Calvin, Jean - Apostelgeschichte - Kapitel 23.

Calvin, Jean - Apostelgeschichte - Kapitel 23.

1 Paulus aber sah den Rat an und sprach: Ihr Männer, leiben Brüder, ich habe mit allem guten Gewissen gewandelt vor Gott bis auf diesen Tag. 2 Der Hohepriester aber, Ananias, befahl denen, die um ihn stunden, dass sie ihn aufs Maul schlügen. 3 Da sprach Paulus zu ihm: Gott wird dich schlagen, du getünchte Wand! Sitzest du, mich zu richten nach dem Gesetze, und heißest mich schlagen wider das Gesetz? 4 Die aber umherstunden, sprachen: Schiltst du den Hohenpriester Gottes? 5 Und Paulus sprach: Lieben Brüder, ich wusste es nicht, dass er der Hohepriester ist. Denn es stehet geschrieben: „Dem Obersten deines Volks sollst du nicht fluchen.“

V. 1. Paulus aber sah den Rat an usw. Paulus bezeugt zuerst, dass er ein gutes Gewissen hat, um die ganze Versammlung wissen zu lassen, dass man ihn ungerechterweise mit dem schrecklichen Verbrechen belaste, er habe die Verehrung Gottes umstürzen wollen. Allerdings könnte auch ein Mensch, der im Übrigen weder Gott noch die Religion verachtet, durch Unwissenheit zu Fall kommen. Aber Paulus wollte im Eingang seiner Rede mit dieser Entschuldigung lediglich die erbitterten Gemüter besänftigen, damit man ihm Gehör schenke. Man hätte ihm ja niemals gewährt, sich zu verteidigen, solange die Meinung im Herzen der Priester haftete, dass er ein abtrünniger Religionsverächter sei. Bevor er also zur Sache selbst kommt, schüttelt er diesen Vorwurf ab. Was er außerdem noch sagen wollte, wissen wir nicht. Im Übrigen lehrt dieser Eingang, dass niemand die Lehre der Frömmigkeit behandeln kann, in dem nicht vor allem die Furcht Gottes regiert. Obwohl nun Paulus die Priester jetzt mit geringeren Ehrentiteln anredet als kurz zuvor (22, 1) auf den Stufen zum Lager, so bezeichnet er sie doch noch als „liebe Brüder“ . Diese Ehre lässt er ihnen, nicht weil sie es wert sind, sondern weil er bezeugen will, dass er seinerseits die Entfremdung keineswegs verschulde.

V. 2. Der Hohepriester aber, Ananias usw. Der jüdische Schriftsteller Josephus (Altertümer 20, Kap. 3 – 8; Jüdischer Krieg, Buch 2) nennt für die damalige Zeit eine Reihe von andern Hohenpriestern; Ananias aber, der bei der Eroberung der Stadt starb, stand nach seinem Bericht unter der Regierung des Claudius und Nero den damaligen Hohenpriestern an Würdigkeit gleich. Sein Ansehen wird so hoch erhoben, als läge in seinen Händen die oberste Regierung, obgleich andere die Ehrenzeichen des Amts führten. Überhaupt kann ja als Hoherpriester ein Mann bezeichnet werden, der zu den oberen Priestern aus Aarons Geschlecht gehörte, - zum Unterschied von den Leviten, die eine niedere Stufe des Priestertums innehatten. Und gerade jener Ananias, der als ein tüchtiger und beherzter Mann galt, konnte den etwa abwesenden eigentlichen Hohenpriester vertreten.

Befahl, dass sie ihn aufs Maul schlügen. Hier sehen wir die wunderbare Maßlosigkeit, die in dieser Versammlung im Schwange ging. Dass der Hohepriester in seiner Erregung den Paulus ohne Grund schlagen heißt, tut er ohne Zweifel mit allgemeiner Zustimmung, ja sogar, um das besondere Wohlgefallen der rasenden Versammlung zu gewinnen. So überlässt der Herr die Gottlosen dem Satan, dass er sie fortreiße und sie nun jeden Schein von Billigkeit und Mäßigung fahren lassen. Die Heuchler würden ja gern die Maske maßvoller Würde zur Schau tragen. Aber der Herr reißt sie dem Hohenpriester ab, so dass er sich weniger gesittet benimmt als ein gemeiner und ungebildeter Mensch und rast wie ein ungebändigtes Tier. Wir sehen daraus, in welch scheußlicher und schrecklicher Verwirrung sich die Gottesgemeinde damals befand. Es herrschte keine Zucht und Ordnung, sondern zügellose Barbarei. Diese Schmach, dass man in sinnlose Wut stürzen musste, vor der auch unheilige Menschen sich entsetzt hätten, war die göttliche Strafe für die herrschende Unfrömmigkeit.

