Calvin, Jean - Der Prophet Jesaja - Kapitel 14.

Calvin, Jean - Der Prophet Jesaja - Kapitel 14.

V. 1. Denn der Herr wird sich über Jakob erbarmen. Wir könnten diesen Vers in Gegensatz zu dem Vorhergehenden stellen und dann übersetzen: Aber der Herr usw. Damit würde zum Ausdruck gebracht, wie verschieden die Lage der Gottesgemeinde von dem bisher beschriebenen Zustand ist. Aber es hat doch mehr für sich und passt hier besser, unseren Vers als Begründung für das Vorhergehende zu fassen: darum wird Gott Babylon verderben, weil er sich Israels erbarmen wird, das er nicht verachten oder verwerfen kann. Daraus erkennen wir, dass der Prophet bisher bemüht gewesen ist, den Schmerz seines unglücklichen Volkes zu lindern. Sie sollten wissen, dass sie in ihren Bedrängnissen gute Hoffnung hegen dürfen: denn Gott wird als Rächer auftreten. Hier wird also Babylon der Gemeinde Gottes gegenübergestellt, das Babylon sage ich, das auf der Höhe seiner Macht stand, das die heimgesuchte, unglückliche Gottesgemeinde zu Boden gedrückt hatte, und zwar derart, dass sie aller Wahrscheinlichkeit nach nicht wieder aufgerichtet werden konnte. Aber der Herr reißt Babel von seiner Höhe herab und bezeugt, dass er die Sorge für sein nur zu oft verworfenes und verachtetes Volk auf sich nehme. Es liegt ein großer Trost in der Erkenntnis, dass die ganze Welt von Gott uns zum Heile regiert wird. Denn darauf zielt alles hin, dass seine Erwählten gerettet und durch keinerlei Wechselfälle, obwohl sie mannigfach eintreten, völlig zu Boden geworfen werden. Gab es denn, möchte vielleicht jemand fragen, zu jener Zeit keine göttliche Barmherzigkeit? Gewiss war dieselbe unablässig tätig, aber von dem von schweren Heimsuchungen bedrückten Volke wurde sie nicht empfunden. Völlig von dem Gefühl des Zornes Gottes durchdrungen, bildete es sich sein Urteil nach seiner tatsächlichen Lage und konnte Gottes Barmherzigkeit nicht fassen. Gott war indessen immer der gleiche; niemals hat er sein Wesen gewechselt. Man muss daher unterscheiden zwischen Glauben und Erfahrung. Wenn überall Zeichen des Zornes Gottes sich zeigen, dann ist seine Gnade für uns dunkel und verborgen, weil wir eben nach unserm fleischlichen Urteil meinen, Gott sei erzürnt. Der Glaube aber richtet unsere Herzen über diese Dunkelheiten empor, und wir sehen im Himmel einen uns gnädigen Gott.

Und Israel noch fürder erwählen. Diese Worte bieten einige Schwierigkeit. Die Erwählung Gottes ist doch eine ewige. Wenn er uns in der Gegenwart „erwählt“, so ist dies nicht so zu verstehen, als wenn es ihm früher nicht in den Sinn gekommen wäre. Wir sind ja (Eph. 1, 4) erwählt, ehe der Welt Grund gelegt war. Und (Röm. 11, 29) Gottes Gaben und Berufung mögen ihn nicht gereuen. Wenn Gott aber die Seinen züchtigt, so hat dies den Schein der Verwerfung. Das können wir aus den häufigen Klagen der Heiligen entnehmen, wie der Psalmist (44, 10; 74, 1) sagt: „Herr, warum verstößest du uns so gar?“ Pflegen wir doch Gottes Verwerfung oder Erwählung nach unserm schwachen Verstand aufzufassen und Gottes Gesinnung nach seinem äußeren Tun zu bemessen. Solche auf die bloße gegenwärtige Erfahrung gegründete Erkenntnis bedarf dann der Berichtigung durch das Licht des Glaubens. Wenn also der Herr uns beruft und dadurch seine Erwählung bestätigt, dann heißt es: er erwählt uns; wenn er aber einen Beweis eines uns entfremdeten Herzens gibt, dann heißt es: er verstößt uns. Der Sinn ist also der: Wenn auch der Herr sein Volk so hart behandelt hat, als hätte er es verstoßen, so wird er doch zuletzt durch die Tat offenbaren, dass es von ihm an Kindes Statt angenommen ist. Er wird es reichlich beweisen, dass er es erwählt hat, und wird sich seiner erbarmen in Ewigkeit. Daraus lässt sich nun leicht folgern, was wir schon vorher sagten, dass nämlich die Heimsuchungen, welche die Frommen erdulden, sehr verschieden sind von jenen todbringenden, welche, wie mit einem schnellen Hieb, die Gottlosen treffen. Denn die Frommen gedenken gleich ihrer Erwählung und richten im Vertrauen auf dieselbe ihre Herzen auf. Die Gottlosen aber sehen nichts als Finsternis, Hölle und ringsum schaurige Verwüstung. So oft uns also der Herr züchtigt, möge uns alsbald dieser Unterschied zum Bewusstsein kommen, um durch die Hoffnung auf eine bessere Zukunft unsere Herzen stark zu machen. Ein Zeichen göttlicher Gnade und Versöhnung ist es dann, dass der Herr die Kinder Israels wieder in ihr Land setzen wird. Denn Kanaan war für die Söhne Abrahams das Unterpfand ihrer Kindschaft.

Und Fremdlinge werden sich zu ihnen tun. Der Prophet weissagt hier von der Berufung der Heiden. Der Herr wird Israel nicht nur wieder in den Besitz des Landes Kanaan bringen, sondern wird es noch durch großen Zuzug mehren. Heiden wird er mit ihm vereinigen, sodass aus zweierlei Völkern ein und derselbe Volkskörper wird. Der Prophet spricht hier nicht nur von der Kirche seiner Zeit, sondern von der ganzen zukünftigen bis hin zum Reich Christi und darüber hinaus. Sonst würde die Weissagung, dass sich Fremdlinge zu ihnen tun werden, nicht zutreffen.

V. 2. Und die Völker werden sie nehmen usw. Fremde Völker werden freiwillig Israels Genossen sein und sogar sich nicht weigern, Sklavendienste zu übernehmen. Etwas ging davon in Erfüllung, als das Volk aus Babylon zurückgeführt wurde. Doch das war nur ein schwaches Vorspiel dessen, was durch Christum geschehen ist, auf den dies alles bezogen werden muss. Zwar erweichte der Herr die Herzen der Heidenvölker, welche mit feindlichem Hass das Volk Israel verfolgten. Unter der Führung derselben brachte er sein Volk wieder in die Heimat zurück und schenkte ihm seine frühere Freiheit. Doch weit davon entfernt, dass nach der Rückkehr aus Babel viele Völker Bundesgenossen der Juden geworden wären, verschworen sich vielmehr alle ihre Nachbarn, sie um die Wette zu bedrücken. Was also hier geweissagt wird, ist im Reich Christi in Erfüllung gegangen, dessen alle Gewalt ist im Himmel und auf Erden. Er hat zuvor fremde Völker mit den Juden verbunden durch das Evangelium, sodass jene die letzteren nicht nur in ihrem Besitzstand unterstützten, sondern auch willig und gern sich vor ihnen beugten. Darauf muss man nämlich beziehen, was der Prophet von Knechten und Mägden sagt. Die Juden sind gleichsam die Erstgeborenen im Hause Gottes; wir, die wir mit ihnen verbunden wurden, sind gleichsam unter ihrer Hand vereinigt. Sie gehen uns vor und haben vor allen den ersten Platz. Sicherlich würden sie denselben noch heute innehaben, wenn sie sich nicht durch ihre Undankbarkeit eines köstlichen Vorrechtes beraubten. Und doch konnte ihre Undankbarkeit den Herrn nicht hindern, zu leisten, was er verheißen hatte. Denn die Apostel, die Juden waren, unterwarfen fremde Völker dem Worte Gottes, und zwar gerade die, von denen sie zuvor gefangen gehalten wurden, denen sie tributpflichtig waren, die Assyrer, die Chaldäer, die Perser und endlich das römische Reich. Mit Recht können also alle Völker ihr Erbe genannt werden. Zwar wollten sie nicht herrschen über die Völker, sondern sie für Gott gewinnen, um mit ihnen einen gemeinsamen Herrn und König anzuerkennen. Darum muss diese Weissagung von der Herrschaft und dem Dienste Christi, welchem die Heiden von den Juden unterworfen wurden, verstanden werden, nicht von einer äußern, irdischen Macht und Herrschaft, von der die Juden vergeblich träumen.

V. 3. Und zu der Zeit usw. Die vorhergehenden Verheißungen werden bekräftigt. So hilft der Herr unserer Schwachheit auf. Denn es ist nicht leicht, sich einfach bei Gottes Wort zu beruhigen, zumal wenn ihm die Lage der Dinge zu widersprechen scheint. Aber der Herr will unsern Glauben dadurch gewisser machen, dass er uns Rettung verheißt, trotzdem jede Hoffnung auf dieselbe genommen ist. Nachdrücklich bekräftigt er dies, damit allen Kleinglauben drangeben und auch in verzweifelter Lage nicht ablassen, auf seine Verheißungen unser Vertrauen zu setzen. Zugleich ermahnt er dadurch die Juden zur Dankbarkeit, damit sie doch niemals Gottes herrliches, wunderbares Tun ins Grab der Vergessenheit sinken lassen möchten.

