Arndt, Johann Friedrich Wilhelm – 7. Predigt

Arndt, Johann Friedrich Wilhelm – 7. Predigt

Friede sei mit uns von Dem, der da ist, der da war, und der da sein wird. Amen.

Text: Matth. V. V. 9.

Selig sind die Friedfertigen; denn sie werden Gottes Kinder heißen.

Sonderbar, möchte man sagen, kommt diese Seligpreisung nach den beiden unmittelbar vorhergehenden. Jesus hatte als die beiden ersten Früchte des seligmachenden Glaubens genannt die barmherzige Liebe gegen Andere und die Reinheit des eigenen Herzens; nun nennt Er als die dritte Frucht die Friedfertigkeit: fällt nicht diese Seligpreisung mit der fünften völlig zusammen? wer barmherzig ist, wird der nicht auch friedfertig sein? und bedarf es dazu einer besondern Ermahnung? ist der friedfertige Sinn so etwas Bedeutungsvolles, daß er in der Stufenfolge der wichtigsten Seelenentwicklungen noch besonders muß vorgeführt werden? Sonderbar, möchte man ferner sagen, klingt sodann die Verheißung: „Sie werden Gottes Kinder heißen;“ sind sie denn das nicht schon geworden, als sie hungerten und dursteten nach Gerechtigkeit und diese Gerechtigkeit im Glauben an Christum fanden? Wie haben wir uns also das Eine wie das Andere, die Seligpreisung wie die Verheißung, zurechtzulegen? Laßt uns näher darauf eingehen und gemeinsam uns vorhalten: 1) wer die Friedfertigen sind? und 2) was das sagen will: sie werden Gottes Kinder heißen?

I.

Selig sind die Friedfertigen. Friedfertig ist mehr als friedsam. Der Friedsame hat Frieden, liebt Frieden; der Friedfertige ist fertig, bereit zum Frieden, oder nach dem Grundtext: er macht und stiftet gern Frieden. nun aber giebt es einen doppelten Frieden, einen himmlischen und einen irdischen, einen Frieden mit Gott und einen Frieden mit den Menschen, einen Seelenfrieden in uns selbst, und einen Umgangsfrieden mit Andern. Den einen, wie den andern, zu verbreiten in der Welt, ist die dritte Eigenschaft des lebendigmachenden Glaubens. Natürlich setzt solche Friedfertigkeit sowohl die barmherzige Liebe, als das reine Herz voraus; die barmherzige Liebe: denn sie allein kann uns antreiben, die Seligkeit, welche wir selbst genießen, auch Andern zuzuführen; das reine, nur auf Gott gerichtete Herz: denn dieses allein kann uns bewegen, in unsern Friedensverbreitungsversuchen nicht zu ermüden, wenn sie auch Opfer kosten und unsere Geduld und Ausdauer sehr auf die Probe setzen. Nur auf solchem gut zubereiteten Boden können die Gesinnungen des Friedensstiftens gedeihen.

