Calvin, Jean - Hebräerbrief - Kapitel 3.

Calvin, Jean - Hebräerbrief - Kapitel 3.

V. 1. Derhalben, ihr heiligen Brüder usw. An die vorangegangene Belehrung schließt sich die heilsame Mahnung an die Hebräer, Art und Größe Christi wohl zu würdigen. Nachdem Christus schon vorher als Lehrer und als Hoherpriester in Kürze mit Mose und Aaron verglichen worden ist, fasst jetzt der Brief beide Glieder zusammen. Mose war Prophet und Lehrer, Aaron Hoherpriester. Auf Christus aber sind beide Ämter gelegt. Wollen wir ihn gebührend aufnehmen, so haben wir ihn anzuschauen, wie er ist; er muss, möchte ich sagen, aus sich selbst heraus verstanden werden, damit wir nicht ein Trugbild an seine Stelle setzen.

Das gewichtige Wort: „Nehmet wahr“ – weist auf die Notwendigkeit einer respektvollen Aufmerksamkeit und deutet zugleich an, dass vor dem Licht der Erkenntnis Christi alle Nebel des Irrtums weichen. Der Apostel erinnert seine Leser an ihre Berufung, die ein solches „Wahrnehmen“ billig fordert: Gott hat euch große Gnade erzeigt, da er euch einlud, in sein Reich zu kommen; nun müsst ihr aber auch Christus, den Führer auf dem Wege, fest ins Auge fassen. Die Berufung der Gläubigen kann nur dann zum Ziele führen, wenn sie sich Christus entschieden zuwenden. Unverwandt auf Christus sehen – das gilt nicht nur den Hebräern, sondern ganz allgemein allen, die in Gottes Reich gelangen wollen: durch ihn allein haben wir unseren Glauben, und er hat ihn durch seinen Opfertod besiegelt. Losgelöst von Christi Person hätte der Glaube, zu dem wir uns bekennen, gar keinen Wert mehr.

V. 2. Der da treu ist dem, der ihn dazu gemacht hat. Das Apostelamt Christi, worin die Gläubigen ihr Genüge finden sollen, zeichnet sich in zwiefacher Hinsicht aus: es ist der Vater, der ihn damit betraut hat, und Christus selbst hat dieses ihm übertragene Amt treulich ausgerichtet. Dies beides ist jeweils nötig, um der Wortverkündigung volle Geltung zu verschaffen. Hören sollen wir nur, wo Gott redet; das betont die heilige Schrift überall. Und Christus kann in Wahrheit bezeugen (Joh. 7, 16), er verkündige nicht seine, sondern des Vaters Lehre; und wiederum (Luk. 9, 48): „Wer mich aufnimmt, nimmt den auf, der mich gesandt hat.“ Von Gott in sein Amt eingesetzt, hat er auch in der Verwaltung desselben vollauf jene Treue und Lauterkeit bewährt, die von allen Dienern Gottes verlangt wird, wenn sie das Vertrauen der Gemeinde gewinnen wollen. Da so nach beiden Seiten hin Christus alle Ansprüche befriedigt, wäre Geringschätzung ihm gegenüber gleichbedeutend mit Missachtung Gottes.

Wie auch Mose. Vom Apostelamt Christi ist hier die Rede; dagegen tritt sein Hohenpriestertum einstweilen zurück. Beides, Apostelamt und Hohenpriestertum, fand bereits in den zwei ersten Kapiteln des Briefes Erwähnung; dann folgte die kurze Mahnung zur Aufmerksamkeit; jetzt aber tritt der Verfasser in eine ausführlichere Behandlung ein und will zunächst von Christi Dienst als Lehrer sprechen. Daher im Folgenden die Vergleichung mit Mose.

Die Worte: in seinem ganzen Hause beziehe ich, statt auf Mose, lieber auf Christus: er ist dem Vater ein treuer Verwalter des ganzen Hauses. Demnach gehört zur Gemeinde Gottes nur, wer zu Christus sich hält.

