Calvin, Jean - Der Prophet Jesaja - Kapitel 32.

Calvin, Jean - Der Prophet Jesaja - Kapitel 32.

V. 1. Siehe, es wird ein König regieren, Gerechtigkeit anzurichten. Gott wird seiner Gemeinde gnädig sein und sie erneuern. Erneuert aber wird sie am besten dadurch, dass geordnete Zustände hergestellt werden, dass alles nach Recht und Gerechtigkeit regiert wird. Diese Weissagung bezieht sich ohne Zweifel auf die Regierung des Königs Hiskia, unter welchem die Gemeinde Gottes wieder zu ihrem früheren Glanze kam. Vorher war sie elend verwüstet. Ahas, der gottlose, schändliche Heuchler, hatte nach seiner Willkür regiert, hatte alles verdorben und die ganze politische und religiöse Stellung des Volkes zugrunde gerichtet. Der Prophet verheißt nun einen anderen König, den Hiskia, durch dessen Tüchtigkeit und Gerechtigkeit die gänzlich zerrütteten Verhältnisse wieder gehoben wurden. Der Prophet malt uns hier, wie auf einem Gemälde, den glücklichen Zustand der Kirche aus. Ohne Christus kann derselbe aber nicht zustande kommen. Daher muss die Weissagung zweifellos auch auf Christum bezogen werden, dessen Vorbild Hiskia war.

Und Fürsten werden herrschen, das Recht zu handhaben. Recht und Gerechtigkeit werden in der Schrift oft zusammengestellt. Unter Gerechtigkeit versteht sie eine allseitig geübte Billigkeit und Milde, unter Recht das Stück der Gerechtigkeit, durch das die Guten in Schutz genommen und gegenüber den Gewalttaten der Gottlosen geschützt werden. Das Amt eines guten Herrschers muss aber sicherlich noch mehr in sich schließen, als Recht und Gerechtigkeit. Ein guter Fürst muss vor allem Gottes Ehre und Gottesfurcht schützen. Von dieser Ehre Gottes und der Furcht vor Gott handeln die Gebote der ersten Tafel des Gesetzes. Nun pflegt die heilige Schrift, wenn sie von den Geboten der zweiten Tafel redet, wie in diesem Verse, wo von gerechtem Tun und Handeln die Rede ist, damit zugleich auf das ganze Gesetz hinzuweisen. Wenn wir uns von Ungerechtigkeit und unrechtem Tun gegen unsern Nächsten fernhalten, wenn wir Bedrängten nach Kräften helfen, wenn wir Barmherzigkeit üben, dann beweisen wir eben damit die Gottesfurcht, aus der jene Tugenden als Frucht hervorgehen. – Nicht ohne Grund erwähnt der Prophet die „Fürsten“. Ein guter König allein tut es nicht, er muss rechtschaffene Diener und Ratgeber zur Seite haben. Denn oft ging es einem Volke sehr schlecht auch unter trefflichen Königen. So war es z. B. unter dem römischen Kaiser Nerva1). Unter ihm war alles erlaubt; infolgedessen war die Lage der großen Menge unter diesem Herrscher noch schlimmer als unter Nero. Die sorglose Lässigkeit des Einen machte viele kühn zu ungerechtem Tun und Handeln. Ein König muss also gute Fürsten und Ratgeber haben, die seine Augen und seine rechte Hand bilden und ihm helfen, sein Volk gerecht zu regieren. Ist das nicht der Fall, dann wird niemals ein König, er mag sonst noch so gut sein, Erfolg haben. Wenn unter denen, die am Ruder sind, nicht die Harmonie, wie beim Saitenspiel, herrscht, dann kann von einer heilsamen Regierung keine Rede sein. Hierher passt der Rat, den Jethro seinem Schwiegersohn Mose gab (2. Mos. 18, 21): „Siehe dich um unter dem Volk nach redlichen Leuten, die Gott fürchten, wahrhaftig und dem Geiz feind sind; die setze über sie, etliche über tausend, etliche über hundert, etliche über fünfzig und über zehn.“

V. 2. Dass ein jeglicher unter ihnen sein wird wie eine Zuflucht vor dem Wind usw. Wie wertvoll ein gutes Regiment ist, zeigt der Prophet deutlich in diesen Worten, wenn er solchen König eine Zuflucht vor dem Wind und einen Schirm vor dem Platzregen nennt. So herrlich weit wird es niemals mit dem menschlichen Geschlechte kommen, dass die einzelnen Menschen von selbst von jeglicher Gewalttat ablassen und keines Zügels bedürfen. Die meisten Menschen schleudert ihre Begierde und ihre Lust zum Bösen hin und her. Sie würden fortgesetzt unter sich Verwirrung anrichten, wenn nicht Gesetze und eine gerechte Regierung dagegen ein heilsames Gegengewicht böten. Weil nun viele Fürsten durch ihr tyrannisches Regiment solche Verwirrung, anstatt sie beizulegen, nur noch vergrößern, so wird hier mit vollem Recht dem frommen Könige ein Lob gesungen. Und wenn das in Wahrheit von dem König Hiskia galt, so noch viel mehr von Christus, bei dem wir die beste, ja die einzige Zuflucht haben in den Stürmen, in denen wir, solange wir auf Erden sind, umhergeworfen werden müssen. So oft wir von Trübsalshitze getroffen werden, sollen wir unter seinen Schatten flüchten; so oft Stürme uns umhertreiben und wir von Wasserwogen überschwemmt zu werden drohen, sollen wir zu ihm fliehen, als unserm sichersten Rettungshafen. Er kann mit leichter Hand alle Stürme beschwichtigen, und das, was zusammengebrochen am Boden liegt, wieder aufrichten.

