Arndt, Johann Friedrich Wilhelm – 29. Predigt.

Arndt, Johann Friedrich Wilhelm – 29. Predigt.

Text: Matth. VII:, V. 13.14.

Gehet ein durch die enge Pforte. Denn die Pforte ist weit und der Weg ist breit, der zur Verdammniß abführet; und ihrer sind Viele, die darauf wandeln. Und die Pforte ist enge, und der Weg ist schmal, der zum Leben führet; und Wenige sind ihrer, die ihn finden.

Das wäre denn die dritte Abwehr geistlicher Erschlaffung, die sich offenbart im Verhältniß zu uns selbst oder im eigenen Glaubenskampfe. Sie kann auf dreifache Weise sich zeigen, entweder 1) als Mangel an Muth, daß man verzagt und kleinmüthig wird, oder 2) als Mangel an Wachsamkeit, daß man sicher wird, oder 3) als Mangel an Stetigkeit, daß man anfängt zu wanken und abzufallen. Gegen diese dreifache Erfahrung in der wichtigsten Lebensaufgabe des Christenthums ist der scharfe Pfeil gerichtet, den Jesus unerschöpflich im Texte in Bewegung setzt.

I.

Die erste Erschlaffung im Glaubenskampfe offenbart sich als Mangel an Muth: man wird verzagt und kleinmüthig. In den Tagen der ersten Liebe hat man freilich keine Ahnung, daß je eine Zeit kommen könnte, wo man nachließe im Bekenntniß Dessen, der uns selig gemacht hat, und im Wandeln auf der Bahn, auf der Er uns ist vorangegangen. Da ist man entschlossen, Alles für Ihn zu wagen und dranzusetzen; da giebt es kein Gut der Erde, das mit dem Gute aller Güter zu vergleichen wäre; da übernimmt man freiwillig alle Arten Leiden, auch die schwersten und anhaltendsten; man entbehrt, man verläugnet, man achtet Alles für Schaden, um nur Christum zu gewinnen. Aber glaubt nicht, daß dieser Heldenmuth der ersten Liebe immer sich gleich bliebe in seiner Kraft und Thätigkeit; es kommen Zeiten, wo die erste Liebe erlischt und mit ihr der kühne, entschlossene Heldenmuth im Glaubens- und Lebenskampfe. Man fängt wieder an, neben dem höchsten Gute auch die andern Güter lieb zu gewinnen, und siehe, da, ehe man es sich versieht, haben diese das erstere verdrängt. Man fängt an, seiner Lieblingssünde Etwas zu gute zu halten, hütet sich allerdings vor groben Sünden und Missethaten, aber läßt sich kleine Abweichungen wohl zu Schulden kommen; hütet sich wohl vor den unsittlichen Freuden der Welt, aber die sogenannten unschuldigen Vergnügungen hält man für unverfänglich. Das Gewissen schlägt wohl anfangs; aber man weiß durch tausend Entschuldigungen es zu beschwichtigen. Man meint, es sei ja nur eine Kleinigkeit, die man sich erlaube; einmal sei keinmal; für die weitern Folgen wolle man schon einstehen; so genau und ängstlich gesetzlich müsse man es nicht nehmen; die Forderungen der heiligen Schrift seien unmöglich alle buchstäblich aufzufassen und auszuführen, sonst müsse man aus der Welt hinausgehen. Kurz, ehe man es sich versieht, ist man ein Anderer geworden. So lange das Christenthum noch etwas Neues war und eine Gebetserhörung, eine Gnadenerfahrung der andern folgte, war man frisch und muthig; jetzt, wo der Herr die Seele einen stilleren, ruhigeren Gang führt, hört der Eifer und die Liebe auf, und jedes Opfer, das gebracht werden muß, wird schwer; der eigene Wille macht sich wieder geltend gegen den göttlichen, und untergräbt die Freudigkeit und Hingebung, die man sonst der Sache des Evangeliums bewiesen hat.

Gegen diese Erschlaffung im Glaubensmuthe erhebt nun aber der Sohn Gottes Seine Stimme, und ruft, daß es durch Mark und Bein dringt, im Texte: “Gehet ein durch die enge Pforte; denn die Pforte ist weit, die zur Verdammniß abführt, und die Pforte ist eng, die zum Leben führt.“ Es giebt nur eine Thür in’s Himmelreich, und die ist eng. Durch eine enge Pforte aber kann man nicht Alles mitnehmen, was man will; da muß man Vieles verläugnen und zurücklassen, oder man bleibt draußen stehen.