V. 3. Gott wird dich schlagen. Paulus konnte das Unrecht nicht schweigend hingehen lassen, ohne mit harten Worten den Hohenpriester anzufahren und ihm Gottes Rache zu verkündigen. Allerdings könnte jemand sagen, er habe nicht die Mäßigung bewahrt, die Christus den Seinen vorschreibt, indem er verlangt, man solle auch den rechten Backen darreichen, wenn man auf den linken geschlagen ward. Doch ist die Antwort leicht. Christus legt mit seinem Spruch seinen Jüngern nicht ein Schweigen auf, mit welchem sie die Bosheit und Frechheit der Frevler befördern würden, sondern will ihr Gemüt zügeln, dass sie bei erlittenem Unrecht nicht ungeduldig werden. Christus will, dass wir nach einem erlittenen Unrecht bereit sein sollen, ein weiteres zu tragen. Er erstickte damit alle Rachgier. Die wahre Geduld, die allen Gläubigen ziemt, besteht darin, dass sie nicht jähzornig aufbrausen noch mit Übeltaten ihren Kampf führen, sondern Böses mit Gutem zu überwinden trachten. Dadurch ist keineswegs ausgeschlossen, dass sie über geschehenes Unrecht sich beklagen, gottlose Leute überführen und vor Gottes Richterstuhl ziehen, wenn sie dies nur mit stillem Geist sowie ohne Übelwollen und Hass tun, wie Paulus hier sich auf Gottes Gericht bezieht, damit nicht der Hohepriester sich in seiner Tyrannei selbst gefalle. Er klagt ihn also an, dass er das Gesetz verletze, durch dessen Wohltat er doch seine Macht zu haben behauptet, und er zieht den Schluss, dass ihm dies nicht ungestraft hingehen werde. Wenn jemand sich von Ungeduld übermannen lässt und auch nur murrt, wird man ihn von Schuld nicht freisprechen können. Dagegen überschreitet eine offene und strenge Anklage, die aus einem besänftigten Gemüte kommt, die von Christus gesteckten Grenzen nicht. Doch kann man sagen, dass Paulus auch schilt, indem er den Hohenpriester eine getünchte Wand nennt. Indessen muss man immer darauf achten, wie die Gesinnung beschaffen ist, aus der ein solches Wort hervorgeht. Wenn nur eine schmähsüchtige Absicht fern bleibt, dürfen wir nicht bloß die Torheit bei Brüdern aufdecken, sondern auch, wenn es nötig ist, ihre Verbrechen beim rechten Namen nennen. So redet Paulus nicht um seinetwillen, um sich an dem unrechten Verhalten des Hohenpriesters mit schmählichen Worten zu rächen, sondern weil er als Diener des göttlichen Worts zu einer Untat, die schweren und ernsten Tadel verdiente, nicht schweigen wollte, namentlich weil es nützlich war, die grobe Heuchelei des Ananias aus ihren Schlupfwinkeln ans Licht zu ziehen. So oft wir also mit boshaften Menschen zu tun haben und eine gute Sache gut durchführen möchten, sollen wir uns Mühe geben, dass keine Regung von Zorn in uns aufquille, und dass nicht etwa Rachgier uns zu Schmähungen reize. Herrscht aber in uns der Geist der Sanftmut, so dürfen wir gleichsam in Gottes Namen reden und die Gottlosen behandeln, wie sie es verdienen. Allerdings muss man den Eindruck gewinnen, dass wir als Propheten Gottes dastehen und nicht in ungebändigter Wut leichtfertig irgendetwas heraussprudeln.

V. 4. Die aber umherstunden usw. Hier wird ersichtlich, dass sie alle demselben Mangel an Selbstbeherrschung unterliegen. Warum klagen sie nicht vielmehr den Ananias an, den sie doch aller Zurückhaltung vergessen und in barbarischer Weise zum Gebrauch von Fäusten und Schlägen sich fortreißen lassen sehen? Diente doch ihnen insgemein dieses zur Schmach. Aber es ist ja die Art der Heuchler, dass sie andere mehr als streng beurteilen, dagegen ihren eigenen Fehlern schmeicheln. Mit diesem Stolz verbindet sich Tyrannei: wer die Herrschaft in der Hand hat, will den Untergebenen gar nichts erlauben, aber sich selbst alle Willkür gestatten. So ist es ja auch heute im Papsttum.

V. 5. Ich wusste nicht, dass er der Hohepriester ist. Man sagt, dass Paulus, der lange in der Ferne geweilt hatte, eben darum den Hohenpriester nicht kannte. Als ob er nicht gewusst hätte, dass der Mann, der in der Versammlung den Vorsitz führte, mit hoherpriesterlicher Würde bekleidet war! Zudem war Ananias nicht so unbekannt, dass Paulus von seiner erhabenen Stellung nichts hätte wissen sollen. Die Sache wird aber ganz klar, wenn man auf die ersten Worte des Apostels achtet. Er schilt den Mann, der unter Berufung auf das Gesetz den Richterstuhl innehat, dass er sich wider das Gesetz so maßlos gebärde. Paulus kennt also die Stellung dieses Mannes, dem er Missbrauch seiner Gewalt vorwirft, recht wohl. Ich schließe mich daher unbedenklich der Meinung Augustins an, dass seine Entschuldigung ironisch verstanden sein will. Man sage dagegen nicht, dass sich für Diener Wahrheit einfältige Rede zieme. Es gibt ja eine doppelte Art von Ironie: die eine ist ein Kunstgriff zur Täuschung, die andere redet verhüllt, um dem Gewissen einen Stachel einzusenken. Diese zweite Art hat nichts für Knechte Christi Unwürdiges. Die Worte besagen also: Brüder, an diesem Manne vermag ich nichts Priesterliches zu erkennen. Paulus fügt auch ein alttestamentliches Zeugnis hinzu (2. Mos. 22, 27). Dort ist allerdings zunächst von den Richtern die Rede, aber der Satz erstreckt sich auf jede gesetzmäßige übergeordnete Gewalt. Jede Würde also, die um der öffentlichen Ordnung willen eingesetzt ward, muss man gewissenhaft achten und in Ehren halten. Denn wer sich schmähend gegen die Obrigkeit erhebt, fördert die Anarchie und erschüttert damit die Menschenwürde. Von diesem Vorwurf reinigt sich also Paulus, indem er erklärt, er könne einen Ananias, der die ganze Ordnung der Gottesgemeinde verderbt und umstürzt, nicht als einen Priester Gottes ansehen. Doch erhebt sich hier die Frage, ob man nicht auch einem tyrannisch regierenden Fürsten gehorchen müsse; denn wenn demjenigen, der sein Amt übel verwaltet, doch die Ehre nicht versagt werden darf, sündigt Paulus, indem er den Hohenpriester seiner Ehre beraubt. Ich antworte, dass ein erheblicher Unterschied obwaltet zwischen der bürgerlichen Obrigkeit und den Vorstehern der Gottesgemeinde. Wo ein irdisches Reich verworren und übel verwaltet wird, will der Herr doch, dass die Pflicht der Unterwerfung unangetastet bleibe. Wo aber das geistliche Regiment aus der Art schlägt, werden die Gewissen entbunden und sollen der ungerechten Oberherrschaft nicht mehr gehorchen, namentlich wenn gottlose und weltlich gesinnte Feinde eines heiligen Wesens unter dem angemaßten Titel des Priestertums die Heilslehre umstürzen und sich über Gott selbst erheben. Heutzutage dürfen also die Gläubigen nicht nur das Joch des Papstes abschütteln, sondern müssen es; denn seinen Gesetzen könnten sie nur um den Preis des Abfalls von Gott gehorchen.