Von deinem Jammer und Leid und von dem harten Dienst usw. Dies hebt der Prophet hervor, um die Juden zu der Erkenntnis zu bringen, dass der Herr diese widrigen Verhältnisse, so oft es ihm beliebt, hinweg tun werde. Diese könnten ihn durchaus nicht hindern, sein Volk plötzlich, wenn es ihm gut dünkt, von ihnen zu befreien. Das sollen wir auch heute noch auf uns anwenden. Wenn wir auch allenthalben von Fesseln und Banden umstrickt sind, Gott ist unser Befreier, der leicht alle Schwierigkeiten und Widerwärtigkeiten irgendwelcher Art überwinden wird. Das gilt von allen Mühsalen, von allem Elend und Jammer.

V. 4. So wirst du ein solch Lied anheben. Genauer ließe sich übersetzen: „einen solchen Spruch.“ Die Meinung ist also: Babels Zerstörung wird so gewaltig sein, dass sie sogar zum Sprichwort wird. Mit erstauntem Spott wird man dann ausrufen: Wie ist' s mit dem Dränger so gar aus! Unglaublich schien es, dass das mit solcher Macht und mit solchen Heeren ausgerüstete Babylon gestürzt und in die Gewalt der Feinde kommen würde. Mit Recht wird daher ihr törichtes, eitles Vertrauen verspottet, mit dem sie in frechem Übermut sich für unbesiegbar und außer jeder Gefahr stehend hielten. Doch scheint es zur Demut der Frommen nicht zu passen, andere im Unglück zu verhöhnen: sie sollten vielmehr ihr Mitleid bezeugen. Wenn wir aber in heiligem Eifer der Gerechtigkeit des göttlichen Gerichtes zustimmen, so verträgt sich das wohl mit dem Mitleid. Denn wir können wohl in menschlichem Mitgefühl diejenigen bemitleiden, die durch eigene Torheit untergehen, und doch zugleich ihre Anmaßung und ihren Wahnwitz verspotten. Wie der Herr ihrer spottet und über ihre Torheit lacht, so lässt er auch uns eifern für seine Ehre und ihrer spotten. Dies aber nicht, damit wir uns leichtfertig erheben, sondern damit wir seine Güte und Macht preisen.

Und der Zins hat ein Ende. Anstatt „Zins“ übersetzen einige „Goldgrube“ oder „Golderpresserin“. Andere übersetzen nicht unzutreffend: Und die Habsucht, die unersättliche Goldgier hat ein Ende. An ihr litten ja die Babylonier. Denn so geht es bei großen Reichen und mächtigen Völkern: je größer ihr Besitz ist, in umso größerer Gier brennen sie, noch mehr zu haben.

V. 5. Der Herr hat die Rute der Gottlosen zerbrochen. Dieser Vers entspricht dem Ausruf des vorigen Verses. Der Prophet wollte nicht, dass die Gläubigen an der Erfüllung dessen, was er im vorhergehenden Verse gesagt, zweifelten. Sie sollen vielmehr staunen über die wunderbaren, unbegreiflichen Werke Gottes. Er will ihnen sagen: dass ihr durch die andauernde Knechtschaft nicht aufgerieben seid, ist nicht durch ein sinnloses, blindes Schicksal geschehen; ihr müsst es der Vorsehung Gottes zuschreiben, der jenes harte Joch der Knechtschaft euch abgenommen hat. Auch die Gottlosen sind über solche Taten starr vor Staunen, wie angedonnert; sie kennen aber deren Ursache nicht. Die Frommen dagegen sind nicht im Unklaren darüber, dass sie dem Herrn zugeschrieben werden müssen. Darum lasst uns lernen, Gottes Werke zu bewundern, und zwar so, dass wir ihn immer als ihren Urheber erkennen. Auch sollen wir nicht meinen, über dies oder das dürften wir leicht hinweggehen, zumal wenn er die Hand ausstreckt, seine Kirche zu erlösen, und jeden einzelnen von uns mit seiner wunderbaren Macht der Knechtschaft des Teufels und dem ewigen Tode entreißt. Denn das ist kein gewöhnliches Menschenwerk, bei dem man alles menschlicher Kraft oder irgendwelchen anderen Ursachen zuschreiben dürfte. Neben die „Rute der Gottlosen“ stellt der Prophet die Rute der Herrscher. Mit dieser Wiederholung weist er darauf hin, dass durch keine Herrschergewalt eine ungerechte tyrannische Macht befestigt und gehalten werden kann.

V. 6. Welche die Völker schlug. Hier bringt der Prophet noch deutlicher zum Ausdruck, weshalb das babylonische Reich zerstört werden soll; deshalb nämlich, weil es ein ungerechtes und tyrannisches war. Gott wird am Ende nimmermehr die Tyrannen schonen, wenn er auch vielleicht zurzeit nichts davon merken lässt. Es erwartet sie dasselbe Ende, das Babylon getroffen hat. Denn der Herr ist ein gerechter Gott und allezeit derselbe.

V. 7. Nun ruhet doch alle Welt. Hier zeigt der Prophet, wie verhasst solche Tyrannen der ganzen Welt sind. Wenn diese sterben oder umkommen, jauchzen alle vor Freude. Dann offenbaren sie, wie sehr sie gegen jene erbittert waren, was sie zuvor aus Furcht nicht zu zeigen wagten. Dann sprudeln Hass und Abneigung hervor.

V. 8. Auch freuen sich die Tannen usw. Nicht nur Menschen offenbaren ihre große Freude, sondern auch stumme Kreaturen, die Tannen und die Zedern auf dem Libanon. Durch Tyrannei wird alles zu Grunde gerichtet; darum scheint auch, wenn diese niedergeworfen ist, alles von neuem aufzuleben. Um seine Rede wirkungsvoller zu gestalten, führt der Prophet die Bäume redend ein. Sie beglückwünschen sich selbst: weil der Tyrann tot ist, werden wir sicher und froh dastehen. Er will zeigen, dass von dem himmlischen Richter Tyrannen nicht geduldet werden können, die der ganzen Welt verabscheuungswert sind. Wenn auch die armen Menschenkinder unter ihrer drückenden Herrschaft stumm sind und nicht einen Laut von sich zu geben wagen, - der Herr vernimmt doch ihre stillen Seufzer. Darum sollen wir uns nicht wundern, wenn das Ende der Tyrannen so furchtbar ist. Denn Gott, der Zeuge der Schandtaten, die sie an Unschuldigen verübten, muss für seine Gerechtigkeit eintreten.

V. 9. Die Hölle (d. h. die Unterwelt) drunten usw. Wie der Prophet im vorigen Verse die Bäume sich freuen lässt, so lässt er hier die Toten reden. Er weckt sie gleichsam aus den Gräbern auf, um den Hochmut dieses Tyrannen zu verspotten. Diese ganze Ausführung ist nämlich voller bitterer Ironie. Wie die Völker ihren Königen bei ihrem Einzug entgegengehen und sie mit prächtigem Pomp aufnehmen, so stellt der Prophet die Toten dar, wie sie diesem Tyrannen, wenn er ins Grab steigt, entgegengehen, um ihn mit Ehren zu empfangen, mit Ehren aber, deren er würdig ist. Er will sagen, nicht nur die Lebendigen, sondern auch die Verstorbenen werden sich über seinen Tod freuen.

V. 10. Dass dieselbigen alle usw. Das sind Spottreden, mit welchen die Toten den Tyrannen, der ihnen zugesellt ist, quälen. Es ist, als fragten sie ihn nach der Ursache, weshalb auch er, wie andere Menschen, gestorben sei. Jesaja lässt sie nämlich, wie von etwas ganz Neuem überrascht, voller Verwunderung über diese schier unglaubliche Sache sich unterhalten. Die Tyrannen halten sich, von ihrer Größe geblendet, für unsterblich; ja, sie machen sich zu Halbgöttern und beten sich selbst an. Dem gemeinsamen Geschick aller Sterblichen glauben sie nicht unterworfen zu sein. Dass sie es aber doch sind, zeigt sich nach dem Tode. Das haben die Toten im Sinne und halten dem Tyrannen nicht ohne bittern Hohn entgegen, er sei ihnen ja doch ähnlich geworden. Denn der Tod allein macht offenbar, was der Mensch ist. So redet auch David von den Fürsten und ihrer Würde (Ps. 82, 6 f.): „Ich habe wohl gesagt: Ihr seid Götter; aber ihr werdet sterben wie Menschen und wie ein Tyrann zu Grunde gehen.“ Auch die Leiber der Könige müssen ebenso wie die gewöhnlicher Leute zuletzt verwesen und von den Würmern verzehrt werden, ob ihnen auch die prächtigsten Grabmäler errichtet werden.

