Baur, Wilhelm - Jesus Christus, unsere Versöhnung - Am Karfreitag.

Baur, Wilhelm - Jesus Christus, unsere Versöhnung - Am Karfreitag.

Ich will hier bei dir stehen,
Verachte mich doch nicht!
Von dir will ich nicht gehen,
Wenn dir dein Herze bricht.
Wenn dein Haupt wird erblassen
Im letzten Todesstoß,
Alsdann will ich dich fassen
In meinen Arm und Schoß.

Ich danke dir von Herzen
Jesu liebster Freund,
Für deines Todes Schmerzen,
Da du's so gut gemeint,
O, gib, dass ich mich halte
Zu dir und deiner Treu
Und wenn ich nun erkalte,
In dir mein Ende sei. Amen!

Geliebte, durch Christi Blut teuer erkaufte Gemeinde! Der ungewöhnliche Zudrang des Christenvolks zu der Kirche an diesem stillen, großen Freitag, an welchem unser Heiland am Kreuz gestorben ist er nicht ein Trosteströpflein für die um die Kirche des Herrn tief betrübten Herzen? Ach, wir sind ja wieder dahin gekommen, dass wir beten müssen: Hilf, Herr, die Heiligen haben abgenommen und der Gläubigen ist wenig unter den Menschenkindern! (Ps. 12,1.) Dass wir über die Kirche klagen müssen, wie Jeremia über Jerusalem geklagt hat: Wie liegt die Stadt so wüste, die voll Volks war! Sie ist wie eine Witwe. Die Straßen gegen Zion liegen wüste, weil Niemand auf kein Fest kommt, alle ihre Tore stehen öde, ihre Priester seufzen (Klagl. Jer. 1). Die Zeit ist da, dass die Frommen Gottes Klagrede vom Himmel her hören: Was hab' ich dir getan mein Volk, und womit hab' ich dich beleidigt? Antworte mir. Hab' ich dich nicht je und je geliebt und zu mir gezogen mit großer Güte und du meidest mein Angesicht? Hab' ich nicht meinen eingebornen Sohn für dich dahingegeben? Und du wandelst ferne von mir auf deinen Wegen, welche zum Tod führen? Auch in dieser Passionszeit, die wieder zu Ende geht, war es dem Gläubigen an Jesum Christum oftmals zu Mute, als hört' er den Mann der Schmerzen, der jetzt zur Rechten Gottes sitzt, klagen: Ach, an das Kreuzholz geheftet, Nägel in Armen und Beinen, in einem Meere von Peinen bin ich gestorben für dich: weh! und wer weiß, ob wohl je du auch nur denkst an mich! Himmel und Erde voll Schrecken haben den Schmerz mitempfunden, als in der letzten der Stunden ich bin verschieden für dich: weh! und wer weißt, ob wohl je du auch nur denkst an mich! Da scheint nun dieser Zudrang zu den Gottesdiensten des Herrn am heutigen Tage ein unwiderlegliches Zeugnis zu sein, dass der Name des Gekreuzigten doch nicht verklungen ist, dass es so traurig mit der Christenheit nicht steht, wie es vielen scheint dürfen wir mit solchen Gedanken uns trösten? Meine lieben Freunde! Es steht sehr traurig mit der Christenheit, aber verzweifeln können wir nicht, weil Christus lebt und das Wort vom Kreuz sich noch als eine Kraft Gottes erweist. Dass an diesem Tag die Kirchen so voll sind, das ist nicht so sehr ein Zeichen weiter verbreiteten Glaubens, als gemeiniglich angenommen wird, als ein Zeichen von der nie ersterbenden Anziehungskraft des Kreuzes Jesu Christi. So groß ist diese Kraft, dass Viele, ohne sich Rechenschaft zu geben, was sie tun, von ihr sich ziehen lassen. Es ist der Tod, der dort am Kreuze gestorben ist, um dessen Willen die Sonne ihren Schein verliert, die Erde bebt und wer noch ein Herz in der Brust hat, sich an die Brust schlägt, es ist der qualvolle, schmachvolle Tod des liebevollen Heilandes, welcher zum Stillstehen auf der Weltstraße einen Augenblick nötigt. Es ist die Liebe, die lautre sich selbst verleugnende Liebe, die stärker ist als der Tod, welche das zur Liebe geschaffne, aus der Liebe gefallene, aber der Liebe dringend bedürftige Menschenherz ergreift und nach sich zieht. Es ist das „Für uns; für uns!“ wovon doch noch ein letzter schwacher Ton auch in den Seelen der lauen Christen klingt, das Sterben in der Liebe, die Liebe im Sterben, die am Kreuz sich offenbart und der Seele nahe tritt mit einem immer wiederholten „für dich für dich!“ Und so haben sich heute viele in den Gotteshäusern versammelt, die, wo sie Bürger und Hausgenossen sein sollten, nur noch Gäste und Fremdlinge sind. Der Gedanke, dass hier manche Seele atmet, die nur selten unter die Wirkung des göttlichen Wortes sich stellt, die Verantwortlichkeit, welche auf der Predigt des Wortes allezeit, zumal an einem solchen Tag liegt, macht in dem Prediger das Verlangen rege: könnt' ich heute das Wort vom Kreuz also predigen, dass alle, die es hören, hinfort es nicht nur als eine festtägliche Speise, sondern als tägliches Brot verlangten, dass sie nicht allein einen flüchtigen Eindruck von demselben empfingen, sondern die seligmachende Kraft desselben spürten! Lasst uns beten, liebe Brüder und Schwestern, dass das Wort vom Kreuze an uns allen ausrichte, wozu es gegeben ist.

