Calvin, Jean - Der Brief des Apostels Jakobus - Kapitel 4.

Calvin, Jean - Der Brief des Apostels Jakobus - Kapitel 4.

V. 1. Woher kommt Streit? Bei dieser Verhandlung über den Frieden, dieser Erinnerung, die Fehler so zu beseitigen, dass dabei der Friede gepflegt wird, nimmt Jakobus die Gelegenheit wahr, zu den Zänkereien, mit denen die Christen sich gegenseitig das Leben verbitterten, herabzusteigen. Er zeigt, dass dieselben viel eher ihre Quellen in ihren unordentlichen Begierden als in ihrem Eifer für das Gute haben. Wenn ein jeder sich in Zucht hielte, würden sie einander nicht aufreizen. Aus dem straflosen Wuchern ihrer Lüste erklärt sich das Aufflackern ihrer Streitigkeiten. Wenn jeder sich des Unrechtes enthielte, würde der Friede unter uns also größer sein. Die in uns herrschenden Laster sind für unsere Zänkereien gleichsam die kampflustigen Kriegsknechte. Mit den Gliedern meint Jakobus alle unsere Lebensgebiete. Unter den Wollüsten versteht er die unerlaubten und genusssüchtigen Triebe, die nur mit dem Unrecht, das andere erleiden müssen, gesättigt werden können.

V. 2. Ihr seid begierig, und erlangt es damit nicht. Jakobus scheint sagen zu wollen, des Menschen Seele sei nicht auszufüllen, wenn er seinen schlechten Lüsten nachgibt. In der Tat ist es auch so. Wer seine Triebe wuchern lässt, findet kein Maß für sein Begehren. Und wenn ihm eine Welt gegeben würde, so würde er begehren, dass neue Welten für ihn geschaffen würden. So geschieht es, dass die Menschen sich Foltern schaffen, die aller Mörder Grausamkeit übertreffen. Jenes Dichterwort1), dass es keine tyrannischere Folter gebe als den Neid, entspricht in der Tat der Wahrheit. Wollen einige Handschriften statt: „ihr neidet“ lesen: „ihr tötet“, so zweifle ich nicht, dass das falsch ist. Das Töten passt in keiner Weise in den Zusammenhang.

Ihr streitet. Dabei denkt Jakobus nicht an Kriege und Schlachten, die man mit dem Schwert ausficht, sondern an jedwede Art selbstsüchtigen Wettstreits, durch den einer zum Schaden anderer seinen Aufstieg sucht. Die Strafe für solche Bosheit zeigt ihnen Jakobus in der gänzlichen Erfolglosigkeit derartigen Ringens. Verdientermaßen macht Gott ihre Anstrengungen zunichte, da sie ihn nicht als den Geber aller Güter anerkennen. Mit einem so gottlosen Streiten bemühen sie sich ja in der Tat, mehr durch Teufels Segen reich zu werden als durch Gottes Wohltat. Der eine erstrebt sein Glück durch Betrug, der andere durch Gewalttat, der dritte durch Verleumdung, alle durch böse und verbrecherische Künste. Glücklich wollen sie werden, aber nicht von Gott her. So ist es kein Wunder, dass sie in der Tat bei allem Eifer doch zurückkommen. Glücklichen Erfolg kann man doch nur von Gottes Segen erwarten.

V. 3. Ihr bittet und nehmt nicht. Weiter: auch wenn sie das Gebet anwenden, so sind sie doch der Abweisung würdig, weil sie ja Gott zum Diener ihrer Lüste zu machen begehren. Halten sie doch auch ihr Gebet nicht in den von Gott vorgeschriebenen Schranken. Vielmehr stürzen sie sich mit zügelloser Dreistigkeit darauf, solche Genüsse zu fordern, bei denen jeder Gedanke an einen Mitwisser schon ein tiefes Gefühl der Scham hervorruft. Irgendwo zieht Plinius2) diese Frechheit ins Lächerliche, und zwar verdientermaßen: Menschen missbrauchen so schamlos Gottes Gehör! Erst recht unerträglich ist ein derartiges Gebaren bei Christen, die vom himmlischen Herrn doch des Gebetes Regel empfangen haben. Sicherlich kann bei uns keine Ehrfurcht, keine Scheu, keine Achtung vor Gott sich finden, wenn wir solches von ihm zu bitten uns unterstehen, was schon unser eigenes Gewissen uns abschlägt. Kurzum, das will Jakobus, dass wir unsere Begierden im Zaum halten. Man zügelt sie aber, wenn man sie unter Gottes Joch bringt. Was wir mit Zucht begehren, sollen wir dann von Gott selbst erbitten. Wenn wir es so machen, dann werden wir uns von schlechten Konkurrenzkämpfen, von Betrug und Gewalttat, von allem Unrecht im gegenseitigen Verkehr fernhalten.

