Bengel, Johann Albrecht - Predigt über Apostelgesch. 2, 40

Bengel, Johann Albrecht - Predigt über Apostelgesch. 2, 40

Ein schönes Zeugniß von der allgemeinen Liebe Gottes legt Paulus ab, welcher dieselbe selbst herrlich erfahren, wenn er 1 Tim. 2,4. sagt: „Gott unser Heiland will, daß allen Menschen geholfen werde.“ Gott hat alle Menschen zum ewigen Leben erschaffen. Nachdem aber durch Einen Menschen die Verdammniß übel alle Menschen gekommen ist, so haben wir das Recht dazu verloren. Der barmherzige Gott aber hat Seinen Sohn zum Mittler gegeben, und gleichwie dieser für Alle gestorben, also will auch Gott, daß Alle au diesen glauben, und durch den Glauben wieder selig werden.

Eine schöne Probe und ein herrlicher Beweis davon findet sich in unserem Text, da Petrus diesen allgemeinen Willen Gottes der Gemeine zu Jerusalem insonderheit, zugleich aber auch uns anbietet. Lasset uns deßwegen betrachten die Hülfe, dadurch wir unseres Sünden-Elendes los werden können.

I. Wer diese Hülfe nöthig habe?

Es ist bekannt, daß unser Text genommen ist aus der herrlichen Pfingst-Predigt, welche Petrus zu Jerusalem gehalten, und daß es die Juden gewesen, zu denen er gesprochen: „lasset euch helfen.“ Die Juden waren Gottes eigenthümliches Volk, welches Er angenommen und erwählt hatte, dem Er Sein Wort anvertrauet und gezeiget. Sie hatten den Bund der Beschneidung und manche große Vorzüge. Man sollte also denken, da sie Hülfsmittel genug hatten, sie hatten keines andern bedurft. Ja, da sie auch Christi Predigten selbst gehört, und Seine Wunder gesehen hatten, so hätte man meinen können, wenn auch alle Menschen einiger Hülfe für ihre Seelen bedürftig gewesen, so hätten doch sie es nicht nöthig gehabt. Nun, aber zu ihnen gesagt wird: „lasset euch helfen!“ - so schließen wir, daß alle Menschen in solchem Elende stecken, darin sie der Hülfe höchst bedürftig sind, denn die Verdammniß ist allgemein, nicht allein wegen der angebornen Erbschuld, sondern auch wegen der daraus entspringenden vielfältigen Uebertretungen, so daß wir also gefangene und unter die Sünde verkaufte Sklaven sind. So war es bey den Juden, und so ist es auch bey uns, so lange wir nicht durch den lebendigen Glauben an den Sohn Gottes frey werden. Und dabey kann uns unser äußerlicher Gottesdienst so wenig helfen, als den Juden. Wir haben zwar das Wort Gottes, die reine Lehre, die wahre Kirche, die unverstümmelten Gnadenzeichen, das ordentliche Predigtamt, und dieses Alles ist als eine ausgezeichnete Gnade Gottes zu betrachten, denn es sind das die Mittel, durch welche wir zur Erkenntniß Gottes, zum Glauben an Christum, ja zur Seligkeit geleitet werden. Dennoch aber, so lange wir in unserm rohen Zustand des Herzens verharren, ist uns noch nicht geholfen, sondern es heißt noch: „lasset euch helfen.“

Es waren noch nicht 10 Wochen verflossen, seit dem der Heiland gelitten hatte, dennoch sagte Petrus den Juden: „lasset euch helfen;“ und zeigt dabey an, sie sollen es nicht genug seyn lassen, daß sie wissen, daß Jesus für sie gelitten, sondern sollen auch darauf bedacht seyn, wie sie möchten wirklich durch den Glauben in die Gemeinschaft derjenigen Seligteil kommen, die Christus ihnen erworben.