Herr, lass dein bitter Leiden
Mich reizen für und für,
Mit allem Ernst zu meiden
Die sündliche Begier;
Dass mir nie komme aus dem Sinn,
Wie viel es dich gekostet,
Dass ich erlöset bin! Amen.

Text: 1. Kor. 1,18.
Das Wort vom Kreuz ist eine Torheit denen, die verloren werden, uns aber, die mir selig werden, ist es eine Gotteskraft.

Geliebte im Herrn! Es ist nicht ohne Wichtigkeit für uns, die wir heute diese Worte hören, dass wir uns erinnern, an wen sie ursprünglich gerichtet worden sind. An die Christengemeinde in der großen Handels- und Weltstadt Korinth hat Paulus vor achtzehnhundert Jahren so geschrieben. Er war auf seinen Reisen zur Bekehrung der Welt durch das Wort vom Kreuz dorthin gekommen. Er hatte eine ungemein bewegte und geräuschvolle Stadt gefunden, in welcher Hunderttausende von Menschen zusammengedrängt lebten. Nach zwei Seiten fand er die Wogen des Meeres zu der Stadt heran sich drängend und in zwei Häfen, von denen der eine nach dem Morgen, der andere nach dem Abendland wies, sah er den Mastenwald und die bunten Wimpel großer Handelsflotten. Da war ein unablässiges Gehen und Kommen, ein Austausch der Waren, der Kenntnisse, der Sitten, der dem Leben alle Einfalt nahm. Unermessliche Reichtümer waren aufgehäuft und nach dem arbeitsvollen Tag bot sich reicher Genuss für Geist und Fleisch. Während die Einen immer etwas Neues zu hören begehrten, wollten die Andern immer etwas Neues schmecken. Redekunst und Schauspiel gedieh neben sinnlicher Liebe und üppigem Gelage. Und nicht schloss ein Genuss den andern aus: von den Schauspielen eilte man gerne in die Kammern der Unzucht, nach den üppigen Gastmählern suchte man für den Geist eine angenehme Erregung. In diese Stadt trat der Apostel Paulus. Wie willkommen wär' er gewesen, wenn er in blendendem Schimmer der Redekunst eine Weisheit verkündigt hätte, welche des Fleisches Behagen mehren und dem Geiste einen neuen Kitzel bereiten konnte! Aber was tat Paulus? Er erinnert die Korinther selbst daran in diesem Brief: und ich, liebe Brüder, da ich zu euch kam, kam ich nicht mit hohen Worten oder hoher Weisheit, euch zu verkündigen die göttliche Predigt. Denn ich hielt mich nicht dafür, dass ich etwas wüsste unter euch, ohne allein Jesum Christum, den Gekreuzigten. (1. Kor. 2,1 u. 2.) Und das Wort vom Kreuz bewies in Korinth seine Kraft der Anziehung, es ward mitten in der großen, reichen, üppigen Stadt eine Christengemeinde gegründet. Aber Paulus konnte nicht immer bleiben. Er zog weiter auf der Straße, die ihm Christus gewiesen. Und siehe, das alte heidnische Leben erwies sich auch in der Christengemeinde noch wie ein böser Sauerteig, der nicht völlig ausgefegt worden war. In die Predigtgottesdienste schlich sich die Sucht ein nach etwas Neuem, Glänzendem, Erregendem, in die Zusammenkünfte der Gemeinde, bei welchen auch das Abendmahl gefeiert werden sollte, die alte Genusssucht, in das Leben der Gemeinde, die tief eingewurzelte Sünde der Unzucht. Da musste Paulus mahnend, warnend, flehend an die Gemeinde schreiben, dass sie nicht zu Grunde ginge. Und was schrieb er? dasselbe, was er gepredigt hatte, nur immer das Wort vom Kreuz! Das sollte durch keine neue Weisheit verdrängt werden, das sollte in die Gemeinschaft heilige Liebe bringen, das sollte von allem Fleischesgenuss zurückhalten. So hat also der Apostel für die Christen in der reichen Handelsstadt Korinth nichts Anderes, nichts Besseres, nichts Notwendigeres gewusst, als das Wort vom Kreuz. - Geliebte im Herrn! Die Anwendung auf uns, die Bewohner dieser Stadt, ergibt sich von selbst. Hört denn am Tage des Kreuzestodes unseres Heilandes:

