Thomasius, Gottfried - Am Sonntage Reminiscere.

Thomasius, Gottfried - Am Sonntage Reminiscere.

Die letzte Predigt des Herrn.

O Lamm Gottes, unschuldig,
Am Stamm des Kreuzes geschlachtet,
Allzeit erfunden geduldig,
Wie sehr du wardst verachtet!
All Sünd hast du getragen,
Sonst müssten wir verzagen,
Erbarm dich unser, o Jesu!

Geliebte Freunde! Wir sind in die heilige Passionszeit eingetreten. In dieser Zeit sammelt sich alles Volk um die Geschichte des Leidens und Sterbens Jesu Christi her, um aus ihr aufs neue Trost und Kraft zu schöpfen; denn es ist das die Geschichte unserer Versöhnung mit Gott. Wolle Er ihre Betrachtung auch diesmal an unseren Herzen segnen, wolle Er seinen Boten geben, das Wort vom Kreuze so zu reden, dass es Frucht der Buße und des Glaubens bringe. Amen.

Lucä 23,24 bis 32.
Pilatus aber urteilte, dass ihre Bitte geschähe; und ließ den los, der um Aufruhrs und Mords willen war ins Gefängnis geworfen, um welchen sie baten; aber Jesum übergab er ihrem Willen. Und als sie ihn hinführten, ergriffen sie einen, Simon von Cyrene, der kam vom Felde; und legten das Kreuz auf ihn, dass er es Jesu nachtrüge. Es folgte ihm aber nach ein großer Haufe Volks, und Weiber, die klagten und beweinten ihn. Jesus aber wandte sich um zu ihnen, und sprach: Ihr Töchter von Jerusalem, weint nicht über mich, sondern weint über euch selbst, und über eure Kinder. Denn siehe, es wird die Zeit kommen, in welcher man sagen wird: Selig sind die Unfruchtbaren, und die Leiber, die nicht geboren haben, und die Brüste, die nicht gesäugt haben. Dann werden sie anfangen zu sagen zu den Bergen: Fallt über uns! und zu den Hügeln: Deckt uns! Denn so man das tut am grünen Holz, was will am dürren werden? Es wurden aber auch hingeführt zwei andere Übeltäter, dass sie mit ihm abgetan würden.

Der vorliegende Abschnitt führt uns mitten in die Leidensgeschichte hinein. Es ist der letzte Gang unsers Herrn Jesu Christi, und die letzte Predigt, die er auf eben diesem Wege getan hat. Eine gewaltige Predigt, Mark und Bein durchschneidend, erschütternd, wie der Ton der Posaune am Tag des Gerichtes und doch eine liebreiche Mahnung zur Buße, für Alle, die da Ohren haben zu hören. Lasse sie uns Gott einen Zug dazu werden! Wir wollen sie jetzt näher betrachten

die letzte Bußpredigt des Herrn nach den Umständen, unter denen sie geschah, nach ihrem nächsten Sinne und nach ihrer Anwendbarkeit auf uns.

I.

