Calvin, Jean – Hiob 2, 11 – 3, 4

Calvin, Jean – Hiob 2, 11 – 3, 4

11) Da nun die drei Freunde Hiobs von all dem Unglück hörten, das über ihn gekommen war, Eliphas von Theman, Bildad von Suah und Zophar von Naema, kamen sie aus dem Ort, wo sie wohnten; denn sie hatten sich verabredet, ihm ihr Mitleid zu bezeigen und ihn zu trösten. 12) Da sie nun von ferne ihre Augen aufhoben, erkannten sie ihn nicht; darnach erhoben sie ihre Stimme und weinten; sie zerrissen ihr Obergewand und streuten Staub gen Himmel auf ihre Häupter. 13) Und sie saßen neben ihm auf der Erde sieben Tage und sieben Nächte lang und keiner redete ein Wort, denn sie sahen, dass sein Schmerz übergroß war. 3, 1) Dann tat Hiob seinen Mund auf und verfluchte seinen Tag. 2) Und Hiob hub an und sprach: 3) Verderben komme über den Tag, da ich geboren ward, und über die Nacht, da man verkündigte: es ist ein Knabe empfangen! 4) Dieser Tag müsse finster sein, und Gott dort oben müsse nicht nach ihm fragen; kein Glanz erstrahlt über ihm!

Auf den ersten Blick hat es den Anschein, als wollte Gott seinen Knecht Hiob erleichtern, als er ihm Männer zuschickt, die ihm Mitleid zeigen und dabei weise und verständig genug sind, um ihn zu trösten; wir werden ja auch hernach aus ihren Reden erkennen, dass es treffliche Männer waren. Deshalb hätte man urteilen können, Gott wolle nun dem Hiob seine Hand entgegen strecken, um ihn von dem Elend zu erlösen, das er ihm zugeschickt. Aber wir werden sehen, dass dieser Freundesbesuch allein dazu gedient hat, sein Elend nur noch schwerer zu machen und ihn in den tiefsten Abgrund der Verzweiflung zu stürzen. Wenn wir bisweilen auf Erlösung von unserer Trübsal hoffen, und es kommt doch anders, als wir erwartet haben, so darf uns das nicht befremden. Auch Hiob hatte beim Anblick seiner Freunde Hoffnung geschöpft, aber die Hoffnung hat ihn betrogen; sie waren wie Teufel und kamen, um ihn schlimmer zu quälen, als er zuvor gequält war. Gleichwohl war das nicht ihre Absicht; sie kommen nicht um Hiob zu verspotten, es ist keinerlei Bosheit in ihnen, nein, sie haben ihn recht und aufrichtig lieb. Sie wollen ihm ja Mitleid erzeigen, wollen einen Teil seiner Last auf sich nehmen, ja, sie wollen, soviel sie können, seinen Schmerz so mit ihm tragen, als wären sie ein Stück von ihm. Dazu kommen sie, und gleichwohl macht das Hiobs Anfechtung nur noch schwerer. Wenn wir es auch noch so gut meinen und unsern Nächsten noch so ernstlich in seinem Leid trösten wollen, - unsere gute Meinung ist dennoch nichts nütze, wenn Gott uns nicht dabei leitet. Es fehlt uns an Klugheit, und deshalb machen wir alles falsch; wir wollen das Beste von der Welt, und doch bringen wir den armen Menschen nur zur Verzweiflung, der doch schon genug unter seinem Elend leidet. Wir sind nicht vorsichtig und geschickt genug. Gott muss uns die rechte Klugheit geben, dazu aber auch eine rechte Freundlichkeit, sonst sind wir zu streng gegen die, an denen wir verzweifeln möchten; wir müssen Gutes von ihnen hoffen, wie es denn auch heißt: „Die Liebe hoffet alles“ (1. Kor 13, 7). Wir mögen wohl all unsere Habe den Armen geben; aber wenn die Liebe nicht da ist, so ist es nichts (1. Kor 13, 3).Was wir auch für schöne Dinge tun mögen, es ist nichts als Lug und Trug, wenn nicht in allem die Liebe waltet. Oft genug sehen wir jemand sich alle Mühe geben, einem anderen zu helfen; aber er hat kein Mitgefühl. Und das wünscht man sich doch zu allererst, wenn man Trost begehrt.