V. 11. Deine Pracht. Der Prophet redet von der königlichen Pracht Babylons, damit jener Wechsel durch Vergleich der späteren mit der frühern Lage noch mehr ins Auge falle. Wenn er hier von Harfen redet, so denkt er dabei an alle Genüsse und Vergnügungen, an denen Könige sich zu ergötzen pflegen. Über der Lieblichkeit des Gesanges vergessen sie den Tod; wenn die Musik mächtig daher rauscht, wird alle Traurigkeit verscheucht und alle Sinne werden wie gebannt. In der zweiten Hälfte des Verses rufen die Toten dem König höhnend zu: ein würdiges Bett hast du erlangt; die Stelle der Kissen und weichen Polster nehmen Maden ein, und Würmer die Stelle der prächtigen Decke. Hier wird ein lebendiges Bild jenes törichten Selbstbewusstseins der Menschenkinder entworfen, die trunken von ihrem gegenwärtigen Glück und ihrer günstigen Lage sich selbst Beifall klatschen. Daran lasst uns fleißig denken. Denn wenn die Menschen auch ihrer Lage sehr wohl sich bewusst sind und den Tod vor Augen haben, so lassen sie sich dennoch vom Ehrgeiz hinreißen, von allerlei Lüsten verführen, von eitlem Glanze blenden und – vergessen darüber sich selbst.

V. 12. Wie bist du vom Himmel gefallen usw. Jesaja lässt die Toten in ihrer Rede fortfahren. Er zeigt, dass ein Tyrann sich in nichts von andern Menschen unterscheidet, wenn auch seine Gedanken darauf ausgehen, irgendwie als ein Gott zu erscheinen. Er gebraucht ein hübsches Bild, wenn er jenen Tyrannen mit dem Morgenstern, der auch Luzifer, d. h. Lichtträger, genannt wird, vergleicht. Er tut das wegen des prächtigen Glanzes, mit dem dieser Stern unter den übrigen hervorleuchtet. Dass man diese Stelle, durch das Wort Luzifer verleitet, auf den Satan, der ja auch so heißt, bezogen hat, beruht auf Unkenntnis. Der Zusammenhang zeigt deutlich, dass man dies von dem babylonischen König verstehen muss. Wenn aber Stellen der Schrift sinnlos auseinander gerissen werden und der Zusammenhang nicht beachtet wird, dann braucht man sich nicht zu wundern, wenn allenthalben solche Irrtümer entstehen.

V. 13. Gedachtest du doch in deinem Herzen usw. Der Prophet verlacht den Stolz des Babyloniers, der im Vertrauen auf seine Macht ununterbrochene Erfolge sich zu versprechen wagte, als wenn er selbst sein Geschick sich bilden könne. Hier wird uns, wie in einem Spiegel, ein unsinniger Hochmut vor Augen gehalten, ein Hochmut, von dem die Gottlosen strotzen, ja manchmal überfließen. Hier sollen wir nicht nur an einen bestimmten Tyrannen denken, sondern an die das Heilige schändende Tollheit aller Gottlosen, die in einer Weise mit sich zu Rate gehen, als ob sie nach ihrem Gutdünken alles bestimmen könnten. Jakobus (4, 13) schildert deren Planen trefflich: „Wohlan nun, die ihr saget: Heute oder morgen wollen wir gehen in die oder die Stadt und Handel treiben und gewinnen; die ihr nicht wisset, was morgen sein wird.“ Sie denken nicht daran, dass sie unter Gottes Hand stehen, und wähnen, alles könnten sie aus eigner Kraft. Wie unsinnig prahlt hier der König: Ich will in den Himmel steigen usw. So unsinnig ist diese Rede, dass man nicht glauben sollte, sie sei aus dem Munde eines sterblichen Menschen geflossen. Diejenigen, die sich selbst mehr anmaßen, wie sie als Menschen auf sich zu nehmen vermögen, stürmen allerdings nach Art jener Riesen, von denen die Sage erzählt, selbst gegen den Himmel an. Was sie aber planen, wird ihnen zum Verderben. Denn jeder, der solches tut, ruft durch seine Verwegenheit Gottes Zorn gegen sich hervor. Weshalb übrigens der Prophet besonders den babylonischen Tyrannen eines solchen Wahnsinns beschuldigt, ergibt sich leicht aus dem Folgenden.

V. 14. Ich will mich setzen auf den Berg des Stifts in der fernsten Mitternacht. Mit welcher Kühnheit versuchte jener Tyrann, sich Gott gleich zu machen! Nach menschlicher Überlegung sagte er sich, dass er den Sieg über die Juden erlangen könne; Gottes Hilfe, die, wie er gehört hatte, jene so oft beschützte, hielt er für nichts. Es war, als hätte er die Absicht, den Himmel selbst in Trümmer zu legen. Von dem Berg des Stifts, dem Berg Zion, in der fernsten Mitternacht schreibt ähnlich auch Ps. 48, 3: „Schön raget empor der Berg Zion, an der Seite gegen Mitternacht liegt die Stadt des großen Königs.“ Man kann ihn auch den Berg des Bundes oder den Berg der Vereinigung, des Zusammenkommens nennen. Wir dürfen aber dabei nicht an ein Zusammenkommen nur von Menschen denken, sondern an eine Zusammenkunft von Gott und Menschen. Der Herr wollte dort gegenwärtig sein und seinen Bund mit seinem Volk bestätigen. Jener gottlose König hat also nicht irgendeinen irdischen Platz angegriffen, sondern den Himmel selbst. Eine gotteslästerliche Tat!

Ich will über die hohen Wolken fahren. Es könnte in der Tat verwunderlich erscheinen, dass der König von Babel vom Propheten beschuldigt wird, er wolle sich Gott gleich machen. Solch ein Gedanke kann doch kaum in eines Menschen Sinn kommen, ohne dass dieser im Innersten dabei erschreckte. Von Natur ist uns ein gewisser religiöser Sinn angeboren. Auch ohne dass wir es wollen, werden wir gedrängt, jenes Wesen zu verehren, das unserer Überzeugung nach über alles emporragt. Niemand ist doch so unsinnig, dass er Gott von seinem Throne herabzustürzen beabsichtigt. Denn wir sind von Natur darauf angelegt, Gott zu ehren und zu fürchten. Selbst die Heiden, die doch Gott nicht kannten, ließen ihren Götzen Verehrung zuteil werden. Daher erscheint es kaum glaublich, dass der Babylonier Gott stürzen und im Himmel regieren wollte. Aber der Prophet bezichtigt ihn doch nicht fälschlicherweise. Wenn nun auch die Gottlosen nicht geradezu behaupten, sie müssten an Gottes Stelle regieren, so erheben sie sich doch mehr als recht ist und nehmen in ihrer Anmaßung Gott selbst weg, was nur ihm zukommt. Es ist doch im Grunde dasselbe, als ob sie ihn selbst von seinem Throne herabstürzen wollten. Was sagte doch Satan, als er unsere ersten Eltern betrog? „Ihr werdet sein, wie Gott.“ Daraufhin erheben sie sich gegen Gott, als wollten sie ihm den Krieg erklären; sie wagen es, sich mehr anzumaßen, als Gott selber erlaubt. Wo man sich überhebt, da verachtet man notwendigerweise Gott. Zugleich müssen wir aber auch festhalten, dass jener Tyrann die Kirche, Gottes heiliges Eigentum, und so gleichsam offen Gott selbst anfiel. Es braucht also nicht als eine übertriebene Redensart zu erscheinen, wenn es heißt: Ich will über die hohen Wolken fahren und gleich sein dem Allerhöchsten. –

In alledem liegt aber auch ein köstlicher Trost. Denn wir werden hier belehrt, dass die Gottlosen sich gegen Gott selbst erheben, so oft sie gegen seine Gemeinde aufstehen. Der Babylonier wird hier nicht beschuldigt, dass er sich über die Engel erhoben, sondern dass er die Kirche Gottes zu unterdrücken versucht habe. Heutzutage ist die Verehrung Gottes nicht an einen einzigen Ort gebunden, sie erstreckt sich, so weit der Erdkreis reicht. Wo nun immer Gottes Name angerufen wird, und irgendein Tyrann erhebt sich zur Bedrückung der Frommen, da sollen wir wissen, dass derselbe nicht Menschen, sondern Gott angreift. Der aber wird sich nicht ungestraft beleidigen lassen. Ein ähnliches Beispiel tritt uns ja später bei Sanherib entgegen, von dem der Prophet (37, 23 ff.) erklärt, weil er Zion bedrohe und lästere, habe er Gott selbst bedroht und gelästert. Wir stehen also derartig in Gottes Schutz, dass, wer uns nur immer Händel verursacht, Gott selbst zum Feinde haben wird. Darum heißt es beim Propheten Sacharja (2, 12): Wer euch antastet, der tastet Gottes Augapfel an. Der Herr bezeugt hier auch, dass er inmitten seiner Gemeinde wohnt, dass niemand sie angreifen kann, ohne ihn selbst zuerst zu schmähen. Er wird darum der Rächer sein für die Beleidigungen, welche seine Gemeinde zu erdulden hat, wenn er auch zeitweilig ihre Bedrückung zulässt.

