Quandt, Emil - Sacharjas Nachtgesichte und Morgenklänge - Das vierte Kapitel.

Quandt, Emil - Sacharjas Nachtgesichte und Morgenklänge - Das vierte Kapitel.

Das fünfte Gesicht des Propheten von dem goldenen Leuchter und den zwei Ölbäumen.

Vers 1. Und der Engel, der mit mir redete, kam wieder und weckte mich auf, wie Einer vom Schlafe erweckt wird. Wir haben uns den Propheten nach jedem Gesicht, das er schaut, und ganz besonders nach dem vierten, in welchem er den Zemach von ferne gesehen, als in tiefe, heilige Anbetung und Versenkung fallend zu denken. Wie nun schon unser Einer, wenn er plötzlich in tiefem Sinnen gestört wird, das Gefühl hat, als ob man ihn aus tiefem Schlummer geweckt hätte, so hatte noch lebhafter der Prophet das Gefühl, so oft der Engel, den Gott ihm beigegeben hatte, ihn aus seinem heiligen Entzücken über die geschauten Gesichte zum Schauen eines neuen Gesichtes aufbot. Der Engel „kam wieder und weckte mich auf,“ das setzt durchaus nicht voraus, dass der Engel den Propheten zwischen den einzelnen Gesichten verlassen hätte, sondern es ist das eine hebräische Weise zu reden, statt deren wir sagen: „der Engel weckte mich von Neuem.“ Dass unser Vers aufs deutlichste lehrt, dass Sacharjas Nachtgesichte keine Traumgesichte waren, haben wir schon zu Kap. 1,8 bemerkt.

Vers 2. Und sprach zu mir: Was siehst du? Ich aber sprach: Ich sehe; und siehe da stand ein Leuchter ganz golden mit einer Schale oben darauf, daran sieben Lampen waren und je sieben Kellen an einer Lampe. Der Engel veranlasst den Propheten zum Schauen, indem er ihn fragt: Was siehst du? Es ist merkwürdig, dass bisher in den vorigen Gesichten Sacharja der Frager war, dem der Engel Bescheid gab, während von jetzt ab mehr der Engel die fragende Person ist, man vergleiche mit unserem Vers hier noch 5,2; 5,5, oder doch, wenn Sacharja zuerst fragt, zunächst mit der Gegenfrage: Weißt du das nicht? antwortet. Es gibt das allerlei zu denken hinsichtlich des wundersamen Verkehrs zwischen dem Propheten und dem mit ihm redenden Engel, und vielleicht dürfte die Annahme nicht ungegründet sein, dass der Prophet von den ersten vier Gesichten schon etwas ermüdet und abgespannt war. Was nun Sacharja in dem neuen Gesichte, zu dessen Wahrnehmung ihn der Engel ermuntert, zunächst sieht, ist ein goldener Leuchter mit einer Schale oben, in welcher das Öl sich sammelt, und sieben Lampen, die je sieben Röhren (Luther hat Kellen übersetzt) haben; so sah der Leuchter im Heiligtume aus 2. Mos. 25,31-39; mit dessen Bedeutung sich daher die Bedeutung des Leuchters in diesem Gesichte decken wird. Dass der Leuchter im Tempel nicht bloß den praktischen Zweck hatte, die Priester äußerlich zu erleuchten, sondern, wie alles heilige Geräte, vor Allem einen sinnbildlichen Charakter trug, darüber kann kein Zweifel sein. Wohl aber kann gefragt werden, ob das geistliche Licht, das sich in dem siebenfachen Licht des heiligen Leuchters versinnbildet, als das ursprüngliche Licht, das Licht des sich offenbarenden Gottes, oder als das abgeleitete Licht, das Licht der von Gott erleuchteten Gemeinde des Herrn zu fassen ist. Gerade dies Nachtgesicht Sacharias nun ist einer der stärksten Beweise dafür, dass nicht das göttliche Urlicht, sondern das durch Gottes Geist in seinem Volk angezündete, in mannigfacher Erkenntnis strahlende und allen Wandel Heiligende Licht unter dem Sinnbild des siebenfachen Lichtes vom heiligen Leuchter zu verstehen ist. Denn da im Folgenden unter dem Bilde der Ölbäume von den Führern des Volkes die Rede ist, so kann hier nur das Volk Israel gemeint sein, das im Lichte der Erkenntnis des geoffenbarten Gottes wandelt (die Siebenzahl ist die Zahl der Heiligung) und ein Lichtträger werden sollt für alle Völker. Israel als das Volk des Lichtes und Rechtes, als das Volk, von dem das Heil kommt, als das messianische Volk - das ist es, was dem Propheten in diesem Gesicht zunächst gezeigt wird.