Als die Freunde zu Hiob kamen, um mit ihm zu klagen, wollten sie ihn gleichzeitig trösten und erquicken. Aber sie bleiben auf halbem Wege stehen: in bester Absicht sind sie aufgebrochen, aber sie gehen nicht in der richtigen Weise vor; sie behalten das Mitgefühl mit Hiob nicht bei und suchen nicht nach ernsthaften Mitteln, ihn wirklich zu trösten. Nichts davon tun sie, sie sind ganz wie von Sinnen. Ohne Zweifel nehmen sie Anstoß an Hiob, als sie solch einen Jammer sehen; es dünkt ihnen, Gott würde nicht so rau mit ihm umgehen, wenn er nicht ein ganz verworfener Mensch wäre. Sie ärgern sich dermaßen an seinem übergroßen Jammer, dass ihnen der Mut entfällt, ihn zu trösten.

Darnach erhoben sie ihre Stimme und weinten. Diese Tränen kamen nicht aus Verstellung; nein, sie meinten es gut; aber weil sie über den großen Jammer Hiobs so erschrocken waren, gerieten sie in Bestürzung und konnten ihren Dienst nicht so ausrichten, wie sie sich´s vorgenommen hatten. Es genügt also nicht, jemanden lieb zu haben und ihm diese Liebe äußerlich zu zeigen, sondern es muss eine rechte Liebe sein, sonst können wir einander nicht dienen, wie Gott es haben will.

Dass sie aber ihr Obergewand zerreißen, sich neben ihn auf die Erde setzen, ohne ein Wort zu sprechen, ist ein Ausdruck ihres Mitgefühls, zugleich aber wollen sie sich mit Hiob demütigen und gleichsam bei Gott fürbittend für ihn eintreten, dass er ihm gnädig sei. Denn wenn die Alten Staub auf ihr Haupt streuten, so geschah das zum Zeichen ihrer Demütigung und Sündenerkenntnis; sie gaben sich damit vor Gott als schuldig zu erkennen, als wären sie rechte Übeltäter. Wohl hatte auch Hiob Anlass, so zu verfahren; seine Freunde aber konnten ihre Freundschaft nur so beweisen, dass sie das gleiche taten; denn wir müssen an unseres Nächsten Stelle treten, wenn wir Gott für ihn um Verzeihung bitten wollen. Und das ist die größte Hilfe, die wir ihm erzeigen können, dass wir Gott bitten, er wolle ihn nicht ganz und gar verwerfen. Dazu aber gehört, dass wir ganz in Gemeinschaft mit den anderen treten und uns vor Gott demütigen, um mit ihnen zu leiden. Sieben Tage und sieben Nächte sitzen Hiobs Freunde bei ihm, um mit ihm zu trauern und ihn zu trösten. Dabei aber reden sie kein Wort, so bestürzt sind sie, da sie sehen, wie streng Gottes Hand mit ihm ist. Aber sie sind doch mit dem festen Vorsatz gekommen, ihn zu trösten; haben sie denn alle die Reden vergessen, die sie ihm zum Trost halten wollten? Nein, sie schweigen nur, weil sie ganz von dieser Vorstellung erfüllt sind: wenn Gott einen seiner Diener bloß plagte, so könne man ihn noch trösten, aber wenn Gott ihn verlasse, so zeige er damit an, dass er ihn verworfen habe und es keine Hoffnung mehr für ihn gebe – deshalb könne man ihn auch nicht mehr trösten. Darum sind sie so bestürzt.