Pilatus hatte dem Andringen der hohen Priester, welche den Tod des Herrn forderten, nachgegeben. Ihr lautes „Kreuzige“ hatte den ohnehin so schwachen Mann noch vollends eingeschüchtert; er glaubte genug getan zu haben, wenn er die Entscheidung weg von sich in die Hände des Volkes legte, wenn er ihnen die Blutschuld, die hier begangen wurde, ins Gewissen schob und noch zuletzt bezeugte: er finde keine Schuld an ihm. Als das Alles vergeblich war, das Volk statt des Heiligen den Mörder losbat und das Geschrei der Hohenpriester fast drohend zu ihm aufstieg, urteilte er, dass ihre Bitte geschähe; und ließ los den, der um Aufruhr und Mordes willen war ins Gefängnis geworfen, aber Jesum übergab er ihrem Willen. Und so nahmen ihn denn die Kriegsknechte und führten ihn hin. Es wird das für unseren Heiland ein saurer Gang gewesen sein. Hinter ihm eine Nacht voll Misshandlung und Schmach, von der er die blutigen Spuren noch jetzt an seinem Leib trägt, vor ihm der Tod in seiner leidensvollsten, fluchwürdigsten Gestalt; um ihn her die Menge des Volkes, die Meisten von roher Schaulust und Neugier getrieben, etliche mit lautem Spott und Hohn, andere mit heimlicher Freude, dass nun der Zeuge der Wahrheit hinweggetan wird; auf seinen Schultern das Kreuz, an dem er wie ein Missetäter sterben soll, das schwere Kreuz, das ihm die Sünde der Welt aufgelegt hat. So geht er hin durch die Straßen Jerusalems, totenmüde unter der Last, die auf ihm liegt, verwundet und zerschlagen, sein edles Angesicht erbleicht, sein Haupt mit Dornen gekrönt, still und geduldig, wie ein Lamm, das zur Schlachtbank geführt wird. Und ist denn unter dieser großen Menge kein Herz, das auch nur eine Regung des Mitleids empfände, keine Spur eines Mitgefühls für diesen Mann der Schmerzen? Ja, sagt unser Text: „es folgte ihm aber nach ein Haufe Volkes, und Weiber, die klagten und beweinten ihn.“ Das sind die Töchter Jerusalems, die vordem so oft das Wort seiner Wahrheit vernommen und die Wunder seiner Liebe gesehen, vielleicht dieselben, deren Söhne er geheilt, deren Töchter er von mancherlei Seuchen und Krankheiten gesund gemacht hat - die bewegt sein bejammernswerter Anblick und ihr Schmerz bricht heraus in lautem Klagegeschrei. Besser, viel besser freilich, sie wären daheim geblieben und hätten im stillen Kämmerlein für sich gebetet, aber es freut einen doch, ihnen hier zu begegnen, es tut einem wohl, wenigstens eine Spur von Mitgefühl mit dem eigenen Schmerz zu finden. Mit dem eigenen Schmerz, sage ich; denn wie könnten denn wir, die wir Christen heißen und in diesem verachteten, dem Tode entgegengehenden Mann unseren Heiland erkennen, die wir die Liebe kennen, die ihn auf diesen harten Weg getrieben hat, ja die wir in seinen Wunden Heilung für unsere Sünden, in seinem Tod Frieden und Leben haben, wie könnten wir das Bild des Heilands auf seinem Leidensweg ansehen, ohne im tiefsten Innersten bewegt und ergriffen zu werden? Ist es denn nicht unsere Krankheit, die er getragen, unser Schmerz, den er auf sich geladen, hat; ja sind wir es nicht, die ihm Arbeit gemacht haben mit unseren Sünden und Mühe gemacht mit unseren Missetaten? Gewiss die Töchter Jerusalems werden dermaleinst im Gericht. mit uns auftreten und ihre Tränen werden uns verklagen, wenn wir kalt und gleichgültig an diesem Anblick vorübergegangen sind.

