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Calvin, Jean – Hiob 1, 1.

Calvin, Jean – Hiob 1, 1.

1) Es war im Lande Uz ein Mann namens Hiob, aufrichtig und redlich, gottesfürchtig und hütete sich vor dem Bösen.

Wollen wir von diesem Buche einen rechten Nutzen haben, so müssen wir zuvor seinen Inhalt kennen. Die darin beschriebene Geschichte zeigt uns, dass wir in der Hand Gottes sind und dass es ihm zusteht, über unser Leben zu verfügen und damit nach seinem Wohlgefallen zu schalten; uns aber liegt es ob, uns in aller Demut und allem Gehorsam ihm zu unterwerfen, weil wir nach Recht und Billigkeit sein Eigentum sind, ganz und gar, im Leben und Sterben, ja, selbst wenn es ihm gefallen sollte, seine Hand über uns auszurecken – sollten wir auch nichts davon verstehen, warum er es tut -, haben wir dennoch nichtsdestoweniger ihn zu verherrlichen mit dem Bekenntnis, dass er gerecht und redlich ist; wir dürfen nicht wider ihn murren und uns nicht in einen Rechtsstreit gegen ihn einlassen; denn es ist sicher, dass wir darin immer unterliegen. Das also haben wir dieser Geschichte als ihren kurzen Inhalt zu entnehmen: Gottes Herrschaft über seine Geschöpfe besteht darin, dass er nach seinem Wohlgefallen mit ihnen schalten und walten kann; und wenn er mit einer Strenge verfährt, die uns auf den ersten Blick befremdlich anmutet, so sollen wir dennoch den Mund geschlossen halten und nicht wider ihn murren, sondern vielmehr bekennen, dass er gerecht ist, und abwarten, bis er uns zu verstehen gibt, warum er uns züchtigt.

Dabei aber haben wir bei dem Manne, der uns hier vor Augen gestellt wird, auf seine Geduld zu achten, in Befolgung der Ermahnung des hl. Jakobus (5, 11): „Die Geduld Hiobs habt ihr gehört.“ Wir berufen uns ja so gern auf unsere Schwachheit und meinen, das solle uns zur Entschuldigung dienen. Darum ist es gut, dass wir Exempel besitzen, die uns zeigen, dass sich Menschen gefunden haben, die ebenso schwach wie wir waren und dennoch den Anfechtungen widerstanden und im Gehorsam Gottes beständig verharrten, wiewohl er sie aufs äußerste heimsuchte. Und das sehen wir hier in einem vortrefflichen Spiegel.

Doch nicht genug, dass wir Hiobs Geduld betrachten – wir haben auch auf den Ausgang zu sehen, wie ja auch der hl. Jakobus davon redet: „Und das Ende vom Herrn habt ihr gesehen“ (5, 11). Denn wäre Hiob trotz seiner die Engel übertreffende Kraft dennoch in der Anfechtung zu Schanden geworden, so könnte man in keiner Weise von einem glücklichen Ausgang reden. Sehen wir aber, dass ihn seine Hoffnung nicht betrogen hat und dass er umso mehr Gnade gefunden hat, je mehr er sich vor Gott demütigte, so haben wir aus einem solchen Ausgang den Schluss zu ziehen, dass es nichts Besseres gibt, als uns Gott zu unterwerfen und alles, was er uns zuschickt, sanftmütig zu erdulden, bis er uns durch seine lautere Güte frei macht.

Doch neben der Geschichte haben wir auch die Lehre zu betrachten, die dies Buch enthält; wir müssen auf die Männer achten, die zu Hiob kommen, scheinbar um ihn zu trösten, und ihn doch dabei vielmehr quälen, als sein Unglück es tut; endlich müssen wir auch auf die Antworten achten, mit denen Hiob ihre Verleumdungen zurückweist, womit sie ihn zu Boden drücken wollen.