V.3. Und der Sehenden Augen werden sich nicht blenden lassen usw. Hier können wir noch deutlicher erkennen, dass der Prophet bei seiner Schilderung der Regierung des Hiskia uns über diese noch hinausweisen und hinausführen will. Er redet hier von der Wiederherstellung der Kirche, wie sie zwar von Hiskia vorgebildet, aber erst in Christo wahrhaft erfüllt ist. Mit der Kirche steht es nur dann gut, wenn sie gerechte und kluge Leiter hat. Das ist aber nur möglich, wenn Christus ihr Herrscher ist. Christus also und sein Reich wird uns hier vor allem in seiner Herrlichkeit vorgestellt. Die Verheißung dieses Verses steht in Gegensatz zu jener früheren furchtbaren Drohung, Gott werde die Juden blind machen (29, 9 ff.). Hier wird im Gegensatz dazu das wahre Licht verheißen, dass die Blinden sehend, die Tauben hörend, die Unvorsichtigen klug, die Stammelnden redend werden. Von den Augen der Sehenden und den Ohren der Zuhörer redet der Prophet. Sie hätten sehen und hören sollen, als Gottes Wort ihnen vorgehalten wurde. Aber sie waren lieber blind und taub gewesen und hatten Herzen und Sinne vom Worte abgewandt. Nun verheißt der Herr, er werde ihnen Augen, Ohren, Klugheit und Sprache wiedergeben. Das sind Geschenke göttlicher Gnade. Von ganz besonderen Gaben Gottes redet der Prophet, wie es auch anderseits besonders schreckliche Strafen sind, durch die Gott der Menschen Undankbarkeit und die Verachtung seines Wortes straft, wenn er die Augen blind macht, Erkenntnis und Sprache raubt und rohe Unwissenheit sich breit machen lässt. Was er ihnen also verdientermaßen genommen hat, wird der Herr aus Erbarmen mit seinem Volk ihnen wieder schenken, und zwar durch Christi Verdienst, durch den uns die Zunge zum Reden, der Verstand zum Erkennen, die Ohren zum Hören gegeben werden müssen, da wir zuvor taub und über die Maßen stumpf sind. Außer Christo gibt es kein geistliches Leben in der Welt. Allen Menschen fehlt das rechte Sehen und Hören, die rechte Erkenntnis und Sprache, bis sie Glieder an seinem Leibe geworden sind. Liegt also Christi Reich darnieder, dann sind auch solche Gnadengaben nicht vorhanden. Auch das ist zu beachten, dass hier Gaben genannt werden, die wichtiger und wünschenswerter sind als alle andern. Macht und Reichtum und andere Dinge, die gemeiniglich die Menschen zu einem glücklichen Leben für nötig halten, sind für nichts zu achten. Auch im größten Überfluss sind wir unglückliche Leute, wenn der Herr uns nicht die geistlichen Gaben schenkt, von denen der Prophet hier redet. Fehlen diese, dann ist Christus von uns fern und wir sind ferne von ihm; denn von ihm allein geht aller geistliche Segen aus, wie Paulus im Brief an die Epheser (1, 3) schreibt.

V. 5. Es wird nicht mehr ein Narr Fürst heißen usw. Alles wird wieder zu Stand und Ordnung kommen; Laster wird man nicht mehr, wie zuvor, für Tugenden halten. Unter einer schlechten Regierung herrschen wohl Narren und Habgierige; sie stehen in hoher Achtung, weil man die Tugend nach Geld und Macht beurteilt. Der Arme wird allenthalben verachtet, ob er auch rechtschaffen, brav und, soweit es in seinen Kräften steht, freigebig ist. Bei solchen Verhältnissen geht zuletzt alles drunter und drüber. Unter geordneten staatlichen Verhältnissen werden jedoch leicht solcher Schein und solche Heuchelei aufgedeckt; denn wo die Tugend etwas gilt, werden Sünden und Schäden bald offenbar. Auch haben da die Guten mehr Freiheit und Macht, die Schlechtigkeit derer, die Recht und Gerechtigkeit mit Füßen treten, im Zaume zu halten. Der Prophet redet hier von dem Zustand und der Wiederherstellung der Kirche, die ein geistliches Gemeinwesen ist. Dabei müssen wir aber unsere Gedanken noch höher erheben und dies alles auf Christum beziehen. Seine Aufgabe ist es ja ganz besonders, verborgene Sünden aufzudecken und Schleier und Hüllen wegzuziehen, hinter denen die Laster sich verbergen, sodass man sie gar als Tugenden preist. Das tut er durch das Evangelium, durch welches er Sünden, die zuvor verborgen waren, ans Licht zieht, und zeigt, was sie sind, sodass niemand mehr vom äußeren Schein getäuscht wird, es müsste sich denn einer absichtlich täuschen lassen wollen. Und das ist der Grund, weshalb das Evangelium der Welt so verhasst ist. Denn niemand lässt es gern geschehen, dass seine geheimen Gedanken und seine verborgene Schande ans Licht gezogen werden. Zwar reden auch die Weisen dieser Welt ganz prächtig über den Geiz und über die Freigebigkeit und zeigen den Unterschied zwischen beiden nach allen Seiten hin auf. Aber sie dringen niemals in die Tiefen der Herzen ein, sie können dieselben nicht ergründen und in Wirklichkeit nicht die Geizigen von den Freigebigen unterscheiden. Das geschieht durch Christum allein, er leuchtet mit dem Licht des Evangeliums hinein in die geheimsten Winkel des menschlichen Herzens, durchdringt sie und treibt die Menschen zu einem innerlichen, geistlichen Gehorsam. Vor Christi Richtstuhl werden wir hier also gerufen; er allein deckt alle Heuchlei auf und macht offenbar, ob wir geizig oder freigebig sind.