6Da aber Paulus wusste, dass ein Teil Sadduzäer war und das andere Teil Pharisäer, rief er im Rat: Ihr Männer, lieben Brüder, ich bin ein Pharisäer und eines Pharisäers Sohn; ich werde angeklagt um der Hoffnung und Auferstehung willen der Toten. 7Da er aber das sagte, ward ein Aufruhr unter der Pharisäern und Sadduzäern, und die Menge zerspaltete sich. 8Denn die Sadduzäer sagten, es sei keine Auferstehung noch Engel noch Geist; die Pharisäer aber bekennen´s beides. 9Es ward aber ein groß Geschrei; und die Schriftgelehrten von der Pharisäer Teil stunden auf, stritten und sprachen: Wir finden nichts Arges an diesem Menschen; hat aber ein Geist oder ein Engel mit ihm geredet, so können wir mit Gott nicht streiten.

V. 6. Da aber Paulus wusste usw. Der Kunstgriff des Paulus, von welchem Lukas hier berichtet, scheint einem Knechte Christi wenig zu ziemen. Sein schlaues Verfahren scheint sich in Heuchelei zu verwickeln und von Lüge nicht weit entfernt zu sein. Er sagt, dass der Hauptpunkt, um dessentwillen man ihn anklage, die Auferstehung der Toten sei. Und doch wissen wir, dass sich der Streit um andere Dinge drehte, nämlich dass er die Zeremonien abschaffte und den Heiden den Zutritt zum Heilsbund eröffnete. Ist dies nun auch richtig, so hat doch Paulus nicht gelogen. Er leugnet ja nicht, dass er auch wegen anderer Dinge angeklagt wurde, noch behauptet er, dass der ganze Streit sich nur auf dies eine Stück beziehe; er bekennt vielmehr mit gutem Grund, dass er sich die Feindschaft der Sadduzäer zugezogen habe, weil er die Auferstehung der Toten behauptete. Er wusste, dass die Leute, die sich gegen ihn zusammenfanden, an innerem Zwiespalt litten; er selbst hatte doch ein gutes Gewissen und hätte leicht seine gute Sache mit gerechten Gründen verteidigen können. Weil er aber sieht, dass man ihm lärmend widerstrebt und seiner Verteidigung keinen Eingang gewährt, hetzt er die Feinde aufeinander, wodurch es auch ersichtlich wird, dass sie durch Unwissenheit und blinden Eifer sich fortreißen lassen. Indem also Paulus anhob, war es freilich sein Wunsch, die ganze Sache ehrlich und gründlich darzulegen und einem reinen und vollen Bekenntnis, wie Christi Knechte es ablegen müssen, nicht etwa pfiffig auszuweichen. Weil ihm aber der Zugang verschlossen war und er kein Gehör fand, griff er zum äußersten Hilfsmittel, um klar werden zu lassen, dass sein Gegner Hals über Kopf im blinden Hass daher stürzten. Nebenbei erkennen wir hier, dass die Gottlosen ihre heftigsten Streitereien vergessen, sobald es den Kampf gegen das Evangelium gilt. Satan, sonst der Vater alles Streites, sorgt doch dafür, dass in einer Hinsicht alle seine Leute sich zusammenfinden und in einem Sinn und Geist die Frömmigkeit zu ersticken trachten. Auch dies lässt sich hier ersehen, welche Art des Friedens uns die Schrift ans Herz legt. Christus verkündet, dass Gottes Kinder Friedensstifter sind (Mt. 5, 9); und dies trifft insofern zu, als es durch ihre Bemühung geschehen kann, dass alle unter ihrem Herrn sich brüderlich vereinigen. Damit verträgt es sich aber recht wohl, dass wir unter der Führung desselben Herrn gleichsam mit Posaunenschall die Gottlosen in Erregung bringen, dass sie wie die Midianiter sich selbst aufreiben (Richt. 7, 22); nur müssen wir uns dabei von ehrlichem Eifer und der Klugheit des heiligen Geistes leiten lassen.

Dass ein Teil Sadduzäer war. Hier sehen wir wiederum wie in einem Spiegel, wie hässlich verfallen und verwirrt der Zustand der Gottesgemeinde damals war. Ihre Seele sollte der Glaube sein: zum unerlässlichen Wesen des Glaubens gehört aber die Eintracht; nichts streitet mehr wider ihn als Trennung. Es mussten aber Sekten aufkommen, als man Gottes Wort in den Hintergrund schob und ein jeder für seine eigenen Einfälle Jünger zu gewinnen trachtete. Das allein unverletzliche Band der Einheit ist ja Gottes schlichte und unverfälschte Wahrheit. Sobald man von ihr sich entfernt, ist es nicht zu verwundern, dass die Menschen wie losgerissene Glieder hierhin und dorthin auseinander geschleudert werden. Unter den Juden entstanden also Sekten durch Verderbnis des Gesetzes. Das Volk teilte sich damals in drei Parteien, von denen Lukas die Essener übergeht, um nur Pharisäer und Sadduzäer zu nennen, die bei diesem Anlass allein in Betracht kamen. Den Namen der ersteren pflegt man als die „Abgesonderten“ zu übersetzen, weil sie sich durch eine selbst gemachte Heiligkeit von der übrigen Herde absonderten; Sadduzäer übersetzt man als die „Gerechten“. Wie ich anderwärts dargelegt habe (zu Mt. 3, 7; Joh. 3, 1), möchte ich Pharisäer jedoch lieber übersetzen: „Ausleger“. Sie begnügten sich nicht mit der echten Lehre des Gesetzes und der Propheten und mischten in ihrer Auslegung viele menschliche Einfälle unter, von denen sie rühmten, dass sie ihnen von den Vätern überliefert seien.

