Bunyan, John - Pilgerreise – Die Pilgerin - Sechstes Kapitel.

Bunyan, John - Pilgerreise – Die Pilgerin - Sechstes Kapitel.

Die Pilger im Thal der Demuth und der Todesschatten.

Nun sah ich in meinem Traume, daß sie weiter zogen, bis sie auf dem Gipfel des Hügels anlangten, wo Gottesfurcht, sich besinnend, ausrief: Ach, ich habe vergessen, was ich Christin und ihren Gefährten mitgeben wollte. Ich will zurückgehen und es holen. Als sie weg war, glaubte Christin in einem Wäldchen, ein wenig rechts, eine seltsame liebliche Melodie mit den Worten zu hören:

Du kehrtest, Herr, mein Lebelang
Voll Gnaden bei mir ein.
Drum möcht' ich stets mit Preis und Dank
In deinem Hause sein.

Und als sie darauf horchte, glaubte sie eine andere Stimme zu hören, welche der ersten antwortete:

Ja, gut ist unser Herr und Gott,
Und seine Treue fest:
Da sie uns hilft in aller Noth
Und nimmer uns verläßt.

Sodann richtete Christin an Klugheit die Frage, wer doch diesen lieblichen Gesang wohl anstimme? Das thun, antwortete dieselbe, die Vögel dieses Landes. 1) Sie singen diese Weisen selten anders, als im Frühling, wenn die Blumen kommen, und die Sonne warm scheint: dann aber könnt ihr sie den ganzen Tag so singen hören. Ich gehe dann oftmals aus, um sie zu hören, auch halten wir oft einige, die zahm sind, in unserm Hause. Es ist uns eine gar liebliche Gesellschaft, wenn unser Herz traurig werden will. Ebenso machen sie die Wälder, Haine und einsamen Plätze durch ihren Gesang zu einem angenehmen Aufenthalt.

Inzwischen war Gottesfurcht wieder zurückgekommen. Nun sagte sie zu Christin: Sieh' hier, ich habe dir eine Abbildung gebracht von all' den Dingen, die du in unserm Hause gesehen hast. Du kannst sie ansehen, wenn dir das Eine oder Andere davon entfallen ist. Rufe dir dann jene Dinge zu deiner Erbauung und zu deinem Troste wieder in die Erinnerung zurück!

Nun fingen sie an, den Hügel hinabzusteigen in das Thal der Demuth. Es war ein jäher Hügel und der Weg schlüpfrig; allein sie waren sehr vorsichtig, und so kamen sie denn ziemlich gut hinab. Als sie unten im Thale waren, sprach Gottesfurcht zu Christin: Hier ist die Stelle, wo dein Mann mit dem verruchten Feinde Apollyon zusammentraf, und wo sie den furchtbaren Kampf mit einander hatten. Sicherlich wirst du davon doch gehört haben. Aber sei nur gutes Muthes! So lange du Muthherz hier zum Führer und Begleiter hast, wirst du, hoffen wir, besser fahren.

Als nun die Pilger von den beiden Jungfrauen dem Geleite ihres Führers weiterhin übergeben worden, wandten jene wieder um. Der Führer aber schritt voran, und die Pilger folgten hinter ihm drein.

Darauf sagte Muthherz: Wir brauchen uns nicht so zu fürchten vor diesem Thale, denn hier ist Nichts, was uns schaden könnte, es sei denn, daß wir es selbst thäten. Es ist wahr, daß Christ und Apollyon hier aneinander gerieth, mit dem er einen harten Kampf zu bestehen hatte, aber dieses Gefecht war die Folge der Fehltritte, welche er that, als er den Hügel hinabging; denn, wer dort Fehltritte tut, muß hier der Kämpfe gewärtig sein: und daher kommt es, daß dieses Thal einen so üblen Namen hat. Dann, wenn das gemeine Volk hört, daß Jemanden an einem Orte, wie dieser, ein Unfall begegnet ist, so entsteht alsbald der Wahn, daß der Ort von einem grimmigen Feinde oder von einem bösen Geiste bewohnt werde, da es doch, leider! die Frucht ihrer eigenen Werke ist, wenn ihnen solche Dinge dort zustoßen. Dieses Thal der Demuth ist an und für sich selbst ein ebenso fruchtbarer Ort, wie jeder andere, über welchen die Vögel hinfliegen, und ich bin überzeugt, wenn wir's nur gerade treffen, so finden wir hier herum Etwas, welches uns Auskunft darüber gibt, weßhalb Christ an dieser Stelle so in die Klemme gerathen ist.