Vers 3. Und zwei Ölbäume dabei, einen zur Rechten der Schale, den anderen zur Linken. Das Gesicht geht also weit über das, was im Tempel sich befindet, hinaus. Das Öl zum Bedarf des Heiligen Leuchters im Tempel floss ja nimmermehr unmittelbar und ohne Presse aus nebenstehenden Ölbäumen, sondern es wurde aus Gefäßen oben in die Schale gegossen. Sacharja aber schaut in seinem Gesicht zwei Ölbäume, aus denen das Öl in die Lampen des Leuchters fließt, das sind, wie ihm später klar wird, zwei Zeugen, durch deren Dienst das Volk des Herrn das Öl des heiligen Geistes empfängt. Auch Johannes Offenb. 11,2.4 schaut in seinem Gesichte von der Vollendung des Volkes Gottes zwei Zeugen als zwei Ölbäume. Zwei sind es, denn zwei ist immer die Zahl des wahrhaftigen Zeugnisses in der heiligen Schrift, sowohl des göttlichen z. B. Ev. Joh. 8,18: „Ich bin es, der ich von mir selbst zeuge; und der Vater, der mich gesandt hat, zeugt auch von mir,“ als des menschlichen, wenn es geheiligt ist z. B. Marc. 6,7: „Er berief die Zwölfe und hob an und sandte sie je zwei und zwei.“ Als zwei Ölbäume erscheinen die Zeugen, nicht als Ölgefäße; der alte evangelische Schriftausleger Bengel macht dazu die wunderschöne Bemerkung: Die Lehrer Israels sollen Ölbäume, nicht Ölfässer sein; sie sollen selber aus Christi Darreichung Öl haben und Öl hergeben, damit der Leuchter (das Volk des Herrn, das wahre Israel) geschmückt werde. Lehrer sollen nicht kalt und trocken, sondern mit Öl erfüllt sein; und die Gemeinden und alle ihre Glieder sollen das Öl auf sich hinüberleiten lassen, so dass sie einen lieblichen Glanz und durchdringende Lindigkeit in ihrem Wandel zeigen.

Vers 4. Und ich antwortete und sprach zu dem Engel, der mit mir redete: Mein Herr, was ist das? Die Anrede „mein Herr“ gilt für jedes höhere Wesen. Der Prophet versteht das geschaute Bild nicht und er: bittet sich darüber Aufschluss, ähnlich wie Daniel 8,15. Wenn das am grünen Holze der geisterleuchteten Propheten geschah, was will's am dürren Holze gewöhnlicher Christenmenschen werden? Wie können wir die Schrift und ihre prophetischen Bilder verstehen, so nicht des heiligen Geistes Hand uns mit hellem Licht erfüllt? Es geziemt sich wohl, nicht nur zu Anfang, sondern auch mitten im Fortgange andächtiger Schriftbetrachtung die Hände zu falten und zu beten: Herr Jesu Christ, Dich zu uns wend', Deinen heiligen Geist Du zu uns send'!

Vers 5. Und der Engel, der mit mir redete, antwortete und sprach zu mir: Weißt du nicht, was das ist? Ich aber sprach: Nein, mein Herr. Der Engel wundert sich über die Unwissenheit des Propheten, ob er doch wohl hätte wissen mögen, dass durch Adams Fall menschlich Natur und Wesen so verderbt ist, dass des Menschen Wissen und Verstand mit Finsternis umhüllt ist. Ähnlich wundert sich oft ein Vater über einfältige Fragen seines Kindes, ob er doch wohl wissen könnte, dass die Einfalt des Kindes Element ist. Übrigens wenn wir uns die Engel im alten Testament mit mehr Weisheit und Wissenschaft in Beziehung auf den göttlichen Reichsplan ausgerüstet zu denken haben, als die alttestamentlichen Propheten, so wendet sich's dagegen im Neuen Testament; der Apostel Paulus wusste von der Gemeinde mehr, als die Engel, da er schrieb Ephes. 3,9.10: „Mir ist gegeben die Gnade, zu erleuchten Jedermann, welche da sei die Gemeinschaft des Geheimnisses, das von der Welt her in Gott verborgen gewesen ist, der alle Dinge geschaffen hat durch Jesum Christum, auf dass jetzt kund würde den Fürstentümern und Herrschaften in dem Himmel an der Gemeine die mannigfaltige Weisheit Gottes.“