V. 8. Die Sadduzäer sagen, es sei keine Auferstehung noch Engel noch Geist. Im Gegensatz dazu bekennen also die Pharisäer, dass den Toten eine Auferstehung bevorsteht, und dass die Geister der Engel und Menschen unsterblich sind. Somit erklärt Lukas, in welchem Sinne sich der Apostel als ein Pharisäer bezeichnet; er schloss sich nicht etwa allen ihren Irrtümern an, die Christus so häufig bekämpft, sondern glaubte nur mit ihnen an die Auferstehung der Toten. Wenn die Sadduzäer dieselbe leugneten, dürfen wir darum nicht glauben, dass sie gänzlich den Epikuräern gleich gewesen wären; sie bekannten sich dazu, dass Gottes Vorsehung die Welt regiere, und dass einem jeglichen der Lohn nach seinen Werken zugemessen werde. In diesem Stück hatten sie also eine gesundere Meinung als die Epikuräer; aber es war doch ein gar zu grober Traum, die Belohnung der Gerechtigkeit und die Bestrafung von Verbrechen in dieses irdische Leben eingeschlossen zu denken. Wollte ich selbst die Schrift außer Betracht lassen, so zeigt doch die Erfahrung handgreiflich, dass Gute und Böse unterschiedslos einmal von vielen Plagen betroffen, das andere Mal gütig und nachsichtig behandelt werden, ja, dass oft die Gottlosen herrlich und in Freuden leben dürfen, während die Verehrer Gottes jämmerlich geängstet werden (vgl. Ps. 73, 4). Wer also über Gottes Gericht nur nach dem gegenwärtigen glücklichen oder unglücklichen Geschick der Menschen urteilt, muss endlich vom Glauben zu epikuräischer Gottesverachtung abfallen. Schon dies ist tierische Stumpfheit, dass man sich mit diesem flüchtigen und hinfälligen Leben beruhigt und nicht über die Erde hinaus denkt. Denn wenn auch die Frömmigkeit eine Verheißung für das irdische Leben hat, so wären wir doch ganz jämmerlich daran, wenn unsere Hoffnung nur auf dieser Welt ruhte. Darum müssen die Kinder Gottes sich dazu erziehen lassen, ihre Augen zum Himmel zu erheben und ihre Gedanken ständig auf die Herrlichkeit der letzten Auferstehung zu richten. – Des Weiteren leugneten die Sadduzäer die Existenz von Engeln und überhaupt von Geistern. Indem Paulus in diesem Stück sich zur Lehre der Pharisäer bekennt, spricht er allen Schwärmern, die heute an dem gleichen Irrtum kranken, ein deutliches Urteil. Gewisse unheilige und unwissende Menschen träumen ja davon, dass Engel und Teufel nichts anderes seien als gute oder böse Gedankeneinflüsse. Um dieser Meinung einen Schein zu geben, leiten sie aus heidnischen Einflüssen ab, was die Schrift von guten und bösen Engeln lehrt, während doch umgekehrt die allenthalben in der Welt angenommene Meinung aus himmlischer Belehrung stammt, und die Heiden die von den Vätern überkommene Lehre mit ihren Lügen versetzt haben. Bezüglich der menschlichen Seele behaupten heutzutage müßige Menschen, dass sie im Tode verschwinde, eine Torheit, die ebenfalls durch das Zeugnis des Lukas widerlegt wird.

V. 9. Es ward aber ein groß Geschrei. Hier wird klar, worin der Aufruhr bestand, von welchem Lukas kurz zuvor sprach (V. 7): man behauptete nicht nur verschiedene Meinungen, sondern stritt dafür mit aufgeregtem Geschrei. Des Weiteren zeigt diese Stelle, welches Übel der Zwiespalt mit sich bringt. Da er fast immer dem Ehrgeiz entspringt, so führt er die Menschen nur zu leicht zu Streitereien und bald zu hartnäckiger Rechthaberei. Ist es aber erst dahin gekommen, so verliert man alles Urteil und Maß und untersucht keine Sache mehr recht. Leute, die den Paulus soeben noch verfluchten, fangen plötzlich an, für ihn einzutreten. Es wäre ja schön gewesen, wenn sie dies auf Grund besonnenen Urteils getan hätten; weil sie sich aber gegen die Sadduzäer wenden und sich von Hass gegen sie entzünden lassen, bleiben sie für die Sache des Paulus blind. Umso mehr müssen wir uns vor der Glut des Streits hüten, der alles durcheinander wirrt.

Hat aber ein Geist mit ihm geredet usw. Frömmer und bescheidener konnte man kaum reden. Denn sobald es einmal feststeht, dass eine Lehre vom Himmel stammt, wäre es unfrommer Widerstand gegen Gott, sie nicht anzunehmen. Aber woher kommt es, dass Paulus, den sie soeben noch mit ihren Händen zu töten bereit waren, und den sie vorurteilsvoll verdammt hatten, für die Schriftgelehrten plötzlich ein Prophet Gottes wird? Tatsächlich ist ihr Wort ein Schwert, mit welchem sie sich selbst umbringen, und für uns nach Gottes Absicht eine Mahnung, dass wir vom Himmel stammende Gottessprüche nicht verachten sollen. Wiederum sehen wir auch, dass in der Schwebe bleibt, wer nicht ernstlich und aufmerksam Gottes Rede vernehmen will, und dass alles, was neu aufkommt, ihn ins Wanken bringt; er ist eben nicht wert, eine gewisse Wahrheit zu erfassen. Haben wir also das Anliegen, dass unser Streben durch den Geist der Unterscheidung geleitet werde, so müssen wir zum Lernen bereitstehen.

