Arndt, Johann Friedrich Wilhelm – 13. Predigt

Arndt, Johann Friedrich Wilhelm – 13. Predigt

Text: Matth. V., V. 27-30.

Ihr habt gehört, daß zu den Alten gesagt ist: Du sollst nicht ehebrechen! Ich aber sage euch: Wer ein Weib ansiehet, ihrer zu begehren, der hat schon mit ihr die Ehe gebrochen in seinem Herzen. Aergert dich aber dein rechtes Auge, so reiß es aus und wirf es von dir. Es ist besser, daß eins deiner Glieder verderbe, und nicht der ganze Leib in die Hölle geworfen werde. Aergert dich deine rechte Hand, so haue sie ab, und wirf sie von dir. Es ist dir besser, daß eins deiner Glieder verderbe, und nicht der ganze Leib in die Hölle geworfen werde.

Gewiß, Andächtige, ihr fühlt es mit mir, je weiter wir in der Erklärung der Bergpredigt vorrücken, desto schwerer wird nicht nur die Erklärung, desto ernster und erschütternder fallen auch die erklärten Worte uns auf’s Herz. Der Herr hebt unter den sechs einzelnen Fällen, die Er zur Erläuterung Seines Grundgedankens: daß Er nicht gekommen sei, das Gesetz oder die Propheten aufzulösen, sondern zu erfüllen, anführt, gerade diejenigen heraus, an welchen der Mißbrauch im gewöhnlichen Leben am schreiendsten sich darstellt und der faule Fleck der menschlichen Natur am anschaulichsten hervortritt; Er greift die Menschen an der empfindlichsten Seite an, um den Widerspruch ihrer Handlungsweise mit dem Gesetze und dem göttlichen Willen recht bestimmt darzuthun und dem gegenüber das Benehmen Seiner wahren Jünger in’s hellste Licht zu setzen. Namentlich berührt Er heute einen Punkt, von dem die verzärtelten Ohren unserer Tage nicht gerne hören mögen. Man schämt sich nicht, Leidenschaften zu fröhnen und Böses zu thun; aber den Namen derselben will man nicht hören, angeblich aus Schamhaftigkeit. Man fürchtet die Sünde nicht, - ach, sie wird ja alle Tage begangen! – wohl aber die Entlarvung der Sünde, als solcher, in ihrer ganzen Häßlichkeit und Abscheulichkeit. Man ist innerlich nicht mehr rein und keusch genug, als daß man ohne häßliche Nebengedanken von einem Verhältniß reden hören könnte, das für den Reinen immer rein, aber für den Unreinen immer unrein bleibt. Wehe dem Prediger, der in solchen Dingen nachgeben wollte dem Geiste und Geschmack seiner Zeit! er ist auf dem Wege, das ganze Christenthum dem Zeitgeiste aufzuopfern, wenn derselbe es verlangt. Die Bibel zärtelt nicht, die Apostel zärteln nicht, Jesus Christus, der Sohn Gottes, der Reinste unter allen Reinen, zärtelt nicht, - sie Alle nennen frei und offen jede Sache mit ihrem Namen, und wollen es lieber mit Menschen, als mit Gott verderben, um nur nicht mit Schweigen oder Bemänteln sich zu versündigen. So können denn auch wir, was der Sohn Gottes auf Seine heiligen Lippen nehmen; nicht wir haben Ihn zu vertreten, Er hat uns zu vertreten, und Er vertritt uns. Höre denn, Gemeinde des Herrn, nicht eines Menschen, höre deines Heilandes, deines ewigen Richters Wort! Er spricht: Ihr habt gehört, daß zu den Alten gesagt ist: Du sollst nicht ehebrechen! Ich aber sage euch: Wer ein Weib ansiehet, ihrer zu begehren, der hat schon mit ihr die Ehe gebrochen in seinem Herzen. Das Wort Jesu Christi über die Heilighaltung der ehelichen Verhältnisse sei heute der Stoff, um den unsere Betrachtungen sich sammeln. Es geht uns Alle an, die Alten und die Jungen, die Ehelichen und die Ehelosen, und Seine Forderung lautet in der Beziehung 1) sehr streng, 2) unerläßlich, 3) heilig verpflichtend. Beschaffenheit, Grund, Folge Seiner Ermahnung sind großartig und entscheidend.

