Möhrlen, Christoph - Geschichte der Waldenser - Peter Waldo oder Waldus.

Möhrlen, Christoph - Geschichte der Waldenser - Peter Waldo oder Waldus.

Peter Waldo war ein reicher Kaufmann von Lyon. Er wurde durch den schnellen Tod eines seiner Mitbürger, der bei einem Gastmahl plötzlich leblos zur Erde niederfiel, aus seinem Sündenschlaf erweckt, und nun suchte er sein Heil in Christo. Er hörte die Bibel in lateinischer Sprache beim Gottesdienst vorlesen und da er begierig war, dieselbe in der Landessprache Lesen zu können, so ließ er sie durch zwei, ihm befreundete Geistliche übersetzen; denn damals war das Wort Gottes nur denen zugänglich, die lateinisch verstanden und der gemeine Mann konnte sie nicht lesen. Da er nun zu seiner großen Freude das Wort Gottes in seiner Muttersprache besaß, so las er dasselbe fleißig und fand den Frieden Gottes in dem Verdienst Christi; er war der Kaufmann, der die köstliche Perle suchte und fand. Nachdem er nun in Christo selig geworden war, so war er fest im Herrn entschlossen, sich ganz dem Dienst seines Gottes und Heilandes zu weihen. Der lebendige Glaube ist nicht müßig; er wirkt und schafft und ist in der Liebe tätig. Waldo sah nichts, als Finsternis und Verderben um sich her, Unwissenheit und Lasterhaftigkeit; das brach ihm das Herz. Er verließ seinen Kaufmannsberuf, verkaufte alles, was er hatte, und gab sein Gut den Armen; (1170) und wenn dieselben zu ihm strömten, um Almosen aus seiner Hand zu empfangen, so unterließ er nicht, ihnen die köstliche Gabe des Evangeliums, das Lebensbrot anzupreisen. Je mehr er in den Sinn der Schrift eindrang, je mehr er selbst an Gnade und Glauben zunahm, desto mehr wurden ihm seine Augen über den Stand der Dinge, über die Missbräuche der römischen Kirche geöffnet. Das Wort, das Waldus voll Geist und Leben predigte, schlug in vielen Herzen Wurzel; die Traurigen und Weinenden wurden getröstet, die nach der Gerechtigkeit Hungernden und Dürstenden wurden gesättigt, und die Armen am Geist gingen ins Reich Gottes ein. Waldus und seine Schüler und Jünger blieben anfangs in der Kirche Roms, und sie bildeten in derselben eine Art evangelischer Gesellschaft, oder kirchlicher Missionsgesellschaft. Der Erzbischof von Lyon Johann wurde endlich aufmerksam auf das rege Leben der Brüder von Lyon. Er meinte, als stolzer Priester, das könne doch nicht gestattet werden, dass ein Mann aus dem Volk, ohne Glatze1) und äußere Salbung nur so ungehindert lehren dürfe. Er verbot daher (1178) den Lyoner Freunden das Predigen und Schrifterklären; aber auch jetzt trennten sie sich noch nicht von der römischen Kirche, sondern Waldus erwiderte nur, obwohl er ein Mann aus dem Volk sei, so müsse er doch Gott mehr gehorchen, als den Menschen. Hieraus geht hervor, dass jener Zeuge der Wahrheit ein echter Protestant war. Er hatte Gnade gefunden und war gerechtfertigt durch den Glauben, er prüfte die Lehre der Kirche nach der Schrift, und er war überzeugt, dass alle wahren Gläubigen Priester Gottes sind, und dass sie somit, Andere zu unterrichten, das Recht und die Pflicht haben. Aber auch jetzt noch verließ Waldus die herrschende Kirche nicht; er fuhr daher fort, das Evangelium zu predigen und sandte selbst im Jahr 1179 Abgeordnete nach Rom, die ein Exemplar seiner Bibelübersetzung dem Papst Alexander III. vorlegen und bei demselben um Bestätigung ihres Vereins nachsuchen sollten. Der Papst ließ ihre Sache durch den Archidiakonus