Vers 6. Und er antwortete und sprach zu mir: Das ist das Wort des Herrn von (an) Serubabel: Es soll nicht durch Herr oder Kraft, sondern durch meinen Geist geschehen, spricht der Herr Zebaoth. Der Engel gibt nicht sofort eine Erklärung der Bedeutung der Ölbäume, vielmehr muss Vers 11 der Prophet um diese noch einmal bitten, sondern er bedeutet ihn vielmehr, auf wen der Trost dieses Gesichtes sich vornehmlich beziehe. War es im vorigen Gesichte Josua, der Hohepriester, um dessen Entsündigung und Weihung sich Alles drehte, so ist es Regent Israels, der zweite von den Wundermännern, wie sie im 8. Verse des vorigen Kapitels hießen, dessen Stellung als eine gottgewollte und Gott wohlgefällige geschildert wird. Serubabel (auch Zerubabel, Zorobabel, der Name bedeutet zerstreut nach Babel), Stammfürst Judas und Sprössling des davidischen Hauses, der Gründer des neuen Tempels, der Anfänger und erste Stifter des Werkes der Erneuerung Israels, hatte nur ein winziges Heer und eine kleine Kraft; und es wäre menschlich gewesen, wenn ihm der Mut öfters entfallen wäre. Seinen Mut zu stärken, will ihm nun eben der Herr durch Sacharja predigen lassen: Es, das Werk der Neugründung Israels, soll nicht durch Heer oder Kraft, sondern durch meinen Geist geschehen. Ein ganz ähnliches Wort des Herrn war schon vier Monate zuvor durch den Mund des Propheten Haggai an Serubabel und seine Freunde ergangen, Haggai 2,5.6: „Und nun, Serubabel, sei getrost, spricht der Herr; sei getrost, Josua, du Sohn Jozadaks, du Hoherpriester; sei getrost, alles Volk im Lande, spricht der Herr, und arbeitet; denn ich bin mit euch, spricht der Herr Zebaoth. Nach dem Wort, da ich mit euch einen Bund machte, da ihr aus Ägypten zogt, soll mein Geist unter euch bleiben, fürchtet euch nicht.“ Dass noch der Geist des Herrn, dem Alles weichen muss, bei und unter seinem Volke Israel ist, das war durch den goldenen Leuchter mit den sieben brennenden Lampen versinnbildet; so lange Gottes Volk noch in Gottes Lichte brennt und leuchtet, so lange ist es noch nicht verloren. Dass es nicht auf Heer und Kraft, sondern auf Gottes Geist ankommt, wenn es mit dem Volk des Herrn vorwärts und aufwärts gehen soll, das ist eine gar wichtige, leider oft vergessene biblische Lehre; in unserer Zeit, in welcher der große Gott seiner wahren Kirche einen fleischlichen Arm nach dem anderen zerschlägt, sollte man zu Trost und Mahnung gemeiner Christenheit diese alte Lehre auf den Dächern predigen, dass Israels Heil nicht beruht auf Heer und Kraft, sondern auf dem lebendigen Gott und seinem in alle Wahrheit leitenden Geiste. Komm, heiliges Dele, balsamische Kraft, durchdringe die Seelen mit himmlischem Saft!