Aber was sagt ihnen der Herr? „Weint nicht über mich“, spricht er, „sondern weint über euch selbst und über eure Kinder.“ „Nicht über mich“ und will er denn das Mitleid von sich abweisen, das ihm sonst doch selbst in seinem Leiden wohlgetan hat, will er den Schmerz tadeln, mit dem man sich in seinen Schmerz versenkt? Nein, Andächtige, aber diese Tränen kommen nicht aus der rechten Quelle, nicht aus der Tiefe eines zerschlagenen über die eigene Sünde betrübten Herzens, sondern sie sind nur der Ausdruck des bloß natürlichen Gefühls, wie man es bei nicht ganz verhärteten Gemütern überall findet; nichts weiter als flüchtige Rührungen über fremdes Elend, die gar wohl mit einem fleischlichen und unbußfertigen Herzen zusammen bestehen können. Darum ist auf solche Tränen nicht viel zu geben. Auch bedarf der Herr ihrer nicht. Sein Weg, wie dunkel und schwer er auch sei, führt durch die Tiefe zur Höhe, sein Todesgang geht zur Herrlichkeit des ewigen Lebens hinaus. Aus dem Kreuze, das er trägt, soll ihm das Zepter über Himmel und Erde erwachsen, der Hirtenstab, seine Gemeinde zu weiden, der eiserne Stab, seine Feinde zu zerschellen. Darum sagt er: „Weint nicht über mich“; aber er zeigt ihnen zugleich den Gegenstand, der ihre Tränen wohl verdient: „Weint über euch selbst und über eure Kinder.“ Und das sagt er mit der nämlichen Wehmut, mit der er erst vor Kurzem bei seinem Einzug die Stadt angesehen und über sie geweint hat, mit der nämlichen barmherzigen Liebe, in der er damals sprach: „O, dass du es wüsstest, was zu Deinem Frieden dient in dieser deiner Zeit!“ Aber diese Zeit der Heimsuchung ist nun vorüber. Drei Jahre lang hat er das Wort seines Vaters gepredigt, die Sünder zur Buße, die Verirrten zu sich gerufen; und sie haben nicht gewollt. Was die treuste Liebe, was die liebreichste Hirtentreue vermag, hat er an dieses Geschlecht gewendet; wie ein Vater seine Kinder hat er sie gewarnt und gebeten, der Gnadenzeit wahrzunehmen, die vor dem Gericht einhergeht - es ist vergebens gewesen. „Jerusalem, Jerusalem, die du tötest die Propheten und steinigst, die zu dir gesandt sind, wie oft habe ich deine Kinder versammeln wollen, wie eine Henne versammelt ihre Küchlein unter ihre Flügel; und ihr habt nicht gewollt.“ Darum säumt nun auch das Gericht nicht länger. Denn so fährt der Herr fort:

II.