I.

Ihr habt gehört in euren Schulen von euren Schriftgelehrten, und laßt es bei ihren Erklärungen bewenden, ohne weiter über die Richtigkeit oder Unrichtigkeit derselben nachzudenken, daß zu den Alten gesagt: Du sollst nicht ehebrechen! Die jüdischen Gelehrten erklärten nämlich dies Gebot nur von der wirklichen That des Ehebruchs, gerade wie sie das fünfte Gebot: Du sollst nicht tödten! nur vom wirklichen Morde gedeutet hatten. Wie nahe es auch lag, durch das spätere zehnte Gebot: “Laß dich nicht gelüsten deines Nächsten Weibes!” noch an eine andere feinere Uebertretung desselben durch die lüsternen Begierden des Herzens zu denken, - sie blieben bei der groben buchstäblichen Auffassung stehen, und meinten daher, daß unkeusche Gedanken und Einbildungen, ehebrecherische Lüste und Begierden, ihnen an ihrer Heiligkeit nichts schaden könnten, wenn sie nur sonst gute Werke thäten, opferten und beteten. Dem gegenüber tritt nun der Sohn Gottes auf und spricht: Ich aber sage euch: Wer ein Weib ansieht, d.h. nicht zufällig sie bloß anschaut, sondern geflissentlich den Blick auf sie richtet, in unreiner falscher Liebe, ihrer zu begehren, mit einer wollüstigen Begierde, die er, statt sie zu unterdrücken und zu verabscheuen, im Geheimen nährt und billigt: der hat die Ehe gebrochen in seinem Herzen, hat sein Herz schon mit Ehebruch verunreinigt und des Herrn Gebot übertreten, ebenso sehr, wie der wirkliche Ehebrecher durch seine unreine That, denn das eigentliche Thun fängt schon vor dem Werke an, im Worte, im Blicke, ja im Herzen. Die Erklärung Jesu Christi lautet wieder ganz allgemein, wie das letzte Mal; aber es versteht sich von selbst die nähere Beschränkung, daß Jesus unter dem Weibe nur eine wirklich verheirathete Ehefrau im Sinne hat, da die Zuneigung des Jünglings zur Jungfrau, oder des ledigen Mannes zur ledigen Frau, ein in göttlicher Ordnung begründetes und daher untadelhaftes Verhältniß bildet. Immer aber müssen wir ausrufen: Welch eine strenge, unmißverstehbare Erklärung! Die leiseste Regung der Wollust ist schon ein Bruch des Gesetzes der ehelichen Keuschheit! Der bloße unreine Blick zerreißt schon den vor Gott mit dem Versprechen ewiger Treue geschlossenen Ehebund! er ist eine Befleckung der Seele, und darum schon eine That, eine That vor Gottes Augen, eine That vor dem göttlichen Gesetze, - er ist Ehebruch! Und was heißt das: Ehebruch? Im Alten Testamente gebietet Gott der Herr von demselben: “Wer die Ehe bricht mit Jemandes Weibe, der soll des Todes sterben, Beide, Ehebrecher und Ehebrecherin; darum, daß er mit seines Nächsten Weibe die Ehe gebrochen hat” (3. Mose 20,10.); und im Neuen Testamente lautet das göttliche Wort: “Laßt euch nicht verführen; weder die Abgöttischen, noch die Ehebrecher, noch die Trunkenbolde, werden das Reich Gottes ererben. Hurer und Ehebrecher wird Gott richten!” (1. Cor. 6,9. Hebr. 13,4.) Furchtbares, niederschmetterndes Wort! So streng kann kein Moralist gebieten, so vernichtend hat nie ein Gesetzgeber gesprochen, als der Sohn Gottes in der Bergpredigt urtheilt, und als das Evangelium jede Sünde verabscheut, richtet und ausscheidet.