Walther Mapes von Oxford, der gerade in Rom anwesend war, untersuchen. Das war freilich nicht der rechte Mann zu diesem Geschäft, denn er war ein hochgelehrter, stolzer Mann, der den einfältig tiefen, gründlichen Geist der Lyoner nicht prüfen konnte. Er legte den Abgesandten, nach der damaligen Weise, allerhand spitzfindige Fragen vor, was man Philosophie nannte, die sie allerdings nicht beantworten konnten. Hätte man sie dagegen über Bibel-Wahrheiten gefragt, so würden sie Bescheid gewusst haben; allein jene Schulweisheit war ihnen unbekannt. Mapes kannte die Schrift selbst nicht. Nachdem derselbe die Abgeordneten von Lyon nach seiner Weise geprüft hatte, so stattete er dem Papst einen solchen Bericht ab, demzufolge sie mit ihrem Ansuchen abgewiesen wurden. Mapes nannte sie Dummköpfe, die nicht einmal den Unterschied anzugeben wüssten: was es heiße: an etwas glauben und schlechthin: etwas glauben. Der geneigte Leser mag wohl froh sein, dass die guten Leute nicht vom Papst anerkannt wurden, so wie er auch froh ist, dass der Papst mit dem Luther keinen Frieden machte. Wären sie als ein Orden anerkannt worden, so wären sie vielleicht eben so ausgeartet, wie die übrigen Mönche; freilich hatten sie etwas, was andere Mönche entbehrten: die Bibel. Peter Waldus fuhr dessenohngeachtet fort, zu verkündigen das Heil in Christo. Der Bischof von Lyon aber bekam die Weisung, gegen sie mit Strenge zu verfahren und ihnen das Predigen ganz niederzulegen. Waldus konnte nun natürlich in seiner Vaterstadt nicht mehr länger bleiben. „Wenn sie euch verfolgen in einer Stadt, so flieht in eine andere.“ Dieser Weisung seines Herrn und Meisters. gemäß, verließ er Lyon, und mit ihm zog eine bedeutende Zahl seiner Freunde, welche sich nun da- und dorthin zerstreuten, und den Samen des Evangeliums verbreiteten. Der Feind der Kirche Gottes, der in seinem Ingrimm die Gläubigen nicht dulden kann, betrügt sich selbst; er will zerstören, und wütet gegen Christi Herde, und diese Zerstreuung der Glieder derselben wird ein Mittel, das Wort recht weit umher zu verbreiten. So geschah es zu allen Zeiten, so zur Zeit des ersten Blutzeugen der Kirche, des Stephanus, und so fort alle Jahrhunderte hindurch. Waldus begab sich in die Dauphine, und predigte auch dort seine Lehre mit großem Erfolg, und die Wahrheit, die da selig macht alle, die daran glauben, gewann Vieler Herzen. Man gab nun seinen Jüngern allerlei Spottnamen: man nannte sie Leonisten, Arme von Lyon, Waldenser oder Albigenser rc., ja man legte ihnen Namen von wirklichen, minder reinen, sogar ketzerischen Sekten bei, wie wir schon angedeutet haben. Waldus wurde vertrieben aus seinem Zufluchtsort, und suchte sich einen anderen in der Picardie, wo seine Lehre gleichfalls gute Aufnahme fand. Nach einem kurzen Aufenthalt daselbst, würde er abermals genötigt, jene Gegend zu verlassen, und nun begab er sich nach Deutschland, und trug auch dahin die gute Botschaft vom Heile in Christo Jesu. Endlich soll er nach dem Bericht des berühmten Geschichtsschreibers Thuanus nach Böhmen gegangen sein, wo er sein Leben im Frieden des Herrn beschloss, im Jahr 1197, nachdem er ungefähr zwanzig Jahre lang unter Tränen den edlen Samen des Evangeliums ausgestreut hatte, der nun unter Gottes Segen reichliche Früchte trug. Er gehörte zu denen, die Viele zur Gerechtigkeit führen; darum wird er leuchten, wie die Sterne und wie des Himmels Glanz immer und ewiglich. Dan. 12,3.