Eng ist die Pforte: da geht nicht hinein irgend ein Gemeines, und das da Gräuel thut und Lügen. (Offenb. 21,27.) Da kann keine Lieblingssünde mitgebracht werden: darum lege sie ab, greife sie an, bekämpfe sie; sonst wird sie dich bekämpfen und überwinden und des ewigen Lebens verlustig machen. Wie schwer es auch sei, gegen sich selbst zu kämpfen: es hilft nichts, der Kampf muß bis auf’s Blut durchgekämpft werden; denn nicht das halbe, das ganze Herz will der Heiland haben, und Er duldet keine Gemeinschaft der Gerechtigkeit mit der Ungerechtigkeit, noch des Lichts mit der Finsterniß. Wohlan, verzage nicht, kreuzige dein Fleisch sammt den Lüsten und Begierden, bis der Sieg in deiner Hand ist!

Eng ist die Pforte: da darf keine Spur von Weltliebe Eingang und Durchgang gewinnen; denn wer die Welt lieb hat, in dem ist nicht die Liebe des Vaters, und wer der Welt Freund sein will, der muß Gottes Feind sein; da heißt es: „Zerbrich, zerstöre und zermalme, was Dir nicht ewig wohlgefällt; ob mich die Welt an einem Halme, ob sie mich an der Kette hält, ist Alles gleich in Deinen Augen, da nur ein ganz befreiter Geist, der alles Andere Schaden heißt, und nur die lautere Liebe taugen.“ Wohl gehört Muth dazu, in und doch nicht mit der Welt zu leben, zu haben, als besäße man nicht, sich zu freuen, als freuete man sich nicht, zu weinen, als weinte man nicht, der Welt Güter zu brauchen, ohne sie zu mißbrauchen; Muth dazu, großer Muth, sein Herz zu verschließen gegen jede Freude, die durch ihre Beschaffenheit und ihr Uebermaß vom Herrn abbringen könnte: aber es hilft nichts, das Opfer muß gebracht werden, oder der Himmel schließt seine Thüre zu. Wohlan, verzage nicht, kämpfe den guten Kampf des Glaubens, ergreife das ewige Leben, und laß die eitle, trügerische Welt fahren, die mit allen ihren Gütern, Ehren und Freuden wohl unglücklich machen kann, aber noch nie einen Menschen glücklich gemacht hat.

Eng ist die Pforte: da geht auch keine Selbstgerechtigkeit, keine Zuversicht auf eigene Tugend und Vortrefflichkeit hindurch, überhaupt kein großes Gepäck guter Werke und Verdienste. Da gilt nur Ein Paß, mit dem man sich den Eingang erkauft, und der lautet: „Hier kommt ein armer Sünder her, der gern durch’s Lösegeld selig wär’.“ Wohl ist das schwer, nicht bloß für den unbußfertigen und natürlichen Menschen, sondern auch für den Gläubigen und Wiedergeborenen, aller eigenen Kraft, Tugend und Gerechtigkeit zu entsagen, in tiefer Demuth von nichts als seinen Sünden zu wissen, die Seligkeit allein von Gottes frier Gnade um des unendlichen Verdienstes Jesu Christi willen zu erwarten, und immer kleiner zu werden in seinen Augen, immer demüthiger, immer mehr Nichts; und es gehört Muth dazu, den angeborenen Stolz zu beherrschen, der gern noch eine Rolle spielen will in der Welt. Aber es hilft nichts. Jede Spur des alten Menschen muß sterben, sonst kann der neue nicht geboren werden. Darum verzage nicht, wage den großen Kampf auf Leben und Tod, stirb dir selbst gänzlich ab, damit Christus in dir leben könne. Wie schaurig, an der Himmelspforte zu stehen, dicht am Eingange, und doch nicht eingelassen zu werden! Wie schaurig, Etwas gethan zu haben, und doch nicht Alles; angefangen, und doch nicht vollendet zu haben; auf dem Wege gewesen zu sein, und das Ziel nicht erreicht zu haben!