V. 6. Denn ein Narr redet von Narrheit usw. Hier wird die sündige Zügellosigkeit beschrieben, die sich in fortgehender Gottlosigkeit und Unrecht äußert. Der Prophet fährt wider die Gottlosen los, die in jede Schandtat sich hineinstürzen, und zwar ohne Gewissensbisse; sie lachen über alle Ermahnungen und verhöhnen Gott und seine Knechte. Solche Leute zieht Christus ans Licht, er deckt das Verborgene auf. Denn das ist, wie gesagt, besonders die Wirkung des Evangeliums, wie ein Schwert die verborgenen Gedanken des Herzens zu durchdringen, sodass sich dieses unter Gottes Gericht beugt. Jesaja setzt also den vorher begonnenen Gedankengang fort. Einige legen diese Stelle anders aus, aber, wie mir scheint, wenig zutreffend; sie fassen den Satz: „Ein Narr redet von Narrheit“ – als allgemeines Sprichwort, ohne dasselbe in Beziehung zu bringen zu Christo und seinem Reich. Nach meinem Dafürhalten aber will der Prophet mehr zum Ausdruck bringen; er will andeuten, dass Christus als Weltrichter den Richtstuhl besteigen und eines jeden einzelnen Menschen Herz offenbar machen wird. Denn solange er nicht das Richteramt ausübt, bleibt alles ein Durcheinander; da werden die Gottlosen gepriesen, weil sie ein frommes Gesicht aufsetzen, und die Besten werden verachtet. Christus aber wird das Leben jedes einzelnen ans Licht ziehen, und jede Narrheit und Gottlosigkeit, die zuvor unter irgendeinem Deckmantel versteckt war und als Tugend glänzte, wird zutage treten. Darum heißt es auch (Mt. 3, 12): „Er hat seine Worfschaufel in der Hand, er wird seine Tenne fegen und den Weizen in seine Scheune sammeln; aber die Spreu wird er verbrennen mit ewigem Feuer.“ Diese Worfschaufel ist das Evangelium, durch welches der Richter die Übeltäter zur Untersuchung zieht und ihnen, sie mögen wollen oder nicht, ein Geständnis ihrer Missetaten und Frevel auspresst.

Dass er Irrsal rede wider den Herrn usw. Zum Spott, den die Gottlosen gegen Gott schleudern, gesellt sich Grausamkeit. Den Anfang machen die Gottlosen mit der Verachtung Gottes; dann gehen sie zu äußeren Freveltaten über und üben allerlei Grausamkeit wider ihre Nächsten. Das ist aber der Gipfel schändlicher Grausamkeit, dass man die hungrigen Seelen aushungert und den Durstigen das Trinken wehrt. Schon eine natürliche Anlage treibt uns zur Barmherzigkeit und zum Mitleid. Wo aber Menschen so verwildern, dass sie von fremdem Elend sich nicht rühren lassen und aller Menschlichkeit bar geworden sind, da sind sie schlimmer als Tiere, die doch noch irgendwie mit der Not von ihresgleichen Mitgefühl haben.

V. 7. Und des Geizigen Regieren ist eitel Schaden. Es ist immer im Auge zu behalten, dass der Prophet hier von der Zukunft redet. Er redet nicht davon, wie die Geizigen seiner Zeit sind, sondern er zeigt, wie sie unter der Herrschaft Christi offenbar werden sollen, damit sie nicht weiter lügen und betrügen. Er spricht ja vorher von einem himmlischen Licht, das einst aufgehen wird, um verborgene Gottlosigkeit aufzudecken. Christus macht klar, wie die Geizigen beschaffen und mit welch verderblichen Künsten sie ausgerüstet sind. Unter dem Regieren der Geizigen versteht der Prophet allerlei Kunst, List und Betrug, wodurch die Geizigen einfältige und unvorsichtige Leute in ihre Netze ziehen.

Denn er erfindet Tücke usw. Damit gibt der Prophet den Grund an, weshalb der Geizigen Regieren eitel Schaden ist: sie hören nicht auf, allerlei Tücke zu ersinnen und Schaden anzurichten. Sicherlich wird hier die Art schlechter Menschen geschildert, die, nur auf ihren Vorteil und auf ihren Gewinn bedacht, stets darauf aus sind, zu täuschen und zu hintergehen. Solche Leute werden mit ihren Ränken und Schlichen durch Christum ans Licht gezogen. Besondere Umstände, welche der Prophet hervorhebt, lassen das schändliche Treiben dieser Leute noch unwürdiger erscheinen. Denn schändlicher und hässlicher ist es, die Elenden, d. h. geringe, einfältige Leute, die sich nicht zu helfen wissen, zu hintergehen, als kluge und verschmitzte. Des Weiteren gehen sie mit falschen Worten um: unter dem Deckmantel der Freundschaft kommen sie mit trügerischen Lockungen. Dritten schädigen sie den Armen, dem sie in seiner Not hätten aufhelfen sollen. Endlich stellen sie demselben gar dort nach, wo sie ihm sein Recht verschaffen sollten. Das ist weit verbrecherischer, als wenn jemand einen Menschen offen mit Gewalt anfällt. Gerechtes Gericht soll doch allenthalben der Armen Zuflucht sein; was soll es also werden, wenn daraus eine Mördergrube und eine Räuberhöhle gemacht wird? Denn einem von Räubern besetzten Weg oder Hinterhalt kann man noch irgendwie entgehen, aber vor einem Gericht, das mit Lug und Trug umgeht, ist man verloren.

V. 8. Aber die Fürsten werden fürstliche Gedanken haben. Wir betonten schon vorher, dass diese ganzen Ausführungen des Propheten tiefer gehen, als man gemeiniglich glaubt. Er redet hier nicht allgemein, sondern speziell von der Erneuerung der Kirche. Was er also sagt, bezieht sich auf solche, die unter der Herrschaft Christi sich haben erneuern lassen. Zwar werden durch das Evangelium alle berufen, aber wenige lassen sich unter Christi Joch beugen. Diesen nun gibt der Herr fürstliche Gedanken, er macht sie freigebig und gütig, dass sie nicht mehr ihren Vorteil suchen, sondern dem Dürftigen zu helfen bereit sind.

