Calvin, Jean – 07. Das siebente Gebot.

Calvin, Jean – 07. Das siebente Gebot.

Abschnitt 164. – 2. Mose 20, 14 = 5. Mose 5, 18.

Nennt dies Gebot auch nur eine Art schamlosen Gebarens, so steht doch nach unsern Auslegungsgrundsätzen fest, dass die Gläubigen überhaupt zu einem züchtigen Verhalten angeleitet werden sollen. Denn wenn das Gesetz die vollkommene Regel eines gerechten Lebens ist, kann es unmöglich die Hurerei gestatten und nur den Ehebruch verbieten wollen. Es ist doch außer Frage, dass dem Herrn ein Gräuel und vor seinem Gericht unentschuldbar sein muss, was schon nach allgemein-menschlicher Empfindung hässlich und schmutzig ist. Hat man sich auch allenthalben und zu allen Zeiten in lüsternen Begierden gehen lassen, so konnte doch die Erkenntnis nie ausgetilgt werden, dass Hurerei ein schändliches und nichtswürdiges Treiben ist. Es hat immer gegolten, was Paulus lehrt (Tit. 2, 12), dass der Mensch züchtig, gerecht und gottselig leben soll. Dadurch ist aber Hurerei ausgeschlossen. Weiter erinnern wir uns, dass sowohl Christus wie seine Apostel die Gläubigen immer auf das Gesetz verweisen, wenn sie ihnen Unterricht für ein Leben der Vollkommenheit erteilen wollen. Wie einst Mose das Gesetz als den Weg verordnete, auf dem man wandeln soll, so bestätigt es Christus (Mt. 19, 17): „Willst du zum Leben eingehen, so halte die Gebote.“ Und Paulus stimmt bei (Röm. 13, 10): „Die Liebe ist des Gesetzes Erfüllung.“ Bei alledem erklärt das Neue Testament immer und immer wieder alle Hurer für fluchwürdige Verbrecher. Die Stellen sind so zahlreich, dass es sich erübrigt sie anzuführen. Lässt man also Christus und seine Apostel, nach deren Wort man durch Huren ebenso wie durch Stehlen Gottes Gesetz bricht, als rechte Gesetzesausleger gelten, so ist ohne weiteres klar, dass auch unser Gebot mit einem einzigen Stichwort eine ganze Reihe von Handlungen treffen will. Es ist nur ein törichter und schmählicher Scharfsinn, wenn man behauptet hat, dass erst im Neuen Testament, noch nicht aber im Gesetz, die Hurerei klar und deutlich verurteilt werde. Hätte man in Betracht gezogen, dass nach alttestamentlicher Anschauung Gott den Ehestand gesegnet hat, so hätte man sofort gegensätzlich schließen können, dass ein Geschlechtsverkehr zwischen Mann und Weib, der außerhalb der Ehe stattfindet, als verflucht gelten muss. Diesen gegensätzlichen Gedankengang hat der Verfasser des Hebräerbriefs eingeschlagen, wenn er sagt (13, 4): „Die Ehe soll ehrlich gehalten werden und das Ehebett unbefleckt“, um dann hinzuzufügen, dass Gott nicht bloß die Ehebrecher, sondern auch die Hurer richten wird. Und wenn Gott dem Priester verwehrt, eine Hure zum Weibe zu nehmen, so ist dies ein deutliches Zeichen, dass ein solches Geschöpft als verworfen gilt. Was aber dem weiblichen Geschlecht als ein Unrecht angerechnet wird, kann vernünftiger Weise auch beim männlichen nicht anders beurteilt werden (3. Mose 21, 14; 5. Mose 23, 17). Wenn Hosea (4, 11) sagt: „Hurerei und Wein machen toll“ – so gründet er diese Aussage sicherlich auf Gottes Gesetz. Wollte aber jemand noch immer streiten, so sei er an Paulus erinnert (1. Kor. 10, 8; 4. Mose 25, 9), der davon zu sagen weiß, dass schon unter dem Gesetz die Hurerei schwer bestraft wurde: „Lasset uns nicht Hurerei treiben, wie etliche von jenen Hurerei trieben, und fielen auf einen Tag 23 000.“ Warum aber Gott mit dem einen Stichwort „ehebrechen“ allerlei unreine Lust verurteilt hat, sahen wir schon. Wir wissen, wie frech bei den Heiden die Hurerei getrieben wurde. Hat Gott auch niemals zugelassen, dass mit der Schamlosigkeit jedes Schamgefühl völlig verloren ging, so war doch eine feinere Empfindung für Sitte und Anstand derartig erstickt, dass man sich über die schwersten Vergehen mit Witzen und Spötteleien hinwegsetzte. Die Lehre des Paulus (1. Kor. 6, 18), dass der Hurer wider seinen eignen Leib sündigt, war unbekannt. Da also unter der allgemeinen Gleichgültigkeit das sittliche Gefühl eingeschlafen war, musste Gottes Gesetz ein handgreiflicheres Verbrechen nennen, um die Menschen aus dem Schlaf zu erwecken: und erst allmählich konnten sie lernen, sich vor allen Befleckungen zu hüten. Übrigens soll nicht nur die zügellose Begierde eingeschränkt werden: Gott will sein Volk überhaupt zu einem schamhaften und keuschen Leben erziehen. Alles in allem: wer dem Herrn gefallen will, muss sich von aller Befleckung des Fleisches und des Geistes rein halten (2. Kor. 7, 1). Indem Paulus solche Worte gebraucht, will er ohne Zweifel das Gesetz auslegen, wie auch, wenn er anderwärts sagt (1. Thess. 4, 4): „Ein jeglicher wisse sein Gefäß zu behalten in Heiligung und Ehren, nicht in der Brunst der Lust, wie die Heiden, die von Gott nichts wissen.“

Abschnitt 165. – 3. Mose 18, 20.

Diese Stelle verfolgt die gleiche Absicht wie das Gebot selbst. Verunreinigt auch schon jegliche Hurerei den Menschen, so ist doch der eigentliche Ehebruch noch viel hässlicher: er verletzt die Heiligkeit des Ehebundes, und die Mischung des Samens erzeugt Bastarde und eine fremde Nachkommenschaft. So verzeichnet Gott dieses Verbrechen mit Recht unter den Gräueln der Heiden, wie sich aus dem Anfang des Kapitels (V. 2) ergibt, dem unser Spruch entnommen ist.

Anhänge zum siebenten Gebot.

Abschnitt 166. – 3. Mose 18, 22 – 30. / 2. Mose 22, 19. / 3. Mose 20, 13. 15. 16.

Aus diesen Stellen ersehen wir, dass im Volke Israel nicht bloß der Ehebruch verboten war, sondern überhaupt alle Schändlichkeiten, die wider das natürliche Schamgefühl gehen. Um aber eine heilige Scheu vor allem unzüchtigen Wesen zu erwecken, werden zwei Formen ganz unbegreiflicher und unnatürlicher Lust verzeichnet, aus denen zu ersehen ist, dass, wenn die Menschen sich in diesem Stück gehen lassen, sie in eine mehr als viehische Raserei verfallen und in die schmählichsten Dinge versinken. Unvernünftige Tiere bleiben beim natürlichen Geschlechtsverkehr: wie abscheulich ist es dann aber, wenn der mit Vernunft begabte Mensch die Grenzen verwischt! Wozu hätten wir Vernunft und Urteil, wenn wir sie nicht eben dazu gebrauchen wollten, uns mehr in Schranken zu halten als unvernünftige Tiere? Wer in dieser schmachvollen Weise sich beschmutzt, muss, wie Paulus lehrt (Röm. 1, 28), schon einem schrecklichen Gericht der Verblendung verfallen sein. In der Raserei ihrer Lust sind aber die Menschen auf verschiedene Formen widernatürlicher Unzucht verfallen. Die Namen sähe ich am liebsten begraben: aber Gott wollte sie als Denkmäler bestehen lassen, die uns Furcht und Grauen einflößen sollen. Endlich verstiegen sich nach Gottes Bilde geschaffene Menschen, und zwar Männer und Weiber, zu dem entsetzlichen Übermaß, dass sie sich mit unvernünftigen Tieren einließen.