V. 15. Ja, zur Hölle fährest du, zur tiefsten Grube. Vorher hat der Prophet von der Absicht des Babyloniers gesprochen, über den Wolken seinen Thron zu errichten; dem stell er jetzt den entgegen gesetzten Ausgang gegenüber. In die Hölle wird er hinab geworfen. Vorher hatte er gesagt, der Babylonier wolle sich erheben auf den Berg Zion, den Berg des Stifts, in der fernsten Mitternacht, auf einen Ort, der doch ziemlich hoch emporragte. Nun spricht er im Gegensatz dazu von der tiefsten Grube, von der Ecke, dem Winkel eines Grabes. Er will sagen: in einer verborgenen Ecke eines Grabes wird er seinen Platz finden, wie wenn einer in irgendeinen düstern, hässlichen Winkel gesteckt wird. Die Leichname angesehener Leute pflegt man sonst in einem weiten, geräumigen Grabe beizusetzen. Dieser aber, meint der Prophet, wird in irgendeine Ecke einer Grube geworfen werden. So verlacht der Herr von seiner Höhe den Hochmut der Gottlosen. Während sie alles gierig verschlingen und in ihrer Kühnheit die Wolken und den Himmel durchbrechen, macht er sie zuletzt zum Spott aller und wirft ihre Pläne in einem einzigen Augenblick über den Haufen.

V. 16. Wer dich siehet usw. Noch weiter lässt der Prophet die Toten jenen gottlosen König verspotten. Man könnte diese Worte auch von den Lebenden verstehen. Aber es ist in jeder Hinsicht besser, dieselben noch den Toten in den Mund zu legen. Wir pflegen wohl das Gesicht vorzustrecken, wenn etwas Wunderbares und Sehenswertes sich darbietet. Als nun das einem Wunder ähnliche zu schauen war, dass dieser mit solcher Macht ausgerüstete König zu Grunde gegangen, da richteten sich, wie der Prophet sagt, aller Augen auf denselben, um genauer zuzusehen, wie wenn sie ihren eigenen Augen kaum trauen könnten. Erstaunt fragen sie, wie es denn möglich sei, dass der, auf dessen Wink der Erdkreis zitterte, so plötzlich und so leicht zu Boden geworfen wurde. Der Prophet weist mit dieser Frage auf den furchtbaren Wechsel hin, der mit jenem vorgegangen, und zeigt, dass die Tyrannen in ihrer Mordgier den Wolken gleichen, die plötzlich Regen und Hagel herab gießen, als ob sie alles überschwemmen wollten, die aber dann mit einem Male zerstreut werden. Dieses Bild gebrauchte auch einmal der fromme Kirchenvater Athanasius.1) Als jemand ihm mit dem Zorne des Kaisers Julian2) drohte, antwortete er: „Es ist nur ein Wölkchen, es wird vorübergehen.“ Der Urheber solches Wechsels aber ist Gott, der mit einem einzigen Wink die ganze Welt zu erschüttern vermag.

V. 17. Der den Erdboden zur Wüste machete usw. Mit diesen Worten bringt der Prophet die wilde Grausamkeit jenes Tyrannen zum Ausdruck. Zuweilen pflegen ja Sieger ihre Gefangenen freizugeben, um mit ihrer Menschlichkeit die Herzen derselben zu gewinnen. Tyrannen wollen aber lieber gefürchtet als geliebt werden. Sie meinen, der einzige Weg zur Herrschaft sei der, durch unerbittliche Strenge allen Furcht einzuflößen. Da ist es also nicht zu verwundern, dass ihr Ende so jammervoll und unselig ist. Denn der Herr muss, nachdem er durch ihr Wüten seine Gemeinde gezüchtigt hat, an ihnen Vergeltung üben. Er darf ihnen kein Erbarmen widerfahren lassen, da sie selbst es ja auch nicht an andern geübt haben. So zeigt der Prophet, wie elend zuletzt die Tyrannen sind, die Gottes Zorn auf sich geladen haben und den Menschen verhasst sind.

V. 18. Alle Könige der Heiden usw. Der Prophet stellt den Babylonier andern Königen gegenüber, um zu zeigen, dass derselbe nach seinem Tode elender daran sei, als die übrigen alle. Durch diesen Vergleich hebt er das Gericht Gottes noch mehr hervor, durch welches derselbe die seiner Gemeinde zugefügten Beleidigungen rächten wollte. Wegen dieser Stelle möchte ich nicht wagen, das, was Jesaja hier von den babylonischen König vorhersagt, allein auf den König Nebukadnezar zu beziehen. Denn dass dieser kein ordentliches Begräbnis gehabt habe, steht aus der Geschichte durchaus nicht fest. Zwar berichten jüdische Geschichtsschreiber, sein Sohn Evilmerodach habe den Befehl gegeben, ihn auszugraben, weil die Vornehmsten des Reiches nicht wagten, ihn anzuerkennen, es müsste denn feststehen, dass sein Vater wirklich gestorben sei. Doch schon der Kirchenvater Hieronymus3), der sonst ziemlich leichtgläubig ist, hält das für eine Fabel. Jenes Wort bezieht sich also nicht auf einen einzelnen Mann, sondern auf das ganze babylonische Reich. So versteht ja auch die Schrift, wenn sie vom Antichristen redet, darunter das ganze Reich desselben (1. Joh. 2, 18). In der Person eines einzelnen verspottet demnach der Prophet den Hochmut aller jener Tyrannen; er zeigt, was für einen Ausgang sie nehmen werden. Nicht einmal eine Hand voll Erde sollen sie zur Bestattung haben, während sie vorher wie ein unersättlicher Schlund waren und kein Besitz ihnen genügte. Auch diejenigen, die im Leben kaum einen Fuß Erde ihr eigen nennen, haben nichtsdestoweniger Recht und Anspruch auf ein Grab, welches nach der Ansicht der Alten etwas Hochheiliges war. Denn desselben beraubt zu werden, galt für überaus schimpflich. Babylons Könige aber sollen mit solchem Schimpf beladen, sollen aus ihrem Erbbegräbnis heraus geworfen werden und ein schmachvolles Schauspiel darbieten. Aber, könnte jemand fragen, gilt denn das Begrabenwerden vor Gott so viel, dass nicht begraben zu werden als Strafe und Fluch verhängt wird? Da antworte ich: Hier handelt es sich nicht darum, ob das Begrabenwerden zur Seligkeit nötig ist. Aber mit Recht musste es doch als Schmach angesehen werden, wenn jener kein ehrliches Begräbnis erhielt. Zunächst ist dabei zu erwägen, weshalb unter allen Völkern dem Begrabenwerden so große Bedeutung beigelegt wird. Unzweifelhaft beruht das auf einer uralten Anschauung. Der Herr wollte ja, dass die Toten begraben wurden in Hoffnung auf die zukünftige Auferstehung. Die Kadaver der Tiere werden fortgeworfen, sie sind zur Verwesung bestimmt; unsere Leichname aber werden der Erde übergeben, damit sie dort ruhen bis zum jüngsten Tage. Dann sollen sie auferstehen, um vereint mit der Seele ein seliges, unsterbliches Leben zu führen. Dass nun an das Begrabenwerden mancherlei Aberglaube sich gehängt hat, ist ohne Zweifel ein listiges Werk des Satans, welcher alle an sich nützlichen und frommen Einrichtungen zu verderben und zu zerstören pflegt. Es ist auch gar nicht zu verwundern, dass die Juden in diesem Stück einen Überfluss an allerlei Zeremonien hatten. Das darf man nicht zu sehr tadeln. Denn weil Christus noch nicht erschienen war, hatten sie von der Auferstehung noch keine so klare Offenbarung. Die Anschauung unserer Zeit ist davon weit verschieden, denn wir haben in Christo deutlich die Auferstehung vor Augen. Für uns ist jede Hülle fortgenommen und wir schauen hinein in seine klaren Verheißungen, welche den Juden verborgen waren. Wenn also jemand jene alten Zeremonien wieder ans Tageslicht bringen und erneuern wollte, der würde ohne Zweifel das Licht mit Finsternis bedecken und Christum schwer beleidigen, weil er uns ihn, den geoffenbarten, wieder verhüllte. Doch ist die Fürsorge für ein ehrliches Begräbnis nicht unsinnig; denn es ist ein Bekenntnis der zukünftigen Auferstehung, derer wir noch warten. Doch muss dabei aller Aberglaube ferngehalten werden, sowie alles Gepränge, das alle Frommen verabscheuen sollten. Wenn nun jemand gar kein Begräbnis erhält, so kommt es dabei auf die Ursache an. Denn viele Propheten, Märtyrer und fromme Leute haben kein Begräbnis gehabt. Wir hören ja das Klagelied der trauernden Gemeinde (Ps. 79, 2 f.): „Sie haben die Leichname deiner Knechte den Vögeln unter dem Himmel zu fressen gegeben und das Fleisch deiner Heiligen den Tieren im Land, und war niemand, der begrub.“ Auch wissen wir, wie Christi Knechte verbrannt, ersäuft, in den Block gelegt wurden, deren Ende vor Gott herrlich und gesegnet war. Denn wie das Kreuz Christi gesegnet war, so sind Kreuze, Ketten, Bande und Tod, die seine Glieder erdulden, desselben Segens teilhaftig und sind mehr wert, als aller Könige Glück, Schmuck, Pracht und Herrlichkeit. Übrigens müssen wir auch bei manchen darin, dass sie kein ehrliches Begräbnis finden, ein Zeichen göttlichen Zorns erblicken. So drohte der Prophet Jeremia (22, 19) dem Jojakim, er werde wie ein Esel begraben werden, weil er mehr das Schicksal eines Tieres verdiene, als das eines Menschen. Der Babylonier sollte also, weil er über alle sich erhoben hatte, tiefer als alle herabgestürzt werden; auch des Begräbnisses, das doch allen gemeinsam ist, sollte er beraubt werden.