Aber sie hätten auf Gottes Verheißungen blicken sollen, durch die er uns bezeugt: Auch wenn euch dünkt, es sei alles verloren und keine Hoffnung mehr, so kann ich euch doch noch Hilfe schicken; aber das haben sie nicht getan. Wir müssen also Gott bitten, er wolle uns bei eigenem oder fremdem Unglück in den Schranken halten, damit unser Mitgefühl nicht derart sei, dass wir meinen an allem verzweifeln zu müssen. Denn der Teufel will nichts lieber, als dass wir aus unserm Unglück diesen Schluss ziehen und uns in den Kopf setzen, Gott habe uns verworfen. Geben wir dieser Anfechtung Raum, so werden wir der Gnade Gottes und aller seiner Verheißungen beraubt.

Bisher hat sich Hiob ganz und gar unterworfen und nicht aufgehört, Gott zu preisen bei all seinem Elend. Nun aber schlägt er scheinbar eine ganz andere Richtung ein und lehnt sich trotzig gegen ihn auf. Da stehen wir vor einem Kampf, der auf der einen Seite die menschliche Schwachheit offenbart, andererseits aber zeigt, dass noch ein Rest von Widerstandskraft da ist. Hiob hinkt auf beiden Seiten: vorher war in ihm lauter Standhaftigkeit und Widerstandskraft, jetzt ist alles in ihm in Verwirrung, und die Schwachheit seines Fleisches macht ihn wankend, so dass er gegen Gott murrt; dabei aber ist es nicht seine Absicht, sich als einen Feind Gottes hinzustellen. Soviel ist jedoch sicher: es entfahren ihm böse Worte, und zwar aus einem bösen Willen heraus, Worte, die man nicht entschuldigen kann. Ja, die Menschen können nichts tun, es werde ihnen denn von oben gegeben; darum wollen wir uns ja nicht unserer eigenen Kräfte rühmen, als könnten wir mit unserm „freien Willen“ Berge versetzen und Wunder tun. Wenn Gott die Hand von uns abzieht, liegen wir am Boden!

Was ist das doch für eine seltsame Veränderung, die auf einmal mit Hiob vorgeht! Es liegt doch gar kein neuer Anlass vor, sich so zu erbittern und den Tag seiner Geburt zu verfluchen – und gleichwohl tut er´s, nachdem er sich sieben Tage so geduldig erwiesen! Er ist scheinbar ein ganz anderer geworden. Aber so ist der Mensch: man braucht nur die Hand umzudrehen, und alle unsere Kraft ist verschwunden, wenn Gott uns nicht mehr beisteht. Deshalb wird der Mensch auch mit einem Schatten verglichen, nicht allein deshalb, weil unser Leben so gebrechlich und hinfällig ist, sondern weil wir so schwankend sind und keine Standhaftigkeit haben. Immerfort ändern wir uns: bisweilen blasen wir uns auf, als hätten wir einen Löwenmut, und gleich darauf sind wir so weichlich und weibisch, dass wir ganz ohne Vernunft und Verstand sind. Ja, wir haben es wahrlich nötig, immerdar um uns selbst in Sorge zu sein und anzuhalten mit Gebet und Flehen.