Das Wort vom Kreuz

und zwar zuerst seinen Inhalt, dann seine Torheit, zuletzt seine Gotteskraft.

I. Was ist der Inhalt des Wortes vom Kreuz?

Der Apostel schreibt: das Wort vom Kreuz ist eine Torheit denen, die verloren werden, uns aber, die wir selig werden, ist es eine Gotteskraft. Danach erscheint das Wort vom Kreuz entweder Torheit und verdammt, oder Kraft Gottes und macht selig, danach ist das Kreuz wie ein Wegweiser mitten in die Menschheit hineingestellt, an dem der eine Arm in den ewigen Tod, der andre ins ewige Leben weist. Was sagt uns denn das Wort vom Kreuz? Meine lieben Freunde, es ist geschehen vor fast zwei tausend Jahren, da haben sie in Jerusalem einen Baum zugehauen, dass ein Kreuz daraus ward und haben das Kreuz einem Manne aufgelegt, der Jesus von Nazareth hieß. Er war ein Prophet gewesen, mächtig von Taten und Worten vor Gott und allem Volk, dabei sanftmütig und von Herzen demütig, er hatte Niemanden etwas zu Leide getan, aber Jeden, der zu ihm kam, aus seiner Not geholfen: Blinde waren sehend, Taube hörend, Lahme gehend, Stumme redend, Tote lebendig geworden und den Armen aller Art, den Mühseligen und Beladenen hatte er die frohe Botschaft gebracht, dass sie erquickt werden sollten in einem Leben ohne Sünde und Tod, im süßen Gottesfrieden von Ewigkeit zu Ewigkeit. Eins aber missfiel den Obersten des Volks und zuletzt auch dem irre geleiteten Volk an diesem Jesu von Nazareth: er hatte gesagt: er sei der Messias, den Gott längst verheißen, ja er sei der Sohn des lebendigen Gottes selbst. Sie hätten ja glauben können, dass er der Messias sei, denn einen solchen hatte Gott ihnen längst verheißen und alle Zeichen, die durch ihn und von ihm geschahen, deuteten darauf, dass der längst Erwartete nun gekommen sei. Sie hätten auch glauben können, dass er Gottes Sohn sei, denn der es behauptete, hatte so gar nichts Prahlerisches und Lügenhaftes an sich, dass man das Vertrauen zu ihm nicht wohl verlieren konnte, auch wenn er sagte: Ich und der Vaters sind eins. Wer mich sieht, der sieht den Vater. Aber sie glaubten ihm nicht, um seiner Erscheinung in Armut willen. Sie legten ihm das Kreuz auf, dass er's auf die Stätte hinauftrüge, da er gekreuzigt werden sollte. Da ging er hin, wie ein Lamm, das zur Schlachtbank geführt wird und seinen Mund zur Klage nicht auftut. Die Frauen, als sie den in Leibes- und Seelenqual schon jämmerlich zerarbeiteten Mann unter der Last des Kreuzes dahinwanken sahen, fingen an laut zu weinen und zu klagen. Er wandte sich nach ihnen um und sprach: Ihr Töchter von Jerusalem, weint nicht über mich, sondern weint über euch selbst und eure Kinder. Denn so man das am grünen Holze sieht, was wills am dürren werden? Sie kamen hinauf nach Golgatha. Da ward Jesus an Händen und Füßen ans Kreuz genagelt und er schwebte nun zwischen Himmel und Erde in einer unerhörten Pein, wie Einer, der auf Erden nicht bleiben mochte, weil er in den Himmel gehörte, wie Einer, der zum Himmel so schnell nicht eilen durfte, weil er viele Kinder der Erde mitzunehmen gedachte, wie Einer, der zwischen Himmel und Erde Frieden zu stiften hatte, es aber nur konnte durch die bittersten Qualen des Todes. Wie weh hatten ihm die Menschen getan! Er betete: Vater vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun! Wie lieb hatte er die Seinen gehabt, die nun zum Tod betrübt um das Kreuz standen! Weib, siehe, das ist dein Sohn! Jünger, siehe, das ist deine Mutter, so spendete er vom Kreuz herab noch Trost, indem er noch inniger verband, die ihn lieb hatten. Wie ein König bewies er sich, obwohl nackt und bloß, indem er dem bußfertigen Sünder zurief: Heute wirst du mit mir im Paradies sein! So groß war seine Liebe, aber nicht kleiner sein Leiden. Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen! so rief der, welcher sonst gesprochen: Ich weißt, o Vater, dass du mich allzeit hörst. Mich dürstet! so rief der, der sonst seine Speise sein ließ, den Willen des Vaters zu tun und seinen Trank, die Seelen der Menschen an sich heranzuziehen. Die Sonne verlor ihren Schein, die Erde bebte, der Vorhang im Tempel zerriss, Gräber taten sich auf, und der am Kreuz sprach: es ist vollbracht! und rief noch einmal laut: Vater, ich befehle meinen Geist in deine Hände! und neigte das Haupt und verschied. Und der heidnische Hauptmann, der dabei stand, sprach: Fürwahr, dieser ist ein frommer Mann gewesen, und das Volk schlug an seine Brust und kehrte heim und zwei Oberste des Volks, Joseph von Arimathia und Nikodemus kamen heran und nahmen den Leichnam vom Kreuz und betteten ihn in ein frisches Felsengrab. Wir wissen, liebe Christen, wie bald er die Pforte des Grabes gesprengt hat. Aber das Kreuz, was ist aus ihm geworden, seit Jesus daran gestorben? Aus dem Zeichen der Schmach ein Zeichen der Ehre, aus dem Pfahl des Todes ein Baum des Lebens. „In diesem Zeichen wirst du siegen,“ so geht die Losung durch die Welt, Könige ziehen unter diesem Zeichen in die Feldschlacht, und im letzten Kampf, den ein Jeder von uns zu bestehen hat, lässt sichs der Eine auf die Brust legen, um es innig zu umfangen, der andere neben das Bett stellen, um es andächtig anzuschauen, und wer das Sinnbild meidet, der fasst umso fester im Glauben das Wesen und spricht: in meines Herzens Grunde dein Nam' und Kreuz allein funkelt all Zeit und Stunde, drauf kann ich fröhlich sein! Aber warum? was sagt uns das Wort vom Kreuze? Ists ein Zufall, dass das Kreuz auf Golgatha das Siegeszeichen geworden? dass der Name Jesus Christus, der Gekreuzigte, in alle Ewigkeit seligmachend hineinwirkt? nein! wir wissen: was auf Golgatha geschehen, ist nur die Vollendung eines ewigen Ratschlusses: Gott wollte die sündige Welt mit sich versöhnen, darum ist Jesus Christus ohne Sünde am Kreuz gestorben. So ist das Wort vom Kreuz das Wort von dem heiligen Gott, vor dem alle Sünde ein Gräuel ist, von dem Gott, der wie ein verzehrendes Feuer ist für die Abtrünnigen und sich nicht spotten lässt von den Verstockten, von dem Gott, von dem wir ewigen Tod und Verdammnis zu erwarten haben, wenn nicht für unsre Sünde eine Sühne geschaffen wird. So ist das Wort vom Kreuze ein Wort von unsrer Sünde, von der Tiefe und Weite unsers sündlichen Verderbens, das wir nicht selbst wieder gut machen können, das auch Gott nicht gut macht nur durch Sendung von Propheten und Verkündigung der Wahrheit, das nur wieder gut gemacht werden kann durch ein heiliges Leben, das für uns stirbt, durch die Liebe, welche die Sünde und den Tod überwindet. ist das Wort vom Kreuze das Wort von der Liebe Gottes in Christo Jesu, von der Liebe des Vaters, die des Sohnes nicht verschont um unsertwillen, von der Liebe des Sohnes, die sich für uns geopfert hat, von der Liebe, die der Geist Gottes uns in unserm Geist verkündet, dass wir wieder die Kindschaft empfangen. So ist das Wort vom Kreuz das einzige Wort, das allen Sturm des Gemütes beschwichtigen, allen Hader mit den Menschen stillen, alle Angst des Todes bannen, und das Angesicht Gottes uns im Lichte der Versöhnung zeigen kann. Und dies Wort sollten wir verachten?