Vers 7. Wer bist du, du großer Berg, der doch vor Serubabel eine Ebene sein muss? Und er soll aufführen den ersten Stein (wörtlich: den Stein, der das Hauptstück ist), dass man (laut) rufen wird: Glück zu! Glück zu! (wörtlich: Gnade, Gnade ihm!) Der manchen und nicht unbedeutenden Schwierigkeiten, die sich dem Tempelbau gegenüberstellten - sie bilden den großen Berg - ungeachtet soll Serubabel durch Sacharja die göttliche Versicherung erhalten, dass Alles wohl von Statten gehen werde. Es hat dieses Wort vom Berge, der zur Ebene werden soll, unverkennbare Verwandtschaft mit dem Worte des Heilandes Ev. Matth. 17,20: „Wahrlich, so ihr Glauben habt, als ein Senfkorn, so möget ihr sagen zu diesem Berge: Hebe dich von hinnen dorthin, so wird er sich heben.“ Ist nach diesem Wort des Heilandes der Glaube die Bedingung des Bergeversetzens, so ist an unserer Stelle nach dem Zusammenhang mit dem vorigen Verse die Hingabe an den Geist des Herrn die Bedingung des Berge - Ebnens. Hingebender Glaube und gläubige Hingabe sind ja allen Zeiten der Kirche die Mittel gewesen, um die höchsten oder nicht nur den Berg, der ihm jetzt noch im Wege steht, verschwinden sehn, sondern er sollte auch der Stein, der das Hauptstück ist, aufführen. Diese Verheißung hat einen nächsten und einen weiteren Sinn; der nächste Sinn ist, wie er Vers 9 ganz klar ausgesprochen wird, dass Serubabel den äußerlichen Bau des neuen Tempels bis auf den Schlussstein vollenden soll; der weitere Sinn (durch die Doppelbedeutung des Wortes aufführen, was nach dem Urtext auch so viel heißt, als herausbringen, ans Licht bringen, gegeben) ist, dass Serubabel den einigen Hauptfeind (Kap. 3, 9), das ist den Zemach, den Messias, ans Licht bringen soll d. h. dass er das Werkzeug sein soll, durch welches diejenige heilige Stätte vollendet wird, in welcher sich einst die messianische Herrlichkeit des Herrn offenbart. Das war des zweiten Tempels Krönung, dass Gott im Fleische, dass der Herr Jesus Christus in den Tagen seines Fleisches in ihm (freilich nachdem er umgebaut war durch Herodes den Großen) gewandelt ist. Was Luther am Ende des Verses mit Glück übersetzt hat, heißt entweder Gnade oder Anmut und bezieht sich auf den einigen Hauptstein, nicht auf Serubabel. Von dem Schlussstein, der den zweiten Tempelbau zum Abschluss bringt, von dem Stein – Zemach wird man selige Engel und nach Gnade dürstende Menschen rufen: Gnade ist in ihm! oder Anmut ist in ihm! Der Edelstein heißt im Hebräischen (so Sprüche Salom. 17, 8 im Urtext) Stein der Gnade oder der Lieblichkeit; Christus ist der rechte, ewige Edelstein voll Gnade und Wahrheit und Holdseligkeit; ei, meine Perl und werte Kron', wahrer Gottes- und Marien-Sohn!

- Dieser siebte Vers erwies einmal eine große Kraft des Trostes an dem gottseligen Ph. Jac. Spener. Dieser treue Diener des Herrn hatte erst in Straßburg und dann in Frankfurt a. M. in großem Segen gewirkt, und von seinem Leibe waren Ströme lebendigen Wassers geflossen. Da erhielt er am 11. März 1686 von Dresden aus die Berufung zu dem wichtigen Amte eines Oberhofpredigers, kurfürstlichen Beichtvaters und Kirchenrats. Nach langem inneren Kampf und vielen Besprechungen entschloss sich Spener zur Übernahme dieses Amtes, welches leicht das allerwichtigste in der damaligen evangelischen Kirche heißen konnte. Sein Abschied von Frankfurt war für ihn, wie für seine Gemeinde ein wahres Herzeleid. Auf seiner Reise, die vierzehn Tage lang dauerte, logierte er einst bei einem Fürsten mit seiner Familie. Der Fürst konnte ihm wenig Tröstliches sagen über das Leben am sächsischen Hofe. Um nun dem bewegten Gemüte Speners eine Stärkung zu Teil werden zu lassen, schlägt er die Bibel auf, in der Hoffnung einen Spruch zu finden, der den frommen Reisenden tröste. Da fallen seine Augen auf Sacharja 4, 7; und gestärkt und ermutigt durch diese heiligen Worte, ging Spener nach Dresden.

Vers 8. Und es geschah zu mir das Wort des Herrn und sprach. Nicht etwa ein neues Gesicht hebt hiermit an, sondern eine neue Verkündigung des Engels an den Propheten in demselben Gesicht, die doch dieselbe Sache noch, die Sache Serubabels betrifft.