10Da aber der Aufruhr groß ward, besorgte sich der oberste Hauptmann, sie möchten Paulus zerreißen; und hieß das Kriegsvolk hinab gehen und ihn von ihnen reißen und in das Lager führen. 11Des andern Tages aber in der Nacht stund der Herr bei ihm und sprach: Sei getrost, Paulus! denn wie du von mir zu Jerusalem gezeuget hast, also musst du auch zu Rom zeugen. 12Da es aber Tag ward, schlugen sich etliche Juden zusammen und verbanneten sich, weder zu essen noch zu trinken, bis dass sie Paulus getötet hätten. 13Ihrer aber waren mehr denn vierzig, die solchen Bund machten. 14Die traten zu den Hohenpriestern und Ältesten und sprachen: Wir haben uns hart verbannet, nichts zu essen, bis wir Paulus getötet haben. 15So tut nun kund dem Oberhauptmann und dem Rat, dass er ihn morgen zu euch führe, als wolltet ihr ihn besser verhören; wir aber sind bereit, ihn zu töten, ehe denn er vor euch kommt. 16Da aber des Paulus Schwestersohn den Anschlag hörte, ging er hin und kam in das Lager und verkündigte es Paulus.

V. 10. Wiederum sehen wir, ein wie schreckliches Übel der Streit ist: sobald er einmal sich ausbreitet, nimmt er gewaltsame Bewegungen an, deren auch die Klügsten nicht mächtig werden können. Sobald also irgendein Anfang sich zeigt, sollen wir ihm eifrigst entgegentreten, damit nicht in weiterem Verlauf die Hilfe zu spät komme; denn kein Brand frisst so schnell um sich. Weil nun der Oberhauptmann durch Gottes Vorsehung als das Werkzeug verordnet war, durch welches das Leben des Paulus gerettet werden sollte, reißt er ihn durch seine Soldaten wiederum aus dem Schlund des Todes. Freilich hat seine schleunige Hilfeleistung lediglich die Absicht, schlimmeren Aufruhr und Mord zu verhüten: der Herr aber hat vom Himmel her beschlossen, seinen Knecht zu schützen, und lenkt die blinden Hände des Tribunen zu diesem Ziel.

V. 11. Des andern Tages aber in der Nacht usw. Lukas erzählt, wie Paulus durch eine göttliche Offenbarung gestärkt ward, damit er in so verwirrter Lage ungebeugten Mutes gegenüber den schrecklichen Angriffen standhalten könne. Es konnte ja nicht anders sein, als dass ein vielfacher Schrecken seinen Geist erschütterte, und dass zugleich der Blick auf die Zukunft ihn ängstigte; darum war die Offenbarung keineswegs überflüssig. Gewiss mussten seine früheren Erfahrungen, die ihn der göttlichen Fürsorge vergewisserten, schon ausreichen, seine Hoffnung zu nähren und vor Zusammenbruch zu bewahren. Aber in großen Gefahren erweckt Satan doch immer neue Schrecken, mit denen er in den Herzen der Frommen die Verheißungen Gottes vielleicht nicht gänzlich überschütten, wohl aber wie durch Nebel verdunkeln kann. Darum ist es nötig, dass das Gedächtnis solcher Erfahrungen erneuert werde, damit unser Glaube neue Stützen gewinne, um fester zu stehen. Der wesentliche Inhalt der Zusprache ist nun der, dass Paulus sich mutig halten solle, weil er auch zu Rom von Christus zeugen werde. Allerdings scheint es ein kalter und leerer Trost, wenn damit doch etwa gesagt wird: Fürchte dich nicht, denn eine noch viel schwierigere Lage wartet dein! Dem Fleisch hätte es doch viel besser gedünkt, einmal unterzugehen und einen schnellen Tod zu erleiden, als während einer lange sich hinschleppenden Zeit in Banden dahinzuschmachten. Der Herr verheißt dem Apostel nicht die Befreiung, nicht einmal einen glücklichen Erfolg; nur die Beschwerden, die ihn schon mehr als genug drücken, dehnt er auf lange Zeit aus. Hieraus können wir noch besser ersehen, wie wichtig jene Zuversicht ist, dass der Herr in unserem Elend sein Auge auf uns richtet, wenn er auch nicht sofort seine Hand zur Hilfeleistung bewegt. Wir wollen also lernen, selbst in der äußersten Bedrängnis auf Gottes Wort allein auszuruhen; wir wollen niemals den Mut verlieren, solange er uns durch das Zeugnis von seiner väterlichen Liebe innerlich belebt. Weil aber jetzt keine Offenbarungen vom Himmel ergehen, uns der Herr auch nicht in Gesichten erscheint, müssen wir uns die zahllosen Verheißungen vergegenwärtigen, in welchen er bezeugt, dass er uns immer nahe sein wolle. Wäre es nützlich, dass ein Engel zu uns herabstiege, so würde der Herr auch diese Art der Stärkung uns nicht verweigern. Inzwischen sollen wir dem Wort die Ehre geben, dass wir uns mit ihm allein begnügen und auf die Hilfe, die es verheißt, geduldig warten. Zudem hat es ja auch manchem wenig geholfen, vom Himmel gesandte Engel reden zu hören; dagegen ist es nie vergeblich, wenn der Herr durch seinen Geist die Verheißungen, die er gab, in den Herzen der Gläubigen versiegelt. Wie er sie uns also mit guter Absicht immer wieder einprägt, so muss sich unser Glaube eifrig üben, sie beständig zu bedenken. Wenn der Glaube des Paulus einer Aufrichtung durch eine neue Stütze bedurfte, hat jeder von uns noch viel mehr Stützen nötig. Zugleich sollen wir unsere Seele mit Geduld wappnen, damit wir durch das endlose Gewirr der Beschwerden hindurch dringen.