Die Friedfertigen also verbreiten zuerst den innern Seelenfrieden unter ihren Mitmenschen. Wie die Apostel sprachen: „Wir können’s ja nicht lassen, daß wir nicht reden sollten von dem, was wir gesehen und gehört haben;“ wie Petrus in Cäsarea Kornelio und seinen Hausgenossen verkündete den Frieden durch Jesum Christum, welcher ist ein Herr über Alles; wie Paulus die Epheser ermahnte: „Seid an Beinen gestiefelt, als fertig zu treiben das Evangelium des Friedens, damit ihr bereitet seid“: so können auch sie es nicht lassen, die Seligkeit ihrer Brüder durch den Frieden in Christo zu befördern, zu begründen, zu erhöhen, um alle durch das Band des gleichen Glaubens und der gleichen Liebe in Christo zu einer großen Gottesfamilie zu bereinigen, und es ist ihnen erst wahrhaft wohl und heimisch auf der Erde, wenn Christi Reich wächst unter den Menschen, wenn immer mehr Seelen schwören zu Seiner Fahne, immer mehr Gemüther sich erlaben an Seinen Segnungen. „Wie lieblich sind die Füße der Boten,“ ruft Jesaias (52,7.), „die Frieden predigen, Gutes verkündigen, die da sagen zu Zion: Dein Gott ist König.“ So gehen sie denn hin und richten das Kreuz auf, wo sie vermögen, weil unterm Kreuze Christi allein der Friede gefunden wird. – Ach, die Welt hat ja keinen Frieden. Sie meint es freilich oft in arger Selbsttäuschung, meint es darum, weil, nach ihren Worten, ihr gerade zur Zeit nichts fehle: „ihr Wohlstand sei sicher gegründet, Nahrungssorgen drohen nirgends, ihre geselligen Verbindungen bieten viele Annehmlichkeiten dar, im Hauswesen sei keine Störung, und Feinde von außen seien auch fern; kurz, sie behauptet, sie sei ganz zufrieden mit ihrem Schicksale, ihr Gewissen beunruhige sie nicht, und auch mit andern Menschen lebe sie in Eintracht; Kleinigkeiten, die in jedem Leben vorkommen, müsse man natürlich abrechnen, und so hoffe sie denn auch, daß, wenn nicht besondere Unglücksfälle eintreten, sie bis an’s Ende sich in diesem glücklichen Zustande erhalten werde.“ So spricht die Welt und die Menschen, die in ihr leben und an ihr Genüge finden. Was sollte sie auch ängstigen und beunruhigen? In sich selbst sind sie sehr bald zufrieden, ihr Geist hat wenig Bedürfnisse, ihre Gefühle sind nicht tief und gewaltig, der Gedanke an den Tod wird von ihnen so viel als möglich vermieden, und wenn er hervortritt, so erregt er auch nur eine sanfte, flüchtige Wehmuth, selbst das Gefühl der Sünde wird beschwichtigt durch das Vertrauen auf Gottes unbegrenzte Vaterliebe. Aber, Andächtige, es ist doch kein Friede, es ist Gewitterstille vor dem Sturm, und ich sage es euch, es wird eine Zeit kommen, wo der Sturm anbrechen wird, wo die Ruhepolster alle werden hinweggenommen werden, wo die Seele erwachen wird, und wie furchtbar wird dieses Erwachen sein! Wie? ihr Kinder dieser Welt, wie könnt ihr zunächst schon sagen, ohne zu lügen, euch fehle nichts, ihr seiet vollkommen zufrieden? Fehlt euch wirklich nichts, wenn euch einmal ein stilles Stündchen mit seinen einsamen Betrachtungen überrascht und euch vorhält, daß euer ganzes Leben doch eigentlich keinen rechten Halt, keinen wahren Mittelpunkt und kein würdiges Ziel gehabt habe? Fehlt euch wirklich nichts, wenn