3. Mose 18.

V. 24. Ihr sollt euch in dieser keinem verunreinigen; denn usw. Ein altes Sprichwort sagt, dass aus bösen Sitten gute Gesetze geboren werden. Darum gibt Gott zu verstehen, dass es eben der Blick auf die bei den Stämmen Kanaans überall im Schwange gehenden und dort nur zu wohl bekannten Laster ist, der ihn veranlasst, über grauenhafte Dinge, die man am liebsten mit ewigem Schweigen bedeckt hätte, Bestimmungen zu treffen. Die bei den Heiden eingerissene böse Sitte soll für Israel nicht als Entschuldigung und Deckmantel des Lasters dienen. Um aber sein Volk noch mehr von einer Nachahmung dieses heidnischen Wesens abzuschrecken, erinnert Gott daran, welche Rache er an den Kanaanitern nehmen will. Gewiss lag hier nicht der einzige Grund, der zur Ausrottung dieser Völkerschaften führte: aber diese himmelschreienden Gräuel gaben doch den Ausschlag.

V. 26. Darum haltet meine Satzungen. Der heidnischen Verderbnis tritt nun Gottes Gesetz gegenüber. Hätte auch der Hinweis auf das strenge Strafexempel schon genügt, so erinnert Gott doch mit vollem Nachdruck noch daran, dass er seinem Volke im Gesetz einen Weg gezeigt, der für Leute, die nicht: mutwillig den Gehorsam verweigern wollen, jeden Irrtum unmöglich macht. Dass die Heiden, die des göttlichen Lichts beraubt waren, sich hier- und dorthin verführen ließen, kann man noch verstehen: aber gerade gegenüber dieser Blindheit sollten die Gläubigen beweisen, dass sie nicht Kinder der Finsternis, sondern des Lichts sind. Es scheint eine Anspielung an unsere Stelle zu sein, wenn die Paulus die Gläubigen ermahnt, nicht wie die Heiden in der Eitelkeit ihres Sinnes zu wandeln (Eph. 4, 17). Können sie doch aus dem Gesetz die mannigfaltigsten und besten Regeln für ihr Leben entnehmen: wenn sie aber dieses Licht der Lehre verachten, werden sie ebenso untergehen wie die Heiden.

3. Mose 20.

V. 13. Wenn jemand beim Knaben schläft usw. Gewiss will Gott, dass sein Volk sich nicht bloß aus Furcht vor Strafe sondern um des Gewissens willen vor solchen Gräueln hüte. Weil aber nicht alle willig gehorchen, verhängt er über die gewissenlosen Verächter die schwersten Strafen. Ist es doch erstaunlich, wie fast alle Heiden sich in stumpfer Gleichgültigkeit dermaßen gehen ließen, dass man Formen unnatürlicher Unzucht, vor deren Namen wir schon erschrecken, ungestraft duldete. Gott aber verhängt gleicher weise eine Strafe über den Knaben, der sich wie ein Weib gebrauchen ließ, wie über den Verführer: denn solche Unnatur ist unerträglich. Hatte sich aber ein Mann oder Weib mit einem Tier eingelassen, so wurde zum abschreckenden Exempel die Strafe auch an dem Tier vollzogen, gleichwie wir früher sahen, dass ein wütender Stier, der einen Menschen umgebracht hatte, dem Tode verfiel (2. Mose 21, 28). Die Strafe, die auch über ein unzurechnungsfähiges Tier ergeht, ist ein Beweis, wie tief Gott diese Art von Lastern verabscheut.

Abschnitt 167. – 3. Mose 19, 29.

Dieses Gesetz zeigt vollends deutlich, dass vor Gott der ungeregelte Geschlechtsverkehr immer als unerlaubt galt. Denn eine allegorische Deutung auf geistlichen Ehebruch wäre gezwungen und geschmacklos. Auch wer das Gesetz nur dahin verstehen wollte, dass es keine öffentlichen Hurenhäuser geben soll, würde es ungebührlich einschränken: Gott will vielmehr ganz allgemein, dass Eltern ihre Töchter in reiner und keuscher Zucht halten sollen. Die Ausdrücke zeigen doch auch zur Genüge, dass dem Herrn jegliche Hurerei verhasst ist, und dass ein außerehelicher Geschlechtsverkehr ohne Ausnahme als Laster gilt, von dem das Land nicht voll werden soll. Daraus folgt aber auch, dass das siebente Gebot nicht bloß dem Ehebruch, sondern allem unzüchtigen Wesen wehren will.

Abschnitt 168. – 5. Mose 23, 17.

Diese Stelle ist der eben besprochenen nahe verwandt, indem sie in ihrem ersten Gliede der Hurerei von weiblicher Seite wehrt. Kein Mädchen soll sich außer der Ehe mit einem Mann einlassen. Das zweite Glied kann indessen verschieden verstanden werden: soll unter den Söhnen Israels kein Hurer sein, so denkt man nach dem sonstigen Sprachgebrauch wohl am richtigsten an einen Weichling, der sich gewerbsmäßig wie ein Weib gebrauchen lässt. Vielleicht lässt sich der Gedanke aber auch dahin erweitern, dass auch dem männlichen Geschlecht ein hurerisches Treiben ausdrücklich untersagt werden soll.

Abschnitt 169. – 3. Mose 20, 10. / 5. Mose 22, 22 – 27.

5. Mose 22.

V. 22. Wenn jemand erfunden wird usw. Die Verhängung der Todesstrafe über eigentliche Ehebrecher zeigt, welch ein Gräuel vor Gott der Ehebruch ist. Und in der Tat ist eine Entweihung des heiligen und göttlichen Ehebundes vollkommen unerträglich. Die eheliche Treue ist so unantastbar, dass sie nicht ungestraft gebrochen werden darf. Welch grausame Bosheit ist es doch, das Weib aus dem Schoß des Mannes zu reißen, dessen ganzes oder wenigstens halbes Leben sie ist. Darum vergleicht auch der Prophet (Jer. 5, 8) die Ehebrecher mit wiehernden Hengsten; denn wo dies zügellose Wesen überhand nimmt, werden Menschen gleichsam zu Tieren. Übrigens kommt noch ein anderer Grund für die strenge Strafe in Betracht. Es war noch nicht gerade ein todeswürdiges Verbrechen, wenn jemand durch Verkehr mit einer Hure sein Weib betrog, wohl aber, wenn selbst ein unverheirateter Mann sich mit der Gattin eines anderen einließ: denn damit tat er dem Ehemann eine schwere Schmach an, die auch auf die Nachkommen überging; untergeschobene Kinder traten an die Stelle rechtmäßiger Nachkommenschaft, und Bastarde raubten den Namen der Familie. Aus diesem Grunde war auch bei den Heiden und schon vor dem Gesetz für den Ehebruch eine empfindliche Rache, ja meist die Todesstrafe verordnet (vgl. 1. Mose 38, 24). Darum sollten vollends Völker, die christlich sein wollen, sich nicht mit einer leichten Strafe für dies fluchwürdige Verbrechen begnügen. Freilich will man für die Unterbietung des göttlichen Gesetzes einen guten Schein haben und beruft sich darum auf Christus (Joh. 8, 11), der die Ehebrecherin, die gesteinigt werden sollte, frei ausgehen ließ. Dies werden wir aber in Rücksicht auf die besondere Berufsaufgabe verstehen, die Gott seinem eingeborenen Sohne gegeben hatte: Christus hatte ja nicht das Richteramt zu verwalten, sondern lehnte dies ausdrücklich ab. Wer von Gottes wegen das Schwert trägt, um Verbrechen zu strafen, darf sich für eine unzulässige Milderung der Strafe auf sein Beispiel berufen. Obgleich übrigens nach irdischem Recht die Untreue eines Mannes und eines Weibes nicht in völlig gleichem Maße gestraft zu werden pflegt, wird doch Gottes Rache solchen Unterschied nicht machen: denn es handelt sich um ein Band gegenseitiger Gemeinschaft. Vor Gott wird also der Satz des Paulus gelten (1. Kor. 7, 4), dass Ehegatten beiderseits nicht über ihren eigenen Leib verfügen dürfen, weil er dem andern Teil gehört.