Indeß, Geliebte, wie eng auch die Pforte sei: es ist nicht unmöglich, durchzukommen. Nehmen wir nur nichts Eigenes, Weltliches und Sündhaftes mit, so ist sie weit und bequem genug. Tausende sind ja hindurch gekommen, und haben es nie bereut, eine kleine Zeit entbehrt und gekämpft zu haben. Für jeden zeitlichen Verlust haben sie ewigen Gewinn, für jede kleine Entbehrung großen Ersatz, für jeden Todeskampf Lebenssieg davon getragen; der Tausch war so herrlich und der Lohn der Treue so groß, daß die Krone des ewigen Lebens, die nun auf ihrem Haupte glänzt, daß die Palme des ewigen Friedens, die nun in ihren Händen blüht, daß die weißen Kleider des Heils, die nun ihre verklärte Seele schmücken in ewigem Himmelsglanz, wohl eines solches Kampfes werth gewesen sind. Schande denn über Jeden, der im Muthe erlahmt, wo solche Wolken von Glaubenszeugen uns umgeben, und durch achtzehn Jahrhunderte der Apostel ruft. „Darum auch wir, dieweil wir einen solchen Haufen Zeugen um uns haben, laßt uns ablegen die Sünde, so uns immer anklebt und träge macht, und lasset uns laufen durch Geduld in dem Kampf, der uns verordnet ist.“ (Hebr. 12,1.)

II.

Eine andere Erschlaffung im Glaubenskampfe offenbart sich als Mangel an Wachsamkeit: man wird sicher und lau. In den Tagen der ersten Liebe hat man freilich auch davon keine Ahnung, man ist so voll von der Gnade, die man erfahren hat, daß man nicht aufhören kann, zu loben und zu danken; die Gebetslust ist so brünstig, daß kaum eine Stunde am Tage vergeht, in der nicht glühende Gebete und Seufzer gen Himmel steigen; man denkt an nichts Anderes, man redet von nichts Anderem, man will nichts Anderes, als je länger je mehr Christi theilhaftig werden; kurz, man lebt in einer andern Welt. Dieser Zustand aber bleibt nicht, und kann nicht bleiben. Auf den Ueberschwang der Gefühle folgt ein Stillstand derselben, nach der Ueberspannung Abspannung und ein Sinken der Lebenskraft, das seine eigenen Gefahren herbeizieht. Man fängt an, allmälig die Hände in den Schoß zu legen; man ist mit den bloßen Anfängen zufrieden, und getröstet sich seines Glaubens an den Herrn, als ob damit nun Alles geschehen und das ganze Christenthum abgemacht wäre. Dahin ist der Eifer in der Heiligung; dahin die Gluth der Andacht und die Sehnsucht nach dem Worte Gottes und dem Gebrauche der Sacramente; dahin das brennende Verlangen, Herzen zu gewinnen für das Reich Gottes; man ist sicher und lau geworden, und meint, es könne nun gar nicht mehr fehlen.

Gegen diese Erlahmung in der täglichen Wachsamkeit, gegen diesen Mangel an geistlicher Nüchternheit erhebt nun der Sohn Gottes Seine gewaltige Stimme und ruft aufweckend und erschütternd: “Der Weg ist schmal, der zum Leben führt, und der Weg ist breit, der zur Verdammniß führt!“ Der Weg ist schmal! Rechts und links sind hohe Felsen und steile Abgründe, und es gilt, jeden Schritt zu berechnen, jeden Augenblick auf der Huth zu sein, um nicht in Untiefen zu fallen und zerschmettert zu werden. Wißt ihr, was das für Abgründe sind, die uns herabzuziehen drohen? Es sind die Versuchungen der Außenwelt, seien es ihre Reize und Lockungen, seien es ihre Drohungen und Verfolgungen; es sind die äußeren Sorgen oder Genüsse des Lebens; es sind böse Gesellschaften, böse Gespräche, böse Sitten, die ihre Netze nach uns ausspannen; es sind böse Beispiele, von denen gegeben, auf deren Worte und Thaten wir vielen Werth legen, und deren Einfluß auf unser Gemüth allentscheidend ist. O welche Abgründe! Wie Viele sind da versunken und nie wieder zu Tage gekommen! Wie Viele haben nicht glauben mögen, daß die Tiefe der Weltversuchungen wie ein Höllenspalt ihren Weg begrenzte; sie sanken hinunter, und ihr letztes, spätes Angstgeschrei konnte sie nicht mehr retten!