Und drüber halten. Nicht nur einmal oder je und dann tun sie das, sondern von Tag zu Tag wachsen sie in ihrer Freigebigkeit und Mildtätigkeit, wie es im Psalm (112, 9) heißt: „Er streuet aus und gibt den Armen; seine Gerechtigkeit bleibet ewiglich.“ Wahre fürstliche Gesinnung, wahre Güte und Freigebigkeit sind nicht auf eine gewisse Zeit beschränkt. Leute mit dieser Tugend harren in ihr aus; sie lassen sich nicht in plötzlicher Aufwallung zur Mildtätigkeit hinreißen, um sie bald nachher wieder zu bereuen. Das will der Prophet zum Ausdruck bringen mit den Worten: Und drüber halten. Manches stellt sich ja unserer Freigebigkeit hemmend in den Weg. Wir erfahren unter den Menschen eine erstaunliche Undankbarkeit, sodass unsere Gaben schlecht angebracht erscheinen. Viele raffen gar gierig alles an sich und saugen, wie Blutegel, den Leuten das Blut aus. Da sollen wir uns nun dieses Wortes erinnern und auf den Apostel Paulus hören, der da mahnt (Gal. 6, 9): „Lasset uns Gutes tun und nicht müde werden.“ Der Herr mahnt uns nicht zu einer nur zeitweisen Mildtätigkeit, die bald wieder aufhört, sondern zu einer, die durch das ganze Leben hindurch währt.

V. 9. Stehet auf, ihr stolzen Frauen. Dieser Vers scheint mit dem vorhergehenden in keinem Zusammenhang zu stehen. Vorher hat der Prophet von der Wiederherstellung der Kirche geredet. Hier verkündigt er dem Volk ein nahe bevorstehendes Gericht Gottes. So beginnt aller Wahrscheinlichkeit nach hier eine neue Gedankenreihe. Zwar kann man diesen Vers doch mit der vorhergehenden Verheißung ungesucht verbinden. Die Propheten pflegen ja, wenn sie den Gläubigen Gnade verheißen haben, alsbald ihr Wort auch an die Heuchler zu richten. Sie wollen damit darauf hinweisen, dass die den Frommen verheißene Barmherzigkeit des Herrn den Gottlosen nichts nützt und dass diese trotzdem die Strafen für ihre Freveltaten empfangen werden. Unter den Frauen, an die der Prophet sich wendet, verstehen die jüdischen Ausleger Städte, da im Hebräischen sich eine derartige Ausdrucksweise häufiger findet. Doch sind diese Worte meiner Meinung nach nicht bildlich zu nehmen. Ich halte mich vielmehr an den einfachen Sinn derselben. Dass der Prophet die Frauen erwähnt und nicht die Männer, soll andeuten, wie schwer die kommende Heimsuchung sein wird. Sonst werden Frauen und Mädchen geschont, weil sie schwache Geschöpfe sind und sich nicht verteidigen können. So entsetzlich wird also der Untergang sein, dass niemand geschont wird. Ausdrücklich ist von „stolzen“ Frauen die Rede. Sie leben in üppigem Reichtum und vermögen sich noch irgendwie der Heimsuchung zu entziehen, auch wenn das gewöhnliche Volk schwer leiden muss. Aber gerade ihnen sagt Jesaja, sie sollen aufstehen und zittern. Im Tone des Befehls ruft er ihnen zu: „Stehet auf!“ Die Zeit der Ruhe ist zu Ende. Der Herr wird sie aus ihrer stolzen Ruhe und Sicherheit aufrütteln.

Höret meine Stimme, ihr Töchter. Die rabbinischen Ausleger setzen hier ihre eigentümliche Auslegung fort und verstehen demgemäß unter den Töchtern Dörfer oder kleinere Städte. Doch wir haben auch hier den einfachen Sinn festzuhalten. Der Prophet zeigt nun, welches die Ursache dieses gewaltigen Schreckens ist, der die Frauen und Töchter zwingt, aufzustehen, zu hören und zu zittern. Die Ursache ist Gottes Gericht. Auf seine Stimme weist er sie hin, damit sie erkennen, dass diese Weissagung kein leerer Schall ist: kündigt er ihnen doch in Gottes Auftrag den Krieg an. Ihr werdet einst selbst erfahren, will er ihnen sagen, wie kräftig diese Stimme ist, und welche Macht sie hat, euch aufzurütteln.

Die ihr so sicher seid, nehmet zu Ohren meine Rede! Das hält der Prophet ihnen vor, nicht nur deshalb, weil es besonders unangenehm ist, mit rauer Hand aus seiner Ruhe aufgestört zu werden, sondern auch deshalb, weil es bei unserer verderbten menschlichen Natur kaum anders möglich ist, als dass die Welt in Zeiten ruhigen Glückes zu träger Sicherheit neigt. Langsam gerät sie dann in Sorglosigkeit, betrügt sich selbst durch falsche Einbildungen und hält alle Gedanken der Furcht von sich ab; in solcher Sicherheit und solchem Selbstvertrauen erhebt sie sich dann zuletzt frech gegen Gott.

V. 10. Es ist um Jahr und Tag zu tun usw. Die kommende Heimsuchung wird eine dauernde sein. Ein Unglück wird wesentlich gemildert, wenn es bald wieder vorübergeht. Wenn aber kein Ende abzusehen ist, wenn man sich keine Erleichterung, keinen Trost und keine Rettung versprechen kann, was bleibt dann anders übrig, als Verzweiflung? Der Prophet verkündigt aber, dass die Heimsuchungen nicht mit Jahr und Tag vorübergehen, sondern immer wieder neue zu erwarten sein werden. Dass die Sicheren zittern werden, ist mit bitterer Ironie wider die stumpfe Gleichgültigkeit gesagt: die Leute, die zu bequem waren, auf eine freundliche Lehre zu achten, müssen in Unruhe und Schrecken umgetrieben werden.