Wenn Jesus aber schon die lüsternen Blick Ehebruch nennt: wie wird Er dann erst strafen müssen jede frechere und empörendere Entweihung dieses heiligen Standes, wie sie unter uns jetzt im Schwange geht, - jede Schamlosigkeit in Geberden, Stellungen, Kleidungen, Worten und Redensarten! und wie wird Er dann den Stab brechen müssen über den beispiellosen Leichtsinn, mit welchem heut zu Tage die Ehe betrachtet, geschlossen und geführt wird!

Da hört man heut zu Tage die Menschen sagen: Die Ehe ist keinesweges ein von Gott eingesetzter heiliger und unauflöslicher Stand, der alle Zeit mit Ehrbarkeit und Treue zu führen ist; sie ist nur ein gegenseitiger Vertrag zwischen Mann und Weib, der so lange gilt, als Beide ihn wollen gelten lassen; wenn sie sich gegenseitig überdrüssig geworden sind, wenn sie das Geld durchgebracht, wenn die Jugend und Schönheit verschwunden ist, wenn fremde, frischere Reize mehr anziehen, dann wird der Vertrag aufgehoben. Fluchwürdige Ansicht! Sie ist Ehebruch. Die Ehe ist so wenig ein Vertrag zwischen Mann und Weib, als das Verhältniß zwischen Obrigkeiten und Unterthanen ein Vertrag ist. Da hört man Andere sagen: Die Ehe ist keinesweges eine Verbindung von Gottes wegen und um Gottes willen, sie ist nur eine menschliche Verbindung der Herzen in der Liebe; wenn diese Liebe erkaltet, erlischt, stirbt, wenn sie in Gleichgültigkeit und Abneigung übergeht, und der Eine dem Andern zur Qual wird, dann hat die Verbindung ihr Ziel und ihr Ende erreicht. Fluchwürdige Ansicht! Auch sie ist Ehebruch und führt zu Ehebruch; denn bloß menschliche Liebe ist, wie alles Menschliche, vergänglich und flüchtig, und trägt den Keim ihres Todes schon in ihrer Geburt. Da hört man wieder Andere sagen: Die Ehe ist keine Vereinigung für himmlische Zwecke, sondern nur eine Verbindung zu gegenseitiger irdischer Aushülfe, zur Erleichterung der Arbeit, zur Förderung des Auskommens, zur Abwartung des Hauswesens, zur Pflege der Kinder. Fluchwürdige Ansicht! Auch sie ist Ehebruch, sie muß dahin führen, wenn die erwartete Hülfe ausbleibt, oder Krankheit und Unfähigkeit sie hindert und stört. Da hört man endlich Andere, grundlos verwüstet, die Lehre von der Wiederherstellung des Fleisches vortragen, und die Ehe für eine Wahlverwandtschaft erklären, die dem Wechsel von vorn herein unterworfen sei. Fluchwürdige Ansicht! Sie ist durch und durch Ehebruch, und ewige Schmach und Schande über Jeden, der diese Ansicht je aufgestellt und behauptet hat!