V. 19. Wie ein verachteter Zweig. Dieses Bild bringt die verdiente Schmach jenes Tyrannen zum Ausdruck. Sie schadhafte oder nutzlose Bäume mit der Wurzel ausgehoben werden, so ist, wie der Prophet sagt, der Babylonier nicht wert, irgendeine Stätte unter den Menschen zu finden. Ähnlich ist das folgende Bild: bedeckt von Erschlagenen usw. Die in der Schlacht fallen, werden nicht in gewöhnlicher Weise bestattet, sondern die scheußlichen, blutüberströmten Körper werden, damit sie nicht mit ihrem Gestank die Luft verpesten, eng neben- und aufeinander mit ihren Ekel erregenden Kleidern in eine Grube geworfen. Welchem babylonischen König das widerfahren ist, können wir nicht sagen; doch ist das alles zweifellos in Erfüllung gegangen.

V. 20. Du hast dein Land verderbet. Hier wird der Grund angegeben, weshalb der Babylonier eines Begräbnisses nicht wert ist. Derjenige, der die Erde verwüstete, ist nicht wert, dass die Erde ihn in ihren Schoß aufnimmt und zudeckt. Wie nämlich die Erde uns, die Lebendigen, trägt, so birgt sie die Toten und bewahrt sie bis zur Wiederkunft Christi. Es ist also eine gerechte Strafe für die Grausamkeit, wenn sie ihren Schoß denen vorenthält, die wider sie Gewalt übten.

Denn man wird des Samens der Boshaftigen nimmermehr gedenken. Diese Drohung ist schwerer zu verstehen. Wir können sie auf zweierlei Weise auslegen. Entweder: das Gedächtnis des Samens der Boshaftigen, der Gottlosen, soll nicht ewig sein, oder: es soll gänzlich ausgelöscht werden. Es ist entweder auf die Vergangenheit oder auf die Zukunft zu beziehen. Auf die Vergangenheit: wenn auch zurzeit der Same der Gottlosen vergangener Geschlechter gefeiert wird, dennoch wird sein Gedächtnis zuletzt erblassen. Auf die Zukunft: der Herr wird den Samen der Gottlosen derart ausmerzen, dass seiner auch nicht mehr im Geringsten Erwähnung getan wird. Es ist gewöhnlich so, dass der Herr den Samen der Frommen segnet (Spr. 10, 7): „Das Gedächtnis der Gerechten bleibt im Segen; aber der Gottlosen Name wird verwesen.“ Wenn wir das auch nicht immer mit Augen schauen, so wird es doch durch manche deutlichen Beispiele reichlich bestätigt. Die Art und Weise dieser Rache ist zu beachten. Der Herr straft den Hochmut der Gottlosen, die den Ruhm ihres Namens ausbreiten und ein ewiges Gedächtnis hinterlassen wollen. Auf das Letztere zielt ja ihr eifriges Streben hin. Demgegenüber macht der Herr ihren Namen und ihr Gedächtnis zunichte. Deren Namen in ewige Denkmäler eingegraben schienen, die werden zu einem Gegenstand nicht nur des Spottes, sondern auch des Abscheus. Das widerfährt allen Tyrannen. So lange sie leben, stimmen alle ihnen zu und klatschen ihnen Beifall; sind sie aber tot, dann verabscheut sie jedermann, mitsamt ihren Nachkommen.

V. 21. Richtet zu usw. Hier weissagt Jesaja noch deutlicher wie vorher gegen den König von Babylon. Er redet von seiner ganzen Nachkommenschaft. Auf diese soll jener Untergang sich erstrecken. Wir müssen dabei festhalten, was wir schon sagten: der Prophet hat bisher nicht von einem einzelnen Manne geredet, sondern von dem ganzen babylonischen Reiche. Jetzt nimmt er diesem Punkte jeden Zweifel fort. An wen ergeht aber dieser Befehl? Wir müssen an irgendwelche Diener, etwa Henker, dabei denken; diesen befiehlt Gott, sich zu richten und bereit zu halten, sein Gericht zu vollstrecken. Wer sind diese aber? Teils die Meder und Perser, teils andere Völker, von denen Babylon bis auf den Grund zerstört wurde. Die alle redet er also an, die der Herr nach seinem ewigen Ratschluss zur Vernichtung Babels bestimmt hatte. Diese Redeform hat weit mehr Nachdruck, als wenn er einfach gesagt hätte, alles sei zur Hinschlachtung bereit. Gott beschließt nicht nur nach seinem Rat über die Gottlosen, er hält auch Diener in Bereitschaft, durch die er die Freveltaten jener bestraft.

Um ihrer Väter Missetat willen. Auf den ersten Blick erscheint es allerdings allzu hart, die Kinder mit den Vätern zusammenzufassen, wo es sich doch um eine Bestrafung der letzteren handelt, allzu hart, die Strafe, welche die Väter verdienten, gleicher Weise auf die Kinder und Enkel auszudehnen. Dennoch wäre solche Ansicht töricht. In der Schrift tritt uns häufig die Anschauung entgegen, dass Gott die Freveltaten der Eltern an den Kindern heimsucht. Dem widerstreitet nicht das Wort des Propheten Hesekiel (18, 20): „Der Sohn soll nicht tragen die Missetat des Vaters.“ Diese Stelle ist eben nicht so aufzufassen, als ob Gott die den Eltern gebührende Strafe auf die Kinder übertrüge, die gar nichts Derartiges verdient hätten. Denn auch der Kinder Schuld ist mit jener verknüpft. Niemand wird unschuldig von Gott gestraft. Von der Gesamtschuld des menschlichen Geschlechtes, an der alle vom Mutterleibe an mitschuldig sind, wollen wir schweigen. Wir brauchen nur irgendeinen Gottlosen zum Exempel zu nehmen. Wenn der Herr seinen solchen mit seiner Nachkommenschaft verwirft, so haben wir sicherlich keinen Grund, mit ihm deshalb zu rechten. Denn wenn er seinen Segen aus freien Stücken gewährt, so haben wir kein Recht, darüber zu klagen, dass er ihn nicht gleicher Weise an alle austeilt. Frei ist seine Gnade, und jeder muss bei sich bedenken, dass, was er an Gütern hat, ihm keineswegs von Natur zukommt, sondern vielmehr Gottes freier Gnade zu verdanken ist. Wenn er also einen Menschen verwirft, muss dann nicht auch sein Same verflucht sein? Denn was bleibt denen, die von seiner Gnade verlassen sind, anders übrig, als Verworfenheit? Und wenn sie des ewigen Todes schuldig sind, dann noch viel mehr der zeitlichen Strafen. Wen die Todesstrafe erwartet, der verdient weit mehr noch das Gefängnis und die Knute. Das ist sorgsam zu beachten. – Kindisch scheint mir die Erklärung derer zu sein, die meinen, der Herr suche die Kinder der Gottlosen mit zeitlichen Strafen heim wegen der Missetaten der Eltern, und die es nicht Gottes für unwürdig halten, auch Unschuldigen derartige Strafen zuzuerkennen. Gott straft ja niemals Unschuldige; er ist von Natur zum Erbarmen geneigt. Wie könnte er aber die Bösen schonen, wenn er seinen Zorn an den Unschuldigen ausließe? Das also ist festzuhalten, dass alle, welche von Gottes Gnade verlassen werden, unter das Gericht des ewigen Todes beschlossen sind. Daraus folgt, dass der Gottlosen Kinder, welche Gottes Fluch verfolgt, demselben Gericht verfallen sind. Zudem redet Jesaja nicht von unschuldigen Kindern, sondern von verderbten, frevelhaften, die wohl noch die Eltern an Schlechtigkeit übertroffen haben. So werden sie mit Recht den Eltern gleichgestellt und derselben Strafe unterworfen; sie haben ja dasselbe Leben getrieben. Nun könnte aber jemand einwenden, dann trügen sie ja die Strafen für ihre eigenen Sünden, nicht für die der Eltern. Zum Teil gebe ich das zu. Doch fing schon bei den Eltern die Verwerfung an, um derentwillen auch sie von Gott verlassen und verworfen wurden. Davon lässt sich aber nicht ihre eigene Schuld trennen, als ob sie etwa unschuldig wären, sondern, wegen der Verwerfung in dieselben Laster verstrickt, werden sie auch mit denselben Strafen und demselben Elend beladen. Ich weiß wohl, dass mit dieser Erklärung die nicht zufrieden gestellt werden, welche nicht aufhören, mit Gott zu streiten. Aber ich möchte nur die Frommen zufrieden stellen, nicht die Streitsüchtigen. Aus diesen mache ich mir nichts. Ich vertraue und hoffe, die Frommen werden gewiss mit solcher Erklärung, die ja auch die richtige ist, zufrieden sein.