Und so ist es auch noch jetzt. Wir verlassen uns so gerne darauf, daß Christus für alle Menschen, und also auch für uns gestorben sey, und daß Er uns erlöst und gewonnen habe, und solches ist freilich gewißlich wahr. Aber durch eine bloße Einbildung davon ist uns noch nicht geholfen. Diejenigen, welche sich am muthigsten auf ihren Heiland verlassen, sind oft am übelsten daran, weil ihr Vertrauen nur eine fleischliche fanatische Einbildung ist. In Summa: so lange unser Herz noch der rechtschaffenen Buße unerfahren ist, so lange es noch nicht zu einem rechtschaffenen Glauben und daraus fließender Dankbarkeit gegen Christum gebracht ist, so lange ist uns noch nicht geholfen, wenn wir auch Tag und Nacht in die Kirche hinein saßen, oder immerdar auf den Knieen lägen.

II. Wie und auf welche Weise uns diese Hülfe widerfahre?

Es ist solches eine sehr herrliche Hülfe, denn das Wort ist herrlich, womit sie beschrieben wird: „Lasset euch selig machen!“ Wer erst selig gemacht werden soll, ist noch unselig. Ach freilich sind wir unselige Leute, so lange wir unserer Sünden noch nicht los sind. Denn da sind wir Knechte der Sünde, die uns gefangen halt, wir sind unter dem Fluch des Gesetzes, unter dem Zorn Gottes. Unser Gewissen ist entweder voll Schreckens, oder, welches noch gefährlicher, voll Brandmale. Wir haben keine Zuversicht und Liebe zu Gott, dürfen Ihn deßwegen auch nicht anrufen. So lange wir hienieden leben, müssen wir Knechte seyn, und nach diesem Leben haben wir nichts Gutes zu hoffen, denn die Hölle ist solchen gewiß. (Röm. 2, 9.) Da sind wir noch Kinder des Zorns und entfremdet von dem Leben Gottes. Wir sind Kinder des Teufels und seiner Mitgenossen. Der Tod herrschet über uns, und die Welt reißt uns mit ihren bösen Exempeln, als mit einem gewaltigen Strom, dahin in's Verderben. Lauter Finsterniß ist in uns, um uns, vor uns, über uns. So groß aber nun die Noth ist, darin wir stecken, so groß und noch viel größer ist die Hülfe, die uns Gott erzeigt. So unselig wir sind, so selig will uns Gott machen, wenn wir anders diese Seligkeit achten wollen. Ja die Hülfe, welche Petrus hier im Namen Gottes den Juden anbietet, beschreibt uns Christus selbst auf das herrlichste, wenn Er Paulus unter die Heiden, wie Petrus vorher unter die Juden sendet, aufzuthun ihre Augen, daß sie sich bekehren von der Finsterniß zum Licht, und von der Gewalt des Satans zu Gott, zu empfahen Vergebung der Sünden und das Erbe sammt denen, die geheiliget werden. (Apostelgesch. 26, 18.) O eine große Hülfe und Seligkeit! Da wird einem solchen Menschen geschenket und zugerechnet die vollgültige Gerechtigkeit des Sohnes Gottes, ja durch diesen wird er selbst gemacht zu einem auserwählten lieben Kinde des himmlischen Vaters, und mit diesem Kindesrecht erlangt er einen Antheil an dem herrlichen Erbe Gottes sammt allen Heiligen, und darf zugleich in solch kindlichem Geist immer zu Gott nahen, und Ihn als einen Vater anbeten, weil er los ist vom bösen Gewissen. Und gleichwie ein solcher Mensch vorher ein Sklave gewesen ist der Sünde, so wird er jetzt ein seliger Knecht der Gerechtigkeit, über welchen weder Sünde noch Tod, weder Teufel noch Hölle eine Gewalt hat, er kann jederzeit in einem freudigen Geist und in der Kraft des HErrn einhergehen, und darf sich vor nichts fürchten. Er ist tüchtig gemacht zum Erbtheil der Heiligen, er ist nicht mehr ein Gast und Fremdling. In Summa: Gott ist eines solchen Menschen Theil. Sehet, dieß ist die große Seligkeit und Hülfe, welche uns Christus wirklich erworben hat, und es liegt nun nur daran, daß wir Seine hülfreiche Hand angreifen und uns dadurch aufrichten lassen; denn dazu hat Er Seine Diener gesetzt, daß sie uns selig machen.