„Weint nicht über mich, sondern weint über euch und eure Kinder, denn siehe, es wird eine Zeit kommen, in der man sagen wird, selig sind die Unfruchtbaren und die Leiber, die nicht geboren haben und die Brüste, die nicht gesäugt haben; dann werden sie anfangen zu sagen zu den Bergen, deckt uns und zu den Hügeln, fallt über uns!“ Es sind das, Andächtige, dieselben Worte, mit welchen einst der Prophet Hosea das Strafgericht angekündigt hat, das durch den König von Assyrien über Israel kommen sollte. In dem Jammer, der damals über das Volk hereinbrach, als Samaria verwüstet, ein Teil der Einwohner weggeschleppt und späterhin auch Jerusalem zerstört wurde, hat sich jene Drohung erfüllt. Wenn nun aber der Herr dieselben Worte weissagend wiederholt, so sehen wir wohl, dass das, was dort geschah, nur wie ein Schatten und Vorspiel war von dem, was da kommen sollte, eine tatsächliche Weissagung, die erst ihrer vollen Erfüllung wartet. Und eben dazu war nun die Zeit gekommen. Denn in dem Frevel, den Israel an seinem Herrn und Heiland beging, wurde es reif zum Gericht; indem es den Herzog seiner Seligkeit verwarf, ihn, den Verheißenen, in welchem der Gott seiner Väter persönlich zu ihm gekommen und unter ihm gewohnt hatte voller Gnade und Wahrheit, indem es ihn verwarf, machte es das Maß der Sünden voll. Die ganze Reihe von Sünden des Ungehorsams und Unglaubens, welche die Väter seit Jahrhunderten begangen hatten, der Widerstand, den das Volk immer aufs Neue seinem Gott entgegengesetzt, die Verachtung seines Wortes, der Undank gegen seine Gnade, die Verfolgung seiner Heiligen, das vergossene Blut der Propheten: das Alles drängte sich in diese Eine Sünde zusammen und erreichte darinnen seine höchste Höhe. Aber eben deshalb häufte das Volk damit auch die ganze Reihe der Drohungen und Strafen, welche jemals über die Väter ergangen waren, auf sich zusammen; mit dem „Kreuzige“ das es über den Heiland ausrief, mit dem wahnsinnigen Geschrei: „Sein Blut komme über uns und über unsere Kinder“ lud es sich eine Schuld aufs Haupt, die nur durch das Feuer des Gerichtes getilgt werden konnte; denn Gottes Langmut hat ihre Grenzen. Schon stand es wie ein Wetter über der verblendeten Stadt, wie eine Wolke des göttlichen Zorns, und obgleich ihre Augen gehalten waren, dass sie die Zeichen des anbrechenden Gerichtes nicht zu sehen, und ihre Ohren, dass sie den fernen Donner nicht zu hören vermochten, das Auge des Herrn sieht es in seiner ganzen furchtbaren Schwere, und er kündigt es den Töchtern Jerusalems an. Ihnen und ihren Kindern kündigt er es an. Aber sind denn nicht gerade diese Frauen noch die Besseren unter dem Volk, und ihre Kinder, die unmündigen, die kaum geboren sind, oder die sie noch unter dem Herzen tragen, was haben denn die verbrochen, dass sie mit sollen hineingerissen werden in das grauenvolle Unglück? Tut denn Gott also, dass er die Unschuldigen mit den Schuldigen straft? Ja, sage ich, das ist die Art seines Tuns. Wenn sein Gericht einmal ergeht über ein Volk, dann trifft es beide, Väter und Kinder, Gerechte und Ungerechte zumal; wenn sein Zorn entbrennt, so heißt es: „Siehe, ich will in dir ein Feuer anzünden, das soll alle grüne und alle dürre Bäume verzehren, dass man seine Flamme nicht wird löschen können, sondern es soll verbrannt werden Alles, was vom Mittag gegen Mitternacht steht. Und alles Fleisch soll sehen, dass Ich, der Herr, es angezündet habe.“ (Ezech. 21.) Es ist eine gemeinsame Schuld, an der muss ein jeder mit leiden, und in der Tat leidet da auch keiner unschuldig mit. Denn in der Verwerfung des Heilandes hat sich ganz Israel versündigt. Nicht bloß die Obersten und Schriftgelehrten, die ihn aus Hass überantwortet und ans Kreuz gebracht haben, auch die Menge, die sein Wort so oft gehört, aber nicht geachtet hat, auch diese Weiber, die über ihn weinten, aber sich nicht zu ihm bekehrten, auch ihre Kinder, die nachmals seiner Apostel Zeugnis verwarfen, das ganze Volk, von Oben bis Unten, Alles was ungläubig und unbußfertig blieb in diesen Tagen der Heimsuchung, unempfänglich gegen die rettende, barmherzige Liebe des Heilandes, hat sich des Gerichtes schuldig gemacht. Und das bricht nun auch herein, buchstäblich, wie es der Herr zuvorgesagt. Als nach vierzig Jahren die römischen Heere Jerusalem umlagerten, das Volk in der Stadt, wie in einem großen Kerker eingeschlossen, von allen Seiten geängstigt, von Elend und Hunger gequält, in wahnsinniger Wut sich innen selber zerfleischte und mordete, was aber hinaus aus diesem Kerker floh, von den erbitterten Feinden Angesichts der Stadt gekreuzigt und grausam niedergemacht, wurde zuletzt die Burg mit Sturm erobert, der Tempel in Flammen, ganz Jerusalem mit Blut und Gräuel erfüllt, keine Erbarmung, kein Verschonen mehr von Seite der ergrimmten Sieger, und was nicht unter ihrem Schwerte fiel, in Höhlen und Klüfte sich verbarg, Männer Weiber und Kinder, bis sie auch von da herausgezogen und ins Elend hingeschleppt wurden: da waren diejenigen „noch selig zu preisen, die nicht geboren und die Brüste, die nicht gesäugt hatten“, damit nicht durch den Jammer der Kinder die eigene Verzweiflung bis zum höchsten Gipfel gesteigert wurde, da hieß es buchstäblich bei Tausenden: „Ihr Berge fallt über uns und ihr Hügel deckt uns.“ Die ganze Weltgeschichte kennt kein ähnliches Gericht. Aus der Furchtbarkeit der Strafe aber erkennt man die Größe der Schuld, die Größe des Frevels, der in der Verwerfung des Heilandes liegt. Und nun verstehen wir seine Tränen über Jerusalem, und den Ernst seiner letzten Predigt: „Ihr Töchter von Jerusalem weint nicht über mich, sondern weint über euch und eure Kinder.“

III.

