Calvin, Jean – Hiob 10, 18 – 22.

Calvin, Jean – Hiob 10, 18 – 22.

18) Warum hast du mich aus Mutterleib gezogen? Wäre ich doch gestorben, ehe ein Auge mich erblickt hätte! 19) So wäre ich gewesen, als wäre ich nie gewesen; man hätte mich aus Mutterleib ins Grab gezogen. 20) Will denn das Teil meiner Tage nicht bald ein Ende nehmen? Ach, dass er bald von mir abließe, damit ich wieder zu Atem käme, 21) ehe ich gehe ins finstere Land, in die Finsternis der Pest, daraus man nicht wiederkehrt, 22) in das finstere Land, wo nichts als Dunkel ist und dichte Finsternis, wo nichts als Unordnung ist; und wenn es hell werden soll, so gibt´s nur Finsternis.

Zweifellos versündigt sich Hiob mit diesen Worten. Denn wenn ein Mensch zeitlebens noch so elend ist, es ist doch ein Undank, wenn er nicht einsieht, dass Gott ihn erschaffen und gestaltet hat und dass er ihm deshalb zu höchstem Dank verpflichtet ist. Es ist doch wahrlich keine Kleinigkeit, dass Gott uns in die Welt gesetzt hat, um darin Könige zu sein! Wir dürfen uns an den Kreaturen freuen, dürfen sein Bild an uns tragen, dürfen ihn als unsern Vater wissen und in der Tat als solchen erfahren. Das ist doch eine große Ehre, die er uns damit erweist – und die sollten wir gering schätzen? Hiob spricht aus unbeherrschter Stimmung heraus; allerdings versteift er sich nicht auf diese Gedanken, aber doch beleidigt er Gott damit. Wir handeln immer unbeherrscht und maßlos, wenn wir das gegenwärtige Leben hassen, wenn wir es nicht so ansehen, wie es uns Gott gegeben hat, nämlich um uns seine väterliche Liebe zu zeigen. Es ist wahr: Das gegenwärtige Leben ist uns ein Zeugnis, dass Gott in seiner Güte uns schon jetzt das ewige Leben verheißt, nämlich die unsterbliche Herrlichkeit, die er uns erworben hat. Aber daran denken wir nicht, es fällt uns nicht ein, das zu unserm Lebenszweck zu machen; wir fragen nichts darnach, dass wir doch Gott dienen müssten, dass wir es machen sollen, wie es uns die heiligen Väter als Beispiel vorgelebt haben. David sagt: „Ich werde nicht sterben, sondern leben und des Herrn Werke verkündigen“ (Ps 118, 17), und Jesaja: „Herr, hilf mir, so wollen wir meine Lieder singen, solange wir leben, im Hause des Herrn“ (Jes 38, 20). Darum aber kümmern wir uns nicht; wir haben einen rohen Lebensdrang, wir wollen nur unser Vergnügen haben, essen und trinken, unsern Lüsten Genüge tun, jeder nach seiner Veranlagung. Wir kommen von uns selbst nicht los und kümmern uns nicht um Gott, und es ist ein sehr böser Fehler, wenn der einzige Grund unseres Lebensüberdrusses der ist, dass wir kein Vergnügen mehr haben – nicht etwa, dass wir in den Ketten der Sünde sind, sondern dass Gott sich uns nicht gefällig genug zeigt, dass unser Fleisch nicht auf seine Rechnung kommt! Wenn Gott sich uns nicht unterwerfen und uns den Willen nicht tun will, sondern alles verkehrt geht, das verdrießt uns, das sticht uns, das quält uns, und wir geben unserm Missfallen überall Ausdruck. Nein, wir müssen das gegenwärtige Leben in Ehren halten, weil Gott uns hineingesetzt hat: es soll uns ein Zeugnis seiner väterlichen Liebe sein. Dann kommen wir auch nicht in die Versuchung, zu wünschen, wir hätten nie gelebt. Den Verworfenen freilich wäre es besser, dass ihre Mutter sie nie geboren oder die Erde sie verschlungen hätte oder dass sie nie von ihrer Mutter empfangen wären, wie Jesus von Judas sagt (Matth 26, 24). An sich aber ist das menschliche Leben eine köstliche und edle Gottesgabe; denn Gott schafft keinen Menschen, ohne ihm sein Ebenbild aufzuprägen. Das ist nun freilich durch die Sünde ausgetilgt; aber was die Ordnung der Natur betrifft, so steht die Güte Gottes immer noch höher und muss von uns gepriesen werden.