V. 3. Dieser aber ist größerer Ehre wert. Nicht auf gleicher Stufe steht Christus mit Mose. Er überragt ihn weit insofern, als Mose bei seiner führenden Stellung doch immer ein Teil und Glied der Gemeinde blieb; Christus dagegen hat als Baumeister das ganze Bauwerk unter sich. Ferner stand jener, indem er andere leitete, selbst unter Befehl als ein Knecht; dieser aber, als Sohn des Hauses, hat freies Verfügungsrecht.

Häufig findet sich in der Schrift dieses Bild, dass die Gemeinde Haus Gottes genannt wird (1. Tim. 3, 15). Die Gläubigen, aus denen sie sich zusammensetzt, heißen lebendige Steine (1. Petr. 2, 5), zuweilen auch Gefäße zum häuslichen Gebrauch (2. Tim. 2, 20). Kein einziger wächst aus der Stellung eines bloßen Gliedes am Ganzen heraus; Gott allein steht als Bauherr über seinem eigenen Werk, und was von ihm gilt, kommt auch Christus zu, in welchem Gott wohnt. Man wende nicht ein, Christus mache gleichfalls einen Teil des Gebäudes aus, weil er der gelegte Grund heißt, unser Bruder ist, mit uns in Gemeinschaft tritt; auch könne er, weil er selbst von Gott gebildet, nicht der Baumeister sein. Er ist nicht nur der Grund, sondern ebensowohl der Schirmer unseres Glaubens; unser Bruder, aber auch unser Herr; nach seiner Menschheit allerdings von Gott gebildet und doch dabei der, welcher durch seinen Geist allem das Leben wiederbringt, insofern er ewiger Gott ist. Alle die verschiedenen Bilder, unter denen die Schrift Christi Herablassung zu uns ausdrückt, sollen nicht im mindesten seine einzigartige Ehre schmälern, von welcher in unserem Zusammenhang die Rede ist: auf ihn allein als das Haupt findet die Regel keine Anwendung, nach der sonst alle andern in ihre gliedlichen Schranken zu weisen sind. Aber ist nicht Mose doch auch ein Baumeister gewesen, so gut wie Paulus, der mit Stolz sich so nennt (1. Kor. 3, 10)? Allerdings, diese Bezeichnung wird zuweilen Propheten und Lehrern gegeben, indessen nicht im Vollsinn des Wortes, da sie doch nur tote Werkzeuge sind, bis der Herr vom Himmel her ihnen Kraft einhaucht. Überdies ist ihre Arbeit zur Auferbauung der Gemeinde unzertrennlich verbunden mit ihrer eigenen, fortschreitenden Eingliederung in das Gebäude. Anders bei Christus: jederzeit hat er durch die Kraft seines eigenen Geistes die Gemeinde erbaut; ja durch sein Wohnen darin macht er sie erst zu einem Tempel Gottes; er ist der Tempel Gottes in Person.

V. 4. Der aber alles bereitet hat, das ist Gott. Diese Worte könnten von der gesamten Weltschöpfung verstanden werden. Ich schränke sie indes auf den in Rede stehenden Gegenstand ein, so dass sie besagen, in der Kirche sei kein Leben und kein Fortschritt, den man nicht der Kraft Gottes verdankte. Denn der Höchste allein ist es, der sie baut (Ps. 87, 5). Und von Christus sagt Paulus (Eph. 4, 15 f.), er sei das Haupt, von welchem aus der ganze Leib zusammengefügt ist und wächst, indem ein Glied dem andern Handreichung tut nach dem Werk eines jeglichen Gliedes in seinem Maße. Darum bezeichnet Paulus den Erfolg seines Aposteldienstes häufig als ein Werk des Herrn. Gott braucht ja freilich Menschen zur Erbauung der Kirche: dennoch ist er der allein Wirkende, so gewiss wie das Werkzeug nichts vermag ohne den, der es führt.

V. 5. Mose zwar war treu als ein Knecht. Das ist der zweite Unterschied: Mose hatte sich selbst so gut wie die anderen unter das Wort zu beugen, dessen Verkündigung ihm anvertraut war, wogegen Christus, wiewohl in Knechtsgestalt erschienen, doch in Wahrheit der Herr und Meister ist, dem alle untertan sind. Er ist, wie wir schon hörten (1, 2) zum Erben gesetzt über alles.