V. 12. Da es aber Tag ward usw. Dieser weitere Umstand zeigt, wie nötig es für Paulus war, neue und frische Glaubenskraft zu sammeln, damit er in so großer und plötzlicher Gefahr nicht erzittere. Nachdem er von der verzweifelten Wut seiner Feinde Kunde empfangen, konnte er ja nichts anderes denken, als dass es nun um sein Leben geschehen sei. Dass etliche Juden sich verbanneten, war eine Art Selbstverfluchung für den Fall, dass sie ihren Plan ändern oder ihre Zusage zurückziehen sollten. Diese schreckliche Preisgabe ihres Lebens durch eine bestimmte Verwünschungsformel sollte sie durch einen ganz ungewöhnlichen Schrecken festhalten. Diese Geschichte stellt uns vor Augen, wie blutig der Eifer dieser Heuchler war: die bedenken nicht, was sie bedürfen, sondern lassen sich sorglos von ihrem Belieben treiben. Angenommen selbst, dass Paulus ein Verbrecher war, der den Tod verdiente, - wer hatte aber Privatleuten erlaubt, die Strafe an ihm zu vollziehen? Hätte nun jemand gefragt, warum sie den Paulus so hassten, würden sie die Antwort bereit haben: Weil er ein Abtrünniger und Ketzer ist. Das war aber ein leichtsinniges Vorurteil, das lediglich auf ein törichtes und unsicheres Gerücht sich gründete. Von solch blinder und stumpfer Wut lassen sich heutzutage auch die Papisten treiben. Außerdem stellt uns diese Geschichte die ganze Frechheit gottloser Leute vor Augen. Unter Selbstverwünschung schwören sie, dass sie keine Speise zu sich nehmen wollen, ehe sie nicht den Paulus getötet haben. Als ob sie sein Leben in ihrer Hand hätten! Was der Herr in der Schrift so oft für sich allein in Anspruch nimmt, dass er als der Schöpfer der Herr über Leben und Sterben der Menschen sei (5. Mos. 32, 39), reißen jene Wahnsinnigen an sich. Dazu sind es nicht nur zwei oder drei Leute, die an solcher Tollheit sich beteiligen, sondern (V. 13) mehr denn vierzig. Wir ersehen daraus, wie stark die Menschen zum bösen Handeln neigen, da ja ganze Scharen dafür zusammenlaufen. Wenn sie nun widerstandslos sich vom Satan in ihr eigenes Verderben treiben lassen, wie müssen wir uns dann unserer Trägheit schämen, dass wir kaum den Finger rühren, wenn es die Förderung der Ehre Gottes gilt! Gewiss müssen wir Maß halten und nichts ohne Gottes Befehl angreifen; wo aber der Herr uns ausdrücklich ruft, wäre ein Zögern unentschuldbar.

V. 14. Die traten zu den Hohenpriestern usw. Dass die Hohenpriester einer so verbrecherischen und nichtswürdigen Verschwörung ihre Zustimmung geben, ist ein Beweis, dass sie von keiner Gottesfurcht berührt und aller menschlichen Empfindung bar sind. Sie billigen nicht nur den Plan, einen Menschen aus dem Hinterhalt zu töten, sondern erklären sich gar bereit, zu dem Morde mitzuwirken; sie wollen den Mann, den sie um jeden Preis vernichtet sehen möchten, den Mördern in die Hände liefern.

V. 16. Da aber des Paulus Schwestersohn usw. Hier sehen wir, wie Gott die Pläne der Frevler durchkreuzt. Er lässt viele ihrer Unternehmungen zu und gibt ihren frevelhaften Anschlägen sogar Fortgang; im entscheidenden Augenblick aber zeigt er endlich, dass er aus dem Himmel dessen lacht, womit die Menschen auf Erden sich abmühen. Salomo sagt (Spr. 21, 30): „Es hilft keine Weisheit, kein Verstand, kein Rat wider den Herrn.“ Damit stimmt auch das Wort des Jesaja (8, 10): „Beschließet einen Rat und es werde nichts daraus. Beredet euch, und es bestehe nicht!“ Dafür bietet die gegenwärtige Geschichte einen anschaulichen Beweis. Fast war das Ziel erreicht, dass Paulus wie ein geweihtes Opfertier am andern Tage zur Schlachtung heraus schreiten sollte. Aber der Herr macht deutlich, dass sein Leben in treuer Hut steht, so dass alles, was Menschen unternehmen, vergeblich wird. Darum wollen wir nicht zweifeln, dass er seine Vorsehung, die er damals erwies, auch zu unserem Schutze walten lässt. Unerschütterlich fest steht die Zusage (Lk. 21, 18): „Ein Haar von eurem Haupte soll nicht umkommen.“ Bemerkenswert ist außerdem, dass er, um unsern Glauben desto besser zu üben, in überraschender Weise für die Rettung der Seinen sorgt. Wer hätte erwartet, dass der geplante Überfall, von dem allein die Verschwörer zu wissen meinten, durch einen Knaben würde aufgedeckt werden? Zeigt sich also kein gewöhnlicher Weg zu unserer Rettung, so wollen wir lernen, uns auf den Herrn zu stützen, der Weg auch durchs Unwegsame finden wird.