Danach fährt Hiob fort: Ach, dass Gott bald von mir abließe, damit ich wieder zu Atem käme, ehe ich gehe ins finstere Land, in die Finsternis der Pest, daraus man nicht wiederkehrt, in das finstere Land, wo nichts als Dunkel und Unordnung! Unter dem Druck des Gerichtes Gottes ist Hiob innerlich ganz aus dem Gleichgewicht gekommen; er fühlt nicht nur seine leibliche Not, wie jeder von uns sie fühlt, er denkt immer nur daran, dass Gott sein Widersacher, ja sein Todfeind ist. Wenn uns unsere Sünden vor Augen kommen und der Teufel uns den Zorn Gottes fühlen lässt, wenn noch dazu unser Gewissen uns straft und verdammt und Gott uns auch da seinen Zorn fühlen lässt, dann kommt über uns eine Angst, viel größer und schrecklicher als alle Not, die wir an unserm Fleisch erleiden. Darum sollen wir auf solche geistlichen Kämpfe gerüstet sein und Gott um Kraft und Beistand bitten. Ach, dass Gott bald von mir abließe! Dieser Wunsch zeigt uns noch besser, wie jämmerlich es um die armen Sünder steht, wenn die merken, dass Gott sie verfolgt und ihr Widersacher ist. Denn worin besteht unser Vorzug und unsere Freude? Doch nur darin, dass Gott uns nahe ist und wir spüren, dass seine Kraft uns nicht verlässt! Auf der anderen Seite aber hat ein armer Sünder unter den Schrecken des göttlichen Gerichts nur noch den einen Wunsch, sich irgendwo zu verbergen und zu verkriechen, damit nur Gott ihn nicht mehr sieht und ihn seine Hand nicht mehr fühlen lässt. Wenn Gott sich gegen die Menschen zornig zeigt, so kennen sie keinen besseren Zufluchtsort als den Sammelplatz alles Bösen, die Hölle. Denn das ist eine rechte Hölle, diese Gottesferne, und gleichwohl ist sie es, die sich alle armen Sünder wünschen, mit denen Gott so umgeht, dass er es sie fühlen lässt, wie es bei ihm nur Zorn und Verdammnis gibt. Darum sollen wir Gott bitten, er lasse uns die Gnade, die er uns anbietet, nimmer vergessen, er wolle uns allezeit Zuflucht zu seiner Güte gewähren, und wenn er auch mit Recht über uns zürnt, wolle er uns doch die Gewissheit geben, dass er nicht aufhört, uns zu sich einzuladen. Denn größer als die Strenge seines Gerichtes, die wir mit unsern Sünden verdient haben, ist seine Güte, und das ist unser Trost, bis er die Hände wieder von uns abzieht. Drum, wenn Gott von uns weicht, sollen wir nicht von ihm weichen, sondern sprechen: Herr, lass deinen Zorn ferne von uns sein; denn wenn du uns dein zorniges Angesicht zeigst, so ist es, als lägen wir schon in der tiefsten Hölle. Das müssen wir uns zunutze machen, damit wir, wenn Gott uns prüft und unsere Beständigkeit in den Anfechtungen erprobt, nicht als Besiegte am Boden liegen. Und so mögen wir mit dem hl. Paulus sagen: „Ich bin gewiss, dass weder Tod noch Leben, weder Engel noch Fürstentümer noch Gewalten, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Hohes noch Tiefes noch keine andere Kreatur mag uns scheiden von der Liebe Gottes“ (Röm 8, 38.39). Paulus nennt besonders „das Zukünftige“; er meint: Die Menschen sind so viel Trübsalen unterworfen, dass wir weder Zahl noch Maß begreifen können – es ist in unserer Natur ein wahrer Irrgarten von Trübsalen -, aber soviel ist sicher: Haben wir unsern Herrn Jesus Christus, der uns mit Gott, seinem Vater, verbindet, so gibt es nichts, was uns daran hindern könnte, allezeit Grund zur Freude zu haben.