Zum Zeugnis des, das gesagt sollte werden. Indem Mose zum Volke des alten Bundes nach Umständen und Erfordernis seiner Zeit sprach, gab er zugleich zum Voraus Zeugnis dem Evangelium, für das die Menschheit noch nicht reif war; denn ohne Zweifel weist das Gesetz auf die vollendete Weisheit des Evangeliums hin als auf seinen richtigen Abschluss. Der Hauptgedanke aber ist, dass zwar Mose sich seines Auftrages an das Volk durchaus treu entledigt habe, dass ihm aber noch ganz bestimmte Schranken gesetzt gewesen seien. In mannigfacher und wechselnder Weise hat Gott vorzeiten geredet durch die Propheten und sich die volle Offenbarung des Evangeliums auf die Zeit der Erfüllung vorbehalten.

V. 6. Des Haus sind wir. Ähnlich wie Paulus im Eingang des Briefes an die Römer (1, 6), wo er von seinem Heilsauftrag an die Heiden spricht, in herzgewinnender Weise die Bemerkung beifügt, dass auch sie, seine Leser, dazu gehören, so werden an unsrer Stelle die zum Christentum übergetretenen Hebräer freundlich ermahnt, im Glauben zu beharren, damit sie immer Gottes Hausgenossen bleiben möchten. Der Apostel hatte vorher gesagt, das Haus Gottes stehe unter dem Befehl Christi. Demzufolge wird jetzt erinnert, die Zugehörigkeit zum Hause sei dadurch bedingt, dass man sich unter Christus stelle und festhalte am Glauben an ihn. Hoffnung nehme ich nämlich hier für Glauben; überhaupt ist ja Hoffnung nichts anderes als Standhaftigkeit im Glauben.

Der Ausdruck Vertrauen und Ruhm der Hoffnung bezeichnet noch genauer das Wesen der Sache. Eine ängstliche und schwankende Zustimmung zum Evangelium heißt noch lange nicht Glauben haben. Denn dieser ist immer verbunden mit Ruhe und Frieden des Herzens, woraus jene stolze Kühnheit hervorwächst, da man sich rühmen kann. Ja, das sind, wie wir zu Römer 5 und Epheser 3 bemerkt haben, die beiden unzertrennlichen Begleiter des Glaubens: das heilsgewisse Vertrauen und der Ruhm. Darin gilt es immer weitere Fortschritte zu machen bis zum Tod, da auf der Lebensbahn kein Stillstand erlaubt ist.

V. 7 ff. Hier haben wir die Fortsetzung der Ermahnung, Christi Wort zu gehorchen, und zwar wird sie jetzt durch ein Zeugnis des Psalmsängers unterstützt. Da nämlich die Leser noch ernster angefasst werden mussten, empfahl es sich, zur Vermeidung alles Verletzenden eine anderweitige Autorität anzurufen. Hätte ihnen der Apostel einfach von sich aus den Unglauben der Väter vorgehalten, so wäre das weniger günstig aufgenommen worden; lässt er aber den Psalmsänger reden, so verliert sich das Anstößige. Der Gedanke ist nun der: so wie Gott von jeher Gehorsam gegen seine Stimme verlangt hat und Halsstarrigkeit nicht dulden konnte, sondern ernstlich heimsuchte, so haben wir auch heute, falls wir von ihm keine Belehrung annehmen, für unsern Trotz nicht weniger strenge Strafen zu gewärtigen. Die Psalmstelle hat die Form einer Einschaltung, die wir in der Übersetzung zur besseren Übersicht des Gedankenzusammenhangs zwischen Klammern gesetzt haben.

V. 7. Da die Worte: Heute, so ihr hören werdet seine Stimme – im Psalm mit dem vorangehenden Vers zusammengehören, wo die Israeliten Gottes Volk und seine Schafe genannt werden, so fasst man sie wohl richtiger als Wunschsatz auf, indem man übersetzt: Möchtet ihr doch heute auf seine Stimme hören! So folgt denn ganz natürlich eins aus dem anderen; und mit der Einladung, Gott zu lobsingen und seine Güte zu preisen, geht Hand in Hand die Mahnung zum Gehorsam als dem vornehmsten Gottesdienst, den er erwartet, der mehr wert ist als alle Opfer. Das also ist das erste: Unterwerfung unter Gottes Wort.