V. 4. Ihr Ehebrecher usw. Ich verbinde diesen Satz mit dem Vorhergesagten. Ehebrecher nennt Jakobus meiner Meinung nach bildlicherweise diejenigen, die, in der Eitelkeit dieser Welt verderbt, sich von Gott losgemacht haben. Er hätte auch sagen können, sie seien entartet oder dgl. Wir wissen ja, wie häufig in der Schrift die Erwähnung des heiligen Ehebundes ist, den Gott mit uns eingegangen. Uns will er deshalb der reinen Jungfrau ähnlich sehen, wie Paulus sagt (2. Kor. 11, 2). Diese Reinheit verletzen und verderben alle unreinen, weltlichen Triebe. Nicht ohne Grund vergleicht Jakobus deshalb die Weltliebe mit dem Ehebruch. Wer den Ausdruck ganz eigentlich nimmt, beachtet den Zusammenhang nicht genug. Denn Jakobus fährt, wie das Folgende zeigt, noch fort in seiner Bekämpfung der menschlichen Lüste, welche mit der Welt verstricken, aber von Gott abführen.

Der Welt Freundschaft. Weltfreundschaft nennt Jakobus die Anheimgabe und Unterwerfung unter die Verführung der Welt. Denn der Zwiespalt zwischen Gott und Welt ist derart und so groß, dass das Maß der Zuneigung zur Welt auch das der Entfremdung von Gott ist. Darum heißt uns die Schrift so oft der Welt absagen, falls wir Gott dienen wollen.

V. 5. Oder lasst ihr euch dünken? usw. Es hat zunächst den Anschein, als sollte der folgende Satz ein Zitat aus der Schrift sein. Die Erklärer winden und drehen sich daher sehr, weil in der Schrift nirgends ein derartiger oder doch wenigstens ähnlicher Satz zu finden ist. Dagegen steht nicht das mindeste der Beziehung auf das Vorhergehende, dass der Welt Freundschaft Feindschaft gegen Gott sei, entgegen. Es ist ja schon erwähnt, dass das eine mehrfach in der Schrift wiederkehrende Lehre ist. Dass die ausdrückliche Beziehung auf diesen vorhergehenden Satz fehlt, ist nicht zu verwundern; der Stil des Jakobus ist scheinbar durchweg ziemlich gedrungen. Das Begehren des Geistes. Manche meinen, hier sei von dem menschlichen Geist die Rede. So lesen sie den Satz nicht frage-, sondern aussageweise in dem Sinne: der menschliche Geist als ein sündlicher ist ganz vom Neid erfüllt und mischt ihn in alle seine Triebe. Richtiger aber urteilen die, welche die Aussage auf Gottes Geist beziehen. Dieser ist es, der uns gegeben ist, dass er in uns wohne. Ich meinerseits verstehe den Satz nicht nur vom göttlichen Geist, sondern lese ihn auch frageweise. Aus der Tatsache des bei den Lesern vorhandenen Neides soll bewiesen werden, dass sie sich nicht von Gottes Geist beherrschen lassen. Denn dieser lehrt die Gläubigen anders. Hierfür dient das folgende Glied der Aussage zum Beweise, der Zusatz (V. 6): vielmehr gibt er gesteigerte Gnade. Das ist nämlich ein Beweis aus dem Gegenteil heraus. Neid ist ein Zeichen der Schlechtigkeit: der Geist Gottes aber, der Gaben Fülle, beweist seine freigebige Güte. Also steht nichts schärfer im Widerstreit mit seinem Wesen als der Neid. Kurz, Jakobus leugnet entschieden, dass Gottes Geist da regiere, wo die bösen, uns zum gegenseitigen Streit erregenden Lüste kräftig sind, weil es des Geistes Art ist, die Menschen immer von neuem mit frischen Gaben auszustatten. Mit der Widerlegung anderer Erklärungen will ich mich nicht aufhalten. Einige erklären: den Geist gelüste wider den Neid. Das ist allzu hart und gezwungen. Sie erklären, die größere Gnade werde gegeben zur Bezähmung der Lüste, zu ihrer Bezwingung für ein geordnetes Leben. Meine Auffassung aber ist natürlicher: durch seine reichliche Güte zieht uns der Geist ab von bösem Eifer. Der letzte Satz ist nicht eigentlich als Gegensatz gedacht, sondern als eine Weiterführung des Gedankens. Daher ist er angeknüpft mit „vielmehr“.