ihr eure Stimmung betrachtet, wie sie gewöhnlich im hause, im Geschäft und im alltäglichen Gange der Dinge ist; wenn ihr erwägt, daß ihr eure Erholung von euren Arbeiten nicht bei euch, sondern draußen in der Gesellschaft, bei Zeitvertreib und Vergnügen, suchen müßt; erwägt, daß innerlich in eurem herzen ein dunkler Grund liegt, aus dem bei jeder Gelegenheit Rachsucht, Neid, Mißgunst und Stolz heraufsteigt? Fehlt euch wirklich nichts, wenn ihr eure Handlungen prüft, in denen ein ruhelos quälender Geist euch von dem Einen zum Andern treibt, oder euer Benehmen im Leiden untersucht, wie ihr da ohne Trost und Ergebung gewesen? Ach, gesteht es nur: Etwas fehlt euch bei dem Allen; ein großes Etwas, das Rechte, das Wahre, das Eine, was noth ist, die innere Ruhe, der selige, geduldige, stille Herzensfriede. Wenn auch euer Mund spricht: Mir fehlt nichts! im Herzen regt sich doch eine Stimme, die euch zuruft: Es fehlt dir leider Alles! – Aber noch tiefer laßt uns gehen, ihr Kinder dieser Welt! Woran hängt eigentlich euer vermeintlicher Friede? Etwa an euren guten Thaten und Verdiensten, an eurem guten herzen? O wahrlich, die euch näher stehen, werden euch leicht tausend unterlassene Pflichten, tausend übertretene Gebote vorwerfen können; und wenn sie es schon vermögen, wie viel mehr euer Gewissen, es müßte denn euer Gewissen eingeschläfert und euer sittliches Gefühl abgestumpft sein; - wehe euch aber, wenn ihr auf ein schlummerndes Gewissen euren Frieden bauen wolltet! Oder hängt er etwa an euren äußern Glücksumständen und Hoffnungen? O wahrlich, die können jeden Tag sich ändern; der Reichste kann noch einmal ein Bettler, der Angesehenste noch einmal verachtet, die lustigsten Stunden können noch einmal die bittersten werden: wehe euch aber, wenn ihr auf der Umstände Spiel, auf Nichtigkeit und Unbeständigkeit euer Glück bauen wolltet! Es ist noch nicht alle Tage Abend geworden, und wenn daher einmal das Gewitter losbricht, das vielleicht jetzt schon, euch verborgen, an eurem Lebenshimmel heraufzieht; wenn einmal euer Alter kommt, wo die Welt euch entbehrlich findet und sich von euch zurückzieht; wenn einmal der Tod kommt und man eure Leiche wegträgt in’s Grab, wo die Schmeichler verstummen, wo es still wird, sehr still, und eure Seele vor Gott gerufen wird: was wollt ihr anfangen in allen jenen Prüfungszeiten ohne innern Seelenfrieden? Dann wird es euch schrecklich mahnen, daß ihr ein ganzes, langes Leben euch über euch selbst getäuscht habt. – Kinder Gottes denn, mit dem reinen und barmherzigen Sinn, eilet euren Brüdern draußen in der Welt zu Hülfe; bringet ihnen den Frieden Gottes, der höher ist, denn alle Vernunft, und den die Welt nicht geben, aber auch nicht nehmen kann, den Frieden, den auch die Kinder dieser Welt bedürfen und nach dem sie schmachten allewege. O geht hinaus auf allen Wegen und holt die Irrenden herein, streckt Allen eure Hand entgegen und ladet froh sie zu euch ein. Und wo ihr in ein Haus kommt, da sprechet zuerst: Friede sei mit diesem Hause! und so daselbst wird ein Kind des Friedens sein, so wird euer Friede auf ihm beruhen; wo aber nicht, so wird sich euer Friede wieder zu euch wenden. (Luc. 10,5.6.)