V. 23. Wenn eine Dirne jemand verlobt ist usw. Dass in dieser Strafbestimmung eine verlobte Braut einer Ehegattin gleichgestellt wird, hat seinen guten Sinn: denn ein Mädchen, welches ihrem verlobten Bräutigam derartig die Treue brechen kann, dass sie ihre Jungfrauenschaft an einen Fremden wegwirft, muss schon ganz verderbt und zuchtlos sein. Weil aber ein Mädchen, dem Gewalt geschieht, unschuldig ist, wird sie von der Strafe freigesprochen (V. 25), wenn die Untat auf dem Felde geschah, wo sie niemandem um Hilfe rufen konnte: man nimmt also zu ihren Gunsten an, dass sie wider ihren Willen vergewaltigt wurde. Erscheint auch die Ausdrucksweise des Gesetzes der Fassungskraft des noch rohen Volkes angepasst, so lässt sich doch deutlich ersehen, dass Gott zwischen Zustimmung und Gewalterleidung einen Unterschied machen will. Ähnlich wäre dann freilich zu urteilen, wenn die Untat an einem sonst unverdächtigen Mädchen etwa in einem Winkel des Hauses geschah, wo niemand ihr Geschrei hören konnte.

Abschnitt 170. – 3. Mose 19, 20 – 22.

Besteht auch vor Gott kein Unterschied zwischen Sklaven und Freien, so kann doch das menschliche Recht auf ihre verschiedene Stellung Rücksicht nehmen, zumal aus dem Ehebruch einer Sklavin sich geringere Unzuträglichkeiten ergeben. Obgleich das Verbrechen an sich gewiss todeswürdig ist, wird doch in Rücksicht auf die Schwachheit des Volkes die Strafe dahin ermäßigt, dass, wenn jemand sich mit einer verlobten Sklavin eingelassen hat, er sowohl wie das Weib durchgeprügelt werden soll. Denn das wird es bedeuten: das soll gestraft werden . Damit sich aber aus solch leichter Strafe nicht das Missverständnis ergebe, es handle sich auch um ein leichtes Vergehen, beugt Gott vor, indem er außerdem noch ein Schuldopfer verordnet, welches erst den rechten Maßstab für die Tat des ohnedies schon Gezüchtigten abgibt.

Abschnitt 171. – 2. Mose 21, 7 – 11.

Diese Stelle, wie manche andere, zeigt, wie viele Unvollkommenheiten Gott in seinem Volke noch dulden musste. Dass Väter ihre Kinder verkauften, um ihre Vermögensverhältnisse zu verbessern, war gewiss barbarisch, ließ sich aber noch nicht so verhindern, wie man hätte wünschen sollen. Zudem sollte die eheliche Treue doch zu heilig sein, als dass ein Herr, der eine Sklavin sich verlobt, sie wieder hätte verschmähen dürfen, oder dass er das an sich unverletzliche Verlöbnis mit seinem Sohne hätte rückgängig machen können. Gilt dich in allewege der Grundsatz (Mt. 19, 6): „Was Gott zusammengefügt hat, soll der Mensch nicht scheiden.“ Aber in allen diesen Stücken blieb dem alttestamentlichen Volke noch eine weitgehende Freiheit. Nur für die armen Mädchen wird gesorgt, dass man sie nicht mit Schimpf und Schaden ausstoßen und in ihrer Schwachheit weiterem Unrecht aussetzen könne: sie sollen nicht ausgehen, wie die Knechte (vgl. V. 2). So gibt Gott zwar viel nach, prägt aber doch, soweit es die Herzenshärtigkeit des Volkes zuließ, sehr vernehmlich ein, dass er ein keusches und züchtiges Wesen lieb hat. Ist es auch nicht buchstäblich ausgesprochen, so lässt sich den Worten doch entnehmen, dass ein Herr eine gekaufte Sklavin nicht zur Hure machen durfte: wollte er sie haben, so musste er sie zu rechtmäßiger Ehe nehmen. Auch dadurch wird die wunderliche Meinung widerlegt, dass unter dem Gesetz die Hurerei erlaubt gewesen sei. – Der nächste Satz (V. 8) wird verschieden übersetzt. Nach dem hebräischen Wortlaut könnte er heißen: „Gefällt sie aber ihrem Herrn nicht, nachdem er sie zur Ehe nahm, so soll er sie zu lösen geben“, d. h. verkaufen, wenn auch nicht unter ein fremdes Volk. Indessen wäre es doch wunderlich, dass ein Herr das Weib, welches schon seine Gattin geworden war, wie eine Sache sollte verkaufen können. Darum bleibe ich lieber bei der oben stehenden Übersetzung. Danach soll ein Herr, der solche Sklavin nicht zur Ehe nehmen will, sie wiederum verkaufen: denn wenn sie bei ihm bliebe, wäre ihre Keuschheit gefährdet. Die Bestimmung will also vorbeugen, dass ein Herr solches Mädchen nicht nach seiner Laune wie eine Hure behandle. Dass er sie verschmähet hat,will dann nicht sagen, dass er sie etwa nach eingegangener Ehe verstoßen hat, sondern dass er sie nicht zum Weibe nehmen mochte. Eine zweite Möglichkeit ist (V. 9), dass er sie seinem Sohn zum Weibe geben kann. Auch damit wäre für ihre Keuschheit und Ehrbarkeit gesorgt, der sonst unter dem Übergewicht des Herrn wohl Gefahr gedroht hätte. Käme aber diese Heirat zustande, so soll der Herr, der selbst das Mädchen verschmähte, Tochterrecht an ihr tun, d. h. sie gebührend ausstatten und sie nicht anders behandeln, als sich einer rechten Verwandten gegenüber ziemt. Gibt er aber (V. 10) auch seinem Sohn eine andere , so soll dem verschmähten Mädchen doch an Nahrung und Kleidung nichts abgebrochen werden. Eben dies wird die Eheschuld sein, die sie in diesem Falle zu beanspruchen hat. Will man ihr aber diesen Anspruch nicht gewähren (V. 11), so soll sie frei ausgehen ohne Lösegeld: so wird ihr die Freiheit ein Ersatz dessen, um das man sie betrogen hat.

Abschnitt 172. – 2. Mose 22, 16. 17.