Denn es wird keine Weinernte werden. Die Juden waren nur zu sehr in irdische Dinge und Genüsse versunken. Darum kündigt ihnen der Prophet Mangel an Wein und Brot an (vgl. V. 12). Hätten sie sich mehr von groben Begierden und Genüssen frei gehalten, dann wäre ihnen wohl der Verlust besserer Güter angedroht worden, welchen Jeremia einmal beklagt (Klagel. 1, 4): „Die Straßen gen Zion liegen wüst, weil niemand auf ein Fest kommt; ihre Priester seufzen, ihre Jungfrauen sehen jämmerlich.“ Versunken in ihre niederen Triebe wussten sie aber solche geistlichen Güter gar nicht zu schätzen. Darum stellt sich der Prophet auf ihren niedrigen Standpunkt und fasst sie mehr an ihren Bäuchen, als an ihren Herzen an. Von der Verwüstung ihrer Weinberge redet er als einer Folge jener Heimsuchung. Eine träge Sicherheit pflegt in reichem Überfluss ihren Grund zu haben. Der Herr wird euch, ruft ihnen der Prophet also zu, alles Lebensunterhaltes berauben, jene Sorglosigkeit von euch abschütteln und euch die Ursache eures Selbstvertrauens nehmen. Im Glücke sollen wir nicht schlafen und uns nicht in Sicherheit wiegen, als ob unser in der Welt ein ewiges Glück wartete. Mäßig sollen wir Gottes Gaben gebrauchen, sonst werden wir mit einem Male aufgerüttelt, unversehens hart bedrängt und müssen aufs schwerste unter dem unerwarteten Wechsel der Verhältnisse leiden.

V. 11. Erschrecket, ihr stolzen Frauen: erzittert, ihr Sicheren. Diese Wiederholung ist nicht überflüssig. Sie bekräftigt nur das zuvor Gesagte. Wenn Menschen innerlich verhärtet sind, dann lassen sie sich nicht so leicht durch die Stimme der Propheten aufwecken. Da ist wiederholtes Rufen und Ermahnen am Platze. Dadurch, dass er eine Drohung an die andere reiht, zeigt der Prophet, wie stumpf die Menschen sind, wenn sie einmal durch das Glück sich haben blind und hart machen lassen. Sie hören dann gar nicht mehr auf Gottes mahnende Stimme. Für die Menschen ist das Glück sicherlich viel gefährlicher als das Unglück. Im Glück gefallen sie sich und berauschen sich an demselben. Darum musste den Juden noch schärfer zugesetzt werden, um sie aus solcher Stumpfheit aufzurütteln. Diese Mahnung des Propheten geht also auf die Zukunft. Er will ihnen sagen: Ihr werdet einst erschrecken, und eure jetzige Ruhe und Sicherheit wird nicht andauern. Die kommende Heimsuchung wird ein Beweis für die Wahrheit dieser Weissagung sein. Der Herr wird dann durch die Tat beweisen, dass diese Worte keine leeren Worte sind.

Es ist vorhanden Ausziehen, Blößen und Gürten um die Lenden. Der Prophet beschreibt das Aussehen von Leidtragenden. Wenn die Juden in Unglück und Trauer kamen, zogen sie einen Sack an, ließen die übrigen Teile des Körpers entblößt und bezeugten auf jede Weise in Kleidung und Gebärden ihre Trauer. Jesaja kündet also den Frauen anstatt der Genüsse und Gelüste, in denen sie schwelgten, den Sack und andere Zeichen der Trauer an.

V. 12. Man wird klagen um die Äcker usw. Speise und Trank werden ausgehen, der Herr wird die Erde verfluchen, dass sie keine Frucht bringt. Über diesen Mangel werden die Menschen klagen.

V. 13. Denn es werden auf dem Acker meines Volkes Dornen und Hecken wachsen. Der Prophet gibt die Ursache der Unfruchtbarkeit an: Dornen und Hecken werden auf dem Acker wachsen. Ungepflegt, wüst und unfruchtbar werden sie sein, während sie früher fruchtbar und üppig waren. Socher Umschwung der Verhältnisse war aber erstaunlich. Wir wissen, wie fruchtbar und reich jenes Land war, und zwar nicht von Natur, sondern in Folge göttlichen Segens. Denn Gott hatte gesagt: Ich will euch ein Land geben, darinnen Milch und Honig fließen. Daher seine überreiche Fruchtbarkeit. Wenn der Prophet von dem Acker seines Volkes redet, so begegnet er damit einem Einwand, den jene bereit hatten, es sei doch nicht zu befürchten, dass das von Gott auserwählte Land seinen jährlichen Ertrag nicht bringen würde. Gott war ja doch in besonderem Maße Vater und Ernährer seines Volkes, wenn auch sein Segen allgemein auf das ganze Menschengeschlecht sich ergoss. Es war also nicht zu glauben, dass dies für Gottes Kinder bestimmte Land mit Dornen und Hecken bedeckt sein werde. Umso schärfer fährt darum der Prophet die Juden an, dass sie sich durch ihre Schlechtigkeit nicht nur um den göttlichen Segen gebracht, sondern sich auch seinen Zorn zugezogen haben, der des Landes Glanz so veränderte und zugrunde richtete.