Zunächst haben wir festzustellen: Unsere Trübsale schickt uns Gott, von ihm kommen sie her, und doch ist es der Teufel, der sie anstiftet, worauf auch der hl. Paulus uns warnend hinweist: „Wir haben nicht mit Fleisch und Blut zu kämpfen, sondern mit Fürsten und Gewaltigen, nämlich mit den Herren der Welt, mit den bösen Geistern unter dem Himmel“ (Eph 6, 12). Denn wenn der Teufel in dieser Weise das Feuer anzündet, hat er auch seine Blasebälge, Menschen, die immer darauf aus sind, uns zu reizen und unser Elend größer zu machen. Auch Hiob hat zu seinem Unglück noch allerlei Plage erlitten, und zwar durch seine Freunde, durch sein Weib, kurz durch die, die gekommen sind, um ihn in geistliche Anfechtung zu bringen. Von geistlicher Anfechtung rede ich, wenn wir nicht allein leiblich geschlagen und geplagt werden, sondern wenn der Teufel uns allerlei Gedanken einbläst, als wäre Gott unser Todfeind und dürften wir nicht mehr unsere Zuflucht zu ihm nehmen, ja, als werde er uns überhaupt keine Gnade mehr erzeigen. Darauf haben es Hiobs Freunde abgesehen: ihn zu überreden, er sei von Gott verstoßen und er betrüge sich sehr, wenn er meine, Gott müsse ihm gnädig sein. Solche geistlichen Anfechtungen sind viel schwerer zu ertragen als alle Übel und Widerwärtigkeiten, die wir in der Verfolgung zu erleiden haben.

Zum zweiten aber haben wir auch darauf zu achten: In diesem ganzen Gespräch vertritt Hiob eine gute Sache, seine Gegner eine schlechte. Dazu vertritt Hiob seine gute Sache schlecht, die andern aber führen ihre schlechte Sache gut. Das gibt uns den Schlüssel zu dem ganzen Buch. Wie ist es zu verstehen, dass Hiob seine gute Sache schlecht vertritt? Er weiß: Gott plagt die Menschen nicht immer nach dem Maß ihrer Sünden, sondern er fällt geheime Rechtsurteile, von denen er uns keine Rechenschaft gibt, und wir haben nur abzuwarten, dass er uns offenbare, warum er dies oder das tut. Dafür hat Hiob in sich selbst das Zeugnis, dass er nicht, wie man ihn glauben machen will, ein von Gott Verworfener ist. Er hat eine gute und rechte Sache, aber er vertritt sie schlecht: er geht viel zu weit und stellt maßlose und ungeheuerliche Behauptungen auf, die ihn an vielen Stellen als einen verzweifelten Menschen erscheinen lassen. Ja, er erhitzt sich dermaßen, als wollte er Gott widerstreben. Das heißt eine gute Sache schlecht führen. Die anderen dagegen vertreten eine schlechte Sache, indem sie meinen, Gott strafe die Menschen in allen Fällen nach dem Maß ihrer Sünden; sie machen schöne und heilige Worte, und alles, was sie sagen, klingt, als hätte der Heilige Geist es geredet. Denn es ist lautere Wahrheit, es sind die Grundfesten der Religion: sie sprechen von Gottes Vorsehung, sie sprechen von seiner Gerechtigkeit, sie sprechen von den Sünden der Menschen. Und doch ist ihre Absicht böse: sie geben sich alle Mühe, Hiob in die tiefste Verzweiflung zu versenken. Haben wir also ein gutes Fundament, so müssen wir wohl darauf achten, dass wir den Aufbau so vornehmen, dass alles zusammenpasst. So sagt auch der hl. Paulus (1. Kor 3, 10 ff.), dass er einen rechten Bau aufgeführt hat; er zeigt, wie er die Kirche auf die reine Lehre von Jesus Christus gegründet hat; doch sagt er auch, der Bau habe eine solche Gleichförmigkeit, dass auch die, die nach ihm kämen, nicht Stoppeln oder Stroh oder andere vergängliche Dinge als Fundament legen könnten, sondern Grund stark und fest sein werde. So sollen wir denn in unserm ganzen Leben wohl zusehen, dass wir es auch so machen: Stehen wir auf einer guten und gerechten Sache, so müssen wir wohl darauf achten, dass wir sie nicht so oder so beugen oder biegen; denn nichts ist leichter, als eine gute und gerechte Sache verdrehen, weil unsere Natur fehlerhaft ist, worauf wir ja jederzeit die Probe machen können. Gott schenkt uns die Gnade, dass wir eine gute Sache haben, unsere Feinde aber reizen uns dermaßen, dass wir uns nicht in unsern Schranken halten. Umso mehr müssen wir Gott bitten, er wolle uns, wenn wir eine gute Sache haben, durch seinen Heiligen Geist in aller Einfalt leiten, damit wir die Grenzen nicht überschreiten, die er uns durch sein Wort gesteckt hat. Darin liegt auch die weitere Warnung, die Wahrheit Gottes nicht missbräuchlich anzuwenden; denn wir entweihen sie, wenn wir es machen wie diese Männer: wenn sie auch noch so fromme Worte machen, sie sind doch Frevler am Heiligen. Denn sie verfälschen die Wahrheit Gottes und missbrauchen sie; was an sich gut und richtig ist, missdeuten sie in böser Absicht. Hat uns also Gott sein Wort erkennen lassen, so lasst uns lernen, es mit solcher Furcht anzunehmen, dass wir nicht das Gute damit verdunkeln oder das Böse färben. Es ist ja oft so, dass die Scharfsinnigsten und Gelehrtesten sich selbst den Zügel schießen lassen, die gottgegebene Erkenntnis zu Betrug und Bosheit missbrauchen und alles auf den Kopf stellen, so dass sie sich nur immer mehr darein verwickeln. Ist aber die Welt diesem Fehler ergeben, so haben wir umso mehr Gott zu bitten, er wolle uns die Gnade erweisen, von seinem Worte einen solchen Gebrauch zu machen, wie er es meint, nämlich einen lauteren und einfältigen.