II. Das Wort vom Kreuz ist eine Torheit denen, die verloren werden,

so schreibt Paulus. Lasst uns doch sehen, worin die Torheit des Wortes vom Kreuz besteht, dass es von so Vielen verachtet wird. Der Apostel spricht sich in demselben Brief an einer andern Stelle deutlicher aus, wenn er sagt: wir aber predigen den gekreuzigten Christum, den Juden ein Ärgernis und den Griechen eine Torheit. (1. Kor. 1,23.) Auch den Grund gibt er an, warum das Kreuz Christi den Juden als Ärgernis, den Heiden als Torheit erschien. Die Juden forderten Zeichen: von dem Messias, den sie erwarteten, verlangten sie, dass er wunderbare, gewaltige, ins Auge fallende Taten verrichte, daran wollten sie ihn erkennen. So lange nun Jesus auf Erden wandelte und viele Wunderzeichen tat, gaben ihn nicht alle auf, wiewohl es ihnen nicht lieb war, dass er nur Wunder heilender Gnade und nicht Wunder richtenden Verderbens tat. Dass sie aber einen Mann für den Messias halten sollten, der zwischen den Übeltätern gekreuzigt worden war, das war ihnen ärgerlich. Darüber konnten sie mit den Zähnen knirschen, das beleidigte ihren Stolz, welcher einen Messias erwartete, welcher das Reich Israel herrlich aufrichten und alle Heiden mit der Schärfe des Schwertes überwältigen sollte. Die Heiden dagegen fragten nach Weisheit: wem sie ihre Aufmerksamkeit zuwenden, oder gar ihr Vertrauen schenken sollten, der musste sich durch eine besonders glänzende neue Weisheit, durch ein kunstvolles Gebäude der Lehre hervortun. Nun ist freilich Christus mehr denn Salomo und aller Weisheit voll und die Wahrheit selbst und ein einzig Wort aus seinem Mund wie dies: Selig sind, die reines Herzens sind, denn sie werden Gott schauen; Es sei denn, dass Jemand von Neuem geboren werde, so kann er nicht das Reich Gottes sehen, überwiegt die kunstvollsten Gebäude menschlicher Lehre, aber eben darum, weil es im Christentum nicht vor allem auf neue Erkenntnis, sondern vor allem auf Reinigung des Herzens von der Sünde, auf die neue Geburt ankam, darum hat Paulus nicht hauptsächlich Weisheitssprüche verkündigt, sondern die Versöhnung des sündigen Menschen mit Gott durch Jesum Christum, das Wort vom Kreuz. Das dünkte den Griechen Torheit.