Der Weg ist schmal! Er führt durch wüste und gebirgige Gegenden, durch Sümpfe und dunkele Thäler; er ist uneben und gefahrvoll; Steine liegen im Wege, über die man fallen, Dornen blühen am Rande, durch die man verwundet, Schlangen lauern im Grase, durch die man vergiftet und getödtet werden kann. Wißt ihr, was das für Steine, Dornen und Schlangen auf dem Wege sind? Ach, es sind die Versuchungen in unserm eigenen Herzen; es sind die bösen Gedanken, die plötzlich in unserer Seele aufsteigen; es sind die dunkeln Vorstellungen, die unsere Einbildungskraft berauschen; es sind die geheimen sündlichen Wünsche, die allerlei sträfliche Begierden erregen; es sind die Vorurtheile, unter denen wir geboren und erzogen worden sind und die wir nicht wieder los werden können; es ist, ach! unsere schwache Seite, die wir ja Alle haben, und die besondere Gemüthsstimmung, in welcher wir uns gerade gegenwärtig befinden. Wie viel Noth hat schon dem Christen sein Temperament gemacht! Hatte er ein leichtes: welch eine Veranlassung zum Leichtsinn, zur ausgelassenen Fröhlichkeit, Sorglosigkeit und Wollust! Hatte er ein heftiges: welch eine Verführung zum Zweifel, zum Unglauben, zu übereilten Urtheilen, zu Stolz, Ehrgeiz, Zorn, Rache und Verachtung Anderer! Hatte er ein düsteres und schweres: welch ein Reiz zum Mißtrauen, zur Furcht, zum Aberglauben, zu Geiz, Neid, Argwohn, Murren gegen Gottes allweise und allliebende Vorsetzung, und zu ängstlichen Sorgen für die Zukunft! Hatte er ein träges und schläfriges: welcher Anlaß zur Gleichgültigkeit, zur Trägheit, Bequemlichkeit, Unthätigkeit und weichlichen Lebensart! O welche Steine, Dornen und Schlangen! Wie Viele sind über die Steine gefallen und von den Dornen und Schlangen verwundet worden! Wie Viele haben sich bei ihren Grundsätzen ganz sicher gedünkt, haben gescherzt mit der drohenden Gefahr, und sind im eitlen Selbstvertrauen unbewußt dem Grabe ihres Friedens, ihrer Seelenruhe und Seelenreinheit entgegengetaumelt!

Der Weg ist schmal! Er ist im höchsten Grade unbequem und lästig; die Gegenden, durch die er führt, sind öde und unfruchtbar; das auf demselben herrschende Wetter ist unfreundlich und rauh; heißer Sonnenbrand, furchtbare Stürme, anhaltende Gewitterregen, hemmen jegliches Fortkommen; Stunden lang sind erforderlich, um die kleinste Strecke zurückzulegen, und das Ende des Weges ist gar nicht abzusehen; niemals hat Jemand eine Zeichnung oder ein Karte entwerfen, auf der der Weg genau nach Beschaffenheit und Länge dargestellt worden wäre. Wißt ihr, was das für unfreundliche Wetter und Hemmungen sind? Ach, es ist die äußere Beschaffenheit des irdischen Lebens überhaupt! Was ist es anders, als ein Wandeln in Dunkelheit und steter Finsterniß? wer weiß irgend Bescheid in seinem Leben? wer kann sagen, woher und wohin? wer kennt seine Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft? wer mag angeben, welche Mühen er noch zu bestehen, wie lange er noch zu kämpfen hat, und wann und wie und wo er einmal vollenden wird? Es ist ein eitel, elend, jämmerlich Ding um aller Menschen Leben, sagt Sirach, vom Mutterleibe an, bis sie wieder zur Erde werden, die unser Aller Mutter ist; da ist nichts als Sorge, Furcht, Hoffnung, und zuletzt der Tod. Und wer kann sich rühmen, daß es in seinem innern Leben wenigstens besser steht? daß da wenigstens immer Licht, Trost, Friede, Seligkeit sei? Wer darf sich dünken lassen, er stehe, er habe es ergriffen und sei vollkommen geworden? Niemand! Dunkel und Ungewißheit überall bei allem Lichte und aller Gewißheit! Wie Viele sind da lässig geworden, haben sich gewöhnt an das Neue und Ungewöhnliche, und weil sie nicht Alles thun konnten, zuletzt nichts mehr gethan! Wahrlich, der Mangel an Wachsamkeit ist groß in der Christenheit, und Hunderte wären nie zu Falle gekommen, wenn sie nicht lau und sicher geworden wären.