Vers 9. Die Hände Serubabels haben dies Haus gegründet, seine Hände sollen es auch vollenden, dass ihr erfahrt, dass mich der Herr zu end gesandt hat. Die letzten Worte: „Dass ihr erfahrt usw.“ wollen sehr wenig auf den hier redenden Engel passen, dessen Sendung nicht, wenigstens nicht unmittelbar an das Volk („zu euch!“) ging, sondern nur an den Propheten, der, was der Engel ihm gesagt und ihm gedeutet, dann unter seinem Volke predigte. Besser werden wohl die Worte auf Serubabel selbst bezogen, der zuerst in unserem Verse handelnd, dann sprechend eingeführt wird, wenn wir nämlich zwischen „vollenden“ und „dass ihr erfahrt“ ergänzen dürfen: und seine Lippen sprechen: Dies ist geschehen. Serubabels Hände hatten im zweiten Jahre nach der Rückkehr von Babel den Tempelbau begonnen (534), aber nachdem der Weiterbau durch die Feindseligkeiten der Samariter lange gehindert worden war, wurde erst 15 Jahre später unter Darius Hystaspis (520) der Bau wieder aufgenommen und innerhalb vier Jahren, bis 515 vor Christo, vollendet. Seit der Vollendung des Tempels verschwindet dann der Name Serubabel aus der Heiligen Geschichte, bis er an der Pforte des neuen Testamentes in den Geschlechtsregistern Christi Ev. Matth. 1 und Lukas 3 wieder auftaucht. Als Sacharia dies Gesicht von der Vollendung des Tempelbaus durch Serubabel hatte, galt es eben zur Vollendung des Baues anzufeuern, der eben erst wieder aufgenommen war.