Ihr fühlt mit mir, Andächtige, wie nahe die Anwendung davon auf uns selber liegt, und wir wollen uns auch hernach den Schmerz nicht ersparen. Zuvor aber lasst uns zusehen, ob uns denn der Text ein Recht zu solcher Anwendung gibt, und ob neben dem erschütternden Ernst nicht auch ein Fünklein Trostes in ihm enthalten sei. Denn, so fährt der Herr fort, indem er uns erst das volle Licht über den innern Zusammenhang dieser Dinge aufsteckt, „denn so man das tut am grünen Holz, was will am dürren werden?“ Das grüne Holz ist der lebensfrische Baum, der im Garten Gottes lieblich grünt und seine Blüten und Früchte bringt; das dürre Holz ist der erstorbene Baum, abgestorben von der Wurzel bis in die Krone. Das grüne Holz ist der Herr; denn so heißt es von ihm in dem Worte der Verheißung: „Es wird eine Rute, ein Sprössling wird aufgehen aus dem Stamm Isai und ein Zweig aus seiner Wurzel wird Frucht bringen“, und abermals: „Siehe, es ist ein Mann, der heißt Zemach, unter dem wirds wachsen und er wird bauen des Herrn Tempel.“ Es ist der Baum des Lebens, von dem das Leben kommt. Das dürre Holz ist das Volk, von Gott entfremdet, ohne Leben aus Gott, ohne Frucht der Buße, tot in Übertretung und in Sünden.

Wo nun Sünde ist und Tod, da muss auch sein Gericht und Verdammnis; denn beides hat die Gerechtigkeit Gottes unzertrennlich und unauflöslich verknüpft. Das Gericht aber trifft zuerst das grüne Holz. An dem Heiligen richtet Gott die Schuld der Missetäter, am Sohne straft er die Sünde der Welt. „Wir gingen alle in der Irre, wie die Schafe, ein jeglicher sah auf seinen Weg, aber der Herr warf unsere Sünden auf ihn; er hat den, der von keiner Sünde wusste, für uns zur Sünde gemacht.“ Das ist das Geheimnis der Gnade, groß und wunderbar in dem Tod Christi erfüllt. Nun ist noch Rettung für die Verlorenen, nun kann, was dürr und abgestorben ist, noch dem künftigen Zorn entrinnen. Denn in Christo Jesu ist Versöhnung und Leben. Um seinetwillen hat Gott jener fluchbeladenen Stadt noch vierzig Jahre Zeit zur Buße gegeben, und so viele ihrer Kinder sich unterdessen noch zu ihm kehrten, die haben nicht nur Vergebung der Sünden gefunden, sondern sind auch dem Strafgericht entnommen worden. Gewarnt durch die Stimme seines Wortes, geleitet von seinen Engeln, wie Lot aus Sodom, haben sie vor dem Gräuel der Verwüstung die Stadt verlassen und sind so errettet worden, wie ein Brand aus dem Feuer. Auf den Bergen Israels hat sie der Vater unsers Herrn Jesu Christi geborgen. Um seinetwillen hat er der Welt, der Christenheit bis auf den heutigen Tag Raum zur Buße gegeben, um seinetwillen sendet er auch in dieser Passionszeit seine Boten wieder aus mit dem Wort vom Kreuz, zu sagen Jedermann: „Lasst euch versöhnen mit Gott.“ Wer Ohren hat zu hören, der höre; wer seine Seligkeit lieb hat, der komme! Sucht den Herrn, weil er zu finden ist, ruft ihn an, weil er nahe ist, der Gottlose lasse von seinem Wege und der Übeltäter seine Gedanken, und bekehre sich zum Herrn, so wird er sich seiner erbarmen, und zu unserem Gott, denn bei ihm ist viel Vergebung. - Und wäre deine Schuld noch so tief und hoch, wo du von seinem Wort dich richten lässt, kann sie doch noch getilgt werden in dem Blut des neuen Testamentes; und wärest du erstorben bis ins innerste Herz hinein, durch den Glauben an seinen Namen kannst du doch noch eingepflanzt werden in das grüne Holz des Lebens, nämlich in die Gemeinschaft deines Herrn, aus welcher die Kräfte des ewigen Lebens fließen, wodurch die dürren Reben wieder grünend und fruchtbar werden.