Dann folgt: verstockt eure Herzen nicht, womit ausgesprochen ist, dass die Quelle, aus der unsre Widerspenstigkeit gegen Gott fließt, einfach in der willkürlichen Schlechtigkeit zu suchen ist, in der wir seiner Gnade die Türe schließen. Zwar haben wir schon von Natur ein steinernes Herz; alle bringen es auf die Welt mit. Allein, wenn wir Gottes Stimme verachten, so geschieht das in absichtlichem, eigenwilligem Trotz, nicht durch äußere Nötigung, wie jeder sich gar wohl bewusst ist. Daher klagt der Geist mit Recht alle Ungläubigen an, dass sie sich wider Gott setzen und sich selbst in die Halsstarrigkeit hineinarbeiten: sie sollen nicht etwa die Schuld von sich abschieben wollen. Indes würde andrerseits daraus ganz unrichtig gefolgert, dass es in unsrer freien Macht stehe, das Herz zum Gehorsam gegen Gott zu bilden. Die Menschen müssen vielmehr immer aufs Neue dieser Selbstverstockung unterliegen, bis ihnen von oben ein neues Herz geschenkt wird. Denn zum Bösen geneigt, wie wir sind, hören wir erst dann auf, Gott zu widerstehen, wenn seine Hand uns bezwungen und überwältigt hat.

V. 8. Wie geschah in der Verbitterung. Die Erinnerung an den Ungehorsam der Väter war aus doppeltem Grunde heilsam. In ihrem törichten, hochmütigen Ahnenstolz machten die Juden nicht selten sogar aus den Fehlern der Vorväter Tugenden und glaubten, bei sich selber manches damit entschuldigen zu können. Andrerseits war der Hinweis auf das so ungebärdige Benehmen der Väter geeignet, zu zeigen, wie wenig überflüssig die Warnung vor dem verstockten Herzen sei. Der Apostel weiß, dass auch die Hebräer seinerzeit das brauchen können, und so benutzt er gern das alte Psalmwort zu seinem Zweck, damit seine Leser nicht auch in jener sklavischen Verehrung der Vorzeit aufgehen. Merken wir uns hier im Allgemeinen, bis zu welcher Grenze die Pietät den Vorfahren gegenüber gehen darf: von dem einigen Gott darf sie uns nicht abziehen. Wenn es ehrwürdige Ahnen gegeben hat, so waren es gewiss die israelitischen; und doch werden die Söhne vom Psalmisten ausdrücklich gewarnt, ihnen nicht zu gleichen.

Es ist mir nicht zweifelhaft, dass die Psalmstelle auf den Vorgang zurückschaut, der 2. Mose 17 berichtet wird. Denn sie enthält die beiden Namen, welche nach der Erzählung der betreffenden Örtlichkeit zur Erinnerung gegeben worden waren: Meriba, was Streit oder Verbitterung bedeutet, und Massa, d. h. Versuchung. Die Väter hatten Gott versucht, indem sie wegen des Wassermangels sagten, er sei nicht unter ihnen, und zugleich ihn erbittert durch ihren Streit mit Mose. Aus den zahlreichen Beispielen ihres Unglaubens hebt der Psalmsänger gerade dieses heraus, weil es vor andern denkwürdig war, und auch weil es der Zeit nach auf die meisten übrigen folgte, wie aus dem 4. Buch Mose zu sehen ist, wo vom 10. Kapitel an eine ganze Reihe von Versuchungen erzählt wird und erst im 20. die oben erwähnte sich findet. Der letzte Umstand lässt nämlich die Sache in einem besonders hässlichen Licht erscheinen: welcher Undank, nach so vielfältiger Erfahrung von Gottes Macht immer noch so frech mit ihm zu hadern und alles Vertrauen ihm zu entziehen!

Versuchung hat ihr die üble Bedeutung einer hochmütigen und beleidigenden Herausforderung. Denn wiewohl Gott ihnen oftmals Hilfe gebracht hatte, vergaßen sie alles und fragten spöttisch, wie weit her es denn wäre mit seiner Macht.