Hiob verflucht den Tag seiner Geburt! Einige wollen ihn ganz und gar entschuldigen: er habe sich von seinem Jammer hinreißen lassen, ohne doch Gott dabei zu lästern; andere meinen, er habe sich so völlig gehen lassen, dass es ihm nicht mehr gelungen sei, Gott zu preisen; aber er habe sich nur von seinen Gefühlen hinreißen lassen und geredet wie einer, der von Sinnen ist. Aber die Wahrheit liegt wohl in der Mitte: er hat wohl gekämpft, dabei aber eine Wunde nach der andern empfangen und ist ganz ins Wanken gekommen. Mit seiner früheren Vollkommenheit ist es vorbei. Obwohl er unter dem Druck seines Elends mitten auf dem Wege zu erliegen meinte, ist er doch tapfer weitergegangen und hat Gott gehorsam bleiben wollen – aber es erging ihm wie dem Paulus: „Das Gute, das ich will, das tue ich nicht“ (Röm 7, 19). Wir wissen ja auch, wie es Jakob ergangen ist: Gott wollte an seinem Beispiel zeigen, dass es auch bei seinen Gläubigen in ihren Kämpfen gegen die Anfechtungen nicht ohne Niederlagen und Narben abgeht. Er kämpft mit dem Engel des Herrn, nicht weil er Gottes Feind wäre – Gott will nur seine Kinder prüfen und auf die Probe stellen, wie wir´s im ersten Kapitel sahen. Er will den Jakob geschickt machen, neue Kämpfe zu bestehen: er erhebt ihn in den Adelsstand und legt ihm den Namen „Israel“ bei, das heißt „Gottesstreiter“. Aber war es so, dass er bei seinem Siege gänzlich unverletzt blieb? Keineswegs, sondern seine Hüfte ist ihm derart verrenkt und zerbrochen, dass er lahm wird und sein Leben lang hinken muss. Der Sieg war sein, aber wie hat er sich müssen demütigen lassen! (Gen 32). Solcherart ist auch der Widerstand der Gläubigen gegen die Anfechtungen: sie können wohl ins Wanken kommen, so dass Gott sie lebenslang demütigen muss, damit sie ihre Schwachheit kennen lernen und darüber seufzen; aber dabei gewinnen sie gleichwohl im Streit den Sieg, und Gott lässt nicht zu, dass sie ganz auf dem Boden liegen. Wenn auch ihre Schenkel schwach werden, das Herz bleibt doch fest, wie das Sprichwort sagt.

Worin aber und wieweit hat Hiob gefehlt? Da müssen wir zuvor untersuchen, inwiefern die Menschen ihres Lebens müde werden dürfen. Schon zahlreiche Heiden haben das Elend des Erdenlebens erkannt und gesagt, der Geburtstag sei kein Freudenfest, sondern vielmehr ein Trauertag; denn wenn der Mensch auf die Welt komme, so fange er sein Leben mit Weinen an. Ja, der Mensch ist eine arme Kreatur, das elendeste unter allen Geschöpfen; wenn wir´s recht erwägen, es ist ein unergründlicher Abgrund des Jammers und Elends, in den wir versenkt sind. Sieht man nur auf das gegenwärtige Leben, so möchte man wohl mit Recht weinen, wenn ein Kind geboren wird, und bei seinem Sterben möchte man sich freuen, weil es nun von soviel Jammer und Elend erlöst ist. So haben die Heiden gesagt, aber ihr Verständnis reichte nicht so weit, wie uns Gott durch sein Wort geführt hat: sie haben im gegenwärtigen Leben immer nur nach dem einen getrachtet, stets darin zu bleiben; es ging ihnen freilich nicht zuerst um Essen und Trinken, sondern darum, mit Ehren durchs Leben zu kommen. Wir aber haben die Heilige Schrift, und die lehrt uns, dass Gott, wenn er uns auf diese Welt setzt, uns sein Ebenbild einprägt; das ist unser Adel und die Würde, die er uns über alle Kreaturen gegeben hat. Gott gestaltet uns zu seinem Bild und Gleichnis, seine Herrlichkeit soll in uns leuchten; und selbst wenn das alles wäre, hätten wir damit nicht Grund genug, uns zu freuen und ihn zu verherrlichen? Gewiss, solange wir hier leben, bleiben wir in einem Abgrund des Jammers. Aber woher kommt das? Die Heiden haben nur gewusst, dass es elend um den Menschen bestellt ist, wir aber müssen uns Gedanken darüber machen, warum uns Gott soviel Übeln unterworfen hat. Das ist wegen unserer Sünde geschehen. Wir müssen an die erste Schöpfung des Menschen denken: Gott hat sich nicht knauserig gezeigt, nein, er hat seine Gaben reichlich ausgeteilt, ist er doch alles Reichtums Quell. In Adams Person hat er sich gegen das ganze Menschengeschlecht freigebig genug erzeigt, aber wir haben diesen Gottessegen eingebüßt; Gott musste uns seine Gaben entziehen, weil unser Vater Adam sich durch seinen Undank hat zum Abfall verführen lassen. Lasst es uns nur bekennen: Alles Unglück unseres gegenwärtigen Lebens ist die Frucht unserer Sünden, - dann haben wir Anlass genug zum Seufzen, nicht darüber, dass es uns so elend geht, sondern dass wir so vielen Sünden ergeben sind, vor allem der Rebellion gegen Gott; sein Bild hat er in uns wollen leuchten lassen, aber wir haben uns verschworen, ihn zu ärgern und zu kränken. Wir denken an die Klage des Paulus Röm 7, 24: „Ich elender Mensch!“ Ja, das ist der eigentliche Kampf, den die Christen zu führen haben: nicht das Seufzen unter Krankheit und viel anderem Ungemach, sondern das Gefangensein im Kerker und Diensthaus der Sünde: Ich elender Mensch! Spricht er so aus Ungeduld oder weil er sich gegen Gott empört? Nein, er spricht als ein Werkzeug des Heiligen Geistes und zeigt uns, dass wir in diesem gegenwärtigen Leben immerwährend in diesen Seufzer einzustimmen haben. Warum denn? Wir haben einen Todeskerker, der uns ganz umgibt; wir sind soviel schlechten Begierden unterworfen, dass wir nie dazu fertig werden, uns Gott hinzugeben; wir sind voll von lauter Verderben, das uns ohne Aufhören zum Bösen treibt. Darum haben auch wir zu seufzen, wie Paulus seufzte.

