Nielsen, Fredrik Kristian - Die Waldenser in Italien - III.

Nielsen, Fredrik Kristian - Die Waldenser in Italien - III.

Die Täler der Waldenser teilten in religiöser Hinsicht das Los der französischen Schweiz. Aus dieser ist der Rationalismus dorthin eingedrungen, aus dieser aber auch die christliche Erweckung. Ein Sergeant, Felix Neff, hatte nach einer Zeit des Unglaubens und der Gottesvergessenheit tiefe Eindrücke von der Wahrheit des Evangeliums bekommen und war zum lebendigen Glauben erwacht. Fortan trieb ihn die Liebe Christi, auch anderen das Heil zu verkündigen, welches ihm selbst aufgegangen war. Zunächst wanderte er in den französischen Alpentälern umher, wo seine einfach-ernsten Ansprachen vielen zum Segen wurden. Von dort begab er sich zu den Waldensern. Im Jahre 1826 begann er hier erbauliche Versammlungen zu halten, und viele Seelen wurden durch sein Zeugnis erweckt. Leider sollte er schon im nächsten Jahre einer schweren Krankheit erliegen. Aber in seine Arbeit trat ein anderer lebendiger Christ ein, Namens Antoine Blanc, und dieser hat sie während eines Vierteljahrhunderts fortgesetzt.

Inzwischen fingen hochstehende und bemittelte Protestanten an, für die Waldenser ein lebhaftes Interesse zu fassen und namentlich der Hoffnung sich hinzugeben, dass sie, welche so oft auf wunderbare Weise von vollständigem Untergange gerettet und als Zeugen des lauteren Evangeliums durch die Jahrhunderte hindurch bis heute erhalten waren, berufen sein möchten, eine besondere Mission zu übernehmen für die Evangelisation Italiens. Ein Engländer, Dr. Gilly, Kanonikus an der Domkirche zu Durham, besuchte die Täler, und lenkte danach auf sie die allgemeine Aufmerksamkeit mittels einer Schrift unter dem Titel: „Erzählung von einem Ausfluge in die Berge Piemonts, und Untersuchungen über die Waldenser oder die protestantischen Bewohner der Alpen.“ Bücher haben manchmal ihr besonderes Geschick: dieses Buch fiel in die rechten Hände.

Es war das Jahr 1827. Da ließ sich eines Tages einer der Helden von Waterloo, der junge Obristlieutenant Beckwith, welcher auf diesem Schlachtfeld sein linkes Bein verloren hatte, beim Herzog von Wellington melden. Dieser war gerade beschäftigt, und Beckwith wurde in die Bibliothek des Herzogs geführt, um hier zu warten. Auf einem Tische lag Dr. Gillys Reisebeschreibung. Beckwith blätterte in dem Buche und fing an, es zu lesen. Es interessierte ihn; und auf seinem Heimwege ging er alsbald in einen Buchladen, um es zu kaufen. Die Lektüre brachte bei ihm einen solchen Eindruck hervor, dass er alsbald sich entschloss, die Reise anzutreten, um mit eigenen Augen diese Protestanten kennen zu lernen, von denen Dr. Gilly in seinem Buch erzählt hatte. Seine erste Reise fiel in den Herbst des Jahres 1827. Seitdem machte er in jedem Jahre dorthin eine Besuchsreise, bis er zuletzt seinen Wohnsitz unter den Waldensern aufschlug.

Beckwith1) war im ersten Jahre der großen französischen Revolution geboren und trat frühzeitig in den Dienst der englischen Armee. Mit dem 95. Regimente war er in Hannover, Dänemark und Schweden. Im Jahre 1809 kämpfte er in Spanien mit, und auf dem blutigen Wahlplatz bei Waterloo avancierte er zum Obristlieutenant; hier aber war's auch, wo eine Kanonenkugel sein linkes Bein fortriss. Auf dem langen Krankenlager wurde er zum höheren Leben erweckt. Später hat er seine Bekehrungsgeschichte in folgender Weise erzählt: „Der liebe Gott sprach zu mir: „Halt inne, Taugenichts! und darauf schnitt Er mir's Bein ab. Ich glaube aber, dass ich ohne das Bein glücklicher geworden bin, als ich mit ihm war.“

Der „Obrist mit dem Stelzfuß“ ward der Freund und Wohltäter der Waldenser. Immer mehr befestigte sich bei ihm die Vorstellung, dass „dieser Brand dazu aus dem Feuer gerissen sei“, um in Italien ein großes Werk auszurichten; und er hat seinerseits alles getan, um die Waldenser zu diesem Werke instand zu setzen. Er begann damit, dass er ihr Schulwesen umgestaltete und hob; denn mit diesem sah es übel aus. Der Soldat war ein Kinderfreund geworden, nachdem während seiner langen Krankheit ein kleines Mädchen ihn gepflegt hatte; und mit herzlicher Liebe zu den Kleinen, zugleich mit besonders praktischem Verstand, nahm er sich des Unterrichtswesens unter den Waldensern seinem ganzen Umfang nach an. Bewies eines der Taldörfer durch die Darbringung von tausend Francs, dass es ihm ein Ernst darum war, den Kindern zu besserem Unterricht zu verhelfen, so gab Beckwith das Übrige; und er trug Sorge, dass die Lehrer nicht nur eine bessere Ausbildung, sondern danach auch eine bessere Besoldung erhielten. Nach den Volksschulen wurden die gelehrten Schulen in Betracht gezogen, auch Mädchenschulen. Zuletzt (1854) trat sogar eine Bildungsanstalt (Seminar) für künftige Geistliche ins Leben; diese hatte zuerst ihren Sitz in Torre Pellice.