V. 7. So seid nun Gott untertänig. Die empfohlene Unterwerfung soll den Charakter der Demut haben. Nicht eine allgemeine Ermahnung zum Gehorsam gegen Gott wird gegeben, sondern demütige Unterwerfung gefordert, weil der Geist Gottes auf den Demütigen und Stillen ruht. Darum gibt Jakobus diese Forderung auch als eine Folge. Weil er vom Geist Gottes ausgesagt hat, er sei freigebig in der Vermehrung der Gnadengaben, so schließt er daraus, dass wir unter Ablegung jedes selbstsüchtigen Eifers uns Gott unterwerfen müssen. Viele Handschriften haben dazwischen (V. 6) noch den Satz: „Deswegen heißt es: Gott widersteht den Hoffärtigen, aber den Demütigen gibt er Gnade.“ Da er aber in anderen Handschriften nicht gelesen wird, so hegt Erasmus den Argwohn, er sei von irgendeinem Leser auf dem Rande notiert und hernach in den Text geraten. Und das ist auch möglich, obwohl er zum Zusammenhang sehr wohl passen würde. Denn die Meinung einiger, es sei doch unbegreiflich, dass ein Wort oder Zitat aus der Schrift angeführt sein sollte, das man nur bei Petrus (1. Petr. 5, 5) findet, wird leicht entkräftet. Ich vermute vielmehr aus der allgemeinen Lehre der Schrift heraus, dass diese sprichwörtliche Redensart damals unter den Juden gang und gäbe gewesen sein muss. Sie enthält ja nichts anderes, als was Ps. 18, 28 steht und an mehreren Stellen sonst auch noch: „Ein demütiges Volk behütest du, Herr, und die Augen der Stolzen niedrigst du.“

Widersteht dem Teufel. Nun wird gezeigt, wohin wir unseren Kampf richten müssen. Ähnlich sagt ja auch Paulus, dass wir nicht mit Fleisch und Blut zu kämpfen hätten, und feuert uns an zum Geister-Kampf (Eph. 6, 12). Nachdem also Jakobus Bescheidenheit gegen die Menschen, Demut gegen Gott gelehrt hat, stellt er uns den Satan als den Feind vor Augen, wider den man sich auflehnen soll. Doch scheint die hinzugefügte Verheißung von der Flucht des Teufels in der täglichen Erfahrung ihre Widerlegung zu finden. Denn das ist sicher: je tapferer unser Widerstand, desto schärfer die Bedrängnis. Denn der Satan spielt nur sozusagen, wo er nicht ernstlichen Widerstand findet, aber gegen die Widerspenstigen entwickelt er dann, was er an Stärke besitzt. Weiter wird er auch durch den Kampf niemals ermüdet, vielmehr bietet er, in einer Schlacht besiegt, sogleich eine neue an. Demgegenüber sage ich: dass der Teufel flieht, bedeutet, dass er eine Niederlage erleidet. Und gewiss ist es: obgleich er beständig seine schmählichen Angriffe erneuert, muss er doch immer fruchtlos abziehen.