O darum vergiß es nie: es ist ein schmaler Weg, auf dem du wandelst! Merke auf deine Schritte, trage deine unsterbliche Seele in den Händen, schaffe mit Furcht und Zittern, daß du selig werdest, und hüte dich ja, dein Christenthum dir zu leicht zu machen. „Es kostet viel, ein Christ zu sein, und nach des reinen Geistes Sinn zu leben; denn der Natur geht es gar sauer ein, sich immerdar in Christi Tod zu geben; und ist hier gleich ein Kampf wohl ausgericht’t, das macht’s noch nicht. Man muß hier stets auf Schlangen geh’n, die leicht ihr Gift in unsere Fersen bringen; da kostet’s Müh’, auf seiner Huth zu steh’n, daß nicht das Gift kann in die Seele dringen. Wenn man’s versucht, so spürt man mit der Zeit die Wichtigkeit. Doch ist es wohl der Mühe werth, wenn man mit Ernst die Herrlichkeit erwäget, die ewiglich ein solcher Mensch erfährt, der sich hier stets auf’s Himmlische geleget. Es kostet Müh’; die Gnade aber schafft uns Muth und Kraft.“ Ja, wer nur die Lenden seines Gemüths umgürtet und nüchtern ist und seine Hoffnung setzt ganz auf die Gnade, die ihm angeboten wird durch die Offenbarung Jesu Christi (1. Petr. 1,13.): der wird auch von dem schmalen Wegen weder zur Rechten noch zur Linken abkommen, und es erfahren, daß an der Hand des Heilandes es sich auf diesem Wege ebenso sicher und gut geht, wie auf dem breiten Wege, den die Welt wandelt, und daß es trotz seiner Mühen und Gefahren doch immer ein seliger Weg ist, ein Weg, auf welchem uns der Heiland ist vorangegangen, auf dem Er uns Bahn gebrochen hat, und auf welchem wir uns nicht führen, sondern, - o wie selig! – von Ihm geführt werden zum seligsten und strahlendsten Ziele! Hört ihr denn nicht, wie Er ruft und einladet. „Wer mein Jünger sein will, der verläugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich, und folge mir nach“? Hört ihr denn nicht, wie Sein Apostel uns weckt und lebendig macht: „Laßt uns aufsehen auf Jesum, den Anfänger und Vollender unseres Glaubens, welcher, ob Er wohl hätte mögen Freude haben, erduldete Er das Kreuz und achtete der Schande nicht, und ist gesessen zur Rechten auf dem Stuhl Gottes“? Hört ihr denn nicht, wie das schöne Lied, von Tausenden schon gesungen und erfahren, an euer Herz spricht: „Mir nach, spricht Christus, unser Held, mir nach, ihr Christen Alle, verläugnet euch, besiegt die Welt, folgt meinem Ruf und Schalle, nehmt auf euch Kreuz und Ungemach, und folget meinem Wandel nach“? Und drängt es euch nun nicht, Ihm durch Wasser und Feuer, durch Noth und Tod zu folgen, und, wie Er euch auch führe, Ihm immer zu antworten: „So laßt uns denn dem lieben Herrn mit Leib und Seel’ nachgehen, und wohlgemuth, getrost und gern, bei Ihm im Leiden stehen; denn wer nicht kämpft, trägt auch die Kron’ des ewigen Lebens nicht davon.“?

III.