Hiob aber – man sollte es nicht glauben – verflucht den Tag seiner Geburt. Das ist in keiner Weise zu entschuldigen; man muss sagen, er sei damit viel zu weit gegangen. Wir müssen immer zwei Dinge miteinander verbinden: zum ersten, dass uns Gott, als er uns erschuf, sein Bild aufgeprägt und uns damit die Ehre angetan hat, dass wir über alle Kreaturen sollten erhaben sein. Darin haben wir immerwährend seinen Namen zu preisen, und sei dieses Leben auch des Unglücks voll bis zum Rand, so können wir doch die unermessliche Güte nicht genugsam preisen, die uns Gott damit erzeigt hat, dass er uns unser gegenwärtiges Leben gegeben hat und uns darinnen erhält; er lässt uns Tag für Tag erfahren, dass er sich um uns sorgt und uns nicht verlassen will, es gehe, wie es will. Ist das nicht Grund genug zur Freude, auch wenn von allen Seiten Trübsale uns umringen? So wird denn ein Gläubiger, wenn er verständig und besonnen redet, niemals den Tag seiner Geburt verfluchen, wie schlecht es ihm auch gehen mag. Wenn also Hiob den Tag seiner Geburt verflucht, so ist das ein rechter Undank gegen Gott gewesen, und man kann nur sagen: Er ist darin viel zu weit gegangen. Dazu aber das zweite: Gottes Kinder können den Tag ihrer Geburt sogar segnen. Ich meine, das können sie, wenn sie einmal nicht ihre Armut betrachten und mit Paulus in die Klage einstimmen, sondern sie brauchen nur an die Wohltat zu denken, die Gott ihnen damit erwiesen hat, dass er sie in die Welt hineinsetzte. Gewiss, die Heiden haben Missbrauch damit getrieben, sie pflegten an ihren Geburtstagen allerlei Narrenpossen und unnützen Aufwand zu treiben, aber die Gewohnheit der Geburtstagsfeier entsprang doch der Wurzel, dass die heiligen Väter sich zum Dank gegen Gott verpflichtet fühlten; darum haben sie diesen Tag zum Lobe Gottes gefeiert. Wahrlich, es geziemt uns, wenn wir erst ein paar Jahre unseres Lebens hinter uns haben, uns unaufhörlich Gottes Wohltaten ins Gedächtnis zu rufen; ebenso heilsam aber ist es, dass der Tag, an dem wir in diese Welt eintraten, uns ein dauerndes Gedächtnis daran wecke: Ein Jahr ist wiederum dahin; bis hierher hat mich Gott gebracht; ach, wie oft habe ich ihn gekränkt, jetzt muss ich ihn um Verzeihung bitten; vor allem aber: wie viel große Gnade hat er mir erzeigt, hat mir die Hoffnung auf das Heil geschenkt und mich bis hierher darinnen erhalten, hat mich aus mancherlei Gefahr befreit; deshalb muss ich mir das heute ins Gedächtnis rufen. Ja, wenn ich heute in ein neues Lebensjahr eintreten darf, so tue ich wohl daran, dass ich mich zum Dienste Gottes anschicke; denn all die Gefahren, durch die ich hindurch geschritten bin, haben mir gezeigt, wie sehr ich seiner Hilfe bedarf und dass ich ohne ihn tausendmal zugrunde gegangen wäre. So haben die heiligen Väter ihre Geburtstage gefeiert, und sie haben wohl daran getan. Die Heiden haben Missbrauch damit getrieben, und wenn die so genannten Christen ihren Geburtstag feiern, so kommt das einer Verhöhnung Gottes gleich: sie beten nicht, sie danken nicht, an ihre Sünden denken sie nicht, an Gottes Wohltaten denken sie nicht, sie kennen nur rohe, ausgelassene Freude. Uns aber steht es zu, allezeit den Tag unserer Geburt zu segnen; denn Gott hat uns in die Welt gesetzt, damit wir seine Kinder werden; nicht als Kälber oder Hunde, sondern als vernünftige Kreaturen hat Gott uns ins Leben gerufen, die sein Ebenbild an sich tragen. Vor allem aber sind wir auf den Namen unseres Herrn Jesus Christus getauft; da hat er noch mehr an uns getan als in unserer Schöpfung, er hat uns sein Merkzeichen aufgeprägt, wir sollten gleichsam seine Verbündeten werden, er hat uns in seine Gemeinde aufgenommen, und dafür haben wir Gott doppelt zu preisen. Wer aber aus Ungeduld und Zorn über die Trübsale den Tag seiner Geburt verflucht, der beweist damit zur Genüge, dass er undankbar ist und dass er sich von seinem Kummer zu sehr verwirren lässt. So war es auch bei Hiob. Umso mehr haben wir Anlass, Gott zu bitten, er wolle uns im Zügel halten, und wenn er zulässt, dass uns bisweilen ein böses Wort entfährt und wir uns nicht so tapfer halten, wie wir müssten, so wolle er uns beim Straucheln aufrecht halten und uns wieder aufrichten!