V. 9. Und sahen, d. h.: und sie hatten doch meine Werke gesehen. Ihre Undankbarkeit trotz so reichlicher Erfahrungen macht die Gottlosigkeit umso größer; denn es gehört eine außerordentliche, geistliche Trägheit und Stumpfheit dazu, über alle Beweise göttlicher Treue sich hinwegzusetzen.

Die Worte „vierzig Jahre lang“ hängen im Psalm mit dem Nachfolgenden zusammen. Wir wissen schon, dass die Apostel bei ihren Schriftzitaten mehr auf die Hauptsache als auf die Worte achten. Der Unterschied ist in der Tat nicht groß. Gott klagt eben darum, dieses Volk sei ihm vierzig Jahre lang lästig gewesen, weil eine so lange Kette von Wohltaten es innerlich um nichts gefördert hatte. Während er immerfort an Unwürdige seine Guttaten verschwendete, ließen sie nicht ab, sich wider ihn aufzulehnen. Daher jene Entrüstung, in der Gott gleichsam spricht: Nicht nur einmal oder eine Weile haben sie mich gereizt, sondern durch fortgesetzte Vergehung vierzig Jahre lang.

„Geschlecht“ bezeichnet die Israeliten jenes Zeitalters.

V. 10. Und sprach. Gott gibt sein Urteil dahin ab, dass sie, des gesunden Verstandes beraubt, an unheilbarem Irrsinn leiden. Wieso denn? „Sie erkannten meine Wege nicht.“ Er redet hier nach Art eines Menschen, der erst auf Grund langer Beobachtungen bei einem andern ausgesprochenen Wahnwitz feststellt. Immerdar irren sie: Hoffnung auf Wiederkehr des Verstandes ist nicht ersichtlich.

V. 11. Dass ich auch schwur usw. Der Wahnwitz hat sich mit dem Verlust der verheißenen Ruhe bestraft.

Meine Ruhe nennt der Herr das Land, wo jene ihren festen Wohnsitz hätten finden sollen. In Ägypten waren sie Fremdlinge gewesen und wanderten jetzt durch die Wüste; aber nach der Verheißung (1. Mos. 12, 7) sollte ihnen das Land Kanaan zum bleibenden Erbe werden. Im Blick auf diese Verheißung nennt Gott es „seine“ Ruhe: nur dort, wo seine Hand uns den Platz anweist, können wir uns ruhig niederlassen.

Der Schwur Gottes, das Zeichen seines heftig entbrannten Zorns, stellt den Gräuel der Sünde in ein desto grelleres Licht. Es verhält sich aber nicht so, dass den Israeliten erst damals, als sie Gott versuchten in Raphidim, durch seinen Schwur die Aussicht auf den Einzug in das Land wäre entzogen worden: das war schon lange vorher geschehen, als sie infolge des Berichts der Kundschafter nicht hatten weiterziehen wollen. Jene Versuchung soll also nicht als erste Ursache dieser Bestrafung angegeben sein. Der Sinn ist vielmehr: durch keine Züchtigung konnten sie zur Vernunft gebracht werden, sondern sie häuften bis ans Ende der vierzig Jahre immer noch neue Schuld auf alle frühere und steigerten unablässig den göttlichen Zorn, sodass schließlich ihre unverbesserliche Verkehrtheit die auferlegte, harte Buße mehr als verdient erschienen ließ.

V. 12. Sehet zu, lieben Brüder, dass nicht jemand unter euch ein arges, ungläubiges Herz, wörtlich ein arges Herz des Unglaubens, habe. Der Unglaube, durch den die Leser, nachdem sie mit Christi Geist einmal in Berührung gekommen, von ihm weichen könnten, wäre immer mit Schlechtigkeit und Bosheit verbunden. Denn er wäre ein Abtreten, ein Abfall; und Abfall schließt Treulosigkeit in sich.