Indessen verbreitete sich die evangelische Wahrheit nach allen Gegenden aus. Überall waren die Waldenser verfolgt, und wo sie hin kamen, da predigten sie immer wieder; sie konnten nicht schweigen und durften nicht schweigen von dem, den ihre Seele liebte. Einige flohen in die Täler von Piemont; andere predigten im Elsass, am Rheinufer, in Deutschland, in der Pikardie, in Gascogne, in Guyenne und im mittäglichen Frankreich. Will man sie finden, so darf man nur seine Augen dahin richten, wo Scheiterhaufen rauchen, und sein Ohr dahin wenden, wo das Geschrei der Treiber, der Kirchen-Tyrannen und der Verfolger vernommen wird. Dreiunddreißig Bürger von Mainz wurden in Bingen auf einem Scheiterhaufen verbrannt, achtzehn in Mainz selbst. Der Bischof letzterer Stadt, so wie derjenige von Straßburg schnaubten mit Dräuen und Morden wider die Jünger des Herrn. In Straßburg soll Waldus nur mit genauer Not dem Feuertod entgangen sein, und achtzig Personen wurden daselbst verbrannt.

Allein trotz dieser Verfolgungswut verbreitete sich fort und fort das Wort vom Kreuz. Das Blut der Märtyrer war auch hier der Same der Kirche, wie zur Zeit, als die Heiden die Verfolger waren. Überall entstanden Gemeinen Gottes in bedeutender Anzahl, und bald werden wir solche in Bulgarien, Kroatien, Dalmatien und Ungarn gewahr, welche während des dreizehnten Jahrhunderts in herrlichster Blüte standen. Das ehebrecherische Rom, das vom Herrn abgefallen, und von seiner Lehre und von seiner Wahrheit gewichen war, war aufgewacht, nicht, um selbst den Weg des Heils zu suchen, nicht, um Buße zu tun im Staub und in der Asche für seine Gräuel; nein, sondern um die Zeugen der Wahrheit mit Feuer und Schwert zu vertilgen, um den Baum des Lebens, den die Waldenser gepflanzt hatten, auszurotten. Das Ketzergericht bestand noch nicht, aber Kirchenversammlungen wurden in Menge gehalten, um der Verbreitung des Wortes einen Damm entgegen zu sehen. Im gleichen Jahre oder wenigstens kurz nachher, als Waldus sich flüchten musste, wurde eine Synode gegen sie in Tours gehalten. Auf derselben wurde den Prälaten und Bischöfen der gemessenste Befehl gegeben, darüber zu wachen, dass niemand den Waldensern eine Zuflucht oder Schutz, niemand ihnen die geringste Unterstützung gewähre, niemand sich mit ihnen einlassen solle, weder in Kauf, noch Verkauf, Handel noch Wandel. (Siehe Offenb. 13,17.) Der Papst Lucius III. (1184) sprach den Bann über sie aus auf dem Konzil zu Verona.“ Wir haben beschlossen“, so lautet das päpstliche Dekret, „die Katharer, Patarener und diejenigen, welche sich Humiliaten (Demütige) oder Arme von Lyon mit falschen Namen benennen, die Palagier, Josephinen, Arnoldisten, mit ewigem Fluch zu belegen. Und, weil Einige unter dem Schein von Gottseligkeit die Kraft derselben, wie der Apostel sagt, verleugnen, und sich eine Vollmacht zu predigen anmaßen; so doch derselbe Apostel sagt: Wie sollen sie predigen, wenn sie nicht gesandt werden (Röm. 10,15) so verhängen wir über alle, welche gegen das ihnen gegebene Verbot, oder ohne gesandt zu sein, die Autorität des apostolischen Stuhls oder des Bischofs des Ortes umgehen und öffentlich oder privatim zu predigen sich erkühnen, den gleichen ewigen Bann. Ferner bannen wir alle diejenigen, welche nicht über der Lehre vom Sakrament des Leibes und Blutes unsers Herrn Jesu Christi, über der Taufe, Vergebung der Sünden, oder über irgend einem anderen Sakrament festhalten oder anders lehren, als die römische Kirche lehrt rc.“