Auch aus dieser Bestimmung ersehen wir, dass die Hurerei von Gott keineswegs gebilligt wird, auch wenn er nur eine mäßige bürgerliche Strafe darauf setzte. In Rücksicht auf den inneren Spruch des Gewissens dienten die Opfer zur Sühne. Hier aber wird nur für die betreffenden Mädchen, die man betrogen hatte, insoweit gesorgt, dass sie nicht nach Verlust ihrer Jungfrauenschaft der Hurerei verfielen, und so das Land mit dem Laster überschwemmt würde. Dies soll dadurch verhindert werden, dass jemand, der ein Mädchen verführt hat, es auch heiraten muss. Insbesondere hat er es von seinem Gelde auszustatten, damit er es nachher nicht etwa verstoße und dann doch leer von seinem Ehebett ausgehen lasse. Will aber der Vater des Mädchens die Heirat nicht zugeben, so wird dem Verführer doch als Strafe auferlegt, dass er es auszustatten hat.

Abschnitt 173. – 5. Mose 24, 5.

Diese Befreiung vom Kriegsdienst hat den Zweck, dass die neu vermählten Gatten sich erst in Liebe miteinander einleben sollen, damit ihre Treue nicht etwa Schaden leide. Andernfalls wäre Gefahr, dass ein Weib, das soeben einen Mann erfahren, sich aber noch nicht an ihn gewöhnt hat, sich aus Begier vielleicht einem andern in die Arme würfe. Ähnliches war beim Manne zu befürchten: denn im Kriege und ähnlichen Unternehmungen begegnen mancherlei Verführungen. Gott will also, dass beide erst ein ganzes Jahr mit einander verkehren und in gegenseitiger Treue derartig zusammenwachsen, dass in der Folgezeit schamlose Untreue ausgeschlossen ist. Wenn übrigens Gott den jungen Eheleuten erlaubt, mit einander fröhlich zu sein, so ist dies ein Zeichen, wie freundlich er ihnen Gutes gönnt. Freilich mischt sich auch in den ehelichen Umgang nur zu leicht maßlose Fleischeslust: aber Gott will dies verzeihen und mit der Decke des heiligen Ehestandes verhüllen, sodass nicht mehr als Sünde angerechnet wird, was an sich nicht völlig rein sein würde. So gestattet er, dass Mann und Weib miteinander sich ergötzen. Diesem Gebot entspricht das Wort des Paulus (1. Kor. 7, 3): „Der Mann leiste dem Weibe die schuldige Freundschaft, desselbigen gleichen das Weib dem Manne. Entziehe sich nicht eins dem andern, es sei denn aus beider Bewilligung eine Zeitlang, dass ihr zum Fasten und Beten Muße habt.“

Abschnitt 174. – 4. Mose 5, 11 – 31.

V. 11. Und der Herr redete mit Mose usw. Obgleich diese Zeremonie als ein Stück des gesetzlichen Kultus verrechnet werden könnte, will ich sie doch hier im Zusammenhange mit dem siebenten Gebot verhandeln, zu dessen Sicherung sie dienen will. Soll doch dadurch erreicht werden, dass nicht ein Weib im Vertrauen darauf, dass sie unentdeckt bleibt, sich in Schamlosigkeit gehen lässt, ferner dass nicht die Eifersucht einen Mann innerlich seinem Weibe entfremde und so das Band keuscher Liebe zerrissen werde, wodurch allerlei Schandtaten die Tür geöffnet würde. So bezeugt Gott durch diese feierliche Handlung, dass er die eheliche Treue schützen und ihre Verletzung rächen will. Wir mögen daraus abnehmen, dass eine Ehefrau dem Herrn ein Opfer süßen Geruchs bringt, wenn sie in züchtiger Treue bleibt. Für den Ehemann aber war es ein großer Trost, dass Gott einen geheimen Betrug, der ihm durch Untreue des Weibes etwa angetan war, aufdecken wollte. Denn es handelt sich um einen Fall, der (V. 13) dem Mann insofern verborgen war, als das Weib nicht geradezu in ihrer Tat ergriffen wurde, aber hinreichenden Verdacht gab, sodass der Mann sich innerlich darüber quälen konnte. In solchem Falle will Gott die Sache aufdecken. Auffallen könnte allerdings, dass die Schuld der Frau schon ohne weiteres vorausgesetzt wird (V. 12): wenn irgendeines Mannes Weib untreu würde usw. Aber diese Ausdrucksweise will die Ehemänner warnen, nicht leichthin und in ungezügelter Eifersucht auf ihre Frauen einen schmählichen Verdacht zu bringen und sie vor Gottes schreckliches Gericht zu ziehen. Es ist hier also ein Wink für den Priester, dass er nicht ohne weiteres jeder unbegründeten Klage Gehör schenke.

V. 15. So soll er sie zum Priester bringen usw. Das hier verordnete Opfer unterscheidet sich von allen andern insofern, als nur reines Mehl ohne Öl und Weihrauch dargebracht werden soll: diese Beigaben würden nicht am Platze sein, da es sich um eine Abschwörung handelt, in welcher sich das Weib für den Fall der Unwahrheit dem göttlichen Fluch unterwirft. Um ihr eine heilige Scheu vor dem Meineid einzuflößen, wird sie (V. 18) vor Gottes Angesicht gestellt, und zwar entblößten Hauptes, als wollte sie der Priester gleichsam aus ihrem Schlupfwinkel hervorziehen. Manche Ausleger zwar deuten diese Entschleierung als ein Zeichen der Schande: aber damit wäre sie ja verurteilt worden, noch ehe die Sache wirklich entschieden war. Immerhin soll sie mit Furcht und Schrecken vor Gott treten, wenn man ihr das Haupt entblößt. Dann folgt das Verfahren selbst, das entweder mit Freispruch oder Verurteilung endigt. Der Priester (V. 17) nimmt in einem irdenen Gefäß heiliges Wasser, in welches er Staub vom Fußboden wirft; sodann bringt er einen Zettel oder Büchlein herbei (V. 23), auf welchem die Worte des Fluchs geschrieben stehen. Dieselben werden abgewaschen und damit gleichsam in das Wasser hineingebracht; endlich wird dem Weibe der Kelch gereicht. Bei dem heiligen Wasser denken manche Ausleger an dasjenige, welches stets in dem ehernen Becken vorhanden war, mit welchem sich die Priester vor jeder heiligen Handlung zu waschen hatten (2. Mose 30, 18). Ich gebe aber zur Erwägung, ob man nicht lieber an das Sprengwasser denken soll, welches mit der Asche der roten Kuh zubereitet wurde und für allerlei feierliche Reinigungen diente (4. Mose 19, 9). In diesem Falle wäre dem Weibe anschaulich eingeprägt worden, dass, wenn sie jetzt einen Meineid leistete, es in alle Zukunft für sie kein Reinigungsmittel mehr gab. Auch dass der Staub des Fußbodens in das Wasser getan wurde, geschah zum Zeichen des Abscheus. Dem Priester wird nun geheißen, dem Weibe die Worte der Verwünschung zuzuschieben. Dabei fragt man sich, warum solchem Weibe eine Selbstverwünschung angesonnen wird, die man doch beim Verdacht auf Mord oder ein anderes schweres Verbrechen nicht anzuwenden pflegte. Der Grund wird sein, dass eben kein anderes Verbrechen so leicht im Geheimen geschehen konnte. Gott will also dem Betrug wehren, mit welchem schlaue und in Lügenkünsten erfahrene Weiber ihr freches Treiben hätten zudecken können. Er beweist damit, dass er die eheliche Treue unter seinen Schutz und Schirm nimmt. Handelt es sich doch in dieser Zeremonie nicht um ein leeres Schreckmittel: vielmehr tritt Gott, wie er verheißen hatte, als ein Rächer über die Untreue selbst auf den Plan. Nicht vergeblich wird die Drohung hinzugefügt (V. 27), dass wenn das Weib jetzt lügt, es ihr ein Fluch sein wird unter ihrem Volk : denn ihr Bauch soll schwellen und ihre Hüfte schwinden. Ist sie aber unschuldig, so verheißt Gott nicht bloß (V. 28), dass ihr das Fluchwasser nicht schaden wird, sondern auch, dass sie schwanger werden kann: so wird im Gegensatz zu der verzehrenden Unfruchtbarkeit der ihr geschenkte Segen der Fruchtbarkeit zum Zeichen, dass Gott sie freigesprochen hat. Aus dieser doppelten Wirkung des Wassers lässt sich schließen, dass Gott unter dem äußeren Zeichen mit seiner verborgenen Kraft je nach Lage des Falles wirkte.