Wenn der Herr den unzüchtigen Blick schon Ehebruch nennt: wie wird erst Sein heiliges Auge zürnen müssen über den Leichtsinn, mit welchem heut zu Tage die Ehe so oft unter uns geschlossen wird! Wir meinen nicht damit diejenigen Bündnisse, welche geschlossen werden, bald aus Habsucht, weil man nur nach dem Gelde und Gute des Andern strebt, nicht nach seiner Person; bald aus bloßem Gefallen an äußern Vorzügen des Leibes oder des Geistes, Schönheit, Klugheit, seiner Bildung: Vorzüge, die doch, wie alle irdischen, so sehr dem Wechsel unterworfen sind; bald aus Gedankenlosigkeit, nur den ersten sinnlichen Eindrücken und Regungen folgend, ohne nähere Bekanntschaft und wahre Herzenszuneigung; bald gegen den Willen der Eltern, ohne ihren Segen und ihre Fürbitte; und wo der Leichtsinn mit dem Leichtsinn, der Unglaube mit dem Unglauben, die Sünde mit der Sünde sich zu gatten sucht und mit bösem Gewissen vor den Altar hintritt, um das entscheidende Jawort auszusprechen; denn dergleichen unheilvolle Bündnisse haben zu allen Zeiten stattgefunden. Nein, wir meinen die neue, verderblichere Art, in den heiligen Ehestand zu treten, die heut zu Tage immer mehr Sitte wird; wir meinen die sinnliche Liebe, die durch das Lesen schlüpfriger Romane und durch das Besuchen schlechter Schauspiele angeregt wird, wir meinen die Verbindungen, die an den öffentlichen Vergnügungsorten, in Ballsälen und auf Tanzböden in Stunden unverantwortlicher Uebereilung ihrer ersten Ursprung finden; wir meinen die schamlosen Zeitungsanzeigen, in denen Männer, in denen sogar Frauen und Jungfrauen um ein bequemes Leben und Geld sich selbst feilbieten. O Berlin, das kannst du Tag für Tag in deinen öffentlichen Blättern lesen, ohne zu erröthen? kannst in den öffentlichen Blättern anderer Länder dich darüber verspotten lassen, ohne den Spott zu Herzen zu nehmen? Das fromme Berlin willst du sein, deine Kirchlichkeit und Gottesfurcht willst du preisen hören, und erhebst dich nicht in Massen gegen diesen Unfug, gegen diese schamlose Verletzung aller zarten Gefühle, gegen diese gemeine Herabwürdigung des weiblichen Geschlechts? O Schande über Berlin! Christus würde heut zu Tage noch über dich weinen, wie einst über Jerusalem. Wenn Er den unreinen Blick schon Ehebruch nennt, muß Er nicht Ehen, die auf solche Weise geschlossen werden, ehebrecherische nennen?

Ach, und wie traurig werden sie oft geführt, unsere Ehen! Denkt ihr, mit Gottesfurcht? Ach nein, Hunderte von Ehen sorgen für Alles bei ihrer Ausstattung, nur nicht für eine Bibel; Hunderte von Ehen genießen alle Freuden des Lebens, nur nicht die höchste Freude, die der Kirche und des Gebets. Denkt ihr, mit gegenseitiger Achtung und Liebe? Ach nein, Jeder denkt nur an sich selbst, liebt nur sich selbst, sorgt nur für sich selbst, oder böser Argwohn, kalte Verschlossenheit, Heftigkeit des Temperaments, leicht verletzbare Empfindlichkeit, übertriebene Erwartungen von dem Glück des Ehestandes drücken den Schmerz der Täuschung mit tiefem und giftigem Stachel in die Herzen hinein, und machen die Ehe zum Schauplatz sündlicher Leidenschaften, und endlich zum Wehe, zur wahren Hölle auf Erden. Ach und was sollen wir sagen von den wilden Ehen, von der elenden Kinderzucht, von dem Geiste, der alles Heilige wegspottet und wegscherzt, und auch durch Leiden, Verarmungen, Krankheiten, Todesfälle, nicht ernst gemacht werden kann? Wahrlich, Jeremias Wort trifft unsere, wie seine Zeit: “Mein Herz will mir im Leibe brechen, alle meine Gebeine zittern, daß das Lande so voll Ehebrecher ist, daß das Land so jämmerlich stehet, und ihr Leben ist böse und ihr Regiment taugt nicht.” (23,9.10.)

II.