Die päpstliche Bulle spricht dann auch über diejenigen den Bann aus, welche auf irgend eine Art die benannten Ketzer unterstützen würden. „Wir beschließen“, fährt der Papst fort, „dass jeder, so er Priester ist rc., der priesterlichen Würde beraubt und dem weltlichen Arme überliefert werden soll; ist er Laie rc, so befehlen wir, er soll dem weltlichen Richter überliefert werden, damit er die Strafe erhalte, die er verdient hat.“

Der übrige Teil der Bulle ist in gleichem Sinne abgefasst: „Wer nur der Ketzerei verdächtig ist, setzt sich, wofern er nicht genügende Beweise seiner Unschuld an den Tag legt, derselben Verdammung aus. Jeder Bischof, welcher nicht der schändlichen Ketzerei einen Damm entgegensetzt, wird drei Jahre lang seines Amtes entsetzt. Die Erzbischöfe und Bischöfe sollen durch vertraute Personen jährlich zwei bis drei Mal genaue Nachforschungen in ihrer Diözese über die Ketzer anstellen. Sie sollen zuverlässigen Leuten einen Eid abnehmen, zufolge dessen sie angeben müssen, ob sie keinen Ketzer oder irgend jemand kennen, der besondere Versammlungen besucht, oder solche, deren Leben und Sitten von den Gewohnheiten der übrigen Menschen verschieden ist.“

Diese Bulle schloss also: „Wir befehlen außerdem allen Baronen, Statthaltern und Konsuln der Städte und anderer Orte, in Folge des Berichts der betreffenden Erzbischöfe und Bischöfe, eidlich zu versprechen, dass sie in allen diesen Punkten, und, so oft sie aufgefordert werden, kräftig und tätig die Kirche gegen die Ketzer und ihre Mitschuldigen unterstützen, und getreulich sich Mühe geben nach Pflicht und Kräften die kirchlichen Vorschriften, welche oben benannt sind, in Ausführung zu bringen.“

„Sollten die einen oder die anderen sich weigern, dies zu beobachten, so sollen sie ihrer Ehre, ihres Amts verlustig sein und für unfähig erklärt werden, andere Stellen zu bekleiden, ferner sollen sie dem gleichen Bann unterwerfen sein; ihre Güter werden eingezogen und zum Gebrauch der Kirche verwendet. Sollte irgend eine Stadt ihren Gehorsam diesen Beschlüssen rc. verweigern, so befehlen wir, sie soll von jeder Verbindung mit den übrigen Städten ausgeschlossen und des bischöflichen Segens verlustig werden.“

Gleich zu Anfang wird des Kaisers Friedrich I. Barbarossa Erwähnung getan, auf den sich der saubere Papst als auf seinen Beistand bei Ausrottung der Ketzer besonders verlässt. Nach diesem Edikt durchschauten die Waldenser den Wolf im Schafskleid und sagten sich ganz von der römischen Kirche los. Alphons II., König von Aragonien, veröffentlichte gegen die, welche in seinem Staat eine Zufluchtsstätte gesucht hatten, folgendes Edikt 1194:

„Nach dem Beispiele unserer Vorfahren, und aus Gehorsam gegen die Kirchengesetze, welche bestimmen, die Ketzer sollen verdammt und überall verfolgt werden, befehlen wir allen Waldensern, sonst Arme von Lyon genannt, weil sie aus der heiligen Kirche verbannt, Feinde des Kreuzes Christi, Verfälscher der christlichen Religion, erklärte Feinde unsers Königsreichs sind, aus unserm Reich sich zu entfernen, so wie aus anderen Ländern unserer Herrschaft. Wer zufolge dieses Befehls von nun an sich untersteht, die obgenannten Waldenser in sein Haus aufzunehmen, ihren verderblichen Predigten beizuwohnen, ihnen Nahrung zu reichen rc., der zieht sich hierdurch sowohl Gottes, des Allmächtigen, als unseren Zorn zu; seine Güter werden eingezogen, ohne dass es ihm gestattet sein soll, an eine höhere Behörde zu appellieren; er soll mit gleicher Strafe belegt werden, wie einer, der ein Majestäts-Verbrechen begangen hat usw.“

