Müller, Heinrich - Von der Zerbrechlichkeit unsers Lebens.

Müller, Heinrich - Von der Zerbrechlichkeit unsers Lebens.

Ein Glas, wie bald bricht das.

Was bricht noch eher? Der Mensch. Dr. Luther hat auf eine Zeit seinem Collegen Justus Jonas ein schön Glas verehrt und diese Verse darüber gemacht:

Dat vitrum vitro Jonae vitrum ipse Lutherus,
Ut fragili vitro similem se noscat uterque.1)

Ich habe Gläser gesehen, die vieler Menschen Leben überlebt und vielleicht mein und dein auch überleben werden. Du erlustigst dich am Glas, sonderlich wenn was Gutes drin ist, doch denkst du dabei, jetzt ists entzwei. Wie mancher gefällt ihm selbst wohl, vorzüglich so er große Gaben von Gott hat. Das hölzerne Kästlein stolzirt mit dem güldenen Kleinod, das doch eine fremde Hand hinein gelegt und wieder heraus nimmt, wenn sie will. Mein, denke wer du bist? Ein Glas, wie leicht bricht das! Das Glas bricht sich selbst nicht entzwei; du hast in dir, was dich täglich zerbricht und entkräftet. Wie manche Traurigkeit, wie manche Krankheit, wie mancher Anstoß thut dir Abbruch am Leben! Die Erbsünde, so in dir wohnt, frißt an deinem Körper, wie der Wurm am Apfel und säumt nicht, bis sie ihn auf hat. Ein Glas kann lange dauern, wenn mans behend handelt und sorgfältig bewahrt. Sorge wie du willst, nimm dich in Acht aufs allerbeste, du bist doch deines Lebens nicht auf einen Blick versichert. Ich kenne die beim Glase niedergesunken und schleunigst gestorben sind. Das Glas blieb, sie vergingen. Darum denk bei Zeiten an den Tod und lebe, als der du jetzt sterben sollst. Höre was der weise Seneca im 24. Brief sagt: Wir sinken nicht flugs in den Tod, sondern kommen demselben allmählich näher. Wir sterben täglich, denn alle Tage fährt ein Theilchen unsers Lebens hin, indem wir fortgehen, kommen wir dem Ziel immer näher und nehmen ab im Wachsthum. Die Kindheit ist dahin, die Jugend auch. Was bis auf den gegenwärtigen Tag für Zeit verflossen, um die sind wir kommen; auch den jetzigen Tag, den wir erlebt, theilen wir mit dem Tode. Und Cyprianus im Buch von der Sterblichkeit: Wenn du in einem alten Hause wohntest, da die Wände wankten, das Dach über dir krachte, das ganze Haus thät, als wenns übern Haufen fallen wollte, würdest du nicht eilend dazu thun, dein Geräthlein zusammenraffen und dich davon machen? Nun siehe, die Hütte deines Leibes wird alt und wandelbar und läßt sich dazu an, daß sie bald übern Haufen fallen und eingehen will. Wohlan, so mach dich auf die Fahrt und denke, daß das Ende vor der Thür sei. Ich will nimmer sicher sein, noch meines Lebens auf eine Stunde mißbrauchen. Der Tod wartet mein an allen Orten, ich will sein wieder warten. Wer weiß, wie bald wir zusammentreten und uns in die Arme fassen? Er schreckt mich nicht, ich bin ihm in Christo wohl gewachsen. Selig ist der da stirbt, ehe er stirbt, dem kommt der Tod nimmer zu früh.

1)
Jonas dem Glas schenkt selber ein Glas Lutherus das Glas hier.
Brechlichem Glas mag ähnlich erkennen sich jeder von Beiden.
Cookies helfen bei der Bereitstellung von Inhalten. Diese Website verwendet Cookies. Mit der Nutzung der Website erklären Sie sich damit einverstanden, dass Cookies auf Ihrem Computer gespeichert werden. Außerdem bestätigen Sie, dass Sie unsere Datenschutzerklärung gelesen und verstanden haben. Wenn Sie nicht einverstanden sind, verlassen Sie die Website.Weitere Information
autoren/m/mueller_h/von_der_zerbrechlichkeit_unsres_lebens.txt · Zuletzt geändert: von 127.0.0.1
Public Domain Falls nicht anders bezeichnet, ist der Inhalt dieses Wikis unter der folgenden Lizenz veröffentlicht: Public Domain