Warum aber, meine Lieben, ist des Herrn Wort so ernst und strenge? und warum ist es so wahr: “Wer ein Weib ansieht, ihrer zu begehren, der hat schon mit ihr die Ehe gebrochen in seinem Herzen”? Jesus muß das fordern, weil Er in Seinem Dienste ein reines Herz verlangt. Wir haben’s ja gehört: “Selig sind, die reines Herzens sind; denn sie werden Gott schauen”; wird aber nicht die Reinheit des Gemüths befleckt durch böse, lüsterne Blicke und Begierden? Sie sind gleichsam der Hauch eines Mundes auf einen Spiegel: wie ist durch den Anhauch der Spiegel mit einem Male trübe geworden! Kein Bild strahlt er mehr klar und lauter zurück. Der Jünger Jesu Christi soll nur Einen Blick haben; das ist der Blick auf das Kreuz seines Heilandes, auf das endlose Erbarmen seines Gottes im Himmel. Dieser Blick soll ihn Tag und Nacht leiten und beseligen, soll seinem Leben die Weihe, seinen Gedanken den Inhalt, seinen Bestrebungen das Ziel, seinen Leiden den Trost, seinem Sterben das höchste, letzte Labsal verleihen: o kann er uns das Alles verleihen, wenn er ein gebrochener Blick ist, halb dem Herrn, halb der sündhaften Lust zugewendet? kann er den Herrn ganz genießen, wenn er Ihn nicht ganz besitzt? Und was sagt der Apostel? “Wißt ihr nicht, daß euer Leib ein Tempel des heiligen Geistes ist, der in euch ist, welchen ihr habt von Gott, und seid nicht euer selbst? Denn ihr seid theuer erkauft; darum so preiset Gott an eurem Leibe und in eurem Geiste, welche sind Gottes.” (1. Cor. 6,19.20.) Unser Herz also ist Gottes und gehört nicht mehr sich selbst an, es ist ein Tempel des heiligen Geistes: wer würde sich nicht scheuen, im Gotteshause Ehebruch zu begehen? Unser Herz hat verloren an seiner Reinheit, es hat aufgehört, ein Eigenthum Gottes und ein Tempel des heiligen Geistes zu sein, sobald es ein Spielball der Sünde und des Satans geworden ist, und Thür und Thor geöffnet hat für fremdes, unreines Wesen.

Jesus muß so strenge sein in Seiner Forderung: “Wer ein Weib ansieht, ihrer zu begehren, der hat schon mit ihr die Ehe gebrochen in seinem Herzen,” weil Er, der Menschenkenner ohne Gleichen, weiß, wie leicht böse Begierden zu bösen Thaten führen, wie jede Sünde klein anfängt und groß endet, wie grenzenlos groß die Schwäche unseres Herzens ist, und wie derjenige, welcher sich dünken läßt, zu stehen, allezeit sich vorzusehen hat, daß er nicht falle. Je weniger das Fleisch ertödtet ist, je mehr ist es geneigt, uns in Kampf und Unruhe zu versetzen, sich gegen die Herrschaft des Geistes zu empören, und der Sinnlichkeit eine Macht einzuräumen, der zuletzt auch die stärkste Willenskraft in der Stunde der Versuchung nicht widerstehen kann. Wie Viele haben es schon bereuet, nicht im Anfange nach Kräften gestritten zu haben! Wie oft ist schon die Klage laut und schreiend geworden: Ach, hätte ich doch besser über mich gewacht! Hätte ich doch nie gedacht, das sei nur eine Kleinigkeit und habe nichts zu sagen! Unsere Sinne hat Gott geschaffen, daß sie die Kanäle und Zugänge sein sollten, durch die Er selbst in unsere Seele eingehen wollte; - werden sie aber Durchgangspunkte für die Sünde und die Verführung, so geht es Schritt vor Schritt immer mehr bergab, bis wir endlich am Boden liegen und überwunden sind. Es bleibt daher immer bei der Dringlichkeit der Forderung unseres Textes.