V. 8. Nahet euch zu Gott usw. Eine neue Zusicherung, dass uns Gottes Hilfe nicht fehlen wird, wenn wir ihm nur Raum geben. Denn wenn Jakobus befiehlt, wir sollten uns zu Gott nahen, damit wir ihn als nahe empfinden, bedeutet er uns, dass wir seiner Gnade deswegen verlustig gehen, weil wir uns von ihm entfernen. Steht Gott aber auf unserer Seite, so fehlt jeder Anlass zur Furcht, dass wir unterliegen möchten. Wenn aber jemand hieraus den Schluss ziehen wollte, wir müssten den Anfang machen, Gottes Gnade folge dann nach, so liegt solche Meinung dem Apostel ganz fern. Zugegeben, dass wir anfangen müssten, so folgt daraus noch lange nicht, dass wir es auch vermöchten. Und mit der Mahnung zur Pflicht verzichtet der Geist Gottes nicht im Geringsten auf sein und seiner Kraft Vorrecht, selbst eben dies, was er befiehlt, auch in uns zustande zu bringen. In Summa: Jakobus beabsichtigt hier nichts anderes als dies, zu versichern, dass Gott uns niemals fehlen werde, es sei denn, dass wir uns selbst von ihm entfernen. Er will uns helfen wie einer, der die Hungrigen zu Tisch, zur Quelle die Durstigen führt. Weil unsere Füße erlahmen, deswegen liegt so viel daran, dass unser Gang vom Herrn geleitet und aufrechterhalten wird. Eine abgeschmackte Spitzfindigkeit ist die Behauptung, Gottes Gnade komme erst an zweiter Stelle und hinter unserer guten Vorbereitung, da Jakobus doch das Nahen Gottes zu uns erst an zweiter Stelle nenne. Denn das ist für unsere Erfahrung nichts Neues, dass Gott seine schon geschenkten Gnaden durch neue mehrt, und dass er so die, denen er bereits viel gegeben, noch mehr und mehr bereichert.

Reinigt die Hände. Das ist eine Klagerede gegen alle Gottentfremdeten. Und zwar bezeichnet Jakobus nicht zwei verschiedene Klassen von Menschen, sondern eben dieselben nennt er Sünder und Wankelmütige. Auch meint er nicht alle möglichen Sünder, sondern die durch Untaten und verderbtes Leben befleckten. So wird ja bei Johannes (9, 3) der Ausdruck gebraucht, dass Gott die Sünder nicht hört. Und Lukas (7, 37) nennt in diesem Sinn jenes Weib eine „Sünderin“, und bei ihm und den andern Evangelisten heißt es: Dieser isst und trinkt mit den Sündern. Nicht alle ohne Unterschied lädt Jakobus also zu der hier charakterisierten Buße ein, sondern die Leute schlechten und verderbten Herzens, schimpflichen und mit Schande beladenen, oder sogar mit Verbrechen befleckten Lebens! Von diesen fordert er Keuschheit des Herzens und Reinheit der Werke. Daraus wird uns die wahre Art und Natur der Buße klar: nicht nur das äußere Leben soll in ihr gebessert werden, sondern sie macht den Anfang mit der Reinigung des Herzens. Umgekehrt ist es natürlich nötig, dass die Früchte der inneren Buße in der Reinheit der Werke zur Erscheinung kommen.

V. 9. Seid Elend und tragt Leid. Traurigkeit kündigt Christus verwünschend (Lk. 6, 25) denen an, die lachen. Und Jakobus droht bald hernach (5, 1) den Reichen in gleicher Weise Trauer an. Hier aber handelt es sich um die heilsame Traurigkeit, die uns zur Buße führt. An solche Leute ergeht die Rede, die benebelten Sinnes das Gericht Gottes nicht fühlen, daher sich in Lastern gefallen. Solch todbringende Betäubung ihnen zu nehmen, fordert er sie auf, das Trauern zu lernen unter dem Schmerz des erwachten Gewissens und aufzuhören mit ihrer Selbstberäucherung im Angesichte des nahen Verderbens. „Lachen“ steht für die Weltfreuden überhaupt, welche die Gottlosen sich bereiten, während sie das Gericht Gottes vergessen, betört vom süßen Gift ihrer Verbrechen.

V. 10. Demütigt euch usw. Das ist der Schluss des Vorhergehenden: Wenn er sieht, dass wir jene hochmütigen Gedanken abgetan haben, dann wird Gottes Geist zu unserem Trost uns nahe sein. Wir sind eifersüchtig und neiden, weil wir hochzukommen begehren. Das ist eine verkehrte Rechnung. Gottes Art ist es, die Kleinen aufzurichten, und zumal die sich freiwillig erniedrigen. Wer immer eine fest begründete Höhe erstrebt, niedergeworfen im Gefühl seiner eigenen Schwäche, der denke über sich nicht anders als demütig. Gut sagt Augustin irgendwo: wie der Baum tief unter sich die Wurzeln senden muss, um himmelwärts zu wachsen, so fährt jeder zu seinem Verderben aufwärts, der seine Seele nicht in der Demut hat wurzeln lassen.