Vers 10. Denn wer ist, der diese geringen Tage verachte, darinnen man doch sich wird freuen und sehen das zinnerne Maß in Serubabels Hand, mit den sieben, welche sind des Herrn Augen, die das ganze Land durchziehen? Dies ist der dunkelste Vers im vierten Kapitel, und einer der dunkelsten im ganzen Buche Sacharjas. Zwar der Anfang: Wer ist, der diese geringen Tage verachte? ist ja deutlich genug. Geringe Tage, wörtlich ein Tag der kleinen Dinge, waren jene Tage Serubabels sowohl in Ansehung des armen, geringen Volkes, das sich in Jerusalem neu ansiedelte, als auch besonders in Ansehung des armen neuen Tempels, der die alte Pracht des salomonischen Tempels so wenig hatte, dass die Alten, die diesen noch gesehen hatten, laut weinten, als der zweite Tempel gegründet war. Aber der ewige Gott ist derselbe Wundergott in großen Tagen und in geringen Tagen; ja gerade das Geringe ist groß geachtet vor ihm, den Geringen ist er gnädig, und das Schwache und Unedle hat er sich für sein Reich erwählt. Darum soll man die Zeit nicht verachten, ob sie gegenüber großen Zeiten der Vergangenheit auch noch so kümmerlich erscheinen möge; jede Zeit ist eine gute Zeit für diejenigen, die sich dem Herrn der Zeit und Ewigkeit im rechtschaffenen Glauben ergeben haben. - Die Schwierigkeit unseres Verses liegt in den Worten, die von „darinnen“ an folgen. Das hebräische Wort in diesem Verse, welches das Verständnis dieses Verses so schwierig macht, ist das Wort Ha-Bdil. Dieses Wort kann heißen und heißt gewöhnlich das Zinn. Bleibt man bei dieser wortgetreuen Übersetzung, so ist diese Stelle so wiederzugeben: Sie werden sich freuen, wenn sie in Serubabels Hand den Stein, das Zinn sehen, d. i. den zinnernen Stein. Aber was ist das, ein zinnerner Stein? Dan antwortet: Das ist so viel, als ein zinnernes Gewicht. Aber was soll Serubabel beim Abschluss des Tempelbaus mit einem zinnernen Gewicht in seiner Hand, über welches sich das ganze Volk mit Jauchzen freue? Ja, sagt man, das zinnerne Gewicht wird so viel sein, als eine zinnerne Kugel, die an einen Faden gehängt das Perpendikel1) eines Richtscheite bildet, wie man es beim Bau zum Messen anwendet. Allein einmal ist unerhört, dass man zum Perpendikel an einem Richtscheit zinnerne Kugeln anwendet, alle Welt gebraucht Blei dazu, und sodann ist Serubabel mit dem Richtscheit in der Hand auch noch nicht recht eine Freudenfigur. Es dürfte daher, da das hebräische Wort Ha-Bdil auch noch anders und für den Zusammenhang passender übersetzt werden kann, die auf all den oben genannten Sprüngen und Willkürlichkeiten beruhende Deutung „das zinnerne Maß“ aufzugeben sein. Es kann aber das hebräische Wort Ha-Bdil, wie schon der alte Kirchenvater Hieronymus darauf aufmerksam macht, noch übersetzt werden: der Auserlesende, Ausscheidende. Übersetzt man so, dann lautet die betreffende Stelle unsere Verses folgendermaßen: „Sie werden mit Freuden sehen den Stein, der in Serubabels Hand auserliest, aussondert die Sieben, welche sind des Herrn Augen, die das ganze Land durchziehen.“ Das gibt offenbar einen einfacheren, verständlicheren und sachgemäßeren Sinn. Wir müssen uns nur aus Vers 7 dieses Kapitels und aus Vers 9 des vorigen Kapitele der einigen Steine erinnern, der den Zemach, der den Messias bedeutet. Dieser einige lebendige Stein hatte sein Sinnbild sowohl in dem Grundstein des neuen Tempels (so im dritten Kapitel), als auch in dem Schlussstein des Tempele, so ist es in diesem Kapitel gemeint. Wenn nun Serubabel bei der Vollendung des Tempels den Schlussstein in der Hand hat, so wird er eben mit diesem Steine in der Hand vor allem Volk dastehen als ein Herold des Messias, der als der lebendige Stein seine sieben Augen das ganze Land durchziehen lassen wird, nämlich um Land und Volk zu durchleuchten mit seiner Klarheit und gnädigen Gegenwart. Hatte bei der Grundsteinlegung des zweiten Tempels das Volk zum Teil geweint, bei der Schlusssteinlegung soll es jubeln, denn der letzte Stein ist noch nicht der letzte Stein, sondern ein Stein der Weissagung auf den kommenden lebendigen Stein Jesus Christus, der den Tempel, das Land, die Erde mit seiner unaussprechlichen Herrlichkeit erfüllen wird. Das nimmt den geringen Tagen Serubabels alles Verächtliche, dass aus ihnen heraus der große Tag Jesu Christi geboren werden soll, der Eine Tag von Kapitel 3,9. Dieser Eine Tag wirft segnend und Heiligend rückwärts und vorwärts auf alle geringen Tage dieser Zeit. Vers 11. Und ich antwortete und sprach zu ihm: Was sind die zwei Ölbäume zur Rechten und zur Linken des Leuchters? Die Bedeutung des Leuchters hat Sacharja nun wohl gefasst, nämlich dass er das heilige Volk versinnbilde, welchem durch Serubabel der Weg zu einer herrlichen Zukunft gebahnt werden sollte. Aber was die Ölbäume an beiden Seiten des Leuchters zu bedeuten hätten, blieb dem Propheten immer noch unklar. Der Engel aber lässt merkwürdiger Weise diese, nun