Dazu über allen Häusern der Freude in der fröhlichen Stadt. Nicht nur in den äußersten Winkeln der Stadt wird diese Verwüstung herrschen, sondern auch in den Häusern der Freude, d. h. in glänzenden, prächtigen Häusern, in denen man zuvor in einer Fülle von Genüssen schwelgte. Als der Prophet das sagte, wurde er ohne Zweifel von seinen Zeitgenossen verlacht. Sicherlich hörte man auf ihn überhaupt nicht mitten in all den Genüssen, die jene Leute blind machten. Dennoch ist alles eingetroffen, was Jesaja geweissagt hat. Darum sollen wir im Glück mäßig sein, sollen von Gottes Segen uns abhängig fühlen und mit reinem Gewissen seinem Worte Gehorsam leisten.

V. 14. Denn die Paläste werden verlassen sein usw. Hier bringt der Prophet die fruchtbare Verwüstung des Landes noch deutlicher zum Ausdruck. Während er im vorigen Verse von Häusern der Freude und des Glanzes gesprochen, redet er in diesem von Palästen und Städten und deutet damit an, dass nichts, es mag noch so prächtig und herrlich sein, von jener Heimsuchung verschont bleiben wird. Wir wissen ja, wie die Menschen, solange sie den Kopf hoch tragen, leicht vom Glanz sich blenden lassen. Sie schlafen dann sanft in ihrem üppigen Leben ein und fürchten sich vor nichts. Was also Glänzendes, Prächtiges, Erhabenes in Judäa war, Städte, Paläste, Burgen, Festungen – das alles wird zerstört und zunichte werden.

Dass die Türme und Festen ewige Höhlen werden usw. Der Prophet erinnert hier wieder daran, dass jene Heimsuchung keineswegs von kurzer Dauer sein, vielmehr so lange anhalten wird, solange die Juden hartnäckig in ihren Sünden beharren. Denn wenn sie nur kurze Zeit gezüchtigt würden, dann würden sie ungebrochen und ungebändigt wieder in ihr altes Wesen zurückfallen.

V. 15. Bis so lange, dass über uns ausgegossen werde der Geist aus der Höhe. Der Herr hatte seine Kirche unter den Juden erbaut. Eine Hoffnung auf Rettung musste ihnen gelassen werden, sonst hätten sie in solchen Nöten gänzlich verzagen müssen. So streng der Herr auch gegen die Gottlosen ist, seine Kirche erhält er doch irgendwie. Und diese Verheißung gibt ihnen der Prophet. Sie sollen erkennen, dass er trotz aller Züchtigungen doch allezeit seines Bundes gedenkt. So oft der Herr eine Drohung ausspricht, lässt er es auch an Trost nicht fehlen; auch unter den beklagenswertesten Verhältnissen will er der Gläubigen Herzen aufrichten und sie stärken. Damit sie übrigens den ihnen gebotenen Trost recht empfänden, richtet er ihre Blicke auf den Urheber des Lebens selber hin. Bei Besserung der äußeren Verhältnisse stürzt sich der größte Teil der Menschen in den Strudel des Genusses hinein, in Fressen und Saufen; quält sie aber der Hunger, dann vergessen sie Gott und rufen die Welt um Hilfe an. Darum sagt Jesaja nicht ohne Grund, es werde ausgegossen der Geist aus der Höhe, der werde der Erde die frühere Fruchtbarkeit wiedergeben. Ohne Zweifel spielt er dabei auf jenes Wort Davids an (Ps. 104, 30): „Du lässest aus deinen Odem, so werden sie geschaffen, und erneuerst die Gestalt der Erde.“ Das ist ein Zeichen dafür, dass Gott versöhnt ist. Zugleich weist der Prophet damit darauf hin, dass die Wiederherstellung der Kirche von Gottes Gnade allein ausgeht und dass solche Unfruchtbarkeit nur gehoben werden kann, wenn Gott vom Himmel seine Kraft herabströmen lässt. Ja, in einem einzigen Augenblick kann der sie wieder erheben, der alles aus nichts schafft, als hätte es schon zuvor bestanden.

So wird dann die Wüste zum Acker werden und der Acker für einen Wald gerechnet werden usw. Mit diesen Worten weist der Prophet (ähnlich wie 29, 17) auf die Folgen jener Erneuerung hin. Der Überfluss, die Fülle an allen Dingen, wird es dann bezeugen, dass Gott wahrhaftig mit seinem Volk versöhnt ist. Strecken des Landes, die zuvor wüste waren, werden zum Acker werden, zu einer üppigen, fruchtbaren Stätte. Der Prophet schildert also eine seltene Fruchtbarkeit. Jetzt unfruchtbare, ungepflegte Äcker werden dann fruchtbar sein; jetzt gepflegte und fruchtbare Äcker werden aber dann so üppig Frucht bringen, dass ihr jetziger Ertrag dem zukünftigen gegenüber als überaus mangelhaft erscheint. In solchem Segen sollen dann die Frommen Gottes Güte erkennen. Alles übrigens, was Jesaja hier von dem Reiche des Hiskia weissagt, bezieht sich auch auf das Reich Christi, das jenes Reiches Ziel und Erfüllung ist. Seitdem wir nun Christum haben, muss das alles geistlich verstanden und ausgelegt werden. Wir werden erneuert, sobald der Herr seinen Geist vom Himmel schickt; dann werden wir aus einem unfruchtbaren ein fruchtbares Ackerland. Solange wir Gottes Geist noch nicht haben, werden wir mit Recht mit einem wüsten, dürren Land verglichen, das nichts als Dornen und Disteln trägt. Von Natur taugen wir nicht dazu, Frucht zu bringen. Die also unfruchtbar waren, werden durch Gottes Geist erneuert und fangen dann an, reiche Früchte zu zeitigen. Die aber schon von Natur gut angelegt waren, die werden, wenn derselbe heilige Geist sie erneuert, so fruchtbringend sein, dass demgegenüber ihr früherer Zustand wie eine Wüste erscheint. Wenn also die Kirche Gottes in Bedrängnis ist und ihre Lage bejammernswert, dann lasst uns unsere Augen gen Himmel erheben und mit ganzem Herzen an solche Verheißungen uns anklammern.