V. 11. Afterredet nicht. Man sieht, wie viel Arbeit Jakobus aufwendet, um die Tadelsucht zu beseitigen. Die Heuchelei ist immer stolz, und von Natur sind wir Heuchler und erheben uns begierig, nicht ohne den andern Schmach zuzufügen. Eine zweite, dem menschlichen Gemüt gleichfalls eingeborene Krankheit ist die Sucht, dass jeder das Leben aller anderen nach seinem Willen gestaltet haben möchte. Diese Unbesonnenheit, dass wir unseren Brüdern das Gesetz des Lebens aufzulegen uns unterstehen, geißelt Jakobus an dieser Stelle. Unter dem Afterreden versteht er also alle Schmähungen und missgünstige Reden, die aus böser und verderbter Gesinnung fließen. Weit verbreitet und unverhüllt gähnt dieses Übel der Tadelsucht uns an. Aber hier zielt Jakobus auf jene eine, schon genannte Seite, dass wir mit gerunzelter Stirn über anderer Leute Worte und Taten befinden, als wenn unser mürrischer Eigensinn ihnen als Gesetz aufläge, dass wir mit selbstgewisser Sicherheit alles verurteilen, was uns nicht gefällt. Dass ein derartiges Selbstvertrauen hier gestraft werden soll, geht aus der hinzugefügten Begründung hervor.

Wer seinem Bruder afterredet usw. Jakobus zeigt, dass jeder so viel dem Gesetz an Autorität entzieht, als er sich gegen seine Brüder an Autorität anmaßt. Das Afterreden wird der Ehrfurcht gegen das Gesetz, die wir ihm schulden, gegenübergestellt. Denselben Gedankengang verfolgt Paulus Röm. 14, wenngleich aus anderer Veranlassung. Damals wurden nämlich manche in der Auswahl der Speisen von den Stricken des Aberglaubens festgehalten, und sie verurteilten nun auch bei anderen, was sie für sich selbst als nicht erlaubt betrachteten. Da erinnert sie Paulus, es sei ein einiger Herr, dem wir alle stehen und fallen und vor dessen Richterstuhl wir alle gestellt werden müssen. Er schließt daraus, dass der, welcher die Brüder richtet nach seinem Gefühl, Gottes Vorrecht sich anmaßt. Jakobus aber tadelt die, welche den Brüdern den Ruhm der Heiligkeit durch ihr Verdammen abjagen. So setzen sie ihren mürrischen Eigensinn an die Stelle des göttlichen Gesetzes. Jakobus zielt in seinem Kampfe auf dasselbe wie Paulus: nämlich, dass wir voreilig handeln, indem wir die Herrschaft über das Leben der Brüder an uns reißen, während Gottes Gesetz uns alle ohne Ausnahme in eine und dieselbe Ordnung zwingt. Wir sollen also lernen, dass allein nach Gottes Gesetz geurteilt werden muss.

So bist du nicht ein Täter des Gesetzes, sondern ein Richter. Folgendermaßen ist der Gedankengang: Wenn du dir über das Gesetz Gottes eine richterliche Gewalt zuerkennst, so nimmst du dich schon von der Unterwerfung unter das Gesetz aus. Wer also den Bruder voreilig richtet, zerschlägt das Joch Gottes, da er ja der gemeinen Lebensregel sich nicht unterwirft. Es ist also ein Beweis aus dem Gegenteil: wenn Menschen ihrer törichten Meinung Kraft und Autorität des Gesetzes beilegen, so sticht Beobachtung des Gesetzes weit ab von solcher Anmaßung. Wir folgern daraus, dass wir dann das Gesetz recht beobachten, wenn wir uns ganz und gar allein von seiner Lehre abhängig machen, auch nirgends sonst her den Unterschied zwischen gut und böse bestimmen, wie ja dann auch alle Taten und Worte der Menschen in Anspruch genommen werden müssen. Gegenüber dem Einwurf, dass die Heiligen doch die Richter der Welt sein wollen, ist die Antwort sehr einfach: nicht aus eigenem Recht kommt ihnen diese Ehre zu, sondern sofern sie Christi Glieder sind. Wenn sie aber jetzt dem Gesetz gemäß richten, so sind sie nicht als Richter zu betrachten, da sie ja allein Gott als ihrem eigenen und aller Welt Richter Gehorsam beipflichten. Was Gott anbetrifft, so kann er nicht als Täter des Gesetzes beurteilt werden; seine Gerechtigkeit steht über dem Gesetz. Aus der ewigen und unermesslichen Gerechtigkeit Gottes fließt das Gesetz erst wie ein Bach aus seiner Quelle.