Verderben komme über den Tag, da ich geboren ward, und über die Nacht, da man verkündigte: es ist ein Knabe empfangen! Nun scheint es doch, als wollte Hiob sich trotzig gegen Gott erheben. Es sieht so aus, als wollte Hiob die gesamte Ordnung der Natur umstoßen, so siedet und kocht es in seinem Herzen. Er möchte gern die Sterne vom Himmel reißen, möchte eine Brandfackel über das ganze Weltall werfen, um die Erde zu verwüsten, möchte Gewölk und Stürme kommen lassen und alles durcheinander bringen (Verse 5-9). Sicherlich hat Hiob Gott damit nicht wissentlich trotzen wollen, noch weniger ihn beleidigen, aber es ist ihm doch in seiner Gedankenlosigkeit widerfahren. Unsere Gefühle sind blind, wir können nicht mehr klar unterscheiden, wir irren umher ohne Weg und Pfad. Wenn wir uns aber nicht beherrschen können, so lasst uns umso mehr Gott bitten, dass er uns im Zaum halte und regiere! Seltsam übrigens, über was für eine natürliche Beredsamkeit die Leute verfügen, wenn sie Gott lästern; es ist, als hätten sie die Redekunst gelernt, und es fehlt nichts daran. Gott hat uns die Sprache gegeben, damit wir in allen Dingen seine Güte, Gerechtigkeit und Billigkeit preisen und immer in aller Ehrerbietung von ihm reden. Aber unser Reden von Gott ist so mager und dürr, wenn es sich um seine Ehre handelt, und nur mit Mühe lassen wir unsern Lippen ein Wörtlein entreißen, das Gott angemessen wäre; aber wenn die Leute Gott lästern wollen, dann können sie so fein reden wie sonst nie, da kann jeder Worte machen, als hätte er auf der hohen Schule Beredsamkeit studiert. So geht es auch hier: Hiobs natürliche Art reißt ihn derart mit sich fort, dass er sich nicht enthalten kann, in erstaunlich flüssigen, beredten Worten sich auszusprechen; denn wozu sonst diese Masse von Worten? Lasst uns Gott bitten, er wolle uns den Mund auftun und uns die Gnade verleihen, dass alle unsere Worte nur seine Ehre suchen!