Wir haben auch das Wort und die Sakramente. Wir wissen also den Weg und die Hülfsmittel, darauf zu wandeln. Dessen müssen wir uns nun mit allem Ernst und Eifer bedienen. Wie geschieht das? Antwort: Thut Buße! Eine rechtschaffene, gründliche Herzens-Buße ist es, dadurch uns geholfen wird. Vor dieser muß hergehen eine rechte Zerknirschung des Herzens. Von jenen Juden heißt es: „Es gieng ihnen durch's Herz.“ Sie sprachen: „Was sollen wir thun?“ Petrus bereitete ihre Herzen dazu durch die Vorstellung der schweren Sünde, die sie an Christo begangen, und zugleich des heiligen Nutzens aus dem Leiden Christi. Dadurch wurden ihre Herzen gleichsam so verwundet und durchschnitten, daß sie im Innersten erschracken, an sich, ihrem Thun und Wirken verzagten, und darum sich bekümmerten, wie sie ihrer Sünden möchten los werden. Und dieß, o Mensch, muß auch bey dir vorgehen. Ob du schon nicht wirklich mit deiner Hand den Sohn Gottes umgebracht hast, so mußt du doch erkennen, daß du Ihn durch deine Sünden gekreutziget habest, mußt deßwegen erschrecken, und dich fürchten vor dem erzürnten heiligen Gott, und fragen: was soll ich thun? Du mußt also bereit seyn, dich deinem Gott ganz und gar zu überlassen, und es Ihm völlig anheimstellen, was Er mit dir anfangen wolle. O da besteht eine solche Herzensverwundung nicht nur in einem faulen, trägen Gedanken, sondern der Mensch wird es wohl inne: da und da habe ich gesündiget. Da sucht er keine Feigenblätter, es fällt da alles Vertrauen auf äußerliche Werke und eigene Tugend hinweg, so daß der Mensch nur fragt: was soll ich thun, daß ich selig werde?

Die Forderung: thue Buße! verlangt eine wahrhaftige, rechtschaffene, gründliche Aenderung des Herzens und Sinnes, welche durch Betrachtung des göttlichen Gesetzes und menschlichen Gewissens, durch ein inniges Beben vor dem Gericht des erzürnten Gottes, durch herzliche Bekümmerniß über die von uns betrübte Liebe und Treue Gottes entstehet, so daß der Mensch sich dadurch vor Gott demüthiget, sich für die untüchtigste Creatur erkennt, und für würdig aller Strafe und Ungnade. O da wird alle vorige Sicherheit, alles vorige Vertrauen auf sich selbst zu Boden geschlagen. - Darauf folgt, daß der Mensch in dem Namen Christi die Vergebung seiner Sünden suche und begehrt, und Ihn als seinen Mittler anrufe. Durch eine solche Erkenntniß wird der Mensch gerecht, und durch solchen Glauben empfangt er die Gabe des H. Geistes, welcher ihn ferner regiert, erinnert, straft, ermahnt, lehret, tröstet. So wird dem Menschen geholfen. Da werden ihm geschenkt alle Sünden, welche Namen sie haben mögen, denn Christus ist gekommen, die Sünder selig zu machen. Nur daran liegt s, daß wir die Sache recht angreifen, dazu insonderheit gehört, daß wir wissen