Zum Schluss spricht Hiob von dem Los der Verstorbenen im Lande der Finsternis. Hier redet er als ein Mensch, der keine Hoffnung hat, weder auf die Unsterblichkeit der Seele noch auf die verheißene Auferstehung. Wie kann er nur so sprechen? Er bringt eben zum Ausdruck, wie es einem armen Sünder zumute ist, der nur noch in der Angst vor dem Zorne Gottes lebt. Hiob ist in die Hölle geführt, wo Gott sein Richter ist und er selbst der Verworfene, und wo es keine Hoffnung auf Gnade und Vergebung mehr für ihn gibt. Deshalb ist auch sein Gemüt so verwirrt, wenn er vom Tode redet. Der Tod stößt die Ordnung Gottes um, ebenso wie die Sünde sie umgestoßen hat. Als Gott den Menschen schuf, geschah das nicht so, dass er sterblich war. Es ist wohl wahr: In dem Stande, in dem Adam sich befand, hätten wir nicht für immer in dieser Welt gelebt; denn Gott hätte uns in eine herrliche Unsterblichkeit verwandelt. Aber darum hätten wir doch nicht sterblich zu werden brauchen; es wäre nicht nötig gewesen, dass unser sterbliches Teil erst noch der Erneuerung bedurft hätte. Mit Adam war es so: Nachdem er sein Leben in der Welt geendet, hatte er sein ewiges Erbe bei Gott. Als aber die Sünde hinzukam, siehe, da tat Gott auch den Tod hinzu, und zwar einen Tod, der lauter Verwirrung bedeutet. Der Mensch hätte den Tod nicht fühlen können, wenn nicht der Fluch Gottes dazugekommen wäre, der den Menschen gleichsam aus der Zahl der Kreaturen abschnitt. Gott hat uns doch in die Welt gesetzt, dass wir als seine Kinder darin leben sollen; er rafft uns aus dieser Welt hinweg, wenn er uns das Leben nimmt; es ist, als wenn er uns aus seinem Haus vertriebe und uns erklärte, er wolle uns nicht mehr als seine Geschöpfe ansehen. Ist das nicht eine schreckliche Verwirrung? Wenn wir von nichts anderem wissen als von unseren Sünden und von Gottes Gericht, so sitzen wir rettungslos fest.

Darum braucht es uns gar nicht zu wundern, dass Hiob von dem „Lande der Finsternis und Verwirrung“ spricht. Er fasst die Sünde mit dem Tode und dem Fluche Gottes zusammen, und solange ihn Gott in diesem Schreckensgefängnis festhält, verbittert er sich gegen Gott: er sucht seine Gnade nicht, die doch die rechte Arznei ist, um uns zu zeigen, dass es im Tode Klarheit gibt und mitten in der Finsternis, so dunkel sie auch sein mag, dennoch eine Ordnung, weil wir nach der Vernichtung im Tode doch sollen auferweckt werden. Warum bedenkt das Hiob nicht? Weil ihn Gott erst musste seine ganze Strenge fühlen lassen und erst darnach ihn trösten konnte. Wollen wir die Gnade annehmen, die uns gegeben ist und in unserm Herrn Jesus Christus täglich angeboten wird, so müssen wir zuvor merken, wie es um uns bestellt ist. Wollen wir recht schmecken, was es um das himmlische Leben ist? Dann müssen wir zuerst erkennen, wozu wir geboren sind, und zwar nachdem wir in Adam gesündigt haben. Und nicht ohne Grund sagt Paulus: „Der geistliche Leib ist nicht der erste, sondern der natürliche“ (1. Kor 15, 46). Wiewohl wir die alleredelsten und trefflichsten Geschöpfe Gottes sind, hat der Tod durch die Sünde diesen Adel in uns so gut wie vernichtet und zerstört, so dass wir Gott missfallen, ja, er uns verleugnet, als hätte seine Hand uns nicht gemacht, weil wir doch ganz verändert sind und der Teufel uns sein Erkennungszeichen aufgeprägt hat; ja, wir sind dem Fluch unterworfen, der über Adam verhängt ist, wir sind wie verbannt aus der ganzen Welt, dass Himmel und Erde einen Abscheu vor uns haben.