Ganz gewiss, an Hiob tritt eine große, schlimme und verdammliche Schwachheit zutage, besonders wenn wir ihn mit dem David des 22. Psalms und namentlich mit dem Herrn Jesus Christus selber vergleichen. In diesem Psalm steht David vor uns als ein ganz hilfloser Mensch, dem Gott sich so feindselig zeigt, dass es den Anschein hat, als sei er völlig verworfen; deshalb auch sein Notschrei: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ Das spricht David als Abbild Jesu Christi, des Hauptes aller Gläubigen. Diesem Notschrei aber fügt er nichtsdestoweniger hinzu: „Du hast mich aus meiner Mutter Leib gezogen; auf dich bin ich geworfen von Mutterleib an, du bist mein Gott von meiner Mutterschoß an“ (Vs. 10 f.). Damit spricht David Gott seinen Dank aus und singt seinem Namen mitten in seiner Traurigkeit ein Loblied; darnach stärkt er sich mit guter Hoffnung auf die Zukunft und zweifelt nicht daran, Gott sehe ihn noch in Gnaden an. Wenn es den Anschein hat, als wäre es ganz verlorne Mühe, in unserer Not zu Gott zu schreien, so sollten wir doch wissen: er hat uns in die Welt gesetzt, er hat uns sein Bild aufgeprägt, er hat uns oft erfahren lassen, dass er uns als seine Kinder behandelt. Diese Gewissheit muss unser Herz in den Himmel erheben, damit wir ihm das Lob spenden, das er verdient. Gewiss, wenn einer sich ganz und gar dem Bösen ergeben hat, so wäre ihm besser, er wäre nie geboren, wie auch Christus sagt: „Wehe dem Menschen, durch welchen Ärgernis kommt; es wäre ihm besser, dass er nie geboren wäre“ (Matth 18, 7 u. 26, 24). Ja, aber wenn es Trübsal und Elend zu leiden gibt, so darf uns das nicht so ungeduldig machen, dass wir die Gnade vergessen, die er uns erzeigte, als es ihm gefiel, uns die Schönheit dieser Welt genießen zu lassen, uns zu seinen Kindern zu machen und uns gar sein Bild aufzuprägen. Hiob ist also recht undankbar gewesen. Dabei aber hat er die Worte nicht mit bewusster Absicht gesprochen; in seiner Verwirrung ist ihm das alles nur so entfahren; immer hat er dabei in seinem Herzen die Gewissheit festgehalten, Gott habe ihm soviel Gutes erwiesen, dass er es deutlich erkennen müsste. Wenn Gott uns stärkt durch seinen Heiligen Geist und uns Geduld und Widerstandskraft verleiht, so kann immerhin etwas Schwachheit dabei unterlaufen, und der Schmerz kann uns derart hinreißen, dass wir uns in allem nicht so zu beherrschen vermögen, wie es sein müsste. Lassen wir uns das zur Warnung dienen und in der Furcht Gottes wachen und beten, er wolle unserer Schwachheit zu Hilfe kommen!

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