Alle diese Schulen erblühten und gediehen aufs Beste unter dem Schirme der jungen Freiheit Sardiniens. Am 17. Februar 1848 gewährleistete ein königliches Edikt den Waldensern mit Rücksicht auf ihre „Treue und gute Gesinnung“ volle bürgerliche Rechte. Mit derselben unveränderten Gesinnung haben sie das Königreich, dessen Untertanen sie waren, auf dem Wege begleitet, der stufenweise bis zum Königreich Italien führte. Im Jahre 1850 machte Meille den Anfang, in Turin Bibelstunden zu halten; er hat aber lange Zeit vergeblich gearbeitet. Allmählich gelang es jedoch, auch hier eine kleine Schar zu sammeln; und am 15. Dezember 1853 wurde die waldensische Kirche in Turin feierlich eingeweiht. Es war allein die Freisinnigkeit Victor Emanuels und seines Ministers Cavour, welche es möglich gemacht hatte, an den Bau einer protestantischen Kirche in Turin zu denken. Die Katholiken taten, was irgend in ihren Kräften stand, um die Ausführung des Planes zu hintertreiben; aber die Regierung wollte die einmal erteilte Erlaubnis nicht zurücknehmen. Noch steht die schöne Kirche mit der bezeichnenden Inschrift: „Tretet auf die Wege und schauet und fraget nach den vorigen Wegen, welches der gute Weg sei, und wandelt darinnen: so werdet ihr Ruhe finden für eure Seelen“ (Jer. 6,16). Auch in Genua, „la citté della Madonna“ (der Stadt der Jungfrau Maria), bildete sich bald darauf eine kleine evangelische Gemeinde; und wo die grün-weiß-rote Fahne des neuen Königreiches aufgezogen wurde, dahin kamen auch die Waldenser mit ihren Bibeln und ernsten Predigten von Sünde und Gnade. Als am 20. September 1870 die italienischen Truppen in Rom einrückten, befanden sich in ihrem Gefolge zehn Bibelkolporteure; zwei derselben waren Waldenser. Wenige Tage nachher predigte ein waldensischer Geistlicher in Rom in der Sprache Dantes und Petrarcas von der Rechtfertigung durch den Glauben allein. Schon zehn Jahre vorher (1860) war ihr Predigerseminar nach Florenz in den alten erzbischöflichen Palast, Palazzo Salviati, übergesiedelt, welcher genügenden Raum gewährte für vier Professoren mit ihren Familien und für die Studenten, für eine größere Kapelle zum gottesdienstlichen Gebrauch und eine kleinere für die Sonntagsschule, endlich für mehrere Schulen und eine Druckerei. Aus dem früheren Geschlecht der theologischen Lehrer, welche sich der Bildung junger Geistlicher widmeten, sind namentlich zwei Männer hervorzuheben: der ältere Rével, in der Heimat der Waldenser geboren, und Luigi de Sanctis, ein früherer katholischer Priester, welcher, vormals einer der angesehensten Lehrer Roms, jetzt als einer der kühnen Vorkämpfer der evangelischen Heilslehre auftrat. Gegenwärtig wirken in Florenz der jüngere Rével, Geymonat und Comba als theologische Professoren; und als Gehilfe steht ihnen zur Seite der Schotte Dr. Stewart, zum lebendigen Zeugnis der Teilnahme, mit welcher Großbritannien das ganze Werk begleitet. Das Predigerseminar gibt eine Monatsschrift heraus unter dem Titel: „Rivista Cristiana“, welche bisher in sehr verdienstlicher Weise insbesondere jene in Blut erstickten evangelischen Regungen, die im Zeitalter der Reformation auch in Italien sich zeigten, zu beleuchten gesucht hat.