Haben wir nun den Inhalt des Buches verstanden, so müssen wir jetzt das einzelne ausführlicher betrachten, und zwar im Anschluss an den Verlauf der Geschichte.

Es war im Lande Uz ein Mann namens Hiob. Zu welcher Zeit Hiob gelebt hat, können wir nicht erraten; nur soviel können wir merken, dass es schon sehr lange her gewesen sein muss. Einige Juden sind der Meinung, der Verfasser dieses Buches sei Mose gewesen; er habe damit dem Volke einen Spiegel vorhalten wollen: die Kinder Abrahams, die seinem Geschlecht entsprossen waren, sollten erkennen, dass Gott auch anderen, die nicht von diesem Geschlecht waren, Gnade erwiesen habe. Sie sollten sich schämen, dass sie nicht rein in der Furcht Gottes wandelten, weil doch dieser Mann, ohne das Zeichen des Bundes, die Beschneidung, an sich zu tragen, als Heide sich so wohl gehalten hat. Aber das ist unsicher, und darum lasse ich es auf sich beruhen. Zweifellos hat der Heilige Geist dies Buch dazu eingegeben, dass die Juden erkannten: Gott hat Menschen gehabt, die ihm dienten, obwohl sie von der übrigen Welt nicht geschieden waren, und die auch ohne das Zeichen der Beschneidung doch in Lauterkeit des Lebens gewandelt sind. Weil die Juden das wussten, hätten sie umso mehr Anlass gehabt, Gottes Gesetz eifrig zu beobachten, und weil ihnen Gott die Gnade und das Vorrecht geschenkt hatte, sie aus allen fremden Völkern zu sammeln, hätten sie sich völlig ihm zum Dienst ergeben sollen. Auch kann man aus dem Buche des Ezechiel (14, 14) entnehmen, dass der Name Hiob bei dem Volke Israel berühmt war: „Und wenn dann gleich die drei Männer Noah, Daniel und Hiob drinnen wären, so würden sie allein ihre eigene Seele erretten durch ihre Gerechtigkeit.“ Die Juden sollten einen Spiegel und ein Muster haben, um die Heilslehre, die ihnen geschenkt war, zu beobachten, weil doch dieser Mann aus fremdem Volke sich so rein gehalten hatte.