Es giebt aber auch noch einen andern Frieden, meine Brüder, der die Folge des innern Seelenfriedens ist und den die Welt gleichfalls nicht hat, der aber im reinen Herzen durch Glauben und Liebe geboren wird. Das ist der Friede mit euren Brüdern. Seid denn auch in der Beziehung friedfertig, d.h. haltet Frieden mit ihnen, und stiftet ihn da, wo er gestört ist. Denn also ermahnt die heilige Schrift: „Seid fleißig zu halten die Einigkeit im Geist durch das Band des Friedens. Jaget nach dem Frieden gegen Jedermann. Die Weisheit von Oben her ist auf’s Erste keusch; danach friedsam, gelinde, läßt ihr sagen, voll Barmherzigkeit und guter Früchte. (Eph. 4,3. Hebr. 12,14. Jac. 3,17.18.) Ist’s möglich, so viel an euch ist, so habet mit allen Menschen Friede. (Röm. 12,18.) Sehet, wie sein und lieblich ist’s, wenn Brüder einträchtig bei einander wohnen!“ (Ps. 133,1.) Der Friedfertige ist demnach nicht nur stets davon entfernt, Frieden zu stören; er sucht ihn vielmehr zu unterhalten und zu begründen, alles Trennende und Entzweiende zu entfernen, und wo er unterbrochen ist, ihn wieder herzustellen. Sein innerer Friede mit Gott würde ja gestört werden durch äußern Unfrieden. Darum ist es sein rastloses Bemühen, Aeußeres und Inneres immer in seligen Einklang zu setzen. Daß das nicht immer leicht ist, lehrt die Erfahrung, und wird bestätigt durch die mancherlei Bedenklichkeiten und Einwürfe, welche so oft gegen die Friedfertigkeit erhoben worden sind. Wohlan, laßt sie uns prüfen, diese Einwürfe und Bedenklichkeiten. Ihr fragt: „Wie? wenn nun der Andere keinen Frieden halten will? wenn er die Hand zurückstößt, die ich ihm anbiete, und immer von Neuem Gelegenheit und Anlaß sucht, das gute Verhältniß mit mir zu stören?“ Immerhin! Mag er sündigen: seine Sünde berechtigt euch nie, auch zu sündigen, im Gegentheil gilt es da gerade, Böses mit Gutem zu überwinden. Mag der Erfolg sogar noch so unwahrscheinlich sein: die Friedfertigkeit schreckt auch vor den größten Hindernissen nicht zurück; sie weiß, der wahren Liebe wohnt eine Gotteskraft ein, die endlich auch die störrigsten Herzen geschmeidig macht; sie weiß, der Gott der Liebe und des Friedens, der ja die Menschenherzen in Seiner Hand hat und sie wie Wasserbäche leiten kann, steht ihr bei mit Seinem Geiste in ihren Bemühungen; sie weiß, es ist jedenfalls besser, Unrecht leiden, als Unrecht thun; gesteht daher gern mit aller Offenheit ihre eigenen Fehler und Uebereilungen ein, verzichtet lieber auf ihr Recht, wenn das strenge Beharren bei demselben gerade Oel in's Feuer gießen könnte, und wird vorsichtig in ihren Reden und Handlungen, um selbst keinen Stoff zum Anstoß und Aergerniß zu geben. Und meint ihr, solche Friedfertigkeit und Selbstverläugnung werde keine Früchte tragen? Sie hat sie getragen unzählige Male! – Ihr fragt weiter: „Wie? wenn nun aber Amt und Gewissen mich zwänge, zu rügen und zu strafen und den Frieden zu brechen?“ Nun, dann tadelt und straft immerhin, was getadelt und gestraft werden muß, verächtlich wäre ein Sinn, der, bloß um mit Andern immer in Frieden zu leben und es mit ihnen nicht zu verderben, sich nach ihnen bequemen, ihnen nach dem Munde reden, ihnen nie widersprechen und sein Gewissen darüber verletzen wollte. Aber die Friedfertigkeit streitet auch dann nicht für sich, sondern für den Herrn und gegen die Sünde; sie ist auch mitten im Streite bereit, die eine Hand zum Frieden zu bieten, während sie in der andern das Schwerdt führt. Wie sie im Kampfe gegen sich selbst nur den Frieden mit Gott in der Ewigkeit will, so will sie im Streite gegen Andere nur den Frieden der Liebe erstreiten. - „Aber wie?“ fragt ihr weiter, „wenn sich nun Beides schlechterdings nicht vereinigen läßt, sondern Eins auf dem Spiele steht, entweder Verläugnung meines Glaubens oder Darangebung meines Friedens mit Andern: muß ich da nicht brechen?“ Allerdings steht dann der Friede mit Gott höher, als der Friede mit Andern. Aber unterscheidet wohl Wesentliches und Unwesentliches im Glauben. Betrifft es das Wesentliche eures Glaubens selbst, dann findet das Wort des Herrn seine Anwendung: „Meint ihr, daß ich gekommen bin, Friede zu bringen auf Erden? Ich sage nein, sondern Zwietracht; denn von nun an werden fünf in einem Hause uneins sein, drei wider zwei, und zwei wider drei. Es wird sein der Vater wider den Sohn, und der Sohn wider den Vater, die Mutter wider die Tochter, und die Tochter wider die Mutter, die Schwieger wider die Schnur, und die Schnur wider die Schwieger.