Noch den Erdboden voll Städte machen. Damit deutet der Prophet wohl darauf hin, dass die Gottlosen ihr Geschlecht auszubreiten pflegen und es bei ihnen von einer schier ungezählten Nachkommenschaft wimmelt, sodass sie den andern sowohl an Zahl wie auch an Ansehen weit überlegen sind. Daher kommt ja auch das Sprichwort: Unkraut vergeht nicht. Die Gottlosen würden also die Erde nicht nur mit Menschen, sondern auch mit Städten überfüllen, wenn der Herr nicht zeitig darein schaute, diesem Übel steuerte und ihre Zahl verminderte. Wenn Gott nicht die Menge der Gottlosen beschnitte, dann würde gewiss von ihnen die Erde gänzlich überflutet. Hier wird bestätigt, was wir schon oben sagten, dass die Kinder der Babylonier nicht schuldlos hingeschlachtet werden. Denn als Grund wird hier hinzugesetzt, dass sie nicht den Erdboden voll Städte machen. Sie müssen also gottlos gewesen sein, sonst wäre ihre Ausbreitung nicht vom Übel gewesen. Sie verfallen daher einem gerechten Gericht zum Heile der Menschen, sodass man dem Herrn nicht etwa Grausamkeit und wütendes Rasen vorwerfen darf.

V. 22. Und ich will über sie kommen. Hier kündet der Herr an, er selbst werde das ausführen, wozu er vorher andere durch den Propheten beauftragt hatte. Man muss beides beachten, einerseits dass es Gottes Werk ist, wenn die Gottlosen untergehen, anderseits, dass er Menschen zur Ausführung seiner Gerichte gebraucht. Denn im vorigen Verse redete er seine Werkzeuge an: „Richtet zu“ usw. Die von Gott verordneten Propheten gaben allen Völkern den Auftrag, dies oder das zu tun. Weit entfernt nun, dass dann Menschen die Ausführung hindern können, werden sie vielmehr gezwungen, Gott gehorsam zu sein. Wir pflegen aber bei den Menschen stehen zu bleiben und mit Hintansetzung Gottes ihnen die Macht zum Handeln zuzuschreiben. Darum müssen wir als Grundsatz festhalten, dass, wenn Gott durch sie etwas tut, er der eigentlich Handelnde ist, die Menschen aber nur seine Diener und Werkzeuge. Darauf weist auch deutlich das Verbindungswort „Und“ hin: „Und ich will über sie kommen.“ Dies „Und“ ist augenscheinlich begründend zu fassen. Gott gibt den Grund an, weshalb nach seinem Befehl die Meder und andere Völker den Babyloniern den Untergang bereiten sollen: Denn ich will über sie kommen. Diese Redeweise, dass Gott sagt: Ich will über sie kommen – findet sich häufig. Der Prophet passt sich damit unserm Verständnis an. Gottes Majestät ist zu hoch, als dass sie von uns begriffen werden könnte. Wir stellen uns wohl Gott, so lange er sich verborgen hält, in stiller Ruhe vor. Wenn er aber seine Macht ausübt und dieselbe durch irgendeine fühlbare Tat kundgibt, dann heißt es: Ich will mich erheben und über sie kommen.

Der Herr Zebaoth. Der Prophet nennt Gott, um seinen Worten Nachdruck zu geben, den Herrn Zebaoth, den Herrn der Heerscharen. Er will damit sagen, dass er nicht ohne Grund die Macht, Völkern zu befehlen, in Anspruch genommen habe. Denn Gott regiert alle Heerscharen mit seiner Hand. Wenn er demnach verordnet wurde, Gottes Willen zu verkünden, so hat er das Recht, den Menschen Befehle zu erteilen und zu verlangen, dass sie ihm Gehorsam leisten. Am Schluss des Verses wiederholt er noch einmal: spricht der Herr, und weist damit von neuem darauf hin, dass er nichts vorbringt ohne göttlichen Auftrag. Diese seine Weissagung soll damit noch mehr Gewicht erhalten.

V. 23. Und will Babel machen usw. Über die zukünftige Verwüstung Babylons wiederholt der Prophet, was er schon vorher gesagt hat. Babel wird nicht mehr ein Wohnplatz für Menschen sein, sondern wie eine schreckliche Höhle, in der wilde Tiere sich verbergen. Anstatt „zum Erbe den Igeln“ übersetzen einige Ausleger zum Erbe „den Bibern“ oder „den Schildkröten4). Nach den örtlichen Verhältnissen ist es auch nicht unwahrscheinlich, dass der Prophet hier an irgendein Wassertier gedacht hat. Denn hinterher erwähnt er den Wassersumpf . Diese Bezeichnung weist speziell auf die Lage Babylons hin. Zwar hatte dasselbe nicht eine sumpfige, aber immerhin feuchte Lage. Denn auf der einen Seite bespülte der Euphrat, auf der anderen der Tigris sein Gebiet. Daher droht der Herr ihm auch, er werde es zu einem Wassersumpf machen.

V. 24. Der Herr Zebaoth hat geschworen. Zu einer vollgültigen Bekräftigung dieser neuen Weissagung gegen Assur bedurfte es eines Schwures. Denn in keinem Stück lassen wir uns schwerer überzeugen, als darin, dass die Gottlosen sobald untergehen sollen, zumal wenn wir sie in ihrer Blüte, mit allen Schutzmitteln ausgerüstet, außer aller Gefahr und über jegliche Furcht erhaben sehen. Darum stutzen wir auch bei ihrem Anblick und werden von ihrem Glanz geblendet; kaum glauben wir dem Herrn, wenn er ihren völligen Untergang verkündigt. Deswegen braucht er einen Schwur, um kein Körnlein Zweifel übrig zu lassen. Daraus erkennen wir Gottes große Nachsicht gegen uns. Er will unserer Schwachheit durch solches Mittel aufhelfen, während doch sein einfaches Wort genügen sollte. Solche Schwurformel begegnet uns in der Schrift öfter. Durch dieselbe wollte uns der Herr auch eine heilige Scheu einflößen, dass wir nicht zu voreilig im Schwören wären. Wir lassen uns kühn und unüberlegt dazu hinreißen. Die Hauptsache wird im Schwören gewöhnlich stillschweigend unterdrückt. Wenn ich nicht tue, heißt es wohl, was ich gesagt habe, dann … (und diese Zusätze werden eben oft unterdrückt) dann soll es keinen wahrhaftigen Gott geben, oder wie derartige schreckliche Redensarten lauten. Die Menschen sollten sich also im Zaum halten, dass sie nicht unüberlegt ins Fluchen geraten und mit furchtbaren Verwünschungen sich selbst verfluchen. Sie sollen vielmehr lernen, sich darin zu beherrschen.

V. 25. Dass Assur zerschlagen werde. Der Prophet weissagt hier wider Assur. Man nimmt an, dass diese Weissagung sich auf das Heer Sanheribs bezieht, welches durch Gottes Hand, von einem Engel vernichtet wurde, als es Jerusalem belagerte. Der Prophet will den Juden zum Troste sagen: Wie sehr auch Gott zurzeit den Gottlosen erlaubt, über euch zu herrschen, nicht ewig wird ihre Macht dauern. Er selbst wird einst sein Volk befreien von ihrer drückenden Knechtschaft und ihr Joch zerbrechen.

In meinem Lande. Das darf man nicht so auffassen, als ob die Assyrer dort in Judäa durch irgendeine Niederlage gänzlich aufgerieben werden sollen. Vielmehr so ist es zu fassen, dass das auserwählte Volk von der Tyrannei der Assyrer befreit und so deren Herrschaft aufgehoben werden soll. Das Zerschlagenwerden bezieht sich darum nicht so sehr auf die Assyrer persönlich, als vielmehr auf ihr Reich.

Auf meinen Bergen. Einige lesen stattdessen: auf meinem Berge , nämlich dem Berge Zion. Ich möchte aber die erstere Lesart beibehalten. Von den Bergen redet der Prophet, von denen Jerusalem rings umgeben war.

Auf dass sein Joch von ihnen genommen werde. Diese Befreiung von dem Joch der Assyrer, mit dem die Juden so jammervoll belastet waren, ist zugleich ein Vorspiel und Vorbild der Erlösung, die durch Christum erworben wurde.

V. 26. Das ist der Anschlag usw. Mit der einen oder andern Bekräftigung gibt Gott sich nicht zufrieden. Er kann sich kaum genug tun, immer mehr die Sache durch sein Zeugnis zu erhärten, weil er unsern von Natur zum Misstrauen geneigten Sinn genügend kennt. Denn keine Bekräftigung genügt uns, auch wenn er etwas ausführlich und reichlich, ja heilig verspricht. Der Herr will diesem Übel abhelfen. Darum heißt es: Das ist der Anschlag – das ist die ausgereckte Hand, eine Wiederholung, die wir nicht für überflüssig halten dürfen. Denn die kennen sich selber nicht recht, welche meinen, der Prophet oder vielmehr der Geist Gottes mache etwas viel Worte. Woher kommt es nämlich, dass wir an seinem Wort zweifeln? Kommt das nicht daher, dass wir dem Herrn nicht die Macht zutrauen, die ihm gebührt, und von seiner Kraft wenig überzeugt sind? Das sind vor allem die beiden Ursachen des Unglaubens. Diesen müssen als Gegengewicht die beiden Stücke entgegengehalten werden, auf die Jesaja aufmerksam macht: der Anschlag, d. i. der Ratschluss, und die Hand, d. i. die Kraft Gottes. Das muss zunächst festgehalten werden: der Herr ist wahrhaftig; er verkündet nichts, was nicht fest und unwandelbar ist. Sodann: der Herr ist mächtig; seiner Hand kann gar nichts widerstehen. Übrigens sollen wir über den Anschlag, den geheimen Ratschluss Gottes nicht grübeln; wir sollen vielmehr nach dem Willen des Propheten ruhen in dem Ratschluss Gottes, der uns durch sein Wort geoffenbart ist. Höher dürfen wir uns nicht erheben und nicht in Gottes Heiligtum eindringen. Wir sollen vielmehr zufrieden sein mit den gewissen Zeugnissen, die er durch den Mund der Propheten gegeben hat. So sollen wir mit ganzem Herzen alle Verheißungen Gottes umklammern und mit denselben auch seine Macht in Verbindung bringen. Seine Hand darf niemals von seinem Munde geschieden werden. Diese Macht aber ist nicht nach Art der Philosophen als eine untätige, sondern, wie die Schrift lehrt, als eine tatkräftige und wirksame anzusehen.