Das war die Hauptsache, die wir in erster Linie festhalten müssen, wenn uns hier gesagt wird, Hiob habe im Lande Uz gewohnt. Einige verlegen dieses Land freilich in das Morgenland, aber Klagel. 4, 21 bezeichnet es als einen Teil von Edom. Die Edomiter waren bekanntlich Nachkommen Esaus. Allerdings hatten sie noch die Beschneidung, aber weil sie sich von der Kirche Gottes verirrt hatten, ist nichts von dem Bundeszeichen mehr bei ihnen geblieben. Hiob war also ein Edomiter und gehörte daher zu Esaus Nachkommenschaft. Wir kennen das Wort des Propheten Maleachi (1, 2 f.). Esau und Jakob seien Zwillingsbrüder gewesen und doch habe Gott durch seine lautere Güte den Jakob erwählt und den Esau verworfen und mit seinem ganzen Geschlecht verflucht. Damit will der Prophet Gottes Barmherzigkeit gegen die Juden preisen: nicht um irgendeiner Würdigkeit willen, die ihrer Person angehaftet hätte, hat Gott sie erwählt, als er Jakobs erstgeborenen Bruder verwarf, der doch im Besitz des Erstgeburtsrechtes war, und dagegen den Jüngeren und Geringeren erwählte. Obwohl nun also dieser Mann hier dem Geschlechte Esaus entstammte, lebte er aufrichtig und diente seinem Gott, und zwar nicht allein im Umgang mit den Menschen in Gerechtigkeit und Redlichkeit, sondern er hatte auch eine reine Religion und befleckte sich nicht mit dem Götzendienst und Aberglauben der Ungläubigen. Der Mann trägt den Namen Hiob. Es unterliegt also keinem Zweifel, dass dieser Mann, von dem uns Wohnsitz und Name mitgeteilt wird, tatsächlich gelebt hat und dass die hier beschriebenen Vorgänge sich wirklich ereignet haben; wir dürfen nicht meinen, es handle sich um ein Gedicht. Auch schon die oben angeführten Zeugnisse des Ezechiel und des Jakobus sprechen dafür, dass Hiob wirklich gelebt hat; und wenn überdies die Geschichte es berichtet, so können wir, was der Heilige Geist so ausdrücklich hat sagen wollen, nicht auslöschen.

Endlich haben wir noch auf folgendes zu achten: Zwar war die Welt in jener Zeit vom wahren Gottesdienst und der reinen Religion entfremdet, doch gab es nichtsdestoweniger viel mehr Aufrichtigkeit als heute. In der Tat hatte zur Zeit Abrahams Melchisedek eine Kirche und einen Opferdienst, dem keinerlei Befleckung anhaftete. Und während also der größte Teil der Welt in mancherlei Irrtümer und falsche gottlose Einbildungen verstrickt war, hatte sich Gott doch einen geringen Samen zurückbehalten, und es hat immer Menschen gegeben, die in der lauteren Wahrheit blieben und darauf warteten, dass Gott seine Kirche aufrichte. Es ist wohl wahr: Hiob hat erst nach jener Zeit gelebt, aber weil Gott die Kirche noch nicht in einen sichtbaren Stand gebracht hatte, sollte nach seinem Willen immer ein kleiner Same unter den Heiden übrig bleiben. Dort wollte er angebetet werden, und das sollte zugleich diejenigen, die sich vom rechten Weg abgewandt hatten wie die Heiden, von ihrem Unrecht überführen; denn Hiob allein genügte ihm, um eines ganzen Landes Richter zu sein. Auch Noah hat, wie die Schrift sagt, die Welt verdammt, weil er sich allezeit rein erhielt und wandelte, als hätte er Gott vor Augen, obwohl ihn sonst jedermann vergessen hatte und alle in ihre Irrtümer verrannt waren. So war es auch mit Hiob, der die Leute in seinem Land verdammt hat, weil er Gott in Lauterkeit diente und die anderen voller Abgötterei, Schanden und mancherlei Irrtümer lebten; und das kam daher, dass sie nicht lernen wollten, welches der wahre, lebendige Gott wäre und wie er geehrt sein wollte. Soviel ist sicher: Gott hat allezeit dafür gesorgt, dass den Gottlosen und Ungläubigen alle Entschuldigung genommen wurde; aus diesem Grunde musste es immer Leute geben, die dem nachkamen, was er den alten Vätern geoffenbart hatte. Solch ein Mann war auch Hiob, und seine Geschichte bezeugt es deutlich, dass er mit reinem Herzen Gott gedient hat und in aller Redlichkeit unter den Leuten gewandelt ist.