Ja, ohne diese Bedingung hat die Ehe aufgehört, ein heiliger Stand zu sein. Die Ehe gehört zu den wahrhaften Heiligthümern der Menschheit, und kein Stand der Erde hat so viele göttliche Zeugnisse für sich aufzuweisen, als der heilige Ehestand. Er ist das älteste und ursprünglichste Verhältniß, in welchem die Menschen zueinander stehen. Noch ehe an eine Freundschaft gedacht war, noch ehe Stand, Reichthum, Bildung, die Menschen in verschiedene Klassen voneinander trennten, bestand schon der heilige Stand der Verbindung zwischen Mann und Weib; die Ehe rührt noch aus dem Paradiese her, und ist das Einzige, das uns aus dem Paradiese geblieben. Da hat Gott selbst sie eingesetzt, hat das Weib dem Manne zugeführt, und der Sohn Gottes hat, als Er auf Erden lebte, diese göttliche Einsetzung feierlich bestätigt, ja, Sein erstes Wunder bei der Schließung eines ehelichen Bundes, auf der Hochzeit zu Cana, verrichtet. – Kein Stand hat ferner so hehre, erhabene Absichten, als der Ehestand. Zwar sollen alle Verhältnisse der Erde den Menschen für den Himmel erziehen und bilden; auch die Freundschaft, auch der Beruf, auch die Obrigkeit hat, wenn sie sich selbst versteht, keinen andern Zweck, als diesen; - aber vor Allem ist es doch der Zweck des Ehestandes, ein Herd der Gottesfurcht, eine Bildungsschule für den Himmel zu sein, und Luther sagt mit Recht, daß dem Teufel durch nichts mehr Abbruch geschehe, als durch eine gottgefällige Ehe. Der Einfluß, den das tägliche Zusammenleben zweier Menschen miteinander, den das gemeinsame gleichmäßige Theilen aller Schicksale, aller Freuden und Leiden, aller Sorgen und Pflichten des Lebens auf den Einen, wie den Andern, ausübt, ist so groß und entscheidend, daß jedenfalls in dem Menschen eine Aenderung vorgeht und er entweder besser oder schlechter wird im Ehestande. Berufen aber sind Beide, im Ehestande besser zu werden und den Himmel zu bauen auf Erden; und darum soll die Ehe ehrlich, d.h. hoch gehalten werden (Ebr. 13,4.) bei Allen. Sie ist die Verbindung, von der die andern wie Bäche und Ströme ausfließen; die Verbindung, um deretwillen selbst die heiligsten, anderweitigen Verhältnisse gewissermaßen zurückgesetzt oder gar aufgeopfert werden müssen. Sie ist kein Sacrament; aber Bild des Sacraments, Abbild derjenigen Verbindung, in welcher Christus, der Sohn Gottes, zu Seiner Gemeinde auf Erden steht, - das Haus soll dastehen wir eine Hütte Gottes bei den Menschen, wie ein Tempel Gottes im Kleinen, in welchem Mann und Weib als Priester dem Herrn dienen, und bei deren täglichen Hausopfern die Sünde nicht kann vor der Thür liegen bleiben. Darum soll sie so hoch geachtet werden, daß sie auch nicht durch böse Gedanken, durch lüsterne Begierden und unreine Blicke entweiht werden, sondern mit Gott, in Gott und für Gott geführt werde, und Alles, was sie mit sich bringt, zum Herrn treibe und leite. Darum nennt Paulus sogar das Verbot der Ehe und die Ansicht, als ob sie viel niedriger stände, denn das ehelose Leben, eine Teufelslehre. (1. Tim. 4,1-3.) Darum soll dies Band ein unauflösliches sein, der Trauring ein Treuring, ein Bundesring, nicht nur der Gatten untereinander, sondern auch der Gatten mit Gott, und das Liebesverhältniß, das er knüpft, nie altern, wie auch die Jahre schwinden; nie welken, wie auch die Myrthenkränze welken, und nimmer aufhören, wenn auch die Herzen stille stehen und die Augen brechen, in denen das Glück seine Wohnung aufgeschlagen hatte. Können wir nun noch einwenden, die Forderung und Erklärung: “Wer ein Weib ansieht, ihrer zu begehren, der hat schon mit ihr die Ehe gebrochen in seinem Herzen” sei streng? Nein, sie ist unerläßlich, sie ist die einzige Bedingung, daß das wichtigste und erhabenste aller irdischen Verhältnisse heilig gehalten und in seiner Heiligkeit geschützt und gesichert sei für und für.

III.