Am Ende des 12ten Jahrhunderts steigerte man die Grausamkeit gegen die Waldenser in Italien. Petrus Parentius, Bischof von Orvietta, bot denjenigen Gnade an, welche in die Kirche zurücktreten würden, aber die Gnade der blutdürstigen Papisten war stets eine grausame Gnade. Unter den Abgefallenen wurden einige an den Füssen gefesselt, andere öffentlich gepeitscht, andere wurden aus der Stadt gejagt, wiederum andere mussten große Geldsummen bezahlen, oder man ließ ihre Häuser niederreißen. Welche Leiden und Drangsale dieses Volk des Herrn zu erdulden hatte, ist unaussprechlich. Dabei hatten die gottlosen Verfolger immer den Namen und die Ehre Gottes im Munde, erheuchelten oft sogar ein Mitleiden gegen die vermeintlichen Abtrünnigen. Aber der Herr verlässt seine Kinder nicht; er tröstete die Verfolgten, die man, wie Auskehricht, ärger als Verbrecher behandelte; sie achteten nicht der Schmach, der Verfolgung, denn der Herr war mit ihnen, er stärkte sie in ihren Drangsalen und half ihnen siegen und überwinden.

„Zion, o du vielgeliebte,
Sprach zu ihr des Herren Mund,
Zwar du bist jetzt die betrübte,
Seel' und Geist ist dir verwund't;
Doch stell' alles Trauern ein:
Wo mag eine Mutter sein;
Die ihr eigen Kind kann hassen,
Und aus ihrer Sorge lassen?“2)

Es ist nun hier der Ort, etwas von der Inquisition oder dem Ketzergerichte zu sagen, das bei der Ketzerverfolgung so tätig war. Die römische Kirche bediente sich zweier Mittel, die Ketzer auszurotten; das eine war, sie in Masse zu vernichten durch sogenannte Kreuzzüge; das andere den Einzelnen nachzuspüren, und sie aus dem Wege zu räumen. Um das letztere ins Werk zu setzen, wurde jenes höllische Ketzergericht eingesetzt, das mir Argusaugen, gleich Spürhunden den Gläubigen bis in die geheimsten Aufenthaltsorte nachging. Die Inquisition wurde gegen die Gläubigen eingeführt und in Guyenne und Gascogne gegen die Albigenser zuerst in Anwendung gebracht. Guyenne gehörte damals nicht zum Königreiche Frankreich; es hatte seine besonderen Herren, welche von England abhängig waren. Unter der friedlichen und unparteiischen Regierung dieser Fürsten genossen die Waldenser geraume Zeit Gewissensfreiheit, bis der Papst einen Kreuzzug und die Inquisition gegen sie in Bewegung setzte.