Abschnitt 175. – 5. Mose 22, 13 – 21.

V. 13. Wenn jemand ein Weib nimmt usw. Auch diese Anordnung will eine Erziehung zur Keuschheit sein. Gott trifft in doppelter Richtung Fürsorge: auf ein keusches und unschuldiges Mädchen soll der Mann, der sie zur Ehe nahm, nicht ungerechte Schmach bringen können; anderseits soll ein Mädchen, das sich als Jungfrau ausgab, obgleich sie gefallen war, ihrer Strafe nicht entgehen. Auch der Zweck wurde durch unser Gesetz erreicht, dass Eltern ihre Töchter mit allem Eifer hüteten. Freilich ist es eine entsetzliche Rohheit, dass ein Mann mit Wissen und Willen einen unwahren schändlichen Vorwurf gegen sein Weib erhebt, nur um einen Scheidungsgrund zu haben. Weil aber nur zu oft ein Lüstling seiner Frau überdrüssig wird und nun allerlei ausdenkt, um sich frei zu machen, war eine Bestimmung nötig, welche ein unbescholtenes Mädchen gegen die Verleumdungen ihres gottlosen und grausamen nachmaligen Gatten schützte. Und auf der anderen Seite musste auch einem rechtschaffenen Manne dazu verholfen werden, dass er nicht ein hurerisches Weib, das ihn betrogen hatte, weiter an seinem Busen hegen müsse. Denn für edle Naturen ist es über alles bitter, solche Schmach schweigend dulden zu sollen. Darum hatten die Eltern einer Frau, gegen welche der Ehemann eine solche Beschuldigung erhob, die Zeichen der jungfräulichen Reinheit ihrer Tochter vorzuweisen: vermochten sie dies nicht, so brauchte der Mann das früher schon mit einem andern zu Fall gekommene Weib nicht zu behalten. Wir ersehen also aus unserer Stelle, dass in der ersten Nacht das Anzeichen der Jungfrauenschaft, welches in Zukunft als Beweis der Keuschheit dienen konnte, im Leintuch aufgefangen wurde. Wahrscheinlich wurde auch das Tuch unter Beiziehung von Zeugen wie ein Unterpfand verwahrt, damit ein unbescholtenes und ehrbares Mädchen sich jederzeit dadurch verteidigen könne. Denn ohne weiteres dem Ausspruch der Eltern zu glauben, wäre doch nicht angegangen. Die Worte Mose setzen die betreffende Sitte als feststehend voraus.

V. 18. So sollen die Ältesten der Stadt den Mann nehmen usw. Den Verleumder trifft eine dreifache Strafe: er wird mit Ruten geschlagen, hat an den Vater des Mädchens hundert Silberlinge zu zahlen und geht des Rechts der Scheidung für immer verlustig. Als Grund wird ausdrücklich angegeben (V. 19): darum, dass er eine Jungfrau in Israel berüchtigt hat . Damit verheißt Gott, dass er ein Fürsprecher der Jungfrauen sein will; darin liegt für diese ein besonderer Anreiz, ihre Keuschheit zu hüten. Freilich ließe sich sagen, dass unser Gesetz für die arme Frau, welche der tyrannischen Herrschaft des Mannes für immer ausgeliefert wird, übel gesorgt habe. Aber es gab in der Tat keinen Weg, sie von ihm zu befreien. War auch, wie wir alsbald sehen werden, eine Ehescheidung im Allgemeinen zugelassen, so durfte doch die ursprüngliche Ordnung Gottes nicht mutwillig untergraben werden. Man konnte ein betrügerisches Gebaren des Mannes nicht gewähren lassen, der bloß eine entsprechende Behauptung hätte aufzustellen brauchen, um die Trennung herbeizuführen, die er wünschte.

V. 20. Ist´s aber Wahrheit usw. Wer die verordnete Strafe für allzu hart halten sollte, möge bedenken, dass wir es hier mit der unerträglichen Art von Betrug zu tun haben. Beim Verkauf eines Ackers oder Hauses wird der Betrug gestraft, und die Unterschiebung falschen Geldes gilt als Verbrechen: wenn aber ein Weib ihren Ehemann betrügt, indem sie ihren verunreinigten Leib als rein ausgibt, sollte sie frei ausgehen? Doch wird die strenge Strafe noch viel allgemeiner begründet (V. 21): sie hat eine Schandtat oder eine Nichtswürdigkeit in Israel begangen . Das Wort „Torheit“, welches manche Übersetzer hier gebrauchen, ist zwar nach dem Buchstaben des hebräischen Wortes zulässig, aber zur Bezeichnung der Sache viel zu schwach (vgl. auch 1. Mose 34, 7). Gerade der starke Ausdruck zeigt, wie viel dem Herrn an einem keuschen Wesen gelegen ist.

Abschnitt 176. – 5. Mose 24, 1 – 4.