In Betracht dieser Wichtigkeit und Heiligkeit der Ehe knüpft endlich der Herr an seine Gesetzesauslegung noch eine allgemeine Ermahnung an, gleichsam als das Mittel, durch welches das Gesetz erfüllt werden könne. Auch dies Mittel lautet schroff und schneidend; aber es ist über alle Maßen wirksam und segensreich. Er fährt fort: ”Aergert dich aber dein rechtes Auge, so reiß es aus und wirf es von dir; es ist dir besser, daß eins deiner Glieder verderbe, und nicht der ganze Leib in die Hölle geworfen werde. Aergert dich deine rechte Hand, so haue sie ab und wirf sie von dir; es ist dir besser, daß eins deiner Glieder verderbe und nicht der ganze Leib in die Hölle geworfen werde.” Welche Glieder, meine Lieben, sind dem menschlichen Leibe wohl nützlicher und unentbehrlicher, als Auge und Hand? Das Auge, wollt ihr seinen Werth recht lebhaft erkennen, denkt es euch einmal hinweg, das Licht in demselben erloschen, wie würdet ihr traurig und unglücklich sein! Das Grün der Wiesen, der Schmelz der Blumen, die Bläue des Himmels, das Licht des Mondes, das Funkeln der Sterne, der Glanz der Sonne: Alles ist da, auch für euch da; aber ohne Augenlicht erquickt es euch nicht. Die Menschen, die ihr liebt, umgeben euch, eure Gatten, eure Kinder; aber ihr erkennt sie nicht, ihr leset nicht den geistigen Ausdruck ihres Wesens in ihrem Antlitz, verschlossen bleiben für euch die Wunder der leiblichen und der geistigen Schöpfung. Und nun die Hand? Ach, wenn sie fehlt, wie ist der unfähig, irgend etwas zu leisten für’s Leben und für die menschliche Gesellschaft, wie ist der abhängig von Andern ins einen Bedürfnissen, wie ist er entstellt und verkrüppelt, wie entbehrt er eines Vorzugs, der durch nichts ihm ersetzt werden kann! Und nun das rechte Auge und die rechte Hand! Scheinen sie doch von den unentbehrlichen Leibesgliedern die unentbehrlichsten zu sein. Wie schmerzlich und schwer daher, das Eine oder das Andere zu verlieren! Wie bedauernswerth der Unglückliche, der das Opfer bringen muß! Und doch, - wie schwer und schmerzlich es auch sei, und wie viel Selbstüberwindung, wie viel Muth und Ausdauer solch ein Entschluß auch voraussetzt: wir bringen das Opfer und unterwerfen uns der Verstümmelung und Ablösung jener Glieder, wenn dies die Bedingung ist, unter der allein der Leib und das Leben erhalten werden kann! Thun wir dies aber schon im Leiblichen, um dies äußere Leben zu fristen: wie viel mehr ist es unsere Pflicht, in Beziehung auf die Seele Alles daran zu geben, was deren Heil irgendwie beeinträchtigen könnte! Aergert dich da dein rechtes Auge, d.h. deine Lust, die zunächst durch das Auge entzündet wird, die aber auch ohne leiblich Auge sein kann, und deren Ueberwindung oft schmerzlicher und schwerer ist; wird sie dir eine Veranlassung zur Sünde und ein Hinderniß in der Gottseligkeit: so reiß es aus und wirf es von dir, so laß das Allerliebste, so dulde das Allerschmerzlichste. Merkt wohl, der Herr sagt nicht: “so thue deine Augen zu”, sondern: “so reiß sie aus und wirf sie von dir;” Er verlangt gänzliche Trennung von der Sünde, Kreuzigung aller Lüste und Begierden, Entbehrung des scheinbar Unentbehrlichen, des rechtmäßig Besessenen, des von Gott selbst Gegebenen; Er verlangt Härte gegen sich selbst, Ankämpfen gegen alle Gefühle und Genüsse, wenn dadurch die Seele errettet werden kann. Wie Jesus vorher beim Gebot der Liebe forderte, daß, um den Zorn des Bruders zu stillen und zu beruhigen, auch das heiligste Geschäft, das des Opferns, unterbrochen werden müsse, so sagt Er hier, daß auch das Theuerste daran gesetzt werden müsse, um der unreinen Lust zu entgehen. Das Heil der Seele kann nie zu theuer erkauft werden. Sei es immerhin schwer, die Beschäftigungen und Verbindungen aufzugeben, die die sträfliche Neigung anregen und unterhalten, die Oerter und Menschen zu meiden, die an dem Herrn und Seinem Gebot irre machen können; koste es immerhin Kampf, sich selbst zu verläugnen und das eigene Herz zu bekämpfen, wie wenn man ein Auge gewaltsam sich ausreißen sollte: so bleibt doch der feste Grundsatz: Rein ab und Christo an, so ist die Sach’ gethan. Hier, auf diesem Gebiete, darf nicht gezärtelt, darf nicht gewartet werden; hier gilt es, die verderbte Neigung mit der Wurzel auszurotten, um im Geiste zu wandeln, damit wir die Küste des Fleisches nicht vollbringen; hier gilt es, Alles anzuwenden, um uns rein zu erhalten von allen Befleckungen des Fleisches und des Geistes, und die Gelegenheit zur Versuchung ebenso sehr wie die Gelegenheit zur Sünde zu fliehen. Dies ist das große Eins und Alles! Dies ist der Schlüssel des heiligen Tempels, das A und O des Christenthums! Allem ab und Christo an: das ist der entscheidende Schritt des Uebergangs von dem Liede: Es kostet viel, ein Christ zu sein, zu dem Liede hin: Es ist nicht schwer, ein Christ zu sein. Es macht, was unmöglich war, vor den Augen Aller, zum Erstaunen Aller, wirklich; es macht Centnerlasten leicht, daß Kinderschultern sie tragen.

