden. „Vieler“ Sünde wird gesagt, weil Christo die Schuld der ganzen Welt aufgelegt ist (vgl. Röm. 5, 19).

Und für die Übeltäter gebeten. Dies musste hinzugefügt werden, weil die Sühne in Christi Tod nur dadurch wirkungskräftig wurde, dass er bei dem Vater für uns gebeten hat. Denn wir unter dem alten Bunde der Hohepriester, der nicht ohne Blut ins Allerheiligste ging, zugleich für das Volk bat, so ist es in Christus erfüllt, wovon dort nur eine Abschattung gegeben war. Denn zuerst brachte er das Opfer seines Leibes und vergoss sein Blut, um unsere Strafe zu tragen, dann tat er die Fürbitte für alle, die dies Opfer im Glauben ergreifen würden, damit die Sühne wirksam werde, wie aus dem hohenpriesterlichen Gebet erhellt (Joh. 17, 20): „Ich bitte aber nicht allein für sie, sondern auch für alle, so durch ihr Wort an mich glauben werden.“ Wenn wir also zu diesen gehören, sollen wir nicht zweifeln, Christus habe für uns gelitten, damit wir nun die Frucht seines Todes empfangen. Die „Übeltäter“ werden ausdrücklich genannt, damit wir wissen, dass wir mit zuversichtlichem Vertrauen zum Kreuz Christi unsere Zuflucht nehmen dürfen, wenn uns die Schwere der Schuld erschüttert. Gerade darum wird uns der Fürsprecher und Vertreter angepriesen, weil ohne seine Fürbitte unsere Sünden uns den Zutritt zu Gott verwehren.

Cookies helfen bei der Bereitstellung von Inhalten. Diese Website verwendet Cookies. Mit der Nutzung der Website erklären Sie sich damit einverstanden, dass Cookies auf Ihrem Computer gespeichert werden. Außerdem bestätigen Sie, dass Sie unsere Datenschutzerklärung gelesen und verstanden haben. Wenn Sie nicht einverstanden sind, verlassen Sie die Website.Weitere Information
autoren/c/calvin/calvin-jesaja/calvin-jesaja_-_kapitel_53.txt · Zuletzt geändert: von aj
Public Domain Falls nicht anders bezeichnet, ist der Inhalt dieses Wikis unter der folgenden Lizenz veröffentlicht: Public Domain