Hiob war aufrichtig. Dies Wort wird in der Schrift gebraucht, wenn sich bei einem Menschen Offenheit ohne Trug und Heuchelei findet, wenn einer sich nach außen ebenso zeigt, wie er von innen ist, ohne einen versteckten Winkel, in dem er sich vor Gott verbirgt, wenn er alle seine Gedanken und seinen ganzen Willen, ja sein ganzes Herz Gott aufdeckt und nichts anderes begehrt, als sich Gott zu weihen und ganz zu eigen zu geben. Von den griechischen und lateinischen Übersetzern ist das Wort mit „Vollkommenheit“ wiedergegeben; weil sie aber hernach das Wort Vollkommenheit falsch ausgelegt haben, ist es besser, es mit „Aufrichtigkeit“ zu übersetzen. Denn viele Unverständige, die nicht wissen, wie man das Wort „Vollkommenheit“ verstehen soll, haben gedacht: Hier ist ein Mann, der vollkommen genannt wird; daraus folgt, dass wir in uns selbst vollkommen sein können, während wir in diesem gegenwärtigen Leben wandeln. Aber damit haben sie die Gnade Gottes, die wir immerdar nötig haben, verdunkelt; denn auch die, die einen noch so richtigen Wandel geführt haben, müssen zu Gottes Barmherzigkeit ihre Zuflucht nehmen, und wenn ihnen ihre Sünden nicht vergeben werden und Gott sie nicht mit Geduld trägt, so sind sie alle verloren. Hiob wird also aufrichtig genannt. Wie ist das zu verstehen? Es war in ihm keine Heuchelei, kein falscher Schein, er hat kein „doppeltes Herz“ gehabt. Denn wenn die Schrift das Laster bezeichnen will, das zu dieser „Aufrichtigkeit“ im Gegensatz steht, so sagt sie: Man wandelt „mit Herz und Herz“, also mit doppeltem Herzen. Zunächst wird diese Bezeichnung also dem Hiob deshalb beigelegt, um zu zeigen, dass er rein und einfältig gesinnt war, dass er nicht mit dem einen Auge hierhin, mit dem andern dorthin gesehen, dass er Gott nicht halb gedient hat, sondern bemüht war, sich ihm ganz zu ergeben. Es ist wahr: Wir werden es nie zu einer solchen Aufrichtigkeit bringen können, dass wir diesem Ziele so zustrebten, wie es wohl zu wünschen wäre; denn auch die, die den rechten Weg verfolgen, gehen doch nur wie die Hinkenden einher; sie sind so schwach, dass sie Schenkel und Achseln nachschleppen. So sieht es mit uns aus, solange wir mit diesem sterblichen Leibe umgeben sind. Bevor uns Gott nicht aus all dem Elend, dem wir unterworfen sind, herauslöst, werden wir es zu einer vollkommenen Aufrichtigkeit nicht bringen. Aber soviel ist sicher: Wir müssen dahin kommen, dass wir völlig aufrichtig werden und allem falschen Schein und allen Lügen absagen. – Auch darauf lasst uns schließlich noch achten: Wahre Heiligkeit fängt im Innern an. Wäre unser äußerer Schein vor den Menschen auch der allerschönste von der Welt, wäre unser Leben auch noch so wohl geordnet, dass uns jedermann deshalb lobte, - ohne diese Aufrichtigkeit und Einfalt vor Gott wäre es nichts. Denn zuerst muss die Quelle rein sein, dann erst können reine Bächlein daraus fließen; sonst könnte das Wasser wohl klar sein, dabei aber doch bittere oder andere schlechte Bestandteile haben. Wir müssen also immer zuallererst „ihn im Geist und in der Wahrheit anbeten“ (Joh 4, 24), so wie es Jeremia 5, 3 heißt: „Herr, deine Augen sehen nach dem Glauben.“