Dominicus, das Haupt der Dominikaner und Diego, Bischof von Osma, zwei Spanier, sind die Stifter jenes Gerichts, das im Jahr 1206 seinen Anfang nahm. Die Dominikaner setzten getreulich das von ihrem Meister begonnene Werk fort. Sie wurden besonders mit diesem scheußlichen Geschäft beauftragt; in ihren Händen wurde jenes Tribunal der Schrecken des Menschengeschlechts. Die Ketzerrichter vereinigten angeblich zur Ausbreitung des Reiches Gottes und der päpstlichen Macht, was damals gleiche Bedeutung hatte, in ihrer Person zwei Ämter: sie waren Prediger und Ketzerrichter. Wer ihrer Predigt kein geneigtes Ohr lieh, den bannten, folterten, verbrannten sie, mit Hilfe der weltlichen Macht. Diese musste ihnen zu Gebote stehen; denn die Kirche dürstet ja nicht nach Blut, d. h. die Inquisitoren verurteilten die Gläubigen, übergaben sie dann dem weltlichen Arm, dieser kerkerte sie ein, oder verbrannte sie, wie die Kirche befohlen hatte. Dabei aber wiederholten die Priester fort und fort: „die Kirche besudelt sich nicht mit dem Blut der Ketzer.“ Schließt man also, so ist es weder die Kirche, noch die weltliche Obrigkeit, nicht einmal der Henker, der das Blut der Unschuldigen vergießt; nein, es ist das Henkerbeil, es ist der Scheiterhaufen, diese haben die Ketzer vom Leben zum Tode gebracht. Anfangs war die Inquisition nicht so grausam, wie sie es später wurde, und manche Bischöfe zeigten keinen gar großen Eifer bei der Verbrennung der Ketzer; das gefiel freilich den Fanatikern nicht; daher erboten sich Dominikus und seine Helfershelfer die Inquisition ganz zu ihrem Geschäfte zu machen.3) So entstanden die immerwährenden Tribunale, die mit furchtbarer Vollmacht zur Ausrottung der Ketzer versehen waren, und nun floss das Blut der Wahrheitszeugen, wie kaum je selbst unter den heidnischen Kaisern des alten Roms, in Strömen. Bald stifteten die Inquisitoren die weltlichen Fürsten gegen die Kinder Gottes, bald regten sie das Volk wider sie auf. Die, welche unter den Fahnen dieser fanatischen Mörder dienen wollten, hießen Kreuzfahrer, auch Pilger, und trugen ein rotes Kreuz auf ihrem Kleid als Auszeichnung. Der Teufel ist ein Mörder von Anfang, sagt der Herr selbst, und gewiss ist es kein Wunder, und ganz der Wahrheit gemäß, wenn die treuen Bekenner die ganze Verfolgung als ein dämonisches Werk, und die Verfolger als Werkzeuge des Teufels betrachteten; denn die Wut, womit man die Kirche Gottes verfolgte, ging über das menschlich sündliche hinaus. Die Inquisition wurde bald in vielen katholischen Ländern eingeführt, und, wo sie war, da hatte sie Verheerung, Mord und Blutvergießen in ihrem Gefolge. Sie verpflichteten ihre Mitglieder, wahre Menschenjäger, alle Knechte des Herrn mit unerbittlicher Wut zu verfolgen. Sie mussten eidlich versprechen, die Gläubigen überall aufzusuchen, in Städten, in Häusern, in Kellern, in Wäldern, auf Feldern, in Höhlen und Wüsteneien. Einunddreißig Artikel oder Regeln hatten diejenigen zu beobachten, welche sich mit der Inquisition beschäftigten. Der Papst befahl allen Regierungen und Obrigkeiten bei Strafe des Bannes, den Inquisitoren zu gehorchen, und ihnen allen möglichen Beistand zu leisten. Die meisten weltlichen Fürsten und Herren ließen sich leider willig finden und leisteten ihnen alle mögliche Hilfe, so dass das Wort eines englischen Schriftstellers durchaus genau das Verhältnis jener beiden zu einander bezeichnet: „der Priester ist der Richter, der Fürst der Henker.“

Eine Geißel der Menschheit, ein Ungeheuer. dem Abgrund entstiegen, verbreitete die Inquisition Schrecken und Jammer in der Christenheit. Doch wurde ihr hie und da Einhalt getan, und nicht überall durfte sie, wie sie es gern gewollt hätte, ihren Ingrimm auslassen. In Frankreich (unter Ludwig IX. 1228) war sie kurze Zeit, aber grausam, tätig. Habsucht, Ehrgeiz, Grausamkeit der Ketzerrichter, ja wohl auch die Kosten, die das Tribunal verursachte, waren an der Aufhebung desselben Schuld. Selbst in Rom war sie nicht so grausam, weil die Päpste, deren heilige Residenz fortwährend von reichen Fremden besucht wurde, es ihrem Interesse gemäß fanden, die Ketzerrichter nicht so arg wüten zu lassen. Deutschland sah kurze Zeit einen der wütendsten Inquisitoren, den Conrad von Marburg 1231-1233 in seinen Landen. In Spanien, wo Ferdinand und Isabella sie eingeführt hatte, und in Portugal wütete sie grenzenlos. Zuerst ward sie hier gegen die Mauren und Juden eingeführt; bald aber wurde sie über das ganze Land ausgedehnt, und gegen alle diejenigen gerichtet, welche anders dachten, als Rom und dessen Klerisei. Die Inquisitoren überzogen bald das ganze Land, wie ein Schwarm von Heuschrecken, und spähten in alle Winkel hinein. Beim geringsten Verdacht ward der Verdächtige festgenommen; das geringste Anzeichen von Ketzerei zog ihm die Folter zu. Man brannte und sengte, oder die Ketzer wurden zu Kettenstrafe oder zu ewigem Gefängnis verdammt. Die Inquisition war wohl die Ursache, dass sich noch im Charakter des spanischen Volks ein finsteres Misstrauen und schwarze Eifersucht sich ausspricht. Zugleich mag auch jene Grausamkeit hierin ihren Grund haben, die sich später beim Krieg in den Niederlanden und bei der Entdeckung von Amerika offenbarte.