doch schon wiederholte Frage Sacharjas nach dem Sinn der beiden Ölbäume unbeantwortet. Wir haben uns aber zu denken, dass der Engel, wenn er auch mit dem Munde stumm blieb, so doch mit der Hand eine Antwort gab, indem er nämlich auf zwei Zweige der Ölbäume hinwies, die der Prophet bis jetzt übersehen hatte. Denn also heißt es im Folgenden: Vers 12. Und ich antwortete zum anderen Mal und sprach zu ihm: Was sind die zwei Zweige der Ölbäume, welche stehen bei den zwei goldenen Schneuzen des goldenen Leuchters, damit man abbricht oben von dem goldenen Leuchter? Die Bedeutung der Ölbäume selbst scheint nun dem Propheten, auch ohne ausdrückliche Erläuterung des Engels klar gewesen zu sein? Aber ist sie uns klar? Man hat die beiden Ölbäume auf die beiden Propheten Haggai und Sacharia gedeutet, von denen Esra 5, 1. 2 ausdrücklich bemerkt, dass sie die Bauleute, Serubabel und sein Volk, stärkten. Allein wir können den Gedanken nicht vollziehen, dass Sacharja sich selbst im Bilde des einen Ölbaums gesehen - und nicht erkannt hätte; auch zerstört die Hineinziehung der beiden Propheten in dies Nachtgesicht die Einheit desselben. Ist der Leuchter das Volk des Herrn, so können die beiden Ölbäume, durch welche Gottes Geistesgaben über das Volk strömen, nur das davidische Königtum und das aaronitische Hohepriestertum sein, welches die menschlichen Quellen waren, aus denen der Bundesgott seine Gnadenzuflüsse dem Volk zukommen ließ. Die zwei Ölbäume stehen bei den zwei goldenen Schneuzen und schütten Gold von sich - so lauten die Worte nach richtigerer Übersetzung. Die beiden Schneuzen sind die beiden Rinnen links und rechts vom Leuchter, durch welche das Öl in die Schale geleitet wird, die sich oben auf dem Leuchter befindet, und aus welcher sich dann das Öl durch sieben Röhren an die sieben Lampen verteilt. In der Schale oben vereinigt sich also das Öl der beiden Rinnen aus den zwei Ölbäumen, aus denen es ohne alle Presse freiwillig und reichlich träufelnd zu denken ist; es versinnbildet sich in diesem freiwilligen Zusammenfluss des Öls in der Einen Schale die innige Verschmelzung des Königtums und Priestertums und ihrer beiderseitigen Geistesgaben zu Nutz und Frommen des priesterlichen Königreiches Israel. Dass sie Gold von sich schütten, da wir doch nach Allem, was vorangegangen ist, Öl erwarten würden, erklärt sich aus der sinnbildlichen Darstellung des Ganzen; das Gold kommt hier in Betracht als Sinnbild königlich priesterlicher Herrlichkeit; im Übrigen hat ja auch ausströmendes edles Öl Goldeswert und gleicht dem Golde. Es sieht nun aber Sacharia an den beiden Ölbäumen das Öl aus zwei Zweigen träufelnd; und wer mit diesen zwei Zweigen gemeint sei, das fragt er den Engel. Vers 13. Und er sprach zu mir: Weißt du nicht, was die sind? Ich aber sprach: Nein, mein Herr. Nachdem dem Propheten die Bedeutung der Ölbäume sich aufgeschlossen hatte, konnte der Engel wohl erwarten, dass die beiden Ölzweige dem Verständnis der Propheten weiter keine Schwierigkeit bereiten würden. Aber Sacharja hat ihren Sinn nicht erfasst. So schließt ihm denn der Engel zum Schluss des ganzen Gesichtes ihren Sinn auf. Vers 14. Und er sprach: Es sind die zwei Ölkinder, welche stehen bei dem Herrscher des ganzen Landes.** Der Herrscher des ganzen, heiligen Landes ist Gott, der Herr Zebaoth, man vergleiche Jesaias 51, 22: So spricht dein Herrscher, der Herr und dein Gott, der sein Volk rächt. Bei ihm, vor ihm, in seiner Gemeinschaft stehen, die durch die zwei Zweige der Ölbäume bedeutet sind, die übrig gebliebenen Sprossen des davidischen Königtums und des aaronitischen Hohenpriestertums, Serubabel und Josua; sie werden als Ölkinder, wörtlich als Söhne des Öls, bezeichnet, einmal deswegen, weil sie gesalbt sind mit dem heiligen Öle zu ihrem Fürsten und Priesteramt, sodann aber ganz besonders deswegen, weil vornehmlich durch ihre Wirksamkeit der Geist Gottes unter dem Volke sich immer breitere Bahn brach. In dem vorigen Gesichte war Josua, der Hohepriester die Hauptperson, aber Serubabel wurde zum Schluss mit angedeutet (3, 8); in diesem Gesichte ist Serubabel, der Fürst, die Hauptperson, aber Josua ist mitgenannt. Serubabel und Josua, der Fürst Israels und der Priester Israels, mussten vor sich selbst und vor dem Volk gestärkt werden in den schwierigen Zeitläufen, damit das Werk Gottes unter Israel seinen guten Gang gehe; sie zu stärken, erhielt der Prophet Sacharja durch seine Gesichte Auftrag und reichlichen Stoff zugleich. Der Stoff der Stärkung war nach diesen Gesichten einmal das feste göttliche Versprechen, dass der äußerliche Bau des zweiten Tempels trotz aller bisherigen Stockungen bis zur Vollendung hinausgeführt werden sollte, sodann aber die glorreiche göttliche Verheißung, dass der Tempel mit seinem Grund- und Schlussstein hinweise auf den Tempel der Kirche neuen Testamentes, erbaut auf dem lebendigen Steine Jesus Christus.