Wenn wir aber wissen, wie unser Leben jämmerlich ist und der Tod noch viel jämmerlicher, weil er der große Abgrund ist, der uns zeigt, was der Fluch bedeutet, den Gott über uns ausgesprochen hat, - dann müssen wir wohl zusehen, dass uns die Traurigkeit nicht ganz und gar verschlingt. Da gibt´s nur ein Heilmittel: die Augen auf unseren Herrn Jesus Christus zu richten. Dann lässt uns Gott das Licht in der Finsternis aufgehen: unser Herr Jesus Christus stellt sich uns dar als die Sonne der Gerechtigkeit. Dann kann kein Tod uns schrecken. Darum sagt auch David, Gottes Hirtenstab werde ihn trösten im Schatten des Todes und im finstern Tal (Ps 23, 4). Wie soll aber Gott sich als unser Hirt erzeigen? Nur in dem Angesicht Jesu Christi. Unser Stand ist ganz jämmerlich, wir sind den armen Würmern gleich der Verwesung unterworfen; aber wenn wir den Sohn Gottes haben, so bekommen wir gleichwohl einen Geschmack von der Wohltat, die uns Gott erwiesen, als er mitten aus der Finsternis das Licht hervorbrechen ließ, wie es bei der Schöpfung von der Welt heißt: „Und Gott sprach: Es werde Licht! und es ward Licht“ (Gen 1, 3). Wir dürfen uns freuen, dass Gott durch seinen eingeborenen Sohn in unserm Tode noch mehr als in unserm Leben seine Güte und Gnade hat aufleuchten lassen. Denn wenn uns ist, als müssten wir in den Abgrund der Hölle fahren, siehe, so öffnet uns Gott die Pforten seines Königreichs und führt uns in eine Herberge, aus der wir jetzt noch verbannt sind.

Und nicht nur unser Sterben macht Jesus Christus uns hell, damit uns seine Finsternis nicht mehr finster sei, sondern auch unser Leben. Diese Welt ist voll von Finsternis, und wir müssen uns wie arme Blinde hindurchtasten; unser Herr Jesus Christus aber erleuchtet uns ohne Aufhören durch sein Evangelium. Wir haben das Gesetz und die Propheten als leuchtende Fackeln; wir haben aber auch das Evangelium, und das ist uns ein noch viel helleres Licht; es leuchtet wie der helle Mittag. Wenn uns Jesus Christus erleuchtet hat und wir schon in diesem Leben in der Hoffnung des ewigen Lebens wandeln, so haben wir wohl den Tod vor Augen, aber umso mehr müssen wir Gott anrufen, umso geduldiger müssen wir abwarten, dass er unsere Seelen in seinem Reich erquickt. Denn solange unsere Seele im Leibe wohnt, steht sie immerfort unter dem Druck und hat noch keine vollkommene Freude, bis Gott sie gnädig zu sich versammelt. Hiob hat beides, Glauben und Hoffnung aufs ewige Leben, gehabt; aber als er an das Grab denkt, sieht er die Hölle offen stehen, um ihn zu verschlingen. Wie ihm aber Gott endlich den Sieg gegeben hat über solche Anfechtungen, so wird er´s auch mit uns machen, wenn wir uns sehnen nach dem himmlischen Erbe, zu dem uns Gott berufen hat, um uns teilhaftig zu machen seiner herrlichen Unsterblichkeit.

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