Endlich giebt es noch eine dritte Erschlaffung im Glaubenskampfe. Die ist nicht sowohl Mangel an Muth und Wachsamkeit, als Mangel an Stetigkeit und Treue. In den ersten Tagen der Liebe hätte man das freilich für schlechthin unmöglich gehalten. Da rief man aus mit Petrus: „Herr, wohin sollen wir gehen? Du hast Worte des ewigen Lebens, und wir haben geglaubt und erkannt, daß Du bist Christus, der Sohn des lebendigen Gottes.“ (Joh. 6,68.69.) Da jubelte man mit Assaph: „Wenn ich nur Dich habe, so frage ich nichts nach Himmel und Erde, und wenn mir gleich Leib und Seele verschmachtet, so bist Du doch allezeit meines Herzens Trost und mein Theil.“ (Ps. 73,23.24.) Da sang man mit David: „Herzlich lieb habe ich Dich, Herr, meine Stärke; Herr, mein Fels, meine Burg, mein Erretter, mein Gott, mein Hort, auf den ich traue, mein Schild und Horn meines Heils, und mein Schutz.“ (Ps. 18,1-3.) Da hätte man mit Freuden Gut und Blut, Leib und Leben für Ihn gelassen, und wäre fröhlich gewesen, wenn man wäre gewürdigt worden, um Jesu Namens willen Schmach zu leiden; wäre gar selig gewesen, wenn man mit seinem Blute sein Bekenntniß zu Christo hätte besiegeln können. Aber diese Zeiten sind vorüber. Das Herz ist ruhiger und gleichgültiger geworden gegen seine himmlischen Beziehungen. Man weiß nicht mehr recht, ob man noch bei Christo aushalten soll oder nicht. „Bin ich auf dem rechten Wege, oder werde ich getäuscht?“ fragt man sich in der Stille. „So lange habe ich gekämpft und gewacht; aber ich bin noch um kein Haar breit besser geworden, bin immer noch derselbe Sünder, wie damals, da mich der Herr in meinem Blute liegen sah, und zu mir sprach: du sollst leben! Es ist nicht wahr, ich lebe nicht, ich glaube zu leben, ich träume vom Leben, aber ich lebe nicht; sonst müßte ich ja ein ganz anderer Mensch sein, als ich bin. Und wo sind meine Gebete geblieben? warum sind sie nicht erhört worden? warum kann ich nicht mehr so feurig beten, wie sonst? Und warum geht das Reich Gottes denselben Schneckengang bei meinen Brüdern? warum kommt es nicht in die Welt? Es wird so viel gebetet, geopfert, gepredigt, geschrieben, geeifert; aber es kommt nicht, und will nicht kommen! Ist am Ende nicht mein ganzes Christenthum Schwärmerei und Aberglaube? bin ich zuletzt nicht der Betrogene bei aller Selbstquälerei? Warum mache ich mir also das Leben so schwer? warum genieße ich nicht die Welt, wie die meisten Menschen, da mich doch Gott einmal in die Welt gesetzt hat, daß ich sie genieße? Läßt sich’s denken, daß alle jene Millionen sollten verloren gehen, die nicht mit Christo allein, sondern auch in und mit der Welt leben? könnte das je Gottes allerbarmende Liebe zulassen?“ Genug, genug! Das sind Anfechtungen des Teufels, die darauf ausgehen, uns wankend zu machen im Glauben und zur Untreue, ja zum Rückfall zu verleiten. Wehe, wer ihnen Raum giebt in seinem Innern!

Jesus Christus ruft so laut und durchdringend, wie Er nur rufen kann, gegen diesen Wankelmuth, gegen diese Unbeständigkeit, gegen diesen Anfall von Verzweiflung am Siege der ewigen Wahrheit, gegen die höchste Höhe der Versuchung: „Gehet durch die enge Pforte, denn die Pforte ist weit und der Weg ist breit, der zur Verdammniß abführt, und ihrer sind viele, die darauf wandeln. Und die Pforte ist eng und der Weg ist schmal, der zum Leben führet, und Wenige sind ihrer, die ihn finden.“ Um Gotteswillen, sehet nicht auf den großen Haufen! Der große Haufe ist viel zu leichtfertig, als daß er suchen und fragen sollte, wie er selig werde; er läßt Gott gern Seinen Himmel, wenn Er ihm nur seine Erde läßt und was auf der Erde sein Herz wünscht. Der große Haufe mag nichts wissen von Selbstverläugnung und täglicher Buße, von wachsender Demuth, vom Glauben an den Heiland, von Kreuzigung des alten Menschen; er leert lieber Tag für den Becher seiner Lust und vollbringt die Werke des Fleisches, bis ihm endlich unter Angst und Noth das Herz bricht. Vom großen Haufen gilt der Spruch: „Des Lasters Bahn ist anfangs zwar ein breiter Weg durch Auen; allein sein Fortgang bringt Gefahr, sein Ende Nacht und Grauen!“ und noch viel Mehrere würden dies entsetzliche Loos theilen, wenn nicht Gott in Seiner Gnade die meisten Menschen als Kinder und in den Jahren von der Welt riefe, wo sie noch nicht mit Bewußtsein sündigen können. Haltet es mit den Wenigen und bleibet auf dem schmalen Wege. Fehlt’s euch da auch wohl an munterer und lustiger Gesellschaft: verlassen seid ihr darum nicht, der Herr mit Seinen Engeln ist bei euch, eine reiche Vergangenheit voll treuer und muthiger Ueberwinder liegt hinter euch, und mit euch wandeln noch immer Tausende genug, die lieber alle Schmach und Noth der Erde tragen, als die Eine, kostbare Perle verlieren wollen. Haltet es mit den wenigen; je weniger mit euch gehen, desto gemüthlicheres Zusammenleben, desto engeres Anschließen, desto genaueres Kennenlernen, desto treueres gegenseitiges Aufmuntern und Beten für einander. Haltet es mit den Wenigen, und laßt euch nicht irre machen durch den Gedanken, daß ihr gegen den großen Haufen der Weltkinder so Wenige sind: die Wahrheit ist in jedem Jahrhundert nie Eigenthum der Menge, sondern immer nur Weniger gewesen. Mit jedem Tage kürzt sich ja der Weg ab; mit jedem Tage kommt ihr dem Ziele näher.