V. 13. Ermahnet euch selbst alle Tage. Das ist das Bewahrmittel gegen solch arges Straucheln. Von Natur allem Bösen zugänglich, bedürfen wir mancherlei Stützen, uns in der Furcht Gottes zu erhalten. Wird unser Glaube nicht fort und fort aufgerichtet, so liegt er am Boden; er erstarrt ohne Wärmezufuhr, erlahmt ohne Anregung. Die Leser des Briefes sollen sich also durch Ermahnungen gegenseitig stärken, damit nicht in ihre Herzen der Feind einbreche und sie mit seinen Betrügereien von Gott abziehe. Denn wohl verstanden: nicht sogleich auf den ersten Reiz hin stürzen wir uns in jene wahnsinnige Widersetzlichkeit gegen Gott; sondern allmählich, mit versteckten Schlichen macht sich der Satan an uns heran, die er uns in seinem Lügennetz gefangen hält; dann allerdings werden wir, verblendet, wie wir sind, zu offenkundigen Empörern. Darum gilt es, beizeiten auf der Hut zu sein. Und kein einziger ist da außer Gefahr, weil nichts leichter ist, als getäuscht zu werden, und weil aus Täuschung und Betrug zuletzt Herzensverstockung entstehen kann. So sehen wir, wie nötig wir fortwährend den Sporn christlicher Ermahnung haben. Der Apostel mahnt auch nicht nur im Allgemeinen zur Wachsamkeit, sondern will, dass allen das Heil jedes einzelnen Gliedes am Leibe der Berufenen so am Herzen liege, dass sie sich dafür mitverantwortlich wissen. Er nimmt hierin den Dienst des guten Hirten wahr, der über dem Wohl der ganzen Herde wachen soll und doch zugleich kein einzelnes Schaf übersieht.

Solange es heute heißt. In freier Benutzung der Psalmstelle gibt der Apostel dem darin enthaltenen „heute“ eine weitere Bedeutung, wonach es nicht bloß die Gegenwart des Psalmsängers umfasst, sondern alle Zeit, in der Gott zu uns redet. So oft und solange der heilige Mund uns unterweist, mögen wir des Wortes gedenken: „Heute, so ihr hört seine Stimme, verstockt eure Herzen nicht.“ In ähnlicher Weise lehrt Paulus (2. Kor. 6, 2), jetzt, da das Evangelium gepredigt werde, sei jene angenehme Zeit und jener Tag des Heils, wo Gott erhört und hilft (Jes. 49, 8). Diese günstige Zeit muss benutzt werden; ließen wir sie in Gleichgültigkeit verstreichen, so würden wir ihr nachher umsonst nachweinen, wie Christus sagt (Joh. 12, 35): Wandelt, dieweil ihr das Licht habt; bald kommt die Nacht. Das Wörtlein „solange“ deutet an: nicht immer währt die gelegene Zeit für einen jeden. Jetzt klopft Gott an unsere Tür; öffnen wir ihm nicht, so wird es geschehen, dass er uns hinwieder die Pforte seines Reiches schließt. Zu spät kommt dann das Wehgeschrei derer, welche die heute angebotene Gnade gering geschätzt haben. Darum, da wir nicht wissen, ob Gott morgen noch rufen wird, lasst uns nicht säumen! Heute ruft er; ohne Aufschub lasst uns antworten. Glaube ist nur da, wo solche Bereitschaft zum Gehorsam sich findet!

14Denn wir sind Christi teilhaftig worden, so wir anders das angefangene Wesen bis ans Ende fest behalten, 15solange gesagt wird: „Heute, so ihr seine Stimme hören werdet, so verstocket eure Herzen nicht, wie in der Verbitterung geschah.“ 16Denn etliche, da sie hörten, richteten eine Verbitterung an; aber nicht alle, die von Ägypten ausgegangen waren durch Mose. 1) 17Über welche aber ward er entrüstet. V. 14. Denn wir sind Christi teilhaftig worden. Der Apostel lobt die Leser wegen ihres guten Anfangs, mahnt aber zur Beharrlichkeit, damit sie sich nicht auf die erlangte Gnade hin fleischlicher Sicherheit überlassen. Denn sehr viele nippen bloß ein wenig vom Evangelium und tun dann, als brauchten sie weiter nichts mehr. So geschieht es, dass sie nicht nur in ihrer Bahn, vielleicht nah vor dem Ziel, aufgehalten werden, sondern sogar nach einer ganz anderen Richtung hingeraten. Der Einwand hört sich zwar gut an: „Was wollen wir weiter, nachdem wir Christus gewonnen haben?“ Aber wenn Christus im Glauben unser wird, so müssen wir auch im Glauben beharren, damit er immer unser sei. Er gibt sich uns zu genießen unter der Bedingung, dass wir kraft desselben Glaubens, durch den wir teil an ihm bekommen dürfen, bis zum Tod ein so großes Gut bewahren.