Da rief Jakob auf einmal seiner Mutter zu: Siehe, dort steht eine Säule, und es sieht gerade so aus, als wenn Etwas darauf geschrieben wäre. Laß uns hingehen und sehen, was es ist. Und nun gingen sie hin und fanden, daß darauf geschrieben stand: „Lasset euch Christ's Fehltritte, die er that, ehe er hierher kam, und die Kämpfe, die er an diesem Orte zu bestehen hatte, Allen, die ihr nach ihm hierher kommt, zur Warnung dienen. Siehe, sprach nun ihr Führer, sagte ich's euch nicht, daß hier irgend herum sich solch eine Andeutung finden werde? Darauf wandte er sich zu Christin und sprach: Dies gereicht Christ nicht zu größerer Unehre, als manchen Andern, denen das Nämliche hier begegnet ist, denn es ist leichter diesen Hügel hinan, als hinab zu steigen, und dies kann nur von wenigen Hügeln in allen Theilen dieser Welt gesagt werden. Doch wir wollen den lieben Mann nun fahren lassen; er ist zur Ruhe eingegangen, auch hat er einen glänzenden Sieg über seinen Feind davon getragen. Möge Der, welcher in der Höhe wohnet, es verleihen, daß wir nicht schlimmer fahren, als er, wenn die Stunde der Prüfung über uns kommt!

Aber um wieder auf das Thal der Demuth zu kommen, es ist das beste und fruchtbarste Grundstück in der ganzen Gegend: es ist ein fetter Boden und besteht, wie ihr sehet, hauptsächlich in Wiesen. Wenn Jemand zur Sommerzeit hierher kommt, wie wir jetzt, und früher nie Etwas von diesem Platze gehört hat, dann muß er, wenn er überhaupt dergleichen gerne sieht, ein wahres Wohlgefallen daran haben. Sehet doch nur, wie grün dieses ganze Thal und wie schön es mit Lilien geschmückt ist!2) Ich habe auch manchen Arbeiter gekannt, der treffliche Besitzungen in diesem Demuthsthal erworben hatte, denn Gott widerstehet den Hoffärtigen, aber den Demüthigen gibt Er Gnade. 3) In der That, es ist ein fruchtbarer Boden und bringt ein die Fülle. So haben denn auch Einige gewünscht, daß dieses der nächste Weg sein möge zu ihres Vaters Hause, damit sie die Beschwerde, Hügel oder Berge zu übersteigen, nicht weiter haben möchten, allein Weg ist Weg, jedoch auch ein Ende daran.

Als sie nun weiter gingen und so mit einander redeten, wurden sie einen Knaben gewahr, der seines Vaters Schafe weidete. Der Knabe war in ärmlichen Kleidern, aber er hatte ein frisches und liebliches Angesicht, und wie er so allein da saß, sang er sich ein Liedchen. Da horchten sie und vernahmen die Worte:

Dem, welcher unten, droht kein Fall,
Und Stolz den Niedern nicht;
Die Demuth hat allüberall
Den Herrn zum Schutz und Licht.
Ich bin vergnügt mit meinem Theil,
Sei's wenig oder viel.
Erhalt' mir's, Herr, zu meinem Heil,
Dann komm ich aus am Ziel.
Nur eine Last ist Überfluß,
Die schwer den Pilger drückt;
Hier wenig, und dort Vollgenuß —
Das ist's, was recht beglückt.