V. 12. Es ist ein einiger Gesetzgeber. Der Gesetzgeber hat auch die Macht, zu erhalten oder zu verderben: durch diese Gedankenverbindung macht Jakobus deutlich, dass die Leute, die sich das Recht der Gesetzgebung zuschreiben, an der ganzen Majestät Gottes sich räuberisch vergreifen. Solche Anmaßungen verüben aber doch in der Tat die, welche ihre Willkür anderen als Gesetz aufdringen. Erinnern wir uns indessen, dass hier nicht das äußerliche, obrigkeitliche Regiment verhandelt wird – bei ihm haben Verfügungen und Gesetze der Behörde ihre Stelle – sondern das geistliche Regiment der Seelen, bei dem allein dem Wort Gottes die Herrschaft zukommt. Allein Gott hat das Recht, die Gewissen an seine Gesetze gebunden zu halten, demgemäß, dass er allein Heil oder Untergang der Seele in seiner Hand hat. Von hier aus ist die Entscheidung über menschliche Vorschriften, welche den Strick der Notwendigkeit in das Gewissen schleudern, klar. Manche wünschen uns mehr Bescheidenheit, wenn wir den Papst den Antichristen nennen, der Tyrannei über die Seelen übt, indem er sich zum gottgleichen Gesetzgeber macht. Aber aus dieser Stelle schließen wir bei weitem mehr: nämlich, dass die des Antichrists Glieder seien, die freiwillig solche Stricke anlegen und Christus bis zu diesem Grade absagen, indem sie ihm einen Menschen beiordnen, der nicht sterblich ist, sondern sogar sich gegen Christus erhebt. Das ist, sage ich, ein pflichtvergessener und dem Teufel geleisteter Gehorsam, wenn wir einen anderen Gesetzgeber zum Regiment der Seelen zulassen als Gott.

Wer bist du, der du einen anderen richtest? Einige sind der Meinung, hier würden die Tadler an ihre eigenen Fehler erinnert, damit sie ihre Prüfung bei sich selbst möchten anfangen lassen. Wenn sie dann erwägen, dass sie um nichts reiner sind als andere, werden sie aufhören mit ihrer Strenge. Ich bin dagegen der Meinung, dass den Menschen hier einfach ihre Lage klargemacht wird, damit sie bedenken, wie weit entfernt sie sind von der Stufe, zu der sie sich erheben. Wie auch Paulus sagt (Röm. 14, 4): „Wer bist du denn, dass du einen andern Knecht richtest?“

