Calvin, Jean - An die Pfarrer von Neuchatel.

Nr. 107 (C. R. – 521)

Calvin, Jean - An die Pfarrer von Neuchatel.

Weggelassen sind in dem Brief aus der eigentlichen Verhandlung über das Wesen Christi eine Reihe Schulbeispiele und Kirchenväterzitate.

Verständigung mit Courtois und Empfehlung desselben nach Neuchatel.

Courtois ist zu mir gekommen, wie Ihr ihn geheißen hattet. Wir haben miteinander über das selbständige Wesen Christi verhandelt, und es gab etwas mehr Arbeit, als ich dachte. Nicht, weil Courtois sich auf einen Streit eingelassen hätte, denn er war während der ganzen Verhandlung recht geneigt, mich anzuhören, und in seinen Antworten ruhig und bescheiden; sondern weil er in einer geradezu durchsichtigen Sache immer wieder Bedenken hatte. Ich habe mich also darin getäuscht, dass ich dachte, wo mir die Wahrheit ganz klar und fertig erscheine, werde es auch bei ihm keine Schwierigkeit haben. Es wurde viel hin und her geredet. Als er mir die bekannte Regel der Schuldialektik von dem Sinn verstärkenden Vordersatz entgegenhielt, antwortete ich, der Sinn eines Satzgefüges dürfe nicht einfach nach der sog. Aussage, sondern müsse nach dem Zusammenhang des ganzen Gefüges verstanden werden; sonst trete eine täuschende Hervorhebung von etwas Nebensächlichem ein, wenn man von dem im einzelnen Satz Ausgesagten auf das ganze Gefüge schließe. Ich führte viele Beispiele an, die allein schon hätten genügen sollen, den Streit zu entscheiden. Beispiele wie diese: Wir sagen, Gott, sofern er in Christo uns gerecht macht, übt das Gericht gegen die Sünder nicht aus. Wollte nun jemand das so übertreiben: Gott übt überhaupt kein Gericht gegen die Sünder, so hätte er da ja auch einen Vorwand, [uns der Ketzerei zu beschuldigen]; aber jeder vernünftige Mensch sähe da ein, was richtig wäre. - - -

Dann kam man zu dem schwierigen Punkt, dass Courtois nicht begreifen kann, dass wir vom Wesen Christi reden, ohne seine Stellung als zweite Person der Trinität zu erwähnen. Ich hielt ihm zunächst die Autorität Augustins entgegen, der bezeugt, dass man von Christo, sofern er Gott sei, in zweierlei Weise reden könne: entweder von seiner Beziehung zu den andern Personen der Trinität oder einfach von ihm. Damit sich der Disput nicht unnötig in die Länge ziehe, führte ich weiter die Stellen [des Kirchenvaters] Cyrill an, in denen er mit deutlichen Worten unsere heutige Streitfrage im Voraus entscheidet. - - -

Es ist nicht nötig, alles der Reihe nach anzuführen oder jedes einzelne Wort zu berichten; nur die Hauptpunkte unseres Gesprächs wollte ich im Vorbeigehen angeben. Ist es nun doch zu unordentlich geschehen, so haltet es, bitte, meiner Eile zu gut. Zuletzt bezeugte Courtois von neuem, er habe die Frage überhaupt nicht aufgeworfen, um seine Auffassung hartnäckig festzuhalten, auch sei er in keiner andern Absicht nach Genf gekommen, als um sich belehren zu lassen, und er sei bereit, sich mit meiner Begründung zufrieden zu geben.

Darauf gingen wir zu anderm über. Ich mahnte ihn mit aller mir möglichen Milde, er habe jetzt erfahren, wie gefährlich es sei, in er Kirche Unruhe zu stiften, und solle deshalb jetzt danach trachten, Frieden zu halten. Ich sprach, wie es mir zur Sache zu passen schien. Hauptsächlich hob ich die sehr schlimmen Zeitverhältnisse hervor. Vor allem mahnte ich ihn, ernstlich Verzeihung zu suchen; das könne er aber erst, wenn er einsehe, dass er Christo nicht anders dienen könne, als wenn er Frieden und Eintracht mit seinen andern Knechten halte. Ich erinnerte ihn auch daran, was wahre Wissenschaft und Lehre sei, und zu welchem Zweck und Ziel man sie brauchen müsse. Er versprach, seine Pflicht fortan so zu tun, dass er keinen Anlass zur Klage mehr biete. Aber er bat auch, man möge einstweilen ihm Rechnung tragen und ihn, wenn man ihn nicht für ganz unnütz halte, doch für irgendeine Stellung bestimmen, wo er es besser habe. Er wies auf seine Armut hin. Kurz er beschwört uns alle beim Herrn, man solle ihm doch nicht diese Hoffnung abschneiden und ihn dadurch zwingen, sich in ein Land zu begeben, wo man Gott nicht nach dem reinen Evangelium diene. Wäre er mir nicht von Euch selbst schon empfohlen, so sollte ich seinetwegen noch mehr mit Euch reden. Nur das will ich Euch bitten, dass Ihr ins Auge fasst, wie man für sein Wohl sorgen kann. Der Herr hat ihn mit einigen guten Gaben geziert. Wenn er nun wirklich den Willen hat, diese Gaben zur Erbauung der Kirche zu brauchen – und ich glaube, das wird er tun, - so darf man ihn nicht vernachlässigen. Nehmt ihn also nach Eurer Liebe auf in Euern Kreis und begrabt alles vergangene Ärgernis. Lebt wohl, allerliebste Brüder. Der Herr erhalte Euch immer einmütig und lenke Euch mit seinem Geist.

Genf [Nov. 1543].
Euer
Calvin.

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