“ (Luc. 12,51-53.) Dann tretet vor den Riß, bekennet euren Herrn, steht fest unverrücklich, und laßt euch nicht einschüchtern durch das Toben der Menschen. Wehe, wer seinen Herrn verläugnen und verrathen könnte aus Menschenfurcht und Menschengefälligkeit, oder aus Bequemlichkeit und falscher Klugheit, oder aus Heuchelei und Schmeichelei! Der würde auf die Dauer endlich mit Beiden zerfallen, mit Gott und mit den Menschen! Wäre dieser zweideutige Sinn je heimisch gewesen oder geworden in der Welt: es würde heut zu Tage noch keine Wahrheit, keine Gerechtigkeit, keine wahre Liebesgemeinschaft, kein Christenthum geben auf Erden! Betrifft es aber Unwesentliches im Glauben, die äußere Form, Menschensatzungen, menschliche Auslegungen des göttlichen Worts, Buchstabendienst und äußere Gebräuche: dann haltet Frieden, dann gebet nach. Einheit in der Liebe und Friede ist wichtiger, als Einheit in der Form und Ausdrucksweise, so viel wichtiger die Seele ist, als der Leib, und der Himmel, als die Erde. O wie oft ist dagegen selbst in der Christenheit schwer gesündigt worden! Wie oft sind gläubige Kinder Gottes, die in allen wesentlichen Punkten ihres Glaubens vollkommen einverstanden waren, die alle nur durch den Glauben an den Herrn Jesum hofften selig zu werden, und von denen so recht eigentlich des Apostels Wort gelten konnte. „Ein Leib und ein Geist; ein Herr, ein Glaube, eine Taufe; ein Gott und Vater unser Aller, der da ist über euch Alle und durch euch Alle und in euch Allen;“ wie oft sind sie um unbedeutender Nebenpunkte, menschlicher Neigungen und Ansichten willen miteinander zerfallen, und haben sich gegenseitig angefeindet, gehaßt, verfolgt, getödtet und verdammt! Statt an dem gemeinsamen Geiste festzuhalten, haben sie um den Buchstaben sich gestritten; statt dem göttlichen Worte zu genügen, haben sie Menschensatzungen gehandhabt; statt das Ziel immerdar im Auge zu haben, sind sie auf dem Wege nach der Heimath uneins geworden. Arme Kirche Jesu Christi, wie viele Störungen des Friedens, wie viele innere Spaltungen und Zerwürfnisse, wie viele Secten und Parteiungen hast du schon im Laufe der Zeiten in deinem Schoße nähren und beherbergen müssen! Wie viele Gemüther sind zertrennt und zerfleischt worden durch unselige Verketzerung und Anfeindung untereinander, und werden zertrennt und zerrissen bis auf den heutigen Tag! Fürwahr, nichts hat der Ausbreitung der christlichen Kirche mehr geschadet, nichts hat die Gottlosen und Ungläubigen mehr verhärtet und die Gottseligen mehr betrübt und geärgert, durch nichts hat man dem Teufel einen größern Gefallen gethan, als durch solche Uneinigkeit und solchen Unfrieden! Eifern ist gut, wenn es für den Herrn geschieht; aber geschieht es mit Unverstand, um seiner eigenmächtigen, selbstsüchtigen Ansichten und Meinungen willen, dann ist es eine Ausgeburt der Eitelkeit, des Hochmuths, der Selbstgefälligkeit, der Engherzigkeit, Beschränktheit und Lieblosigkeit! Zumal in einer Zeit, wo es gilt, daß Alle für einen Mann stehen in dem großen Kampfe gegen Unglauben und Sünde; da gegen einander zu Felde ziehen, da mit eigenen Händen das Haus Gottes niederreißen, da seine Stellung so ganz verkennen, daß man den heiligen Leib Christi trennen will; da die dringende Bitte des Apostel so ganz überhören: „Ich ermahne euch, lieben Brüder, durch den Namen unseres Herrn Jesu Christi, daß ihr allzumal einerlei Rede führet, und lasset nicht Spaltungen unter euch sein, sondern haltet fest aneinander in einem Sinne, und in einerlei Meinung“ (1. Cor. 1,10.); ja sogar duldsam sein gegen Gleichgültigkeit und Lauheit, aber unduldsam gegen eine etwa abweichende Glaubensform: ach, das heißt fleischlich gesinnet sein; denn fleischlich gesinnt sein ist eine Feindschaft wider Gott; geistlich gesinnt sein nur ist Leben und Friede. Christum trennen wollen, heißt, Ihn tödten! Die Kirche zerspalten, heißt, sie untergraben und zerstören! Die Glaubensgenossen verfolgen, heißt, den Herrn selbst an’s Kreuz schlagen. Leider ist des Apostels Wort nur zu wahr, daß Rotten sein müssen, auf daß die, so rechtschaffen sind, offenbar werden (1. Cor. 17,19.); aber derselbe Apostel nennt auch die Rotten Werke des Fleisches, und erklärt, daß, die Solches thun, das Reich Gottes nicht ererben werden. (Gal. 5,20.21.) Nur Unfriedfertigkeit kann Zerwürfnisse der Art erzeugen; Friedfertigkeit ist nachsichtig in Beziehung auf die Form und das Aeußere, weil sie immer nur auf die Hauptsache hält, immer am liebsten den untersten Weg geht, und nichts für sich will, sondern in Allem nur den Herrn sucht und Sein Reich. – Fraget ihr endlich: „Wird die Welt aber eine solche Friedfertigkeit nicht vielleicht Schwäche und Schlaffheit nennen, und wird man sich dadurch nicht am Ende Alle zu Feinden machen?“ Geliebte, der Mensch soll noch geboren werden, der es Allen recht machen kann; wenn wir nur in uns selbst ein gutes Bewußtsein tragen, wenn nur der Geist Gottes bei aller Verkennung und Verläumdung der Menschen uns ein anderes, besseres Zeugniß giebt: dann wird schon mit der Zeit die gute Absicht, die uns leitete, hervortreten, und im scheinbaren Unterliegen werden wir zuletzt doch siegen.