Geliebte im Herrn! Wenn wir fragen, nach welcher Seite die Entartung der Christenheit sich in unsern Tagen neigt, nach dem jüdischen oder nach dem heidnischen Wesen, so müssen wir gestehen, dass die Christen, zumal in den großen reichen Städten, am meisten in Gefahr stehen, dem Heidentum zu verfallen und dass ihnen darum das Wort vom Kreuz zunächst als eine Torheit erscheint. Neue Weisheit wird immer gesucht und immer geboten: der ewige Gott, der sich uns in seinem Wort geoffenbart hat, muss sich gefallen lassen, dass sich die Menschen aus ihm ein Bildnis und Gleichnis machen, das ihnen gefällt; ja sie geben den lebendigen Gott auf und dienen der Kreatur, indem sie Göttliches nur noch in den großen Geistern der Menschheit und in der Menschen edlen Taten sehen. Sich selbst aber vergöttert der Mensch am liebsten und liegt vor seiner eigenen Weisheit und Herrlichkeit anbetend im Staube. Und neben der neuen Weisheit geht her der alte Trieb nach Genuss, nach gemeinem Sinnengenuss. Diese Verbindung aber der Genusssucht mit der neuen Weisheit ist ein Zeichen, dass diese Weisheit doch keine neue ist, sondern die alte, die mit der Sünde in die Welt getreten ist und die da spricht: meide das Angesicht des heiligen Gottes, damit du ungestört dem Fleisch dienen kannst. Lasst uns essen und trinken, denn morgen sind wir tot! Dieser Sinn hält das Wort vom Kreuz für eine Torheit. Denen die verloren werden, ist das Wort vom Kreuz eine Torheit. Denen, die im Verlorenwerden begriffen sind, welche sich treiben lassen von der eigenen sündlichen Natur, welche für recht ansehen, was dem Fleisch beliebt, welche ihrer Natur nicht Gewalt antun wollen um Gottes willen, welche dem Geist zu Liebe ihr Fleisch nicht kreuzigen wollen, ists überaus töricht, durch das Wort vom Kreuz sich auf ihrer so lustigen Fahrt aufhalten zu lassen. Sie meinen, über den Glauben an Gott durch ziemlich sichere Gründe hinweggekommen zu sein - wie töricht zu glauben, dass für unsere Sünden ein Opfer nötig ist! Sie meinen, dass sie für ihre Sünden im Grunde nichts können, dass sie nicht anders zu handeln vermögen als nach dem Maß ihrer nun einmal sinnlichen Natur - wie töricht, ich um die Sünde Sorge zu machen! Sie wissen, dass, wenn es überhaupt einen Gott gibt, Gott die Liebe ist und so grausam nicht sein wird, von seinem Sohne den Tod und von uns Buße und Glauben zu verlangen - wie töricht, in dem gekreuzigten Christus die Erlösung zu sehen für die Sünden der ganzen Welt! So werden sie durch ihre heidnische, die Kreatur vergötternde, Gott verachtende Weisheit zurückgehalten, Gottes Heiligkeit zu fürchten, ihre Sünde zu erkennen, in Gottes Liebe sich zu bergen - das heißt verloren werden! O liebe Brüder und Schwestern! dass doch das Wort: verloren werden! das der Heiland und das die Apostel oftmals mit so feierlichem Ernst aussprechen, auf uns noch eine größere Gewalt ausübte, dass wir doch an die Möglichkeit selbst verloren zu werden und andere verloren gehen zu sehen ernstlicher dächten. Dem Heiland treten die Tränen in die Augen, da er Jerusalem sieht und er bittet am Kreuz für die Feinde, um sie zu retten. Paulus warnt mit Weinen die Feinde des Kreuzes Christi, denen der Bauch ihr Gott ist, deren Ende zu Schanden. wird, und er ruft in der Gewalt seiner Liebe aus: Ich habe gewünscht verbannt zu sein von Christo für meine Brüder, die meine Freunde sind nach dem Fleisch. (Röm. 9,3.) Geht uns denn das Verlorenwerden unsrer Brüder zu Herzen? Können wir denn die, welchen das Wort vom Kreuz eine Torheit ist, ruhig ins Verderben gehen sehen? Die Passionszeit geht wieder zu Ende, in welcher das Wort vom Kreuz für die Christenheit Eins und Alles sein sollte - ist es das gewesen? und was habt ihr empfunden, bei der Verachtung dieses Wortes? Wenn ihr mitten in der Christengemeinde die Schauspielhäuser, die Tanzsäle übervoll saht und die Kirchen verhältnismäßig leer, wenn ihr durch die Straßen nach der Kirche wandelnd unter hundert Menschen kaum einen Kirchgänger entdecktet, wie ward euch da zu Mute? Wenn selbst auf die, welche Gottes Wort noch lieb haben, das Wort vom Kreuz doch keinen erschütternden, heiligenden Einfluss zu üben scheint, was sind da eure Gedanken? Wir können ja Niemanden, der das Wort vom Kreuz für eine Torheit hält, dazu zwingen, Gottes Kraft darinnen zu erkennen. Aber herzliches Erbarmen sollten wir doch haben mit denen, welche im Verlorensein begriffen sind. Und wenn das Erbarmen da ist, dann müssen wir doch wohl beten für die Christenheit, dass sie nicht ins Heidentum zurückfalle, und wir müssen jedes Mittel ergreifen, das Wort vom Kreuz in die sündige Welt rufen zu lassen! dass dieser Karfreitag allen denen wenigstens, die in der Kirche sich versammelt haben, laut riefe: das Wort vom Kreuz ist eine Torheit denen, die verloren werden, uns aber, die wir selig werden, eine Gotteskraft!