Hör't ihr, sagte Muthherz. Ich behaupte, daß dieser Knabe ein vergnügteres Leben führt und mehr von dem Kräutlein „Wohlgemuth“ in seiner Brust hat, als Mancher, der in Seide und Sammet gekleidet ist. Doch wir wollen in unserer Unterhaltung fortfahren.

In diesem Thale hatte unser Herr früher ein Landhaus und hielt sich hier sehr gerne auf. Es war so angenehm für ihn, in diesen Wiesen umherzuwandeln, denn er fand die Luft hier so wohlthuend. Überdem ist der Mensch auch hier frei vom Getümmel und Gewirre dieses Lebens, von denen alle Klassen und Stände mehr oder weniger ergriffen sind. Nur dieses Thal der Demuth ist ein stiller und einsamer Ort, wo man in seinen ernsten Betrachtungen nicht gestört wird, wie anderwärts so leicht geschieht. Hier ist ein Thal, in welchem nur Die wandeln, welche das Pilgerleben lieben. Und wiewohl Christ das Unglück hatte, hier mit Apollyon zusammenzutreffen und in einen harten Kampf mit ihm zu gerathen, so muß ich euch doch auch sagen, daß hier in frühern Zeiten Menschen mit Engeln zusammengekommen,4) Perlen gefunden5) und Worte des ewigen Lebens gefunden worden sind. 6)

Sagte ich so eben, daß der Herr in frühern Tagen sein Landhaus gehabt, und daß er gerne hier gewandelt, so will ich denn noch hinzufügen, daß er dem Volke, welches in diesen Gründen zu wallen liebt, eine jährliche Einnahme hinterlassen hat, die ihnen zu bestimmten Zeiten für ihren Unterhalt auf der Reise pünktlich ausbezahlt wird; dadurch werden sie aber ermuntert, ihre Pilgrimschaft fortzusetzen.

Als sie nun so weiter gingen, sprach Samuel zu Muthherz: Lieber Herr, ich höre wohl, daß mein Vater und Apollyon in diesem Thale einen Kampf mit einander gehabt haben, allein, welches ist die Stelle, an der sie mit einander fochten, denn dieses Thal ist groß, wie ich sehe.

Muthh. Dein Vater kämpfte mit Apollyon an einer Stelle, die da drüben vor uns liegt, in einem engen Durchgange, jenseits des Rasenplatzes Vergeßlichkeit. Und wirklich, dieser Platz ist der allergefährlichste in der ganzen Gegend. Denn, wenn die Pilger zu irgend einer Zeit einen Anfall erlitten, so geschah es dann, wenn sie der empfangenen Gnade und ihrer eigenen Unwürdigkeit uneingedenk waren. Hier ist die Stelle, an der auch Andere sehr in's Gedränge gekommen sind. Doch mehr über die Stelle, wenn wir erst an derselben angelangt sind; denn ich zweifle nicht, daß bis auf den heutigen Tag entweder noch eine Spur von dem Kampfe oder irgend ein Denkmal zur Erinnerung daran vorhanden ist.

Darauf sagte Barmherzig: Ich fühle mich in diesem Thale so wohl, wie nur irgend sonst auf dieser Reise. Es ist mir, als wenn dieser Ort so ganz zu meinem Gemüthe passe. Ich bin gerne an den Plätzen, wo kein Wagengerassel und kein Rädergeknarre ist. Mir däucht, hier kann Einer, ohne gestört zu werden, recht darüber nachdenken, was er ist, von wannen er gekommen, was er gethan und wozu ihn der König berufen hat. Hier kann man in sich kehren, zerbrochenen Herzens und zerschlagenen Geistes werden, bis die Augen überfließen, wie die Teiche zu Hesbon. 7) Die, welche richtig wandeln durch dieses Thränenthal, machen sich Brunnen darin,8) und der Regen, welchen Gott vom Himmel auf Die herabsendet, welche hier wandeln, erfüllet auch die Teiche. Dieses ist auch das Thal, aus welchem der König den Seinigen ihre Weinberge geben will;9) daselbst sollen sie singen, wie Christ, trotzdem, daß er mit Apollyon zusammentraf. 10)