Weiter wird Hiob ein redlicher Mann genannt. Diese Redlichkeit bezieht sich auf seine Lebensführung: sein Leben ist die Frucht aus der Wurzel, die der Heilige Geist zuvor in ihn hineingesenkt hat. Hat denn Hiob ein redliches und aufrichtiges Herz gehabt? Ja, er lebte „schlecht und recht“, im Handel und Wandel mit seinen Nächsten tat er niemand Schaden noch Unrecht, war nie auf Betrug oder Bosheit bedacht und suchte nie seinen Nutzen mit anderer Leute Schaden. Das ist mit seiner Redlichkeit gemeint. Herz und äußeres Verhalten müssen zusammenstimmen. Wir können uns wohl vor bösen Taten hüten, wir können wohl vor Menschen einen schönen Schein haben, aber das ist nichts, wenn sich in der tiefsten Wurzel, im innersten Herzen vor Gott Heuchelei und Trug verbirgt. Was müssen wir denn tun? Wollen wir eine rechte Aufrichtigkeit haben, so müssen Auge, Hand und Fuß, Arm und Bein mit dem Herzen zusammenstimmen, und unser ganzes Leben muss den Beweis liefern, dass wir Gott dienen wollen. Deshalb ermahnt auch der hl. Paulus die Galater (5, 25): „So wir im Geist leben, so lasst uns auch im Geist wandeln.“ Er will sagen: Es ist wahr, der Geist Gottes muss in uns wohnen und uns regieren; denn ein Leben zu führen, das der Menschen Beifall und Hochachtung fände, das ist nichts, wenn wir nicht durch Gottes Gnade erneuert sind. Mit der Tat und Wahrheit müssen wir beweisen, dass der Geist Gottes in unsern Seelen die Herrschaft führt. Denn sind unsere Hände mit Diebstahl, Grausamkeit oder anderen Schäden befleckt oder unsere Augen mit bösen, unzüchtigen Blicken oder mit lüsterner Gier nach des Nächsten Gut oder mit Hoffart und Eitelkeit, oder laufen die Füße, wie die Schrift sagt, dem Bösen nach, so beweisen wir damit nur, dass das Herz voller Bosheit und Verderben ist. Denn Hände, Füße und Augen regieren sich nicht selbst – sie werden geführt vom Geist und vom Herzen. Hier sehen wir auch, woran Gott prüfen will, ob wir ihm treulich dienen oder nicht: es ist nicht so, als ob er unseres Dienstes bedürfe; nein, wenn wir unserm Nächsten Gutes tun und mit jedem nach Recht und Billigkeit verfahren, wie uns die Natur selber lehrt, so bezeugen wir damit, dass wir Gott fürchten. Wir sehen Menschen genug, die sich gar eifrig anstellen, wenn es sich ums Disputieren und Reden handelt, um sagen zu können, dass sie sich um Gottes Dienst und Ehre mühen; aber sooft sie mit ihrem Nächsten zu tun haben, merkt man, was sie im Herzen haben, denn ihren Vorteil suchen sie und machen sich gar kein Gewissen daraus, die andern, wenn sie die Macht dazu haben, mit allen Mitteln zu betrügen. Wer also seinen Vorteil und Nutzen sucht, ist zweifellos ein Heuchler, und sein Herz ist verderbt; mögen solche Leute auch noch so schön tun mit ihrem Eifer, - Gott weiß: in ihrem Herzen ist nichts als Unflat und Gift. Wo ist Aufrichtigkeit ist, da ist auch Redlichkeit. Ist das Herz im Innersten rein, so werden wir auch im Umgang mit den Menschen auf ihr Wohl bedacht sein, nicht auf uns selbst und unsern Vorteil, sondern werden die Billigkeit walten lassen, die Jesus Christus als die Regel des Lebens und als die Hauptsumme des Gesetzes und der Propheten bezeichnet: „Alles, was ihr wollt, das euch die Leute tun sollen, das tut ihr ihnen auch.“ Dies Lob des Hiob bedeutet also für viele Menschen ein Verdammungsurteil.