Die Ehescheidung hatte Gott den Juden zwar nachgelassen; Christus aber verkündigt, dass sie niemals dem Gesetz Gottes wirklich entsprochen hat, da sie offen wider die erste Einsetzung streitet, welche als bleibende und unverletzliche Regel zu gelten hat. Man pflegt zu sagen, dass Naturrechte unzerstörbar seien: nun aber hat Gott ein für allemal verkündigt (1. Mose 2, 24), dass das Band der Gemeinschaft zwischen Mann und Weib noch enger ist, als zwischen Vater und Sohn. Kann also ein Sohn das Joch seines Vaters nicht abschütteln, so besteht noch viel weniger Grund, die Gemeinschaft zwischen Ehegatten aufzuheben. In welchem Grade widerspenstig muss das jüdische Volk gewesen sein, wenn Gott die Lösung eines so heiligen und unverletzlichen Bandes gestatten musste, um dies Volk nur einigermaßen regieren zu können! Es war doch ein Fehlschluss, wenn die Juden ohne weiteres für erlaubt hielten, was Gott um ihrer Herzenshärtigkeit willen nur ungestraft durchgehen ließ. Sie hätten vielmehr bedenken sollen, was Christus sagte (Mt. 19, 6), dass der Mensch nicht scheiden darf, was Gott zusammenfügte. Übrigens will die Nachgiebigkeit des alttestamentlichen Gesetzes in diesem Stück unterdrückten Ehefrauen zu Hilfe kommen, für die es noch besser war, freizukommen, als während eines ganzen Lebens unter grausamer Tyrannei zu seufzen. Denn sicherlich bedeutete ein Scheidebrief für das Weib soviel, dass sie von aller Schuld und Schmach gereinigt dastand. Für den Mann war er eine Schande. Denn er musste damit bekennen, dass er die Schuld eines bissigen oder unbeständigen Wesens auf sich nahm und sein Weib einfach darum verstieß, weil sie ihm etwa wegen eines Schadens oder einer Krankheit nicht mehr gefiel. Welcher Leichtsinn gehörte aber dazu, dass ein Mann in dieser Weise die Hälfte seines Lebens und Wesens von sich stieß! – Übrigens lesen viele Ausleger unsere Verse nicht in einem einzigen Zusammenhange, sondern schließen den Satz bereits mit dem ersten Verse. Sie lesen als Nachsatz: „so soll er einen Scheidebrief schreiben.“ Zweifellos gehört aber dies alles noch zum Vordersatz, welcher zusammenhängend schildert, wie ein Weib zuerst bei ihrem ersten und dann auch bei einem zweiten Manne einen Scheidebrief empfing. Darauf erst ergeht die Hauptbestimmung (V. 4), dass ihr erster Mann sie nicht wiederum nehmen kann. Als Grund wird angegeben, dass sie unrein ist . Ihr erster Mann hatte sie – dies werden die Worte besagen wollen – gleichsam verkuppelt und in den Ehebruch hineingestoßen. Gab auch das Gesetz für die Scheidung eine größere Freiheit, so durfte doch der Mann über Gottes erste Ordnung sich nicht einfach hinwegsetzen (Mt. 5, 31; 19, 9). So lag hier ein Fingerzeig, dass Gott, wenn er auch auf die Verstoßung des Weibes keine bürgerliche Strafe setzte, diese zügellose Freiheit doch keineswegs billigte.

Abschnitt 177. – 3. Mose 18, 19. / 3. Mose 20, 18.

Diese Vorschrift bezweckt, die Gläubigen von unflätigem Wesen zurückzuhalten und zur Keuschheit zu erziehen. Ein Weib, die ihre monatliche Regel hat, sollte schon wegen der Hässlichkeit dieses Zustandes, der zudem die Gefahr einer Ansteckung birgt, für ihren Mann unnahbar sein. Doch will Gott immerhin weniger für die Gesundheit als für die Schamhaftigkeit sorgen. Die Menschen sollen sich vor schmählichen Dingen hüten, vor denen schon die natürliche Empfindung zurückscheut. Daraus ergibt sich dann die allgemeine Regel, dass Ehegatten überhaupt in ihrem Verkehr Schamhaftigkeit und Zucht walten lassen sollen. Aus der harten Strafe lässt sich der Rückschluss machen, dass es sich wirklich um schweres Vergehen handelt. In der Tat muss schon alles Schamgefühl geschwunden sein, wo Mann und Weib sich in so schmachvolle Dinge einlassen. Darum will Gott nicht bloß die Tat an sich treffen, sondern die unvernünftige begierliche Lüsternheit, die Menschen zu solcher Unnatur verführt. Wer sich so den Zügel schießen lässt, dass er eine Schranke durchbricht, vor der selbst unvernünftige Tiere Halt machen, ist jeder Schandtat fähig. Wir dürfen uns also nicht wundern, dass Gott über die Gemeinheit eine so schwere Strafe verhängt.

Abschnitt 178. – 3. Mose 18, 1 – 18. / 5. Mose 22, 30.

3. Mose 18.

V. 1. Und der Herr redete mit Mose usw. Diese Sätze stimmen fast wörtlich mit anderen überein, die ich als Vorrede zum Gesetz zusammengestellt habe, weil sie die Seelen zur ehrfürchtigen Annahme des Gesetzes vorbereiten wollten. Der sachliche Unterschied ist aber der, dass wir es dort mit ganz allgemeinen Ansprachen zu tun hatten, welche das Volk zur Beobachtung des Gesetzes ermahnen wollten, während sich die Rede hier auf einen ganz bestimmten Punkt zuspitzt. Bei den (V. 3) Werken des Landes Ägypten usw. schweben Dinge vor, mit denen man den heiligen Ehestand, den Gott eingesetzt hatte, bei den Heiden verderbte und verkehrte. Blutschande war bei den lüsternen Morgenländern sehr weit verbreitet. Insbesondere von den Ägyptern wissen wir, dass der Bruder sich zuweilen nicht scheute, seine eigene Schwester zur Ehe zu nehmen und der Oheim seine Nichte. Hatte man so das Schamgefühl durchstrichen, so verlor man schließlich allen Halt und trat alle Rechte der Natur mit Füßen. Dies ist der Grund, weshalb Gott allerlei blutschänderische Verbindungen aufzählt, die ausdrücklich zu nennen uns vielleicht überflüssig scheint.

V. 4. Sondern nach meinen Rechten sollt ihr tun . Eingewurzelte Laster auszurotten ist nicht minder schwer, wie alte Krankheiten zu heilen: denn das Volk hängt zähe an alt überlieferten Unsitten. Darum stellt Gott seine Satzungen und Rechte als den Zielpunkt hin, zu welchem sich das Volk von dem Irrweg böser Gewohnheiten zurechtzufinden hat. Denn was ist es für eine Torheit, auf die Taten der Menschen zu merken und nicht auf Gottes Wort, dem wir doch allein die Regel eines richtigen Lebens zu entnehmen haben! Es ist, als wollte Gott alles niederschlagen, was auch noch so lange in Übung stand, und das Gewicht seiner Lehre wider die Meinung einer ganzen Welt setzen. Darum heißt er die Kinder Israel immer wieder auf sein Gesetz schauen, damit sie sich nicht durch schmutzige Begierden irreführen lassen: in diesen Schranken sollen sie sich halten und allen Missbräuchen den Abschied geben. Darauf zielen auch die Worte: Ich bin der Herr, euer Gott . Dieser Gott steht auf der einen Seite, alle unreinen Heiden aber, aus denen er sein Volk wie durch eine Scheidewand abgesondert, auf der andern.