Muthh. Es ist wahr, sagte ihr Führer, manchmal bin ich durch dieses Thal hindurchgekommen, und nirgend war mir wohler, als hier. Auch habe ich manche Pilger begleitet, die das nämliche bekannt haben. Ich sehe an den Elenden, spricht der König, und der zerbrochenes Geistes ist, und der sich fürchtet vor meinem Wort. 11)

Nun kamen sie an die Stelle, wo der vorhin erwähnte Kampf statt gefunden. Dies ist der Ort, sagte der Führer zu Christin, ihren Kindern und Barmherzig, auf dieser Stelle stand Christ, da drang Apollyon auf ihn ein. Und, sehet, sagte ich's nicht, hier ist noch Etwas von deines Mannes Blut an diesen Steinen zu sehen bis auf diesen Tag. Sehet, wie auch hier und da noch Stücke von Apollyons zerbrochenen Pfeilen umherliegen. Sehet ferner, wie sie während des Kampfes den Boden mit ihren Füßen zertreten, um sich gegen einander zu behaupten, und wie die Steine sogar von den Hieben, welche nebenher fielen, in Stücke zerschlagen worden sind. Wahrlich, Christ hat sich hier als Mann bewiesen und sich als ein wahrer Herkules gezeigt. Als Apollyon geschlagen war, zog er sich in das nächste Thal zurück, welches das Thal der Todesschatten genannt wird, und worin wir nun bald kommen werden. Sehet, dort stehet auch ein Denkmal, worauf dieser Kampf und Christ's Sieg eingegraben ist, zu seinem Ruhme unter allen Geschlechtern der Zukunft. — Weil nun das Denkmal gerade vor ihnen am Wege stand, traten sie hinzu und lasen die Inschrift, welche wörtlich so lautete:

Es ward gestritten hier ein Streit,
Höchst seltsam, und doch wahr:
Christ's und Apollyons Tapferkeit
Sich brachten in Gefahr.
Der Mann zeigt' tapfer sich als Mann:
Der Feind mußt' vor ihm flieh'n.
Das zeigt dies Denkmal denen an,
Die hier vorüberzieh'n.

Als sie an dieser Stelle vorüber waren, kamen sie an die Grenze des Thals der Todesschatten. Dieses Thal war länger, als das erstere, und dazu ein Platz, der höchst seltsam von bösen Wesen heimgesucht war, wie Viele bezeugen können. Aber diese Frauen und Kinder kamen um so besser hindurch, weil es noch Tag war, und weil Muthherz ihr Führer war.

Beim Eintritt in dieses Thal meinten sie das Stöhnen eines Sterbenden zu hören, es war ein recht schauderhaftes Stöhnen. Auch glaubten sie Jammerworte zu vernehmen, wie von Einem, der in äußerster Qual ist. Dies brachte die Knaben an's Zittern und die Frauen wurden bleich und blaß, allein ihr Führer hieß sie gutes Muths sein.

Und so gingen sie denn ein wenig weiter und meinten, der Boden unter ihnen wanke, als wenn irgend eine hohle Stelle dort gewesen wäre; auch hörten sie eine Art zischen, wie von Schlangen, allein sie sahen bis jetzt noch nichts. Da sagten die Knaben: sind wir denn noch nicht am Ende dieses schrecklichen Ortes? Der Führer aber hieß sie guten Muth fassen und auf ihre Füße achten, damit sie nicht etwa in eine Schlinge gerathen möchten.

Nun fing Jakob an unwohl zu werden, und ich glaube, es rührte von Angst her. Da gab ihm seine Mutter Etwas von dem stärkenden Trank, welchen sie in dem Hause des Auslegers bekommen, und von der Arznei, die Herr Geschickt zurecht gemacht: hiernach erholte sich der Knabe wieder.