Wohlan denn, seid friedfertig. Selig sind die Friedfertigen! Sie müssen ja selig sein; denn Friede ist Seligkeit, und Seligkeit ist Friede. Sie müssen es sein; denn sie besitzen ja das Höchste, was die Engel Gottes in der Weihenacht den Menschen verkündigten, was die Apostel allen ihren Gemeinden wünschen: Gnade und Friede von Gott, dem Vater, und dem Herrn Jesu Christo, was Herzen und Sinne bewahrt zum ewigen und seligen Leben. Sie müssen es sein; denn ihr Herr ist ja der Friedensfürst, Sein Reich ein Friedensreich, und die Absicht Seines Erscheinens, Friede zu machen am Kreuze an Seinem Leibe durch sich selbst. (Col. 1,20. Eph. 2,14.)

II.

Unser Text fügt jedoch noch eine große, unendliche Verheißung hinzu: “Selig sind die Friedfertigen; denn sie werden Gottes Kinder heißen.“ Es ist wahr, Gottes Kinder werden wir durch den Glauben an Christum; Er hat uns mit dem Vater versöhnt und das Kindesverhältniß wieder hergestellt, welches durch die Sünde verloren gegangen war. Hätte nun der Herr in unserm Texte nichts weiter als die Wiederherstellung dieses Verhältnisses andeuten wollen, so würde die vierte und siebente Seligpreisung mit ihren Verheißungen zusammenfallen. Indeß, wie wir aus unsern bisherigen Betrachtungen schon haben bemerken müssen, haben die vier ersten Verheißungen zunächst und vorzüglich ihre Beziehung auf die Erde und deuten nur in weiter Ferne die vollständige Vollendung ihres Inhalts im Himmel an; die vier letzten Verheißungen hingegen beziehen sich vorzugsweise auf den Himmel, und nur theilweise auf die Erde. Wenn Jesus den Barmherzigen verhieß: sie würden Barmherzigkeit erlangen, so meinte Er damit offenbar die Barmherzigkeit vor Seinem Throne, die verschiedenen Stufen der Seligkeit. Wenn Er den reinen Herzen verhieß: sie würden Gott schauen, so hatte Er offenbar das Schauen Gottes von Angesicht zu Angesicht im Sinne. Wir müssen daher auch im Textwort unter der Verheißung: sie werden Gottes Kinder heißen, einen himmlischen Zustand uns begriffen denken.