Damit sich aber unsere Leser einen Begriff machen können von der Handlungsweise der Ketzerrichter, namentlich gegen die Waldenser, so teilen wir ihnen einige jener Verfahrungs-Regeln mit, welche dieselben beobachteten, und die zugleich ein helles Licht über deren böses Gewissen und über deren Grausamkeit verbreiten:

  1. Wird ein Ketzer dem weltlichen Arme übergeben, so darf man ihm nicht erlauben, sich vor dem Volk zu rechtfertigen; es möchten sonst die Einfältigen einen Eindruck bekommen, als geschehe ihnen Unrecht, und sie könnten ein schlimmes Vorurteil gegen die katholische Religion fassen.
  2. Man muss sich wohl hüten, einem schon verurteilten Menschen vor dem Volke Gnade angedeihen zu lassen; auch wenn er widerruft und Umkehr verspricht; denn man könnte nie eine große Menge Ketzer verbrennen, wenn man sie auf ihre schönen Versprechungen hin, die ihnen der Schrecken vor der Todesstrafe auspresst, und welche sie nie ordentlich erfüllen, frei ließe.
  3. Der Inquisitor muss sich beim Verhör immer anstellen, als ob die Tat bereits erwiesen sei; er muss daher nur nach den Nebenumständen fragen, ungefähr also: „Da du der Ketzerei überwiesen bist, sage mir in welchem Zimmer des Hauses hielten sich die Barben auf, wenn sie dich besuchten usw.?“
  4. Der Inquisitor soll immer ein offenes Buch vor sich haben, wenn der Angeklagte vor ihm steht, und sich anstellen, als ob er das ganze Leben desselben und eine Menge Anklagepunkte darin aufzeichnen wollte.
  5. Er soll den Angeklagten sogleich mit unausbleiblicher Todesstrafe bedrohen, wenn er nicht aufrichtig alles eingesteht und seiner Ketzerei entsagt; antwortet er: „Wenn ich sterben muss, so will ich lieber auf mein Bekenntnis, als in der römischen Kirche sterben,“ dann gibt es keine Gnade mehr für einen solchen Menschen; man muss ihn schleunig dem Arme der Gerechtigkeit überliefern und die Hinrichtung schnell betreiben.
  6. Man muss ja nicht glauben, als ob man diese Ketzer durch die Schrift überweisen könne, denn sie wissen dieselbe mit solchem Geschick zu verdrehen, dass sie sehr oft diejenigen überwinden, welche sie angreifen; oft nehmen sie dabei Veranlassung, sich noch hartnäckiger zu benehmen, besonders wenn sie sehen, dass gelehrte Leute ihnen nichts erwidern können.
  7. Nie muss man einem Ketzer eine bestimmte Antwort geben, und wenn man ihn fragt, so muss man mehrere Fragen auf einmal an ihn tun, so dass man ihm, er mag antworten, was er will, immer etwas erwidern und ihn verwirren kann.