Über alle Lande – über alle Heiden. Hier könnte man fragen, weshalb der Prophet von allen Landen und allen Heiden spricht, während er doch nur von Assur redet. Aber wir müssen hier daran denken, dass Assur zu seiner Zeit eine Weltmacht war, die fast über den ganzen Orient sich erstreckte und mancherlei Nationen unterworfen hatte. So war Assurs Fall der Untergang auch der übrigen Welt. Denn so gewaltige Reiche ziehen in ihrem Sturz einen allgemeinen Ruin nach sich. Die Größe jenes Reiches konnte Zweifel an dieser Weissagung erwecken. Jesaja lehrt aber, dass dies Reich, ob es sich auch noch so weit ausdehnte, Gott nicht hindern könne, seinen Ratschluss auszuführen.

V. 27. Denn der Herr Zebaoth usw. Mit einer doppelten Frage bekräftigt hier Jesaja seine letzte Aussage noch mehr. Im vorhergehenden Verse hatte er gesagt, es sei des Herrn Anschlag, - um diesen damit als einen solchen hinzustellen, der unverletzlich sei und nicht wirkungslos gemacht werden könne. Nun wirft er, wie bei einer unmöglichen Sache, die Fragen auf: Der Herr Zebaoth hat' s beschlossen; wer will' s wehren? Und seine Hand ist ausgereckt; wer will sie wenden? Damit verspottet er alle Kreaturen. Denn sobald der Herr eine Sache beschlossen hat, reckt er seine Hand aus. Ist aber seine Hand ausgereckt, dann ist die Ausführung der Sache gewiss. Damit sagt der Prophet, dass weder Menschen noch irgendetwas anderes die Ausführung des göttlichen Ratschlusses verhindern können, vorausgesetzt, dass außer den Menschen und dem Satan noch sonst etwas dem Willen Gottes sich entgegenstellt. Endlich deutet der Prophet damit an, dass es bei Gott keine Reue und keinen Wechsel gibt, sondern, was auch immer geschehen mag, er bleibt sich stets gleich, wenn auch alles andere noch so sehr dem Wechsel unterworfen ist. Sein Ratschluss kann durch nichts durchbrochen werden. Da wirft aber jemand ein: Gott hat doch einst seinen Plan geändert, z. B. als er die Bewohner Ninives, den Abimelech oder den Pharao verschonte. Die Antwort ist leicht. Der Herr hatte ja gerade die Absicht, die Bewohner Ninives durch die Predigt des Jonas zu erschüttern und zur Buße zu rufen, um sich ihrer zu erbarmen. Ebenso war es bei Abimelech und Pharao, als Gott ihnen drohte, weil sie Abrahams Weib nehmen wollten. Der Herr wollte sie dadurch, dass er sie erschreckte, zur Besinnung bringen, damit sie es nicht büßen müssten, wenn sie hartnäckig ihm widerständen.

V. 28. Im Jahr, da König Ahas starb usw. Hier richtet der Prophet eine Weissagung gegen die Philister. Die Philister hegten gegen die Juden, obwohl sie ihre Nachbarn waren, einen tödlichen Hass. Sie bildeten die Überreste jener Völker, welche die Israeliten bei der Eroberung Kanaans verschont hatten, obwohl der Herr ihnen den Befehl gegeben hatte, sie auszurotten. Dieser Ungehorsam war die Ursache, dass jene Überreste von Gott gleichsam zu einem Dorn im Auge Israels gemacht wurden. Das wurde ihnen schon vorher, wie die Schrift erzählt (5. Mos. 7, 16), vom Herrn angedroht. So stritten, die beiden Völker miteinander in grimmigem Hass, und so oft die Juden eine Niederlage erlitten, glaubten die Philister, das brächte ihnen ebensoviel Gewinn ein. Sie hätten am liebsten die Juden vernichtet, und nichts Angenehmeres konnte ihnen widerfahren, als dass für jene alles unglücklich auslief. Darum weissagt der Prophet gegen sie als gegen ständige Feinde des Gottesvolkes. – Auch auf die Zeit ist zu achten, in welcher dem Propheten dieses Gesicht zuteil ward. So lange Ahas lebte, hatten die Philister die Oberhand. Dieser gottlose Heuchler, der Gott verlassen und sich auf äußerliche, menschliche Hilfsmittel gestützt hatte, büßte für seine Treulosigkeit. Zu seiner Zeit eroberten die Philister die Städte zurück, welche Usia ihnen entrissen hatte. (2. Chron. 28, 18 f., vgl. 26, 6 f.). Nach dem Tode des Ahas aber fassten sie noch mehr Mut. Sie hofften, nun würden alle ihre Wünsche in Erfüllung gehen, weil der Nachfolger des Ahas fast noch ein Knabe war. Denn der neue jugendliche König Hiskia besaß weder Klugheit, noch Ansehen, noch Überlegung. Diese Umstände sind sorglich zu beachten. Denn Jesaja hat nicht so sehr die Philister im Auge, obwohl er dieselben anredet, sondern die Frommen, welche diese Weissagung trösten und mit froher Hoffnung erfüllen sollte; sonst würden dieselben geglaubt haben, um Judäa sei es geschehen, da von allen Seiten Feinde auftraten, und nirgends irgendwelche Hilfe sich zeigte. Diesen also, die bedrückt und aller Macht beraubt waren, streckt Jesaja seine Hand entgegen; er gebietet ihnen, sie sollten nur gutes Mutes sein, Gott werde ihnen ohne Zweifel beistehen. Eine Last nennt der Prophet diese Weissagung: denn schwer und hart sollte die Zukunft für die Philister sein, die alles Unheils überhoben zu sein glaubten, weil die Juden unter jammervollem Druck standen und keine Hoffnung auf Besserung ihrer Lage hatten. Er kündigt ihnen also an, dass auch ihre Heimsuchung bevorstehe.

V. 29. Freue dich nicht. Zunächst dämpft der Prophet das eitle Vertrauen, von dem die Philister ohne Grund erfüllt waren. Indem er hinzufügt: du ganzes Philisterland, gibt er zu verstehen, dass alle an ihrem Teil diese Heimsuchung fühlen sollen. Dies Land wird nicht nur, will er sagen, teilweise verwüstet werden, sondern kein Winkel desselben soll von der Verwüstung verschont bleiben. Weit und breit soll das ganze Land ehestens seinen Untergang erfahren.

Dass die Rute, die dich schlug, zerbrochen ist. Das beziehen einige Ausleger auf den König Ahas. Das ist aber falsch. Denn so oft dieser mit den Philistern kämpfte, wurde er besiegt. Man muss es deshalb auf Usia beziehen. Doch möchte ich es nicht auf ihn allein, sondern zugleich auf das gesamte jüdische Volk beziehen. Der Prophet will den Philistern sagen: Glaubt ihr etwa sicher zu sein, nachdem die Juden, die euch früher schlugen, in ihrer Macht gebrochen sind? Dann würdet ihr euch gewaltig täuschen. Ihr werdet in kurzem noch schlimmer gezüchtigt werden.