Sie gingen nun weiter, bis sie in die Mitte des Thales kamen. Da sagte Christin: mich dünkt, ich sehe dort Etwas auf dem Wege vor uns, eine Gestalt, wie ich noch niemals eine gesehen habe.

Da sprach Joseph: Mutter, was ist es?

Ein abscheuliches Wesen, mein Kind, ein abscheuliches Wesen, sagte sie.

Aber, Mutter, wem sieht es ähnlich?

Ich kann nicht sagen, wem es gleicht. Jetzt ist es nicht mehr weit von uns. Und nun ist es ganz nahe, sprach sie.

Wohlan! sagte Muthherz, wer sich am meisten fürchtet, halte sich ganz dicht an mich. Nun kam der Feind näher und der Führer trat ihm entgegen; aber — als er gerade an ihn herangekommen war, schwand er ihnen Allen aus den Augen. Da dachten sie daran, was ihnen einige Zeit vorher gesagt worden war: Widerstehet dem Teufel, so fliehet er von euch!12)

Nachdem sie sich ein wenig erholt hatten, gingen sie weiter. Allein sie waren noch nicht weit, da sah Barmherzig hinter sich und bemerkte, wie sie meinte, Etwas, das einem Löwen ganz ähnlich war. Es kam dasselbe aber mit großen Schritten hinter ihnen her und brüllte mit hohler Stimme. Bei jedem Brüllen hallte das Thal wieder und Aller Herzen ward es angst, nur nicht dem Herzen dessen, welcher der Pilger Führer war. So kam nun der Löwe heran, Muthherz aber ließ die Pilger alle vor sich hintreten. Als sich nun Muthherz zum Kampfe anschickte, und der Löwe bemerkte, wie man ihm Widerstand thun wollte, da zog er sich zurück und kam nicht wieder. 13)

Abermals zogen sie weiter, ihr Führer voran, bis sie an einen Ort kamen, wo eine Grube aufgeworfen war über die ganze Breite des Weges hin. Ehe sie aber bereit waren hinüberzusetzen, fiel ein so starker Nebel und eine Finsterniß über sie, daß sie nicht mehr sehen konnten. Da schrieen die Pilger: Ach, was sollen wir nun anfangen?

Fürchtet euch nicht! gab ihnen ihr Führer zur Antwort, stehet stille und sehet zu, was es auch hiermit für ein Ende nehme.

Und so standen sie denn da, weil ihr Weg zu Schanden gemacht worden. Hierauf meinten sie das Geräusch und Lärmen der Feinde noch deutlicher zu hören; auch konnten sie das Feuer und den Rauch aus der Grube noch besser unterscheiden. Da sprach Christin zu Barmherzig: Nun sehe ich, was mein armer Mann hat durchgemacht. Ich habe viel von diesem Orte gehört, aber ich bin früher nie hier gewesen. Mein armer Mann ging hier in der Nacht ganz allein; fast über den ganzen Weg hin hatte er Nacht, auch waren diese Feinde um ihn her geschäftig, als wenn sie ihn hätten in Stücke zerreißen wollen. Viele haben darüber geredet, aber Keiner kann sagen, was es mit dem Thal der Todesschatten auf sich hat, bis er selbst hineingekommen ist. Das Herz kennt seinen eigenen Kummer, und in seine Freude mengt sich kein Fremder. 14)) Es ist ein schreckliches Ding, hier zu sein.

Muthh. Hier ist's, als wenn man mit großen Wassern zu thun hätte, oder als wenn man in die Tiefe hinunter müßte — es ist, als wenn man in der Tiefe des Meeres säße oder in den Abgrund der Berge versänke. Jetzt ist es uns, als wenn die Riegel der Erde sich für immer verschlossen hätten. Aber, die im Finstern wandeln, und scheinet ihnen nicht, die sollen hoffen auf den Namen des Herrn und sich verlassen auf ihren Gott. 15) Was mich anlangt, so habe ich euch bereits gesagt, daß ich oft durch dieses Thal gegangen bin, und es mir viel härter dabei ergangen, als diesmal, und doch sehet ihr, ich lebe noch. Ich kann mich deß nicht rühmen, daß ich mein eigener Erlöser gewesen bin, aber deß getroste ich mich, daß wir werden herrlich errettet werden.