Das angefangene Wesen. Der Glaube macht unser Wesen aus. Er ist die einzige Stütze, die uns Halt gibt. In ihm haben wir festen Grund und Boden unter den Füßen.

Fest behalten. Bis ans Ende muss der Glaube, dessen Anfänge wir erst haben, unwandelbar und stetig uns weiterführen.

V. 15. Solange gesagt wird: Heute usw. Da Gott, solange wir leben, nicht aufhört, uns zu rufen durch die Predigt des Evangeliums, so hat auch der Glaube von einem Tag zum andern immer neue Aufforderung und Gelegenheit zum Wachstum.

V. 16. Nicht alle. Den Bösen waren wohl auch einzelne wahrhaft Gottesfürchtige beigemischt. Aber wenn der Leib des Volkes durch die Abtrünnigkeit eines großen, ja des weitaus größten Teils zerrissen und verstümmelt ist, so wird mit Recht der Unglaube am Volk in seiner Gesamtheit verurteilt.

Durch Mose: unter seiner Führung, da er die Befreiung vermittelte. Immer ist dabei vergleichsweise an das Heil, an dem Christus teilgibt, gedacht.

V. 17. Über welche aber ward er entrüstet? Gott hat seinem Volk nie anders gezürnt, denn um gerechter Ursachen willen, wie auch Paulus 1. Korinther 10, 5 f. erinnert. So viele Heimsuchungen des alten Bundesvolkes, so viele Sünden schwerster Art. Und stets kommen wir darauf hinaus, dass der Unglaube der Ausgangspunkt alles Bösen ist. Er wird hier an letzter Stelle genannt und ist doch die erste und entscheidende Ursache des Fluches. Von da an, wo die Israeliten in bösem Misstrauen die Verheißung, das Land einzunehmen, von sich gestoßen hatten, sind sie Schritt für Schritt, bald durch Lüsternheit, bald durch Murren, bald durch Unzucht, bald durch Befleckung mit heidnischem Götzendienst weitergegangen auf der Bahn des Trotzes, damit ihre Verkehrtheit desto offenbarer würde. Jener von Anfang an bewiesene Unglaube versperrte ihnen den Weg zur Erlangung der göttlichen Wohltat, weil die Verachtung des Wortes sie zu immer neuer Sünde führte. Schon durch ihren Unglauben hatten sie verdient, der angebotenen Ruhe verlustig zu gehen; und aus derselben Quelle floss alle weitere Verschuldung.

1)
Diese calvinistische Übersetzung der Verse 15 und 16 beruht auf einer entschieden unrichtigen Lesart. Vers 16 hängt mit Vers 15 zusammen und enthält eine Frage: „Wenn gesagt wird: Heute, so ihr seine Stimme hört usw. – welche denn von den Hörern richteten eine Verbitterung an?“ Dann folgt als Antwort: „Waren es nicht alle, die von Ägypten ausgegangen waren durch Mose?“ Demgemäß ist auch die nachfolgende Erklärung zu berichtigen. Die Tatsache, dass alle, welche die Errettung aus Ägypten erfahren und Gottes Stimme vernommen hatten, hernach durch Gottes Zorn in der Wüste umkamen, ist für die Leser des Briefes eine ernste Warnung, wie in Kapitel 4 ausgeführt wird. Dass sie sich auf den Weg gemacht und Christi Wort gehört haben, schützt sie allesamt nicht vor der traurigen Möglichkeit, alles Empfangene wieder zu verlieren und des verheißenen Ziels zu verfehlen. Nur der festgehaltene Glaube und Glaubensgehorsam wird sie retten.
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