Und welchem Ziele! Der Herr sagt: „Der Weg ist schmal, der zum Leben führt.“ Leben bezeichnet in der heiligen Schrift immer den Inbegriff der höchsten Seligkeit. Und ist es nicht schon hienieden Seligkeit, an den Sohn Gottes zu glauben, Ihn zu lieben, zu Ihm zu beten, mit Ihm stündlich zu verkehren; nicht Seligkeit, sagen können: „Ist Gott für uns, wer will wider uns sein? welcher auch Seines eigenen Sohnes nicht hat verschonet, sondern hat Ihn für uns Alle dahingegeben, wie sollte Er uns mit Ihm nicht Alles schenken?“ Wie selig wird aber erst jenseits das Leben in seinem Vollgenuß sein! Die heilige Schrift nennt, um uns einen schwachen Begriff davon zu geben, als Eigenschaften jenes Lebens das Beste, was auf Erden das Streben und die Freude der Menschen ausmacht. Sie redet von den höchsten Ehrenzeichen, von Kronen, Sceptern, Thronen und festlichen Kleidern; sie sagt: wir werden einst mit Christo herrschen, geschmückt sein mit der Krone der Gerechtigkeit, angethan mit weißen Kleidern, und Palmen in den Händen tragen. Sie nennt den Ort, wo die Pilger Gottes am Ziele ihrer Laufbahn wohnen sollen, den Himmel, das Paradies, des Vaters Haus, das himmlische Jerusalem, vor welchem alle irdische Pracht und Herrlichkeit erbleicht. Sie redet von dem köstlichen Mahle an der Tafel Jesu Christi, von dem höchsten Jubelgesang und der herrlichsten Musik, die dann ertönt zur Ehre des Allmächtigen und des für uns erwürgten Lammes. Sie redet von einer Herrlichkeit, die hienieden kein Auge gesehen, kein Ohr gehört hat, und die in keines Menschen Herz gekommen ist, die aber Gott bereitet hat denen, die Ihn lieben; von dem Anschauen Jesu Christi und dem Ihm Gleichwerden in Seiner Herrlichkeit. Wer kann ausdenken und ausmalen, was in diesen großartigen Bildern enthalten ist? und wer ist würdig, alle jene Herrlichkeit zu besitzen und genießen? Hinweg denn, eitle Welt mit deiner breiten Sündenbahn, mit deiner weiten, reichgezierten Pforte, mit den Schaaren deiner Lustwandler: wir mögen dich nicht mehr, wir verachten dich, nachdem uns Gott solche Aussichten eröffnet hat! Hinweg mit Allem, was uns aufhält und beschwert und den Gang durch die enge Pforte und auf dem schmalen Wege uns sauer macht!

Herr, Du weißt am besten, was es ist: o nimm es hinweg! Sind es die Güter der Erde: Herr, nimm sie uns! Sind es die Freuden des Lebens: Herr, nimm sie uns! Sind es die Menschen um uns her: Herr, ob auch das Herz blute und das Auge weine, nimm sie uns! Wenn Du nur unser bist, Du unsere Wonne und unser Leben, Du Jesus, unser Jesus: dann sind wir doch selig und tauschen mit allen Glücklichen und Frohen der Erde nicht.

Auf, auf, mein Geist, ermüde nicht,
Der Macht der Finsterniß dich zu entreißen!
Was sorgest du, daß dir’s an Kraft gebricht?
Bedenke, was für Kraft uns Gott verheißen!
Wie gut wird sich’s doch nach der Arbeit ruh’n!
Wie wohl wird’s thun! Amen.

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