Gottesfürchtig wird er genannt. Wenn ihm das Lob gespendet wird, er habe Redlichkeit und Billigkeit gegen die Menschen bewiesen, so folgt daraus, dass er vor Gott wandelte, denn ohne das hätte das übrige keinen Wert. Es ist wahr: Wir können nicht auf unseres Nächsten Bestes bedacht sein, wenn wir nicht auf Gott blicken. Denn wer seinem natürlichen Triebe folgt, der mag wohl scheinbar allerlei schöne Tugenden haben, aber dennoch beherrscht ihn von vornherein die Selbstliebe, und er lässt sich nur von der Ehrsucht treiben, was alle scheinbar vorhandene Tugend verdirbt. Freilich können wir solchen gerechten, redlichen Wandel nicht führen, ohne Gott zu fürchten; doch sind es zwei ganz verschiedene Dinge, Gott zu dienen und unseren Nächsten zu ehren; auch im Gesetz hat sie Gott unterschieden, indem er es auf zwei Tafeln schreiben ließ. Wie also der Heilige Geist mit dem Worte Redlichkeit Hiobs Verhalten zu den Menschen hat darstellen wollen, so will er uns nun mit dem Worte gottesfürchtig seine Religion, seinen Glauben nahe bringen. Um unser Leben recht in Ordnung zu bringen, müssen wir auf Gott schauen, dann erst auf den Nächsten – auf Gott, um uns ihm zu ergeben und ihm die schuldige Huldigung zu erweisen, auf den Nächsten, um ihm zu leisten, was wir ihm schuldig sind; denn wir haben ja die Pflicht, ihm zu helfen und in Billigkeit und Redlichkeit mit ihm zu leben. Dazu hat uns ja Gott miteinander verbunden, dass ein jeder sich vornehme, all sein Vermögen zum allgemeinen Wohl anzuwenden. Wer nur auf sich selber sieht, in dem steckt nichts als Eitelkeit. Wenn einer auch sein Leben so einrichtet, dass kein Mensch etwas daran auszusetzen hat, aber Gott erkennt es nicht an, - was hat er dann für Gewinn, und wenn er sich noch soviel Mühe gibt, so zu wandeln, dass jedermann ihn preisen muss? Gott sieht an ihm lauter Flecken, und es erfüllt sich an ihm das Wort Luk 16, 15: „Was hoch ist unter den Menschen, das ist ein Gräuel vor Gott.“ Auf Gott müssen wir blicken, weil wir dazu geschaffen sind, ihm zu dienen und ihn anzubeten; denn obschon er unseres Dienstes nicht bedarf wie unser Nächster, und obschon ihm unser Dienst weder kalt noch warm einbringt, so hat er doch vernünftige Geschöpfe haben wollen, die ihn erkennten und ihm die gebührende Pflicht leisteten. Die Gottesfurcht aber ist nicht eine knechtische, wie man zu sagen pflegt, sondern es handelt sich dabei um die Ehrerbietung, die wir ihm schuldig sind; denn er ist ja unser Vater und Herr. Leben wir in der Furcht Gottes? Dann begehren wir sicherlich nichts anderes, als ihn zu ehren und völlig sein Eigentum zu sein. Kennen wir ihn? Dann müssen wir ihn so kennen, wie er sich offenbart, nämlich als unsern Schöpfer und Erhalter, der uns eine so väterliche Güte erzeigt, dass wir uns billig als seine Kinder fühlen müssen; sonst wären wir doch allzu undankbar gegen ihn. So umfasst denn das Wort „Gottesfurcht“ die ganze Religion, also den ganzen Gottesdienst und die Huldigung, die die Geschöpfe ihrem Schöpfer schuldig sind. Es war etwas Großes, dass Hiob Gott fürchtete, obwohl die ganze Welt den rechten Weg verlassen hatte. Wenn auch unter den liederlichsten Menschen der Welt leben müssten, so könnten wir uns damit doch nicht entschuldigen. Hiob lebte gottesfürchtig – in welchem Land? Nicht in Judäa, nicht in Jerusalem, nicht im Tempel, sondern an einem unreinen Ort und unter ganz verdorbenen Leuten. Das kann uns nur ganz tief beschämen, wenn wir unseresteils nicht darauf achten, uns im Dienst Gottes und des Nächsten unbefleckt zu erhalten.

Zum Schluss heißt es: Er hütete sich vor dem Bösen. Wie konnte Hiob alle Schwierigkeiten überwinden, die ihn hinderten, Gott zu dienen und vor den Menschen redlich zu leben? Er lebte in innerer Sammlung. Der Teufel hat sich genug Mühe gegeben, Hiob zu verderben und ihn in die Sittenverderbnis der Welt hineinzubringen, aber Hiob hütete sich und hielt sich zurück vom Bösen. Und wir? Wiewohl wir in der Kirche Gottes sind, sehen wir immer viel Böses; wir müssen immer zwischen Verächtern, Wüstlingen und Höllenbränden leben, die mit ihrem Tod bringendem Pesthauch alles vergiften. Wir müssen also auf der Hut sein, weil es viel Ärgernis und Ruchlosigkeit gibt, die uns jeden Augenblick verführen können. Wir wollen uns vor dem Bösen hüten und wie Hiob gegen solche Verführungsmächte ankämpfen, damit wir uns nicht mit der Welt beflecken und nicht meinen, wir müssten mit den Wölfen heulen. Wir wollen uns vor dem Bösen hüten, und zwar so, dass der Satan es mit allen seinen Versuchungen nicht erreicht, uns in das Böse zu verstricken. Wir wollen es leiden, dass Gott uns von allem Unflat und allem Gifte reinigt, wie er uns im Namen unseres Herrn Jesus Christus verheißen hat, bis er uns einst befreit von allem Schmutz dieser Welt, um uns mit seinen Engeln zu vereinen und uns teilhaftig zu machen der ewigen Glückseligkeit, nach der wir in dieser Zeit trachten müssen.

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