Aber das dürre Holz, ich meine, was dürr und tot in Sünden bleibt wird das Gewinn und Trost daran haben, dass dem grünen Holz also geschehen ist? Dass ich es deutlicher sage: wird es die Unbekehrten und Unbußfertigen vor dem Gericht bewahren, dass der Mittler den Fluch der Welt getragen hat? Liegt nicht vielmehr gerade darin ein Wahrzeichen von dem, was ihrer wartet, ein Zeugnis von dem Ernst, der sich an ihnen offenbaren wird? Hat der Vater seines eigenen Sohnes nicht verschont, damit wir, der Sünde abgestorben, der Gerechtigkeit leben, wie sollte er derer schonen, die ihn verwerfen, um in ihren Sünden zu beharren? So man das tut am grünen Holz, was will am dürren werden? Die Frage beantwortet das Geschick Jerusalems. Denn dieses Geschick ist selbst wieder nur die Weissagung auf ein anderes Gericht, welches Offenb. 6,15-17 mit denselben Worten beschrieben wird, eine Weissagung auf jenen Tag, von dem es bei dem Propheten Maleachi heißt: „Siehe, es kommt ein Tag, der brennen soll, wie ein Ofen; da werden alle Verächter und Gottlose Stroh sein und der künftige Tag wird sie anzünden, spricht der Herr Zebaoth, und wird ihnen weder Wurzel noch Zweig übrig lassen.“ Auch dieses Gericht wird anheben am grünen Holz; über das Haus Gottes, über die Gemeinde der Gläubigen wird es zuerst ergehen; für die wirds eine Sichtung werden, darin ihr Glaube geläutert und köstlich erfunden wird, wie das vorzügliche Gold und Silber im Ofen bewährt; denn ohne Gericht und Läuterung gehts auch für die Kinder Gottes nicht ab. Es ist Zeit, dass anfange das Gericht am Haus Gottes, sagt der Apostel, so aber zuerst an uns, was will es für ein Ende nehmen mit denen, die dem Evangelio Gottes nicht glauben, und so der Gerechte kaum erhalten wird, wo will der Gottlose und Sünder erscheinen? So man das tut am grünen Holz, was will am dürren werden? O Brüder, und wenn ich den Baum des Lebens, wenn ich die Gemeinde des Herrn ansehe in dieser Zeit, wie viel dürres Holz, wie viel tote Glieder. Wie Viele, an denen bisher alle Arbeit der Boten Gottes, alle Gnadenzüge des Heiligen Geistes umsonst gewesen sind. Wie Viele, die bis heute seiner Güte und seines Ernstes spotten, bei denen es den Anschein hat, als vermöchte weder der Schrecken des Gerichtes sie aus ihrem Schlaf zu erwecken, noch die warme Frühlingssonne seiner Liebe auch nur ein einziges grünes Zweiglein hervorzutreiben aus ihrem dürren Stamm. O weint ihr über euch selbst und eure Kinder, weint ihr über euer eigenes Geschick, wenn selbst die fleischgewordene, die sterbende Liebe, die das Leben für euch am Kreuz gelassen hat, wenn die Liebe des Heilandes euch nicht mehr zu bewegen, zu beleben vermag! Ja wahrlich, Freunde, wir haben Alle Ursache, über uns und unsere Kinder zu weinen. O, dass wir es in aufrichtiger Buße täten; es könnte aus solchen Tränen eine Freudenernte erwachsen, eine Umkehr zu dem, welcher unsere Sünden selbst geopfert hat an seinem Leib auf dem Holz, damit wir, der Sünde abgestorben, der Gerechtigkeit leben. Das gebe uns Gott nach seiner Gnade. Amen.

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autoren/t/thomasius_g/zeugnisse/thomasius_zeugnisse_reminiscere.txt · Zuletzt geändert: von aj
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