Kommt, lasset uns beten zu Dem, der unsere Finsterniß helle machen kann, und der nicht allein diese, sondern alle Teufel der Hölle darnieder zu schlagen vermag.

So schrieen sie denn und beteten, und Gott sandte, ihnen Licht und Rettung, denn nun lag ihnen nichts mehr im Wege, auch da nicht, wo sie vorher der Grube halben hatten stehen bleiben müssen. Doch waren sie bei allen dem noch nicht durch das Thal hindurch. So gingen sie denn weiter, und siehe, da waren furchtbarer Gestank und ekelhafte Gerüche, wodurch die Pilger schrecklich belästigt wurden.

Da sagte Barmherzig: Hier ist nicht so gut sein, wie an der Pforte, oder beim Ausleger, oder in dem Hause, wo wir uns zuletzt aufhielten.

Aber, o! sagte Einer von den Knaben, es ist doch nicht so schlimm, hier durch zu gehen, als immer hier zu bleiben, und ich kann mir wohl einen Grund denken, weßhalb wir diesen Weg nach der uns bereiteten Wohnung ziehen müssen; nämlich damit die Heimath uns dadurch desto - lieblicher gemacht werde.

Recht so, Samuel, sprach der Führer; da hast du geredet wie ein Mann.

Ja, wenn ich je hier herauskomme, sagte der Knabe, dann werde ich, wie ich glaube, das Licht und einen guten Weg höher schätzen, als je in meinem ganzen Leben sonst.

Darauf sagte der Führer: wir werden bald aus dem Thale herauskommen.

Immer weiter vorwärts gingen sie, und Joseph fragte: Können wir noch nicht das Ende des Thales sehen?

Da sagte der Führer: Sieh lieber auf deine Füße, denn wir werden sogleich zwischen die Fallstricke kommen.

Sie thaten nun, wie er ihnen gesagt hatte, aber die Fallstricke machten ihnen dennoch viel zu schaffen. Als sie bei denselben angelangt waren, sahen sie einen Mann linker Hand, in der Grube liegen, dessen Fleisch ganz zerrissen und zersplissen war. Hiebei bemerkte der Führer: Das ist ein gewisser Unachtsam, der auch dieses Weges gekommen und eine lange Zeit hier gelegen hat. Es war ein Anderer, Namens Bedachtsam bei ihm, als er gefangen genommen und erschlagen ward; dieser aber entkam ihren Händen. Ihr könnt nicht denken, wie Viele hier herum getödtet worden, und doch sind die Menschen noch so thöricht, es zu wagen, daß sie sich leichtsinnigerweise auf die Pilgrimschaft begeben und ohne Führer hierher kommen. Armer Christ! es ist ein Wunder, daß er hier durchgekommen ist, aber sein Gott hatte ihn lieb: auch hatte er guten Muth, sonst würde er's nimmer fertig gebracht haben.

Nun kamen sie dem Ende dieses Weges näher, und gerade wo Christ die Höhle gesehen, als er vorbei ging, kam ein Riese, Namens Hammer hervor. Dieser pflegte die jungen Pilger durch betrügerische Reden zu verführen. Er rief Muthherz bei seinem Namen: wie oft ist es dir schon verboten worden, solche Dinge zu treiben? Was denn für Dinge? sagte Muthherz. Du weißt es recht gut, antwortete der Riese, aber nun will ich deinem Handel ein Ende machen.

Aber, so laß mich denn doch erst hören, sprach Muthherz, weßhalb wir eigentlich mit einander zu kämpfen haben. Die Frauen und Kinder standen aber mit Zittern da, und wußten nicht, was sie anfangen sollten.

Da sprach der Riese: Du beraubest das Land und zwar beraubst du es auf die schlimmste Weise.