III. Die Gotteskraft des Wortes vom Kreuz lasst uns zuletzt noch betrachten.

Der Apostel sagt: uns aber, die wir selig werden, ist es eine Gotteskraft. Uns sagt der Apostel und schließt sich zusammen mit allen, die mit ihm eines Sinnes sind. Gehör' ich auch dazu? Was ist das für ein Sinn, dem Christi Kreuz schmeckt, der aus Christi Kreuz Saft des neuen Lebens zieht? Das ist der rechte Sinn, das Geheimnis des Kreuzes Christi zu fassen und aus demselben Leben zu empfangen, der da spricht: Ich bin elend und jämmerlich, arm, blind und bloß. Ich sehe zum Himmel hinauf und ein Gott sieht mich an, der mich wie auf Adlersflügeln getragen hat, und ich habe doch nicht von Herzensgrunde zu ihm gewollt. Ich schaue unter die Menschen umher und sehe überall Wunden, die ich geschlagen, Kummer, den ich bereitet, Kränkung, die ich zugefügt. Ich überlege mein täglich Leben, was ists doch für ein armseliges Stückwerk! Ich gedenke besonderer Heimsuchungen Gottes und erinnre mich besondrer Sünden. Ich weißt, dass in mir, das ist in meinem Fleische wohnt nichts Gutes. Wollen hab' ich wohl, aber Vollbringen das Gute finde ich nicht. Solche Armut am Geiste, solcher Sinn der Buße macht geschickt, das Kreuz Christi zu fassen. Denn wie sollte ein Mensch, der an sich selbst verzagt, den Halt nicht erfassen, der ihm geboten wird? Ach ja, meine Lieben, sind wir erst einmal recht klein geworden, haben wir erst einmal unsere Sünde gefühlt, hat uns erst einmal Gottes Zorn erschreckt - gesegnet ist uns dann das Kreuz, eine Kraft Gottes geht dann von ihm aus und durchdringt unser armes, sündiges Wesen! Das Wort vom Kreuz ist eine Kraft Gottes! Gott ist die Liebe. So ist das Wort vom Kreuz eine Kraft der Liebe, ja in ihrer Fülle offenbart sich die Kraft der göttlichen Liebe in dem Kreuze Christi, versöhnend, vereinigend, befreiend von der Sünde, demütigend unter Gottes gewaltige Hand! Was brauchst du, liebe Seele, zum Seligwerden, das dir das Kreuz Christi nicht böte? Du brauchst einen gnädigen Gott, der dich zu sich nimmt trotz aller deiner Sünde. Geh ans Kreuz Christi! Der dir seinen einigen Sohn gegeben, sollte er dir mit ihm nicht alles schenken? Der Gekreuzigte ist dein Friede mit Gott; in dem Gekreuzigten ist alle deine Schuld getilgt und alle Gottesliebe über dich ausgegossen. Das Wort vom Kreuz hat die Gotteskraft, den heiligen Gott und dich, den sündigen Menschen, zusammenzubringen, dass Gott spricht: du bist mein, und die Seele: ich bin dein und durch alle Ewigkeit das Lied tönt: Niemand soll uns scheiden! Was brauchst du weiter, liebe Seele, zum Seligwerden, das dir das Kreuz Christi nicht böte? Du brauchst versöhnte Menschenherzen, denn es schneidet dir durch das Herz, was der Eine dir getan, was dem Andern du getan, wie du mit den liebsten, nächsten Menschen leider nicht in dem Frieden lebst, der ernährt, sondern in dem Unfrieden, der verzehrt, wie die Sünde oft zu scheiden gedroht, was Gott zusammengefügt und das feine und liebliche Bild des einträchtigen Zusammenwohnens gestört hat. Geht, die ihr euch lieb habt, ans Kreuz Christi, dass die Liebe bleibe, geht, die ihr euch nicht lieb habt, ans Kreuz Christi, dass ihr Liebe empfangt. Siehe, das hat