Es haben aber die zwei Ölkinder unsers Verses noch mehr zu bedeuten als Serubabel und Josua. Denn die Vollendung des zweiten Tempels wies über sich selbst hinaus auf die Vollendung des wahren zweiten Tempele Gottes auf Erden, auf die Vollendung der heiligen christlichen Kirche. Johannes in der Offenbarung nun, da er von der Vollendung der Kirche weissagt, schreibt mit allerdeutlichster Rückbeziehung auf das fünfte Nachtgesicht Sacharjas, Offenb. Joh. 11, 1. 3. 4: „Und es ward mir ein Rohr gegeben einem Stecken gleich, und sprach: Stehe auf und miss den Tempel Gottes und den Altar, und die darinnen anbeten … und ich will meine zwei Zeugen geben, und sie sollen weissagen tausendzweihundertundsechzig Tage, angetan mit Säcken. Diese sind zwei Ölbäume und zwei Fackeln, stehend vor dem Gott der Erde.“ Johannes führt dann weiter aus, wie diese zwei Ölkinder der Zukunft von verzehrendem Feuer überströmen wider ihre Feinde, nach Vollendung ihres Zeugnisses aber von dem Tier aus dem Abgrunde getötet werden zum Jubel Aller, die auf Erden wohnen, endlich aber von Gott auferweckt und in den Himmel aufgenommen werden. Da über den Sinn der einzelnen Gesichte der Offenbarung Johannis unter den gläubigen Auslegern unserer Tage noch gar verschiedenerlei Meinung herrscht, so gehen auch die Ansichten über diese zwei Ölkinder der christlichen Endzeit noch weit auseinander. Die Einen behaupten, die Weissagung von diesen Ölkindern sei schon im Mittelalter erfüllt durch das Auftreten der mancherlei Zeugen, die die Reformation vorbereiteten, und durch deren Verfolgung und Verbrennung die zum Sodom gewordene Kirche unter den Ihrigen allgemeinen Jubel verbreitete. Andre halten dafür, dass die Erfüllung dieser Weissagung noch bevorstehe, und erwarten ein Wiederauftreten Serubabels und Josuas vor dem jüngsten Tag. Noch Andre legen anders aus. Wir meinen, dass allerdings im Mittelalter, ebenso aber auch in der Neuzeit allerlei Schatten der zukünftigen Erfüllung dieser Weissagung über die christliche Erde gegangen sind, dass aber die volle Erfüllung noch bevorsteht in dem Auftreten einer fürstlichen Persönlichkeit wie Serubabel und einer priesterlichen Persönlichkeit wie Josua, die mitten in antichristlicher Zeit das Evangelium bezeugen werden, lebend, predigend, leidend und sterbend. Vielleicht aber auch könnte die fürstliche Persönlichkeit, die mitten im modernen Heidentum die Fahne des Christentums hochgehalten und an den Anfeindungen des Antichristentums leiblich zu Grunde gegangen ist, schon dagewesen sein; der neue Josua muss sicherlich nachkommen, und das dunkle Gefühl und die dunkle Sehnsucht gehen durch alle Kreise der Gläubigen unserer Tage, dass eine priesterliche Persönlichkeit komme nach der Weise Luthers und Calvins, durch deren Hand Gott der Herr seiner kleinen Herde auf Erden einen neuen Aufschwung gebe. Bekannt ist die Bitte des seligen Nitzsch: Herr, gib uns einen anderen Luther! Vielleicht ist auch dieses Ölkind schon geboren und harrt in der Verborgenheit bis auf den von Gott bestimmten Tag, dass es auftrete vor aller Christenheit.

Bis dahin aber baue ein Jeder, der Gottes Tempel lieb hat, weiter an dem heiligen Bau und lasse sich bauen; denn jeder Christ soll in gewissem Sinn ein Ölkind sein, nämlich voll des Öles des heiligen Geistes, und zugleich ein Baugeselle am Bau der christlichen Kirche und zugleich ein lebendiger Baustein. Dass die Salbung in uns sich mehre und zugleich der Eifer am Bauen und die Lust an der Erbauung, dazu wolle der große Gott auch die Betrachtung des fünften Nachtgesichtes Sacharias an unsern Herzen segnen. Amen.

1)
Perpendikel m. n. ‘Uhrpendel’ (um 1700), früher ‘Bleilot’ (16. Jh.), entlehnt aus lat. perpendiculum ‘Senk-, Richtblei’, zu lat. perpendere ‘genau abwägen, untersuchen, erwägen’; vgl. lat. pendere ‘(ab)wägen, erwägen, beurteilen, schätzen, wiegen’, eigentlich ‘die Waagschalen beim Wägen herabhängen lassen’
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autoren/q/quandt/sacharia/sacharja_4.txt · Zuletzt geändert: von aj
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