17Paulus aber rief zu sich einen von den Unterhauptleuten und sprach: Diesen Jüngling führe hin zu dem Oberhauptmann; denn er hat ihm etwas zu sagen. 18Der nahm ihn und führte ihn zum Oberhauptmann und sprach: Der gebundene Paulus rief mich zu sich und bat mich, diesen Jüngling zu dir zu führen, der dir etwas zu sagen habe. 19Da nahm in der Oberhauptmann bei der Hand und wich an einen besonderen Ort und fragte ihn: Was ist´s, das du mir zu sagen hast? 20Er aber sprach: Die Juden sind eins geworden, dich zu bitten, dass du morgen Paulus vor den Tat bringen lassest, als wollten sie ihn besser verhören. 21Du aber traue ihnen nicht; denn es halten auf ihn mehr denn vierzig Männer unter ihnen, die haben sich verbannet, weder zu essen, noch zu trinken, bis sie Paulus töten; und sind jetzt bereit, und warten auf deine Verheißung. 22Da ließ der Oberhauptmann den Jüngling von sich und gebot ihm, dass er niemand sagete, dass er ihm solches eröffnet hätte; 23und rief zu sich zwei Unterhauptleute und sprach: Rüstet zweihundert Kriegsknechte, dass sie gen Cäsarea ziehen, und siebzig Reiter und zweihundert Schützen auf die dritte Stunde der Nacht; 24und die Tiere richtet zu, dass sie Paulus draufsetzen und bringen ihn bewahret zu Felix, dem Landpfleger.

V. 17. Paulus aber rief zu sich usw. Paulus hing nicht derartig am Leben, dass er nicht, wenn es Gottes Wille gewesen wäre, gern auch den Weg zum Tode angetreten hätte. Aber er kannte die Regel seines Dienstes für Christus, dass er dem Herrn nicht weniger leben als sterben müsse; darum schiebt er die ihm kundgetane Gefahr nicht verächtlich beiseite. Gewiss ist er fest überzeugt, dass der Herr sein Leben behüten werde, - aber er wartet nicht, bis er die Hand vom Himmel strecke, ein Wunder zu tun. Vielmehr bedient sich Paulus des ihm gebotenen Hilfsmittels, indem er nicht zweifelt, dass Gott es ihm gab. Alle Diener Christi müssen so handeln, dass sie in unbesieglicher Tapferkeit sich vor keiner Gefahr fürchten, soweit ihr Beruf reicht, sich aber nicht in vorwitziger Kühnheit dem Tode aussetzen. Mit einem Gefühl der Sicherheit sollen sie mitten in der Bedrängnis den Herrn anrufen, ohne doch die bereitliegenden Hilfen zu verachten. Sonst würden sie ja den Herrn beleidigen, indem sie sich gegenüber seinen Verheißungen taub zeigen und sich um die Weise der Befreiung, die er ihnen vorschreibt, nicht kümmern.

V. 19. Da nahm ihn der Oberhauptmann bei der Hand. Dies zugängliche und freundliche Verfahren des Tribunen, der den Jüngling an der Hand an einen stillen Ort führt, wo er ihn freundlich anzuhören bereit ist, muss man auf Rechnung der Gnade Gottes setzen, der einst verheißen hatte, seinem Volk vor den Ägyptern Gnade zu geben (2. Mos. 3, 21), der eiserne Herzen zu erweichen, trotzige Geister zu bändigen pflegt, der die Leute, deren er sich zur Unterstützung der Seinigen bedienen will, zu freundlichem Verhalten bestimmt. Der kriegerische Mann hätte den unbekannten Jüngling zurückstoßen und die Bitten des Paulus verachten können. Also hat der Herr, der Menschenherzen lenkt, einen Weltmenschen beeinflusst, dass er Gehör gewähren musste. Auch dies half mit, ihn zur Hilfsbereitschaft für einen armen und verlassenen Mann zu bestimmen, dass er wusste, wie unmenschlich man gegen Paulus raste. Für Leute, die irgendetwas zu sagen haben, gibt dies Beispiel übrigens einen Fingerzeig, welch großer Segen auf der Menschenfreundlichkeit liegt. Wäre der Oberhauptmann schwer zugänglich gewesen, so hätte er, ohne es zu wissen, den Paulus in die mörderischen Hände der Juden geliefert. So geraten Vertreter der Obrigkeit durch ihren Stolz, der sich auf Mahnungen zu hören nicht herablässt, oft in viele und schwere Anstöße.

V. 23. Und rief zu sich zwei Unterhauptleute. Hier wird Gottes Vorsehung noch deutlicher erkennbar. Die Absicht des Tribunen ist lediglich, einem öffentlichen Aufruhr vorzubeugen, über welchen er dem Landpfleger hätte Rechenschaft geben müssen; er führt aber Gottes Rat durch, indem er den Apostel rettet. Es mussten Soldaten aufgeboten und die Stadt von einem Teil der Besatzung entblößt werden; auch machte die Unternehmung erhebliche Kosten. Indem wir also die Klugheit des Tribunen anerkennend erwägen, sollen wir unsere Glaubensaugen doch zum Himmel erheben und erkennen, dass Gott durch verborgenen Antrieb das Herz des heidnischen Mannes lenkte, sowie den Paulus und die Soldaten auf dem Wege geleitete, dass er unversehrt nach Cäsarea kam. Die dritte Stunde der Nacht (d. h. abends 9 Uhr) bezeichnete den Schluss der ersten Nachtwache. Der Befehl ging also dahin, dass die Soldaten zur zweiten Nachtwache bereitstehen sollten. Schützen sind mit Lanzen bewaffnet und wurden als eine leichtere Truppe an den Flügeln der Schlachtreihe aufgestellt, während die Legionssoldaten mehr dafür geeignet waren, auf demselben Platze stehend zu kämpfen.