Und Beides hängt zusammen; je mehr wir Christo angehören, je mehr wir auf Sein Bild unsere Blicke heften, an Sein heiliges, erbarmungsvolles Herz unser Herz legen, Ihn in Allem zu unserm Zweck, wie zu unserm Mittel machen, nichts wollen und nichts wissen, nichts können und nichts thun, als Jesu folgen müssen: desto leichter wird es uns werden, allem Andern abzusterben. Besser hier zeitlich leiden und uns wehe thun, als dort ewig leiden und Höllenleiden und uns wehe thun, als dort ewig leiden und Höllenqualen empfinden. Besser hier kämpfen bis auf’s Blut im Kampfe gegen die Sünde, als dort ewig entbehren die himmlischen Friedenshütten und das wahre Jerusalem, die Freie, die unser Aller Mutter ist. Was hülfe es dem Menschen, so er die ganze Welt gewönne und nähme doch Schaden an seiner Seele? Oder was kann der Mensch geben, damit er seine Seele wieder löse? Die Sünde muß uns so unausstehlich sein, daß uns nichts so wehe thut, das wir nicht lieber leiden, nichts so lieb ist, das wir nicht lieber verlassen möchten, wenn wir nur mit dem Herrn im Himmel in Gemeinschaft bleiben und der Seligkeit bei Ihm gewiß sein können.

Noch Eins: Der Herr würde uns solche Bedingungen nicht gestellt, solchen Kampf nicht verordnet haben, wenn Er uns nicht lieb hätte und unser Heil dadurch zu befördern beabsichtigte. Und dieser Liebe könnten wir etwas abschlagen? da wollten wir nicht Alles für Schaden achten, um nur ihrer theilhaftig zu werden? da wäre es möglich, daß noch ein Bedenken aufstiege, noch die Frage sich regte: “Sollen wir? oder sollen wir nicht?” Nein, wir wollen Ihn bitten um ein göttlich Gemüth, um ein reines Herz, um einen königlichen Geist, daß wir vergessen lernen, was dahinten ist, und uns strecken nach dem, was vor uns liegt, nie mehr schauen auf das Sichtbare, sondern allein auf das Unsichtbare und Ewige, damit der Feind uns nie schlafend oder unbewaffnet überrasche.

Herr, gieb uns, was Du befiehlst, und dann befiehl, was Du willst. Amen.

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