V. 16. Und das Recht wird in der Wüste wohnen usw. Der Prophet schildert, wie es in der wahren Kirche aussehen soll. Recht und Gerechtigkeit müssen in ihr eine Stätte haben. Hier zeigt sich klar, dass die Juden nicht, wie einige fanatische Gegner des Gesetzes behaupten, durch das Gesetz in vergänglichen, irdischen Dingen festgehalten wurden, sodass ihr Hoffen und Wünschen durch dasselbe nur auf irdische Güter gerichtet worden wäre. Sie sollen ja, das wird hier besonders betont, ihr Augenmerk darauf richten, dass Recht und Gerechtigkeit blühen. Ohne Zweifel erkannten sie, dass darin das wahre Glück beruht. Das müssen wir vor allem beachten und dürfen das Glück des Lebens nicht in dem Überfluss an irdischen Dingen, nicht in Fressen und Saufen sehen, wie die Schweine im Stalle. Der Zweck aller Gottesgaben ist doch unsere Erlösung, dass wir dem Herrn dienen, wie Zacharias sagt, in Heiligkeit und Gerechtigkeit (Luk. 1, 74 f.). Dem Recht weist der Prophet die Wüste, der Gerechtigkeit den Acker zur Wohnung an. Daraus geht noch deutlicher hervor, dass im vorhergehenden Verse eine solch üppige Fruchtbarkeit verheißen wurde, dass angesichts derselben die Menschen wähnen, die Äcker, die sie zuvor als die besten ansahen, seien demgegenüber wüste und unfruchtbar gewesen.

V. 17. Und der Gerechtigkeit Frucht wird Friede sein usw. Zuvor hat der Prophet über die Ruhe und den Frieden, den die Juden zu stumpfer Sorglosigkeit missbraucht hatten, gespottet. Hier verheißt er einen anderen Frieden. Der soll ein besonderes Zeichen der Liebe Gottes sein, welcher diejenigen, die er in Gnaden aufgenommen hat, treulich schützen wird. Es tritt hier also der Gegensatz hervor zwischen jenem irdischen und diesem göttlichen Frieden. Jenen haben die Gottlosen; von ihm erfüllt schreiten sie kühn von Frevel zu Frevel und versinken in ein stumpfes Wesen. Dieser ist ein ganz anderer Friede. Den gewinnen Gottes Kinder dadurch, dass sie fromm und gerecht leben. Jesaja mahnt nun, nach diesem Frieden zu streben, und zeigt dabei, dass, wenn Gott versöhnt ist, eine glückliche, heitere Ruhe nicht ausbleibt. So legt er jenen das Streben nach Gerechtigkeit ans Herz, damit sie dadurch einen sicheren Frieden erlangen. Es gibt kein besseres Mittel, ungestörten Frieden zu gewinnen, als das, dass wir uns von aller Ungerechtigkeit fernhalten (vgl. auch 1. Petr. 3, 13). Übrigens hat der Prophet dabei noch etwas Höheres im Sinn. Durch frommes und gerechtes Leben sollen sie in der Gnade Gottes beharren. Nichts ist nämlich verkehrter, als dass die Gottlosen Frieden wünschen, während sie doch beständig mit Gott im Kriege leben. Frieden zu haben ist ja ein allgemeiner Wunsch. Unter Hundert wird kaum einer gefunden, der nicht mit voller Posaune Frieden predigte, während doch in Wirklichkeit jeder sich auf Erden seine Feinde macht, alle aber untereinander mit ihren Sünden und Freveltaten Himmel und Erde in Verwirrung bringen. Diesen Frieden, von dem der Prophet hier redet, der ein dauernder ist, vergleicht er nun mit jenem früheren, der hinfällig ist und nur kurz besteht. Der Friede wird hier die Frucht der Gerechtigkeit genannt. Wie die Kriege im Zorne Gottes, den wir durch unser böses Leben hervorrufen, ihren Ursprung haben, so entspringt der Friede seiner Gnade und seinem Segen. Wenn wir darum sehen, wie Feinde zum Kriege wider uns entflammt sind und wider uns toben, dann lasst uns kein anderes Heilmittel suchen, als allein die Buße. Sobald wir uns zum Herrn bekehrt haben, wird er schnell und leicht ihren Ansturm beschwichtigen. Denn er selbst ist es, der, wie der Psalmist sagt, den Kriegen steuert in aller Welt, der Bogen zerbricht, Spieße zerschlägt und Wagen mit Feuer verbrennt (Ps. 46, 10).

V. 18. Dass mein Volk in Häusern des Frieden wohnen wird usw. Da denken wir an das Wort des Paulus (Röm. 5, 1): „Nun wir sind gerecht geworden durch den Glauben, haben wir Frieden mit Gott.“ Von diesem Frieden redet Christus, wenn er sagt (Joh. 14, 27): „Meinen Frieden gebe ich euch; nicht gebe ich, wie die Welt gibt.“ Die Welt kann ihn nicht geben. Das ist nicht verwunderlich, denn dieser Friede ist, wie Paulus an einer anderen Stelle sagt, höher denn alle Vernunft (Phil. 4, 7). – Haben wir Gerechtigkeit empfangen, dann sind wir nicht mehr unruhig und werden nicht mehr innerlich hin- und hergeworfen, wie ehedem, da im Gefühl des Zornes Gottes Gewissensbisse an uns nagten. Ein schlechtes Gewissen ist immer voller Unruhe, voll Angst und Elend. Die Gottlosen müssen sich quälen und in mancherlei Unruhe sich ängstigen. Wo keine Gerechtigkeit ist, kann jene Ruhe und jener Friede keine Stätte haben. Wo Christus herrscht, nur da ist wahrer Friede. Einen ganz gewissen Frieden genießen zuletzt nur die Gläubigen, für die vor dem himmlischen Richterstuhl nicht etwa ihre Frömmigkeit, sondern ihr Vertrauen auf Gottes Barmherzigkeit spricht. Darum regiert Christus dort noch nicht, wo die Gewissen voller Unruhe sind und von mannigfachen Zweifelswogen hin- und hergeworfen werden, wie es allen denen ergehen muss, welche sich nicht auf Christi Opfer und die durch ihn erworbene Erlösung gegründet haben.