V. 6. Niemand soll sich zu seiner nächsten Blutsfreundin tun . Darunter sollen nicht alle irgendwie Verwandte verstanden sein: denn einem Vetter war es unverwehrt, seine Base zu heiraten. Das Wort wird durch die folgende Aufzählung derjenigen Grade genauer bestimmt, innerhalb deren nach Gottes Verfügung eine Ehe als blutschänderisch gelten soll. Verboten ist die Heirat des Sohnes und der Mutter, des Stiefsohns und der Stiefmutter, des Oheims väterlicher- oder mütterlicherseits mit der Nichte, des Großvaters mit der Enkelin, des Bruders mit der eignen Schwester, des Neffen mit der Schwester des Vaters oder der Mutter oder auch mit der Frau des Oheims, des Schwiegervaters mit der Schwiegertochter, des Bruders mit der Frau des Bruders, des Stiefvaters mit der Stieftochter. Mit dieser von Gott gegebenen Ordnung stimmen die römischen Gesetze in einem solchen Maße überein, dass man fast glauben könnte, ihre Urheber hätten von Mose gelernt, was ehrbar ist und der Natur entspricht. Die Redeweise, deren sich Gott bedient, will einen tiefen Abscheu vor unzüchtigen Verbindungen erwecken: niemand soll sich zu seiner nächsten Blutsfreundin tun, ihre Blöße aufzudecken . Ohne Zweifel will Mose damit etwas ganz Hässliches und Schamloses bezeichnen. Übrigens ist ausdrücklich anzumerken, dass nicht bloß ein ehebrecherischer Verkehr, sondern auch eine Heirat innerhalb aller dieser verbotenen Grade verwehrt sein soll. Allerdings handelt es sich hier um Stück der bürgerlichen Ordnung, welche Gott dem alttestamentlichen Volke gegeben hat. Zugleich aber müssen wir behaupten, dass alle diese Vorschriften unmittelbar aus dem Quell aller Wahrheit und der uns eingeborenen sittlichen Empfindung stammen. Darum gehören diese Gesetze keineswegs zu denen, an die wir nach Abschaffung des Gesetzes nicht mehr gebunden sind. Schon die feierliche Vorrede zeigt (V. 2 ff.), dass es sich hier nicht um vorübergehende bürgerliche Ordnungen handelt, sondern um ewige sittliche Naturgesetze, die in der großen Masse heidnischer Völker zwar vergessen werden mögen, die aber nie mit dem Wechsel der Zeiten und Verhältnisse grundsätzlich dahinfallen. Wenn Gott ausdrücklich sagt, dass auch diese Gebote Zeichen sind, an denen man sein erwähltes Volk von den unreinen Heiden soll unterscheiden können, so folgt unausweichlich, dass die hier verbotenen blutschänderischen Verbindungen zu jeder Zeit den Menschen beflecken und besudeln. Paulus beruft sich schon in einer sehr untergeordneten Sache auf das sittliche Naturgesetz (1. Kor. 11, 14). So sehe ich vollends nicht, wie diese wichtigen Bestimmungen über die verbotenen Grade ohne weiteres bei Seite geschoben werden könnten, als wären sie rein bürgerlichen Charakters. Eine Obrigkeit kann vielleicht einmal beschließen, dass in ihrem Gebiete einzelne der aufgezählten Verbindungen ungestraft bleiben sollen: aber kein Gesetzgeber kann machen, dass etwa nicht mehr Sünde wäre, was die Natur selbst als Sünde erscheinen lässt, - und wenn er in tyrannischem Übermut dergleichen versuchen sollte, wird das unterdrückte Licht der Natur immer wieder hervorbrechen. Als der Kaiser Claudius seine Nichte Agrippina zur Ehe genommen hatte, musste ein Beschluss des römischen Senats den gegebenen Anstoß einigermaßen zu heben suchen, indem er solche Ehen freigab: aber mit Ausnahme eines einzigen Freigelassenen fand sich niemand, der das Beispiel des Kaisers hätte nachahmen wollen. Daraus wird ein billiges und besonnenes Urteil abnehmen, dass auch die Heiden, die von Gott nichts wussten, diese Ordnung für unverletzlich hielten, und dass sie unaustilgbar in ihren Herzen geschrieben stand. Wenn also Paulus einen besonderen Abscheu vor dem blutschänderischen Umgang des Stiefsohns mit der Stiefmutter erwecken will, so bezeichnet er einen solchen Fall auch unter den Heiden als unerhört. Wollte aber jemand einwenden, dass das neue Testament derartige eheliche Verbindungen nicht mehr verbiete, so stelle ich die einfache Gegenfrage, ob es denn etwa eine Ehe zwischen Vater und Tochter, oder zwischen Mutter und Sohn ausdrücklich untersagt? Und wenn es dies nicht tut, soll man etwa daraus den Schluss ziehen, dass es jede Verbindung zwischen Blutsverwandten zulassen will? Wenn sich Paulus bei diesem einen Fall von Blutschande zur Schmach der Christen auf das Urteil der Heiden beruft, sollten wir uns überhaupt schämen, uns von ihnen an sittlichem Zartgefühl übertreffen zu lassen. Mir genügt es für alles, dass Paulus (Phil. 4, 8) die Christen ermahnt, sie möchten allem nachdenken, was wahrhaftig ist, was ehrbar, was gerecht, was keusch usw. Dass Verbindungen in der nächsten auf – oder absteigenden Linie, also zwischen Vater und Tochter, Mutter und Sohn ganz widernatürliche Scheußlichkeiten sind, versteht sich von selbst. Gehen wir dann zur nächsten Seitenlinie weiter, so steht der Bruder des Vaters oder der Mutter an Stelle des Vaters, die Schwester des Vaters oder der Mutter an Stelle der Mutter. Daraus folgt, dass hier eine Eheschließung kaum weniger hässlich ist, als in den erstgenannten Fällen. Ähnlich steht es bei allen derartig nahen Blutsverwandtschaften, auch wenn nicht alle Möglichkeiten bis ins Einzelnste ausdrücklich aufgezählt werden.

V. 16. Du sollst deines Bruders Weibes Blöße nicht aufdecken . Dabei denken viele Ausleger an einen ehebrecherischen Umgang zu Lebzeiten des Bruders. Aber die Übereinstimmung des immer wiederkehrenden Ausdrucks zeigt, dass auch eine Heirat nach dem Tode des Bruders verboten sein soll. Die Ausleger haben sich offenbar durch die Vorschrift (5. Mose 25, 5 f.) irreführen lassen, dass, wenn jemand kinderlos stirbt, sein Bruder das hinterlassene Weib nehmen soll, um dem Verstorbenen Samen zu erwecken. Man darf aber den Ausdruck „Bruder“ der im Hebräischen auch weitere Verwandte bezeichnen kann, nicht auf den leiblichen Bruder deuten. Das Gesetz, dass der „Bruder“ die Witwe des verstorbenen „Bruders“ übernehmen soll, geht also selbstverständlich nicht auf die nächsten Verwandtschaftsgrade, zwischen denen eine Ehe als blutschänderisch vom Gesetz verboten war. Dies lässt sich auch aus der Geschichte der Ruth ersehen, welche früher nicht mit einem leiblichen Bruder, sondern mit einem entfernteren Verwandten des Boas verheiratet war und nun von diesem gleichsam erblich übernommen wurde (Ruth 2, 1. 20; 3, 12). Wenn aber Thamar zuerst das Weib des Ger, sodann des Onan, seines Bruders war (1. Mose 38, 6 ff.), so war dies eben ein Missbrauch, der in Judas Familie aus der zügellosen heidnischen Umgebung Eingang gefunden hatte. Es gilt mir also als unzweifelhaft, dass das Gesetz Moses die Ehe mit der Witwe des leiblichen Bruders nicht zuließ.

V. 18. Du sollst auch deines Weibes Schwester nicht nehmen neben ihr . Aus diesem Gesetz will man freilich folgern, dass es nur verwehrt sein soll, zwei Schwestern neben einander, nicht aber nach einander zu heiraten. Aber es gilt, auf die besondere Absicht des Gesetzgebers in diesem Falle zu achten: man soll neben der Schwester nicht die Schwester heiraten „ihr zuwider“. Es handelt sich also hier nicht um eine Bestimmung, die eine blutschänderische Ehe, sondern die innerhalb der nun einmal nicht unbedingt ausgeschlossenen Polygamie wenigstens die schlimmsten Anlässe zur Eifersucht ausschließen will. Die „Schwester“ der ersten Frau, die niemand heiraten soll, ist also nicht die leibliche Schwester, die nach dem Gesetz überhaupt nicht in Betracht kam, sondern eine Verwandte. War die erste Frau schon übel daran, wenn sie überhaupt ein Kebsweib als Nebenbuhlerin dulden musste, so sollte sie doch wenigstens vor dem grausamen Zwang seitens des Mannes bewahrt bleiben, sich mit einer nahen Verwandten eifersüchtig herumschlagen zu müssen.