III. wo die Hülfe herkomme.

Solches lehret uns das, daß es heißt: „lasset euch helfen!“ - nicht: helfet euch. Der Mensch ist so verderbt, daß er sich selbst nicht helfen kann. Daher wird dies Wort Gott allein zugeschrieben. Bekehrung ist ein Werk, das Gott allein in uns wirket (Apostelgesch. 2, 47.), und der Mensch kann nichts helfen, wohl aber Gottes Werk in sich selbst zerstören. So wenig ein Schlafender sich selbst aufrichten, ein Todter sich selbst erwecken, ein Blinder sich selbst das Licht geben, ein Gefangener sich selbst befreien kann, so wenig kann der Mensch sich selbst von seinen Sünden helfen. Darum lasset es doch nicht auf eigene Kräfte ankommen. Gott allein kann uns helfen. Wen sein Herz überzeuget, daß ihm noch nicht geholfen sey, der trage doch sogleich die Sache Gott vor, und bitte Ihn um die Gnade Seines Geistes. In Seiner Kraft müssen wir es anfangen, und wenn Er es in uns anfangen will, so müssen wir uns Seiner Führung völlig überlassen. Ihm still halten, unseren Schaden aufdecken, und Sein Werk nicht stören. Hält doch ein unvernünftiges, wildes Thier, selbst ein Löwe still, wenn es in einen Dorn getreten, und ihm ein Mensch den Dorn ausziehen will. Warum sollten wir nicht auch gern mit uns anfangen lassen, was Gott will? Einmal, die Schuld ist unseres getreuen Gottes nicht, wenn uns nicht geholfen wird, denn Er will ja Alles an uns thun, und fordert nichts von uns, als daß wir Ihm nicht widerstreben, sondern uns Seiner Pflege überlassen. Er will, daß Allen geholfen werde, daher kann Er mit allem Recht zu den ungehorsamen Kindern sagen: ihr habt nicht gewollt.

Und so rufe ich auch denn euch jetzo zu: „lasset euch helfen.“ Warum wollet ihr sterben? Warum wollet ihr euch nicht mit Gott versöhnen lassen? Sehet, eben jetzt will Gott auch euch helfen. Ach, gebrauchet diese Zeit dazu. Wer weiß, wie lange Seine Hand noch ausgestreckt ist gegen euch zum Frieden! Ach, daß auch dieses Wort wenigstens von Einigen unter euch angenommen würde, wie das Wort Petri. Ach, daß auch an diesem Tage einige Seelen Christo und Seiner Gemeine zugethan werden möchten! Fürwahr, ihre Namen würden heute in das Buch des Lebens gezeichnet. Sehet, jetzo suchet euch die Gnade heim. Folget ihrem Zuge. Gehorchet ihrer Stimme. Besprecht euch nicht lange mit Fleisch und Blut. Sehet nicht auf die Menge der Ungehorsamen. „Lasset euch helfen.“ Lasset euch selig machen, ihr Unseligen. Lasset euch nicht nur einen Augenblick vom Sündigen abwehren, sondern bemühet euch, zu einer lebendigen Kraft zu kommen, und verharret Lebenslang dabey. Nicht nur zu Petri Zeiten, auch jetzo noch kann Christus selig machen, die durch Ihn zu Gott kommen (Hebr. 7, 25.), und am Ende erlösen von allem Uebel.

So wahr Ich lebe, spricht dein Gott,
Mir ist nicht lieb des Sünders Tod;
Vielmehr ist dieß Mein Wunsch und Will,
Daß er vor Sünden halte still.
Von seiner Bosheit kehre sich.
Und lebe mit Mir ewiglich.

Dieß Wort bedenk , 0 Menschenkind!
Verzweifle nicht in deiner Sünd,
Hier findest du Trost, Heil und Gnad,
Die Gott dir zugesaget hat.
Und zwar durch einen theuren Eid,
O selig, dem die Sünd ist leid!

Quelle: Burk, Johann Christian Friedrich - Dr. Johann Albrecht Bengel's Leben und Wirken

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