Denn aus der Wurzel der Schlange usw. Mit diesen Worten gibt der Prophet den Grund an, weshalb die Philister sich nicht freuen sollen. Die Juden werden nämlich mehr Kräfte, Schaden anzurichten, wie zuvor erhalten. Wenn die Philister schon früher irgendwelchen Nachteil von ihnen erfahren hatten, so werden sie dann einen noch viel größeren und schlimmeren erfahren. Das Bild, das er gebraucht, ist sehr treffend. Gefährlicher nämlich, als die Schlange, ist der Basilisk, gefährlicher, als der Basilisk, der Drache. Der Prophet sagt mit diesen Bildern nichts anders, als dass die Philister sich täuschen, wenn sie meinen, den Juden sei die Macht, zu schaden, genommen. Ich bin anderer Ansicht, als diejenigen, welche den Basilisk und den Drachen nur auf Hiskia beziehen. Sie haben zwar viel für sich, da Hiskia das Land der Philister bis Gaza eroberte. Doch wollte der Prophet dieser Verheißung eine größere Ausdehnung geben. Die hier erwähnte Gnadenerweisung nahm bei Hiskia ihren Anfang, dehnte sich dann aber auf die Juden insgesamt aus. – Hier gilt es, eine allgemeine Lehre zu beherzigen. Wenn wir vom Unglück bedrückt werden, dann jauchzen die Gottlosen, als wären wir verloren, sie allein aber glücklich. Doch der Herr zeigt uns, dass ihre Freude eitel ist. Denn die Gemeinde Gottes wird sich immer wieder aufrichten und wird in ihre frühere blühende Lage zurückversetzt, mögen auch alle sie für verloren halten. Gottes Kinder leben wieder auf und werden für die Gottlosen zu Basilisken und Drachen. Nicht als ob sie dies letztere selbst wünschen oder sich vornehmen, sondern weil es nach Gottes Ratschluss so sein muss. Darum sind auch diese Bezeichnungen – Basilisk und Drache – für sie nicht schimpflich. Von Natur sind die Frommen nicht so; sie können nur deshalb so genannt werden, weil sie den Gottlosen zum Verderben werden, ob sie auch an sich noch so harmlos sind. Die Sünde und Bosheit der Gottlosen ist schuld daran, dass ihnen das zum Schaden gereicht, was ihnen nützlich und heilsam sein sollte. So ergeht es ihnen ja auch mit Gott selber und mit seinem Evangelium.

V. 30. Die Erstlinge der Dürftigen. Der Prophet hat, wie gesagt, nicht so sehr die Philister im Auge, denen ja seine Drohungen nichts nützten, als vielmehr die Juden. Diese wollte er in ihrem Unglück trösten. Sie waren derart in Bedrängnis, dass sie von Verzweiflung nicht fern waren. Darum nennt er sie die Erstlinge der Dürftigen, Leute, die durch ihr Elend besonders hervortraten; bis zum Äußersten gedemütigt, nahmen sie unter den Elenden die erste Stelle ein. Aber es wird ihnen gesagt: sie werden weiden. Der Herr wird sie solchem Elend entreißen, wird sie wieder weiden und nähren. Wir sehend daraus, dass die Philister zum Heile des Volkes Gottes niedergeworfen und vernichtet wurden. So hatte ja der Herr dem Abraham und seinen Nachkommen verheißen: „Ich will segnen, die dich segnen, und verfluchen, die dich verfluchen.“ Denn die den Kindern Gottes zürnen, müssen auch an sich selbst den Zorn Gottes fühlen. Der Prophet vergleicht, wenn er das Wort „weiden“ gebraucht, sein Volk mit Schafen. Denen müssen wir gleichen, wenn wir Gott zum Hüter haben wollen. In der Schrift ist kaum ein Bild häufiger zu finden, als dieses. Wenn der Herr uns züchtigt, dann sind wir wie zerstreute Schafe, Wölfen und Räubern preisgegeben. Wenn er sich aber gegen unsere Feinde wendet, will er uns wieder sammeln, dass wir ruhig und sicher wohnen. Und die Armen werden sicher ruhen. Der Herr verheißt hier also ein Doppeltes. Erstlich gute Weide, d. h. alles, was zur Notdurft und Nahrung des Lebens nötig ist; dann zweitens Schutz und Bewahrung, dass wir vor jeglichem Ungemach wohl bewahret sind, zwei Stücke, die zu den Pflichten eines Hirten gehören und alles zum Heil Nötige in sich schließen.

Aber deine Wurzel will ich mit Hunger töten. Hier wendet sich der Prophet wieder gegen die Philister, die er mit einem Baume vergleicht, der seine Wurzeln so tief eingesenkt hat, dass sie scheinbar gar nicht mehr herausgerissen werden können. Wenn aber die Wurzel dürr wird, dann muss der Baum ausgehen, wenn er auch noch so tiefen Grund hat. Die Gottlosen stehen also niemals so fest, dass der Herr sie nicht mit Leichtigkeit umstürzen könnte. Er wird nicht nur etwa die Zweige abreißen, sondern sogar die unter der Erde verborgene Wurzel dürre machen und verderben.

Und deine Überbliebenen wird er erwürgen. Das „er“ bezieht man allgemein auf Hiskia. Doch will ich es lieber, wie ich schon erwähnte, auf das ganze Volk ausdehnen. Von diesem redet der Prophet, wie von einem einzelnen Menschen. Des Volkes Haupt war dann allerdings Hiskia. Wir könnten es auch auf das Volk der Assyrer beziehen oder auf irgendein anderes Volk, das der Herr zur Vernichtung der Philister benutzte. Wenn es sich um die Werkzeuge handelt, durch die Gott seine Gerichte vollzieht, dann ist vielfach die Redeweise der Juden eine unbestimmte.

V. 31. Heule. Durch diese gesteigerte Ausdrucksweise will der Prophet in die Herzen der Frommen noch fester seine Weissagungen einprägen, über die sie noch irgendwie im Zweifel sein konnten. Als Tor werden besonders besuchte Örtlichkeiten bezeichnet, auf denen in den Städten die Zusammenkünfte stattfanden. Der Prophet kündigt also den einzelnen Städten Trauer an, und zwar keine gewöhnliche, da sie sich auch über die Plätze legt, die sonst sehr zahlreich besucht wurden. Dass ein Rauch kommt, deutet auf ein Feuer: man soll vom Zeichen auf die Sache schließen. Denn der Rauch ist schon sichtbar, bevor das Feuer aufleuchtet. Dass der Rauch von Mitternacht kommt, kann ebenso auf die Assyrer, wie auf die Juden deuten, da beide nördlich, wenn auch die Juden mehr nordöstlich, vom Philisterland wohnten. Doch möchte ich es lieber nur von den Juden verstehen, obschon ich die gegenteilige Auslegung nicht abweisen will. So oft die Assyrer den Juden eine Niederlage beibrachten, glaubten, wie schon gesagt, die Philister, das Unglück der Juden sei ihr Glück. Sie haben es aber doch zuletzt erfahren, dass deren Niederlage auch sie selbst traf. Denn nach Besiegung der Juden stand den Assyrern der Weg ins Philisterland offen.

Und ist kein Einsamer in seinen Gezelten. Das bezieht sich auf die Feinde der Philister. Zur bestimmten Zeit, d. h. wenn Gott das Philisterland zu verderben beschlossen hat, werden dieselben so mächtig und gewaltig gerüstet sein, dass niemand von ihnen mehr daheim in seinem Zelte oder Hause müßig sitzen wird.

V. 32. Und was werden die Boten usw. Ich denke dabei mehr an verschiedene Heidenvölker, als nur an eines. Sobald Reisende in irgendeine Stadt eintreten, pflegen sie, um etwas Neues zu erfahren, sich zu erkundigen, was vor sich gehe. Was für eine Antwort wird man solchen Reisenden nach Besiegung der Philister auf ihre Frage geben? Diese Antwort: Zion hat der Herr gegründet. Der Untergang der Philister wird also ein herrliches Zeugnis der Gnade Gottes gegen sein Volk sein. Alle sollen es erkennen, dass der Herr der Hüter und Wächter Judas ist, das er sich erwählet hat. Der Grund Zions ist die freie Erwählung, mit der Gott dem Abraham und seinem Samen verheißen hat, er werde ihr Gott sein. Auf Zion sollte nach seinem Willen ein Tempel erbaut werden, damit dort das Gedächtnis seines Namens gefeiert werde. Zions Fundament besteht also nicht aus Steinen und Mörtel, sondern aus den freien Verheißungen eines ewigen Lebens, aus Gnadenverheißungen, die immer allen Frommen bekannt waren. Der Untergang der Philister soll also ein herrliches Zeugnis werden, durch das auch die fernsten Heidenvölker zu der Erkenntnis kommen, dass Gott sein auserwähltes Volk schützen und bewahren wird.

Und daselbst werden die Elenden seines Volks Zuversicht haben. Der Prophet meint nicht, dass die Gläubigen ihre Zuversicht auf Zion setzen würden, wie wir sagen, man müsse seine Zuversicht auf Gott setzen. Er meint vielmehr, dass die Einwohner Zions ruhig und sicher wohnen werden. Die Zuversicht der Frommen soll also nicht auf die Kirche sich gründen, sondern der Prophet zeigt ihnen, wie sie in der Kirche bewahrt werden, weil der Herr sie schützt. Dabei will der Herr unsern Glauben auf die Probe stellen, damit wir nicht wähnen, wir seien in allen Stücken glückliche Leute. Daher redet er auch von den „Elenden seines Volkes“. Wir dürfen nicht glauben, den allgemeinen Heimsuchungen enthoben zu sein, wir mögen noch so sehr unter dem Schutze Gottes stehen. Aber kann ein größerer Trost uns gegeben werden als der, dass die Glieder der Gemeinde Gottes, wenn auch zahllosem Elend preisgegeben, doch außer aller Gefahr sind? Das lasst unsern Trost sein in unsern Heimsuchungen! Lasst uns nicht in Ungeduld kleinmütig werden, sondern erkennen und gewiss sein: Gott sorgt für uns; wir stehen in seinem Schutz.

1)
Starb i. J. 373 n. Chr.
2)
Regierte von 361 – 363 n. Chr.
3)
Starb i. J. 420 n. Chr.
4)
Neuerdings auch: „den Rohrdommeln.
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