5. Mose 22.

V. 30. Niemand soll seines Vaters Weib nehmen . An dieser Stelle bringt Mose nichts Neues. Indem er allein verwehrt, die Stiefmutter zu heiraten, wird er mit diesem flüchtigen Hinweis zugleich auch an die andern jedermann bekannten verbotenen Grade erinnert haben. Keineswegs will die Beschränkung auf die eine Form einer unerlaubten Ehe etwa andere schändliche Verbindungen für zulässig erklären.

Abschnitt 179. – 3. Mose 20, 11. 12. 14. 17. 19 – 24.

In diesen Ausführungen sind nur die Strafbestimmungen neu. An den früheren Stellen hatte Mose einfach zum Gewissen gesprochen, welches auch ohne Furcht vor dem Richter die Menschen von blutschänderischen Verbindungen abhalten sollte. Jetzt aber schreckt er gar zu gleichgültige Leute mit der Furcht vor Strafe. Es wird nun für Blutschänder nicht etwa Prügelstrafe verordnet: dadurch wäre das Verbrechen als ziemlich gering hingestellt worden. Wer von dem Recht der Natur abweicht, begeht aber eine todeswürdige Untat. So wird zunächst über Stiefmutter und Stiefsohn, sodann über Schwiegervater und Schwiegertochter (V. 11 f.), weiter über Stiefvater und Stieftochter für den Fall die Todesstrafe verhängt, dass sie sich blutschänderisch miteinander einlassen (V. 14). Wenn in dem letztgenannten Falle die Strafe nicht bloß die Tochter, sondern auch die Mutter treffen soll, so ist dabei vorausgesetzt, dass sie ihre Einwilligung zu diesem schändlichen Verkehr gab. Denn hätte ihr Mann wider ihr Wollen und Wissen die Tochter verführt, hätte sie nicht verantwortlich gemacht werden können. Die gleiche Strafe wird über leibliche Brüder und Schwestern (V. 17) und über Tante und Oheim, sowie über Schwager und Schwägerin verhängt (V. 19 ff.). Die Ausdrucksweise (V. 11 ff.; 16): ihr Blut sei auf ihnen will besagen, dass man die entsetzliche Missetat niemandem anders als den Verbrechern selbst anrechnen soll. Kein Richter soll sich verleiten lassen, in angeblicher Menschenfreundlichkeit ein unzeitig mildes Urteil zu sprechen. Um dies zu vermeiden, soll er sich die ganze Schwere des Verbrechens vor Augen stellen. Mose deutet auch an, dass Gottes Rache über das ganze Volk kommen werde, wenn man solche Laster gewähren ließe, sodass sie zu einer verheerenden Flut anschwellen müssten: die Verbrecher (V. 18) sollen aus ihrem Volk gerottet werden.Wenn es daneben heißt (V. 20), dass sie ohne Kinder sterben sollen , so ist es eine gerechte Strafe, dass Menschen, die das heilige Geschlecht Abrahams mit ehebrecherischem Samen befleckten, unfruchtbar zu Grunde gehen müssen, sodass ihr Name aus der Welt getilgt wird.

V. 22. So haltet nun alle meine Satzungen usw. Immer wieder will Gott die Kinder Israel von heidnischen Wegen zurückrufen, indem er sie mahnt, in den Schranken seines Gesetzes zu bleiben. Das hat seinen guten Grund: denn das böse Beispiel der Umgebung wirkte gar zu verführerisch. Damit aber Israel das Joch des Herrn nicht abschüttele, wird ausdrücklich daran erinnert, dass die Stämme Kanaans wegen derartiger Gräuel aus dem Lande verstoßen wurden, und dass Israel eben darum ihr Land erben durfte, damit es sich von den gemeinen Sitten der Heiden absondere.

Abschnitt 180. – 5. Mose 25, 11 – 12.

Dies scheinbar harte Gesetz lässt ersehen, wie vor dem Herrn ein schamhaftes Wesen wohlgefällig ist, wie er aber Schamlosigkeit verabscheut. Wurde es einem Weibe schon als todeswürdiges Verbrechen angerechnet, wenn sie in der Hitze eines Streites, wo man doch oft nicht mehr weiß, was man tut, die Scham eines Mannes angriff, so war die Gemeinheit, die derartiges etwa aus lüsterner Begierde tat, vollends unverzeihlich. Ohne Zweifel sollten die Richter, wenn eine Strafe über irgendeine Schändlichkeit zu verhängen war, einen Schluss von der geringeren Untat auf die größere ziehen. Es wird auch (V. 12) gleichsam eine Beschwörung hinzugefügt: dein Auge soll ihrer nicht verschonen.Kein Richter soll sich hier schlaff und weich zeigen: er soll die verordnete grässliche Strafe verhängen; denn es war vollends ganz unentschuldbar, wenn ein Weib absichtlich den Körperteil eines Mannes angegriffen hatte, gegen dessen Berührung und Anschauen eine züchtige Frau einen natürlichen Widerwillen empfindet.

Abschnitt 181. – 5. Mose 22, 12.

Auch diese Vorschrift, die für Zucht in der Kleidung sorgen will, ist ein Anhang zum Gebot der Keuschheit. Da man Unterkleider in den damaligen Zeiten nicht trug, konnte wohl ein Anreiz zu sehr bösen Dingen daraus entstehen, wenn das Gewand sich öffnete und die Schamteile sichtbar wurden. Und wie mancher mochte solchen „Zufall“ in lüsterner Absicht herbeiführen. Sehen wir doch, dass manche Leute in ihrer Schamlosigkeit sich ihres ausschweifenden und schändlichen Wesens gar noch rühmen. So ordnet Gott an, dass sie Säume der Kleider mit Quasten oder Schlingen zusammengehalten werden sollen, damit sie sich nicht etwa öffnen können und die Schamhaftigkeit verletzt würde. Dass Gott nicht bloß den Ehebruch, sondern überhaupt alles verwirft, was wider die reine Keuschheit streitet, wird hier vollends klar, wenn er seinem erwählten Volke sogar Vorschriften für die Kleidung gibt, um Zucht und Sitte zu wahren. Mit den Säumen oder Denkzetteln, die an das Gesetz erinnern sollten (5. Mose 6, 8 f.; Mt. 23, 5), hat unsre Vorschrift nichts zu tun: sie zielt lediglich auf die Keuschheit ab.

Abschnitt 182. – 5. Mose 22, 5.

Auch diese Verordnung hat den gleichen Zweck wie die vorige. Ein Weib soll sich nicht frech und unweiblich und ein Mann nicht weibisch gebärden und kleiden. An der Kleidung an sich wäre freilich nicht viel gelegen: aber es ziemt sich nicht für einen Mann, sich weichlich gehen zu lassen, und nicht für ein Weib, in Kleidung und Haltung die Männer nachzuäffen. So ist unsere Vorschrift eine Anleitung zu einem bescheidenen und züchtigen Wesen. Wer von solchem Wesen abkommt, sinkt nur zu leicht in tiefes Verderben. Und auch eine ehrbare Kleidung ist ein nicht zu verachtendes Mittel, Zucht und Sitte zu erhalten.

Quelle: Johannes Calvins Auslegung der Heiligen Schrift in deutscher Übersetzung. 2. Band. 2. – 5. Buch Mose. 1. Hälfte. Verlag der Buchhandlung des Erziehungsvereins; Neukirchen; Kreis Moers. (Die Auslegung der zehn Gebote wurde übersetzt von Prof. K. Müller in Erlangen.)

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