Christus getan, damit aus zweien Eins würde! Spürst du nicht die einigende Gotteskraft des Kreuzes? Hier darfst du dich nicht weigern, das erste gute Wort zu geben, die Hand zuerst zum Frieden darzureichen! Das Wort vom Kreuz hat die Gotteskraft, aus den feindlichen Menschenhaufen eine Brüderschaft zu bilden! Was brauchst du weiter, liebe Seele, zum Seligwerden, das dir das Kreuz nicht böte? Kreuzigen sollen wir das Fleisch samt den Lüsten und Begierden. Ich bin der Welt gekreuzigt und die Welt mir, sagt Paulus, dass wir dahin kommen, dazu brauchen wir das Kreuz Christi, die Gotteskraft der Liebe, die vom Kreuz uns zuströmt. Denn wo ist die Macht, unser Fleisch zu dämpfen? Ist sie in uns selbst? Sind wir nicht von Natur fleischlich gesinnt durch und durch? Du magst fassten, wachen, beten, das ist etwas. Aber das alles ist nur dann etwas, wenn es dazu dient, die gekreuzigte Liebe dir näher zu bringen und in dein Wesen einzuführen. Gründlich werden wir das Fleisch nur dämpfen durch die Liebe, die am Fleisch gelitten, dass wir wieder geistlich werden könnten! Was brauchst du mehr, liebe Seele, selig zu werden? Du brauchst Kraft, dein Kreuz zu tragen. Das Wort vom Kreuz ist diese Gotteskraft. Sieh hin, was er unschuldig getragen, willst du's nicht schuldig tragen zu deiner Züchtigung? Sieh hin im Glauben auf das Kreuz Christi - siehst du nicht, wie der dürre Baum ausschlägt in grünen Sprossen, wie er zum Lebensbaum wird. Sieh dein Kreuz im Glauben an den Gekreuzigten an, kann es dir nicht auch ein Lebensbaum werden? Du kennst das Lied: Je größer Kreuz, je näher Himmel, je stärkerer Glaube, je mehr Gebete, je mehr Verlangen, je lieber Sterben, je schönere Krone! - Die Gotteskraft des Kreuzes ist die Liebe. Es hat ein frommer Dichter vor dem Kreuz ausgesprochen: dass wir den Herrn nicht lieben sollen, um der verheißenen Himmelsfreuden willen, nicht die Sünde meiden sollen, um der gedrohten Höllenqualen willen, dass wir lieben, weil wir zuerst geliebt worden sind und geliebt bis zum Tod, ja zum Tod am Kreuz. An solcher Lieb' ich meine Lieb' entzünde: und wär der Himmel nicht, ich müsste lieben, und wär' die Hölle nicht, ich flöh die Sünde. Säh Höll und Himmel ich, in Nichts zerstieben, dass Lohn nicht mehr, nicht Strafe mehr bestünden, die Lieb um Liebe wär mir dennoch blieben! Des Kreuzes Kraft ist die Liebe, das Wort vom Kreuz ist die Botschaft der Liebe! Ist Liebe Torheit? Wer wagt das zu sagen? Ist Liebe nicht Kraft, heilige Kraft, und dadurch Weisheit, Glück, Friede, Leben, Gott! Wohlan denn, liebe Christen, wir eilen zum Kreuz, um Liebe zu empfangen und um Liebe zu behalten, bleiben wir am Kreuz! O dass wir heute einen Schritt weiter kämen, mit Paulus sprechen zu dürfen: Es sei aber ferne von mir rühmen; denn allein von dem Kreuz unseres Herrn Jesu Christi, durch welchen mir die Welt gekreuzigt ist, und ich der Welt. (Gal. 6,14); mit Luther: Des Christen Herz auf Rosen geht, zumal wenns unterm Kreuz steht! Des Sternes Grundform ist das Kreuz. Helfe uns allen die Liebe Gottes vom Kreuz zu den Sternen aus den flüchtigen Karfreitagsschatten zum Osterglanze der Ewigkeit. Amen.

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