V. 13. Wohlan nun usw. Eine andere Art des Hochmuts nimmt Jakobus hier unter sein Urteil, nämlich dass so viele, da sie doch sich abhängig dünken müssten von Gottes Vorsehung, ganz unbefangen feststellen, was sie tun werden, und ihre Pläne auf lange Zeit im Voraus machen, als ob sie eine lange Reihe von Jahren in der Hand hätten, während sie doch nicht einmal eines Augenblicks sicher sind. Ein derartig törichtes Sich-brüsten verspottet auch Salomo witzigerweise (Spr. 16, 1), wenn er sagt: der Mensch setze sich seine Wege wohl im Herzen vor, indessen Gott tatsächlich die Zunge regiere. Es ist doch sehr töricht, wenn wir das eigenwillig als Ziel uns vornehmen, was bloß auszusprechen nicht einmal in unserer Macht steht. Nicht so sehr das äußere Sagen befehdet Jakobus, als vielmehr die Torheit des Herzens, dass Menschen ihre eigene Schwäche vergessen und so übermütig sind. Es kann ja geschehen, dass fromme Menschen von bescheidenem Sinn, die auch durchaus anerkennen, dass Gottes Wink ihren Weg regiere, sagen, sie würden dies oder jenes tun, ohne dass sie daran eine Einschränkung knüpfen. Doch ist es gut und nützlich, wenn man etwas für die Zukunft verspricht, sich an die bekannten Redeweisen zu gewöhnen: wenn es dem Herrn gefällt, oder: wenn der Herr es erlaubt. Indes soll man hier keinen Anlass zu Gewissensskrupeln erregen, als wenn das Unterlassen einer derartigen Redeweise Sünde wäre. Denn hin und wieder begegnet uns in der Schrift, dass die heiligen Männer Gottes bedingungslos über zukünftige Dinge geredet haben, während doch in ihrem Bewusstsein die Gewissheit ganz feststand, dass sie nichts vermöchten ohne Gottes Erlaubnis. Was also diese Redegewohnheit anbetrifft: wenn es der Herr will oder gibt, - so mögen alle Frommen dieselbe ernstlich pflegen. Aber das ist hier des Jakobus Absicht: den Stumpfsinn derer zu treffen, die ohne Rücksicht auf die göttliche Vorsehung über den Verlauf eines ganzen Jahres verfügen, während sie nicht einmal den Augenblick in der Hand haben, die einen fernen Gewinn sich versprechen, während sie nicht im Geringsten fest in Besitz haben, was vor ihren Füßen liegt.

V. 14. Denn was ist euer Leben? Dieses törichte, zügellose Plänemachen hätte Jakobus mit vielen anderen Gründen in Zucht nehmen können. Täglich sehen wir ja, wie der Herr die Anschläge jener Vermessenen vereitelt, die mit vollem Munde allerlei ankündigen, was sie tun wollen. Für Jakobus aber war dieses ein Grund genug: Wer hat dir für morgen das Leben versprochen? Wirst du etwa als ein Toter ausführen, was du so sicher beschließt? Der Gedanke an die Kürze unseres Lebens dämpft leicht die dreiste Verwegenheit und hindert uns, in allzu weite Ferne mit unseren Plänen zu schweifen. Ja, aus keinem anderen Grund erlauben sich die gottvergessenen Menschen so viel, als weil sie vergessen, dass sie nur Menschen sind. Das Bild des Dampfes ist sehr bezeichnend für die mehr als vergänglichen Pläne, die nur am Schatten eines Lebens ihr Fundament haben.

V. 15. So der Herr will usw. Doppelt ist die darin angegebene Bedingung; einmal: wenn wir so lange am Leben bleiben, und zweitens: wenn es der Herr zugibt, - es kann ja vielerlei geschehen, was unsere Beschlüsse umstößt. Dunkel sind uns die Ereignisse der Zukunft. Mit dem Willen des Herrn ist hier nicht das Gesetz gemeint, sondern der Ratschluss, mit dem er alles lenkt.

V. 16. Nun aber rühmt ihr euch usw. Aus diesen Worten geht hervor, dass Jakobus mit seinem Tadel noch etwas anderes im Auge hat als leichtsinnige Reden. Ihr rühmt euch eurer in Prahlerei, sagt Jakobus; nämlich Gottes Herrschaft schaffen sie ab, mit sich selbst aber sind sie sehr zufrieden. Nicht etwa, dass sie in ihrem aufgeblasenen Selbstvertrauen offen sich den Vorzug gäben vor Gott, sondern, berauscht von der Eitelkeit ihres Sinnes, nehmen sie auf nichts weniger Rücksicht als auf Gott. Solche Mahnungen wie diese pflegen die gottlosen Menschen mit Verachtung aufzunehmen; ja man hört schon die bekannte Antwort: was man da sage, sei ihnen nur zu bekannt, als dass es der Erinnerung bedürfe. Aber Jakobus begegnet im Voraus diesem Verhalten, dreht den Spieß um und hält ihnen die Erkenntnis, deren sie sich rühmen, als einen ihre Schuld erschwerenden Grund vor: nicht aus Unkenntnis sündigen sie, sondern mit Verachtung dessen, was sie wissen.

1)
Horatius, Episteln I, 1; II, 58
2)
Plinius der Jüngere, um 100. n. Chr. Schreibend, spottet in seinen Briefen (II, 20) über einen Erbschleicher, der sich durch göttliches Orakel Reichtum versprechen lässt.
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