Freilich im weitern Sinne des Worts können die Friedfertigen auch schon auf Erden Kinder Gottes genannt werden, insofern sie eben durch ihren friedfertigen Sinn ihrem Vater im Himmel ähnlich sind, der ja in der heiligen Schrift oft der Gott des Friedens genannt wird (Röm. 15,33. 16,20. 1. Cor. 3,11. 1. Thess. 5,23.), und ohne friedfertigen Sinn der Gläubige seine Kindschaft in Christo ganz gewiß verlieren würde. Wie Frieden stören wahrhaft satanische Gesinnung voraussetzt: so äußert sich der göttliche Sinn und die göttliche Natur, die uns im Glauben durchdringt, vorzugsweise im Friedenstiften und Friedenverbreiten. Aber im engsten Sinne des Worts bezieht sich die Textverheißung auf den Zustand der Friedfertigen im Himmel. Da erst werden sie uneingeschränkt Gottes Kinder heißen. Hier sind sie es nur in Schwachheit, dort in Herrlichkeit. Hier schaut der alte Mensch durch den neuen, der Knechtssinn durch den Kindessinn noch oft hindurch, - dort werden sie ganz Kinder Gottes sein. Sie haben ja Barmherzigkeit, unendliche Barmherzigkeit vor Ihm erlangt, die höchsten Stufen der Seligkeit: wie sollten sie Ihm nicht mit Fürbitte und Kindesdankbarkeit ergeben sein? Sie schauen ja Tag und Nacht Gottes Angesicht und dringen mit ihrer Erkenntniß immer mehr ein in die Tiefen des göttlichen Wesens: wie könnte dieses Eindringen in Gott ohne Eindruck auf sie bleiben? Hier unten schon gewinnen wir durch edle, fromme Freunde an Adel der Gesinnung und an Frömmigkeit des Herzens; sprichwörtlich sogar pflegen wir zu sagen: Nenne mir Deinen Freund, und ich will Dir sagen, wer Du bist, - wie sollte nicht jenseits der engste, verklärte Umgang mit Gott uns selbst verklären in Sein Bild von einer Klarheit zur andern als vom Herrn, der der Geist ist?

Was heißt das aber: Die Friedfertigen sollen Gottes Kinder heißen? Lasset uns hören, was die heilige Schrift an anderen Stellen darüber sagt. Paulus schreibt: „Welche Er zuvor versehen hat, die hat Er auch verordnet, daß sie gleich sein sollten dem Ebenbilde Seines Sohnes, auf daß derselbige der Erstgeborene sei unter vielen Brüdern; welche Er aber verordnet hat, die hat Er auch berufen; welche Er aber berufen hat, die hat Er auch gerecht gemacht; welche Er aber hat gerecht gemacht, die hat Er auch herrlich gemacht.“ (Röm. 8,29.30.) Also: gleich sein dem Ebenbilde des Sohnes Gottes; also: herrlich werden, wie Er herrlich ist, - das heißt, Kinder Gottes werden. An einer andern Stelle heißt es: „Wenn Christus, euer Leben, sich offenbaren wird, dann werdet ihr auch offenbar werden mit Ihm in der Herrlichkeit.“ (Col. 3,4.) Also: mit Christo offenbar werden in der Herrlichkeit, das heißt, Kinder Gottes werden. Johannes schreibt: „Meine Lieben, wir sind nun Gottes Kinder, und ist noch nicht erschienen, was wir sein werden; wir wissen aber, wenn es erscheinen wird, daß wir Ihm gleich sein werden; denn wir werden Ihn sehen, wie Er ist.“ (1. Joh. 3,2.) Also: Christum sehen, wie Er ist, und Ihm gleich sein, das heißt, Kinder Gottes werden. Ahnt ihr nun, Geliebte, die Größe und die Erhabenheit der Verheißung? Kinder Gottes sollen wir heißen! Auf Erden hießen wir schon so im Glauben an Christum, uneigentlich, bildlich, wir wurden um Seinetwillen an Kindesstatt angenommen. Dort werden wir buchstäblich, eigentlich so heißen und sein, was der Name aussagt, Kinder des Allerhöchsten; gleich unserem erstgeborenen Bruder Christo, der ja auch der Sohn Gottes hieß, und dessen Vorzüge sollen dann alle die unsrigen werden; Ihm gleich sein, nicht zwar in der Unendlichkeit Seiner Gottheit, aber gleich in Seiner Heiligkeit, Weisheit, Vollkommenheit, Seligkeit, Liebe und Herrlichkeit, gleich sogar in Seiner Wirksamkeit und Macht. Er herrscht: wir sollen mit Ihm herrschen. Er richtet: wir sollen mit Ihm die Welt und die gefallenen Engel richten. Er hat die Himmel, Er hat Alles: so soll denn auch der Himmel, so soll Alles unser sein. Wie? erlösete Sünder, gefallene Menschen, staunt ihr nicht über die Würde und die Vorrechte, die mit dem Namen der Kinder Gottes euch übergeben werden? Wann ist je einem Engel etwas Aehnliches gesagt worden? Sie sind nur dienstbare Geister; wir aber sollen Gottes Kinder werden, wie Jesus Christus es war. O was ist alle Herrlichkeit der Erde, was sind alle Kronen und Scepter, was ist der Besitz aller Königreiche und Fürstenthümer gegen die Glorie und Majestät, die in dem einzigen, unvergleichlichen Namen, in dem Namen aller Namen liegt: sie werden Gottes Kinder heißen! Im Himmel giebt es keinen Namen, der nicht zugleich That und Wesen wäre. Heißen wir dort Kinder Gottes und ist das der neue Name, der uns gegeben werden soll (Offenb. 2,17. Jes. 62,2; 65,15.): so werden wir es auch sein.