England und Schottland haben mit Rat und Tat das dortige Evangelisationswerk unterstützt; aber die in neuester Zeit eingetretene Geldkrisis hat die Freunde der Waldenser gerade zu der nämlichen Zeit schwer betroffen, als es letzteren besonders wünschenswert war, ihr Arbeitsfeld erweitern zu können. Jetzt bestehen waldensische Gemeinden von den Alpentälern bis hinab nach Riesi, von Trapani bis Lecce; und wiewohl die Arbeit langsam fortschreitet, ebenso sehr durch priesterliche Feindschaft, welche oft den Pöbel fanatisiert, als durch die Gleichgültigkeit des seit Jahrhunderten verwahrlosten Volks gehemmt, so ruht dennoch sichtlich auf ihr der Segen von oben. Augenblicklich wirken unter den Waldensern hier und dort 31 Prediger, 15 Evangelisten (Laienprediger), 52 Lehrer und 7 Kolporteure. Sie haben 39 Kirchen, außerdem 24 Stationen und 63 ab und zu von ihnen besuchte Plätze. Sie zählen 4200 Christen, die sich aus dem italienischen Volke ihnen näher angeschlossen haben, im ganzen 15000, die regelmäßig ihre Kirchen besuchen. In ihren Schulen unterrichten sie 1840 Kinder, in ihren Sonntagsschulen 1749.

Ein waldensischer Prediger, P. Calvina, bisher zu Como, jetzt zu Ancona, welcher zum Teil in Deutschland seine theologische Ausbildung erhalten hat und mit Deutschland in vielfachen innigen Beziehungen steht, hat ohnlängst eine Reise gemacht, welche den Zweck hatte, die deutschen, wie auch die holländischen und nordischen Christen für die Sache, in deren Dienste er selber steht, zu erwärmen. Und demselben Zwecke soll auch das gegenwärtige Büchlein dienen. Im Namen des Herrn, auf dessen Erlösungs- und Versöhnungswerk sie mit uns ihrer Seele Heil gründen, wenden sich die waldensischen Glaubensbrüder an uns und bitten um brüderliche Hilfe, ohne welche sie das angefangene umfangreiche Werk wieder aufgeben müssten. Wollen wir uns ihnen entziehen, weil Italien angeblich unserem Gesichtskreise zu ferne liegt? wollen wir nein sagen, weil in einzelnen Dingen ihre Weise und Sitte eine andere als die unsere ist? Die Waldenser sind nicht etwa Vorkämpfer für irgendein haarfein ausgearbeitetes theologisches System. Es sind schlichte, einfältige Christen, die mit ganzem Ernst für den Glauben und die Erkenntnis einstehen, welche sie, im Gegensatz gegen die römische Lehre, aus dem Born der Heiligen Schrift geschöpft und je mehr und mehr geläutert haben. Und sie können auf eine lange Reihe von Blutzeugen zurückweisen. Es gibt in ihrer Mitte verschiedene Schattierungen; alle sind aber einig, in ihrem Banner als Wahrzeichen zu tragen: die Bibel mit einer daraufstehenden Leuchte; denn allein aus der Heiligen Schrift strahlt das Licht, in welchem sie sich freuen. Aber über dem Lesen und Lernen haben sie keineswegs vergessen, dass der Heiland lebendig in seiner Gemeinde wohnt und waltet, in Taufe und Abendmahl. Auch sie bringen ihre Kinder dem Herrn in der Taufe dar, und auch sie feiern das Abendmahl in der gläubigen Zuversicht, dass das Brot die Gemeinschaft des Leibes Christi, der Kelch die Gemeinschaft des Blutes Christi ist. Die Abendmahlsfeier gilt ihnen zugleich als das große Zeugnis der alles Denken übersteigenden Liebe Gottes.

Aber was vermögen diese einfachen Bibelchristen gegen die römische Kirche mit ihrer Macht und gelehrten Rüstung? Wir stellen die Sache in des Herrn Hand. Er hat uns gelehrt, „die geringen Tage“ nicht gering zu achten; und die Geschichte scheint dafür zu zeugen, dass diese „Armen aus Italien“, welche den Verfolgungen von sieben Jahrhunderten nicht unterlegen sind, welche heute noch ihr Haupt erheben, dazu bestimmt seien, ein großes Werk auszuführen. Die Reformation hat sich in Italien der römischen Gewalt und Arglist gegenüber nicht behaupten können, weil sie im eigentlichen Volke nicht rechte Wurzeln geschlagen hatte. Die Waldenser richten nun ihre Bemühungen dahin - ohne unfruchtbare Polemik gegen Rom -, gerade unter dem Volk die Saat des Evangeliums auszustreuen; und die kleinen Gemeinden, die sich um die begeisterte Predigt von Sünde und Gnade sammeln, legen Zeugnis ab von dem Segen, der diese Arbeit begleitet. Um die von ihnen schon besetzten Plätze behaupten zu können, sowie um neue Stationen und Gemeinden bilden zu können, um für Beides die erforderlichen Mittel zu gewinnen, wenden sich die Waldenser an die opferwillige Liebe der Gläubigen nahe und fern. Möchte ihr Vertrauen nicht getäuscht werden!

1)
Vgl. J.P. Meille, Le général Beckwith. Lausanne 1872. - Eine kleine lesenswerte Skizze hat Dr. C. H. Kalkar gegeben in der Kopenhagener „Illustreret Tidende“ für 1862, das Todesjahr des Obristlieutenant Beckwith.
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