25Und schrieb einen Brief, der lautete also: 26“Klaudius Lysias dem teuren Landpfleger Felix Freude zuvor! 27Diesen Mann hatten die Juden gegriffen und wollten ihn getötet haben. Da kam ich mit dem Kriegsvolk dazu und riss ihn von ihnen und erfuhr, dass er ein Römer ist. 28Da ich aber mich wollte erkundigen der Ursache, darum sie ihn beschuldigen, führte ich ihn in ihren Rat. 29Da befand ich, dass er beschuldigt ward von wegen Fragen ihres Gesetzes, aber keine Anklage hatte des Todes oder der Bande wert. 30Und da vor mich kam, dass etliche Juden auf ihn hielten, sandte ich ihn von Stund an zu dir und entbot den Klägern auch, dass sie vor dir sagten, was sie wider ihn hätten. Gehab dich wohl!“ 31Die Kriegsknechte, wie ihnen befohlen war, nahmen Paulus und führeten ihn bei der Nacht gen Antipatris. 32Des andern Tages aber ließen sie die Reiter mit ihm ziehen, und wandten wieder um zum Lager. 33Da die gen Cäsarea kamen, überantworteten sie den Brief dem Landpfleger und stelleten ihm Paulus auch dar. 34Da der Landpfleger den Brief las, fragte er, aus welchem Lande er wäre? Und da er erkundet, dass er aus Cilicien wäre, sprach er: 35Ich will dich verhören, wenn deine Verkläger auch da sind. Und hieß ihn verwahren in dem Richthause des Herodes.

V. 26. Der Landpfleger Felix war der Bruder des Pallas, der als Freigelassener des Kaisers den vornehmsten Männern der Stadt Rom an Mitteln und Macht gleichkam. Da er – und neben ihm namentlich Narzissus – die Dummheit des Kaisers Klaudius missbrauchte und das römische Reich nach seiner Willkür regierte, ist es nicht verwunderlich, dass er seinen Bruder an die Spitze von Judäa bringen konnte. Der Brief des Tribunen zielt nun vornehmlich dahin, dem Paulus zu helfen, indem er ein günstiges Vorurteil für ihn erweckt, um den Landpfleger im voraus auf die ungerechte Handlungsweise der Gegner aufmerksam zu machen; es sollte ihnen dadurch die Glaubwürdigkeit genommen werden, damit sie weniger schaden könnten.

V. 27. Diesen Mann hatten die Juden gegriffen usw. Was hier zu Gunsten des Paulus gesagt wird, ist von vornherein den Juden abträglich: sie haben einen römischen Bürger durch Schläge vergewaltigt und beinahe getötet! Den Paulus aber empfiehlt es für eine mildere Behandlung, dass er römischer Bürger ist. Dieser freundliche Brief war weder durch Bitten und Schmeicheleien erpresst noch durch Geld erkauft. Woher kam es also, dass der Tribun mit einem unbekannten und jedermann verhassten Menschen ohne Entgelt so gütig verfuhr? Offenbar hatte ihn Gott seinem Knecht zum Beschützer aufgestellt. So regiert der Herr die Zungen und Hände auch der Ungläubigen zum Besten der Seinen.

V. 29. Dass er beschuldiget ward von wegen Fragen ihres Gesetzes. Damit spricht der Tribun den Apostel von einem Verbrechen frei, natürlich so, wie er es versteht. Wir bemerken indessen, dass eben ein Heide redet; denn im Volke Gottes ist es ein nicht minder fragwürdiges Verbrechen, die Lehre der Frömmigkeit mit verkehrten und unfrommen Behauptungen zu verderben, als Recht und Billigkeit unter den Menschen durch irgendeine Untat zu verletzen. Die obersten Beamten der Provinzen hatten aber die Weisung, über Religionsvergehen nicht zu erkennen noch eine Strafe zu verhängen; allen Provinzbewohnern sollte Religionsfreiheit bleiben. Dies ist der Grund, weshalb der Tribun es nicht als Verbrechen oder Untat einschätzt, dass Paulus Fragen über das Gesetz angerührt hat. Unreife Leute finden hier freilich einen Vorwand, für sich und andere Freiheit zu beanspruchen, die alles auf den Kopf stellen dürfte. Ganz anders urteilt der Herr, der eine Verletzung seines Dienstes viel schwerer straft als irgendein Menschen angetanes Unrecht. In der Tat ist nichts ungereimter, als dass ein Raub am Heiligtum ungetroffen bleiben sollte, während man über Diebstahl Strafe verhängt. Da sich aber der Tribun um die jüdische Religion nicht kümmert, fallen freilich die Verleumdungen dahin, mit welchen die Juden den Paulus gern belastet hätten.

V. 30. Da es vor mich kam usw. Dies ist der zweite Teil des Briefs, in welchem der Tribun das Misstrauen auf die Gegenpartei ablenkt, weil sie versucht hatte, den Paulus hinterlistig umzubringen. Dies legt auch die Vermutung nahe, dass die Belästigung und die Feindschaft gegen das Leben des Paulus keinen gerechten Grund hat. Hätten sie ihn mit Recht verfolgt, so würden sie ihn im Vertrauen auf ihre gute Sache dem ordentlichen Gericht überlassen haben. Dass sie zum Mord ihre Zuflucht nehmen, ist ein Beweis, dass es ihnen an einer rechten Handhabe fehlt.

V. 32. Ließen sie die Reiter mit ihm ziehen. Ohne Zweifel sollten die Fußsoldaten den Paulus nur bis zu einer Entfernung geleiten, über welche hinaus der Tribun ihn nun für sicher hielt; war er doch heimlich in der Nacht ausgerückt, und die Feinde konnten ihn nun nicht mehr erreichen. Außerdem empfahl es sich nicht, einen Teil der Besatzung weiter von der Stadt zu entfernen.

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