Ja, noch mehr! Heißen wir dort Kinder Gottes, so werden wir auch dafür anerkannt werden; denn nennen und anerkennen fällt ja ewiglich zusammen; anerkannt werden in unserer Herrlichkeit von den Bewohnern aller Himmel und aller Welten, von Engeln und Teufeln, von den Richtenden und von den Gerichteten, und es wird die Freude und die Wonne aller andern Geschöpfe sein, uns zu lieben, zu bedienen und zu verherrlichen für und für. Und was wollen wir weiter sagen, wenn wir in der heiligen Offenbarung lesen von der himmlischen Gottesstadt: „Es wird kein Verbanntes mehr sein, und der Stuhl Gottes und des Lammes wird darinnen sein, und Seine Knechte werden Ihm dienen und sehen Sein Angesicht, und Sein Name wird an ihren Stirnen sein.“ (Offenb. 22,3.4.)? O wer kann fassen den Reichthum der Herrlichkeit, der Gewalt, der Majestät, welche in allen diesen großartigen Worten angedeutet ist? Ihr fühlt es selbst, wir müssen verstummen. Das Herz ahnt Großes, aber die Sprache vermag es nicht auszusprechen; wir fühlen Unendliches, aber das Unendliche läßt sich nicht einzwängen in die endlichen Formen des Begriffs und des Denkens. Wir verstummen in Anbetung!

Die Friedfertigkeit ist an sich schon Seligkeit; aber noch seliger ist die Verheißung: „Sie werden Gottes Kinder heißen!“ Stiftet denn Frieden und haltet Frieden. Kämet ihr auch einmal bei solchem Gotteswerk zu kurz in dieser Welt: droben, wenn ihr Kinder Gottes geworden seid, werdet ihr nimmermehr zu kurz kommen; vielmehr für jeden Verlust der Erde hundertfältigen Gewinn im Himmel erndten. Werdet denn nicht müde, euch in dieser Welt als Gottes Nachfolger und Seine lieben Kinder zu erweisen und nachzujagen dem Frieden gegen Jedermann und der Heiligung, ohne welche Niemand wird den Herrn sehen: dort wird eure hier noch verhüllte Herrlichkeit leuchten und strahlen, der Herr wird euer Gott und ihr werdet Sein Volk sein immer und ewiglich. Schon sind sie geöffnet, die ewigen Hütten, in denen Christus uns eine Stätte bereitet hat, die Wohnungen des Friedens; sie winken uns, zu kommen und zu eilen; aber an ihren Pforten steht geschrieben: „Selig sind die Friedfertigen; denn sie werden Gottes Kinder heißen.“

Selig sind, die Friede machen
Und drauf seh’n ohn’ Unterlaß,
Daß man mög’ in allen Sachen
Fliehen Hader, Streit und Haß;
Die da stiften Fried’ und Ruh,
Rathen allerseits dazu,
Sich des Friedens selbst befleißen,
Werden Gottes Kinder heißen.

Amen.

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