Wir haben genug gesagt, um unseren Lesern jene Menschenklasse als das, was sie sind, zu bezeichnen. Nimmt man noch die Art und Weise hinzu, womit die Ketzerrichter, die oft in der Schule der verfluchten Kunst alt und grau geworden waren, ihr Amt betrieben, so lässt sich Schrecklicheres und Abscheulicheres nichts denken. Man fragt sich: Sind das Menschen oder Teufel in der Menschengestalt? Antwort: Es sind getreue Knechte jener blutdürstigen Kirche, die auf sieben Hügeln thront. Wird ein Ketzer oder ein der Ketzerei Angeklagter, oder besser, und in Wahrheit, ein Kind Gottes vor den Ketzerrichter gebracht, so sitzt dieser allein mit seinem verschmitzten Schreiber in seiner schauerlichen Gerichtsstube. Bald schmeichelt er, wie eine Katze, bald fährt er drohend auf, wie ein Tiger; dann fängt er wieder an zu liebkosen, jetzt wird er finster und scheint erzürnt; zuweilen scheint er gerührt; er weint, wie ein Kind, und betet dann wieder, der Heuchler! dann kann er wieder schimpfen, zanken; er spricht von der Folter, vom Kerker, vom Verbrennen, von der Höllenqual. Bald legt er wieder seine Hand aufs Herz, zerfließt abermals in Tränen, versichert feierlich, er wolle nicht den Tod des Sünders, sondern, dass sich derselbe bekehre und lebe, und er wolle alles tun, was er könne für seinen Bruder, der im Kerker schmachte. Bald zeigt sich derselbe Mensch taub und hart wie ein Fels, falsch und unbeständig, wie eine Wetterfahne, grausam wie Otterngift.

Nie werden der Ankläger und der Angeklagte einander gegenüber gestellt; jeder auch der verruchteste Angeber wird angehört. Ein öffentlicher Verbrecher, eine Hure gelten schon für wichtige Ankläger und Zeugen; der Sohn darf seinen Vater anklagen, das Weib den Mann. Der unglückliche Angeklagte erfährt nie seinen Ankläger, so wenig, als man ihm sein Verbrechen offenbart. Er sieht keinen Menschen, als den Kerkermeister. Kein Buch, keine Feder darf er haben, und die grausamste Folter zwingt ihn oft Verbrechen zu bekennen, die er nicht kennt.

Dieses schreckliche Verfahren verbreitete Angst und Schrecken, namentlich in Spanien. Alle Gemüter wurden mit Misstrauen gegen einander erfüllt; der Freund traute dem Freunde nicht mehr. Es gab keine trauliche Gesellschaft mehr, der Bruder scheute den Bruder, der Vater den Sohn, der Sohn den Vater. So zerriss jenes scheußliche Gericht, das Satan selbst präsidierte, alle heiligen Bande der Freundschaft und der Verwandtschaft. Leser, stehe einen Augenblick still, und betrachte die Kirche Christi, was sie gewesen zur Zeit der Apostel, und was die römische Kirche, die abgefallene Kirche geworden ist. Welch' eine ungeheure Lüge, die sich fort und fort im Mund der Römlinge wiederholt: „Wir sind die älteste Kirche, wir sind erbaut auf den Grund der Apostel und Propheten.“ Hier erblicken wir ein Fundament, einen Grund, der tief genug in die Hölle hinabreicht. Wie stimmt Christus mit Belial? Wie stimmt der Himmel mit der Hölle? Was für einen Glanz erblickt das Auge in der römischen Kirche? denn äußerlich zu glänzen sucht sie fort und fort. Es ist der Glanz, den eine Feuersbrunst in dunkler Nacht verbreitet4). Es sind die Feuerbrände, die Scheiterhaufen, auf denen die Märtyrer des Herrn ihr Leben aushauchten. Brennen, Morden, Rauben ist das Losungswort des Papstes und seiner Getreuen; Liebe, Gnade und Friede das Wort des Herrn und seiner Apostel. Wir wollen nun, nachdem wir unseren Lesern Einiges von jenem Schreckensgericht mitgeteilt haben, die schauerlichen Taten der Römlinge erzählen, die sie namentlich in Frankreich verübt haben.

1)
Tonsur, gemeint ist die Mönchsweihe
2)
Johann Heermann
3)
Das vierte Lateran-Konzil machte es dem bischöflichen Sendgericht zum Hauptgeschäft, die Ketzer aufzuspüren und zu bestrafen (1215), und das Konzilium von Toulouse bestätigte diese Einrichtung. Im Jahre 1232 und 1233 ernannte Gregor IX. die Dominikaner zu beständigen Inquisitoren des Papstes.
4)
In Spanien allein wurden vom Jahr 1481 bis 1800 im Namen der Religion 32.382 Menschen lebendig verbrannt, 291,450 eingekerkert und ihrer Güter beraubt.
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