V. 19. Aber Hagel wird sein den Wald hinab. Wie schon gesagt, ist es bei den Propheten üblich, das Reich Christi in Bildern darzustellen. Sie entnehmen dieselben dem irdischen Leben, weil wir sonst bei unserer Stumpfheit den unschätzbaren Reichtum himmlischer Güter nicht fassen könnten. Der Sinn dieses Verses ist nun folgender. Der Herr wird Schaden und Nachteil von den Seinen abwenden und anderswohin richten. Wir sind hier mancherlei Stürmen und Wettern ausgesetzt; Regen, Hagel, Wind und Sturm müssen wir aushalten. Gott aber wird nach seiner wunderbaren Vorsehung alles so lenken, dass es den Gläubigen nichts schadet. Das tut er in der Weise, dass er alle bösen Stürme anderswohin ablenkt. Unter dem Wald versteht der Prophet entlegene einsame Gegenden, wo Menschen nicht verkehren. Sind wir unter Christi Schutz, dann werden wir vor Gefahr und Schaden bewahrt, mögen auch mannigfache Stürme und Wetter über unser Haupt hereinbrechen. Der Herr ist unser Retter, der das drohende Unheil ablenkt oder die Gefährdeten herausreißt.

Und die Stadt danieden wird niedrig sein. Mit diesen Worten will der Prophet den schon erwähnten Frieden bekräftigen. Damals pflegte man die Städte auf hochgelegenen Punkten anzulegen, weil der Zugang dorthin mit Schwierigkeiten verbunden war. Der Prophet aber verheißt hier: Der Schutz Gottes seinem Volke gegenüber wird so mächtig sein, dass es der gewohnten Sicherheitsmaßregeln nicht im Geringsten bedarf. Denn auch die Stadt, die danieden, d. h. in einem Tale liegt, wird sicher sein. Auch wenn ihre Befestigungswerke niedrig sind und sie so dem Einfall der Feinde offen steht, wird kein Unheil sie treffen, denn die Hand des Herrn wird sie beschirmen. Wenn wir also unsere Sicherheit suchen und dabei auf unsere selbsterwählten Schutzmittel trauen, so ist es nicht ausgeschlossen, dass wir mit einem Male aus unserer sicheren Stellung herausgeworfen werden. Wenn aber der himmlische Vater sich herablässt, die Sorge für unser Heil auf sich zu nehmen, dann sollen wir mit solchem Beschirmer und Fürsprecher zufrieden sein.

V. 20. Wohl euch, die ihr säet allenthalben. Der Prophet zeigt, welche Veränderung da eintritt, wo Christus zu herrschen beginnt. Vorher hatte er gesagt, die Verwüstung werde eine derartige sein, dass Dornen und Disteln das heilige Land bedecken, dass prächtige Häuser zerstört und Städte und Paläste dem Erdboden gleich gemacht würden. Das war eingetroffen, als durch andauernde feindliche Einfälle das Land verwüstet wurde. Nun aber preist der Prophet die Einwohner glücklich, weil Gott sie mit einer Fülle von Gütern sättigen wird. Diese Segensfülle hätte mit einfachen Worten beschrieben werden können, er schildert sie aber in treffenden Bildern: an den Wassern wird man säen. Darunter verstehen einige Ausleger fruchtbares, üppiges Land. Nach meiner Meinung jedoch will der Prophet sagen: auch Stellen, die sonst vom Wasser überflutet wurden, werden zur Aussaat geeignet sein. Es ist dabei nicht zu befürchten, dass das Wasser die Saaten verderbe.

Und die Füße der Ochsen und Esel frei gehen lasset. Man pflegt von den Äckern, besonders wenn sie bestellt sind, Ochsen und Esel und andere Tiere fern zu halten, damit sie die Frucht nicht abfressen oder ausreißen. Dereinst aber wird die Saat so dicht und so voll stehen, dass man Ochsen und Esel hineinschicken darf, um die ersten frischen Gräser abzuweiden. Die Saaten werden dadurch nicht leiden. Sollte nun jemand einwenden, im Reiche Christi sei doch eine solche Fruchtbarkeit niemals zu sehen gewesen, so gebe ich gewiss zu, dass, obschon Gott die Seinen aufs freigebigste beschenkt, doch immer Zeichen seines Fluches sich gezeigt haben, den Adams Fall über das ganze menschliche Geschlecht gebracht hat. Da aber den Gläubigen durch Christus die Welt zum Erbe gegeben wurde, so reden die Propheten mit Recht davon, die Erde solle von ihm wieder erneuert werden, sie werde ihr trauriges Aussehen verlieren und ihre dahingeschwundene Herrlichkeit wieder erlangen. Die nun darüber klagen, das sei doch nicht erfüllt worden, die sollen sich selbst prüfen, ob sie denn ganz und gar von jeder Sündenschuld rein geworden sind. Solange sie noch von der geistlichen Gerechtigkeit fern sind, möge es ihnen genügen, nach dem Maß ihrer Erneuerung Gottes Segen zu schmecken. Auf die vollkommene Fülle desselben können wir nicht eher hoffen, als bis wir alle Unreinheit des Fleisches abgelegt haben und das Bild Gottes vollkommen an uns tragen.

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Regierte 96 – 98 n. Chr. Geb.
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