Das ist eine ganz allgemeine Beschuldigung, sagte Muthherz; komm doch auf das Einzelne, du Mensch!

Nun denn, rief der Riese aus, du treibst das Gewerbe eines Seelenverkäufers; du bringst Weiber und Kinder zusammen und führst sie in ein fremdes Land, um dadurch das Reich meines Herrn zu schwächen.

Darauf erwiederte Muthherz aber- ich bin ein Knecht Gottes, der im Himmel ist, und mein Geschäft ist, die Sünder zur Buße zu leiten. Mir ist befohlen, daß ich mich bemühen soll, Männer, Weiber und Kinder von der Finsterniß zum Lichte und von der Gewalt des Teufels zu Gott zu bekehren, und wenn nun dies die Ursache deiner Feindschaft wider mich ist, dann laß uns kämpfen mit einander, so schnell, wie du nur immer willst.

Hierauf kam der Riese heran und Muthherz ging ihm entgegen und zog sein Schwert, der Riese aber hatte eine Keule. Und so fielen sie denn, ohne weitere Umstände einander an; der Riese aber schlug beim ersten Streiche Muthherz nieder, daß er auf's Knie sank. Da schrieen die Frauen und Kinder laut auf. Indessen erhob sich Muthherz wieder in die Höhe, schlug mit vollem Muthe auf den Riesen los und verwundete ihn am Arme. So kämpfte er eine ganze Stunde wider ihn und zwar mit einer solchen Heftigkeit, daß dem Riesen der Athem aus den Nasenlöchern kam, wie der Dampf aus einem siedenden Kessel.

Darnach setzten sie sich einen Augenblick nieder, um ein wenig auszuruhen. Muthherz aber schickte sich an zum Gebete. Auch die Frauen und Kinder thaten, so lange der Kampf dauerte, nichts als seufzen und schreien.

Als sie ausgeruht, griffen sie abermals einander an, und nun streckte Muthherz den Riesen mit einem Schlage zu Boden. Halt! rief dieser, laß mich doch wieder aufkommen. Muthherz ließ es ihm auch zu, und somit begann wiederum der Kampf: da fehlte nicht viel daran, daß der Riese mit seiner Keule Muthherz den Schädel eingeschlagen hätte. Als Muthherz dies merkte, rennte er mit der ganzen Hitze seines Muthes auf ihn ein und durchbohrte ihn unter der fünften Rippe. Nun fing der Riese an zu wanken und vermochte seine Keule nicht mehr aufrecht zu halten. Muthherz aber benutzte seinen Vortheil und hieb dem Riesen das Haupt von den Schultern herunter. Da freuten sich die Frauen und Kinder und auch Muthherz preisete Gott für den Sieg, den Er ihm gegeben hatte.

Als dies geschehen war, errichteten sie mit einander eine Säule und befestigten daran das Haupt des Riesen; untenauf schrieben sie aber, daß die Vorübergehenden es lesen möchten:

Der dieses Haupt trug, war ein Mann,
Der Pilgern Schaden that,
Der ihren Weg versperrt' und dann
Sie all' betrogen hat:
Bis daß ich, Muthherz, frisch erstand
Den Pilgern zum Geleit,
Und ich den Gegner überwand
Im blutgetränkten Streit.

1)
Vgl. Hohesl. 2,11. 12.
2)
Vgl. Hohesl. 2,1.
3)
Jak. 4,6. 1 Petr. 5,5.
4)
Hos. 12, 5. Vgl. Luk. 1, 38. 48.
5)
Matth. 13, 46.
6)
Ps. 119, 25. 71. Sprüch. 8, 35.
7)
Hohesl. 7,6.
8)
Psalm 84,5-7.
9)
Hos. 2,15.
10)
Thl. I. S. 63.
11)
Jes. 66,2.
12)
Jak. 4,7.
13)
1 Petr. 5, 8. 9.
14)
Sprüchw. 14,10. (Nach d. engl. Übers.
15)
Jes. 50,10.
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