Lobstein, Friedrich - Die christlichen Festtage in zwanzig Betrachtungen - Sechstes Fest. Pfingsten. II. Die Seufzer des heilige Geistes.
Röm. 8, 27. 28.
Der aber die Herzen forschet, der weiß, was des Geistes Sinn sei; denn er vertritt die Heiligen nach dem, das Gott gefällt. Wir wissen aber, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen, die nach dem Vorsatz berufen sind.
Diese Stelle ist eine von denen, welche deutlich beweisen, dass der heilige Geist eine Person, dass er nicht nur eine Kraft oder Machtwirkung ist. Kann eine Kraft für uns bitten? Kann ein Machtausfluss für uns seufzen? Oder wollt ihr noch andere Stellen? Es ist gesagt, dass der Geist alle Dinge erforscht, selbst die Tiefen der Gottheit. Ist das Erforschen nicht die Arbeit einer lebendigen Person, eines Wesens, das Selbstbewusstsein hat? Oder wenn der Herr von der Sünde gegen den heiligen Geist spricht, ist es nicht eine Sünde, die notwendig gegen eine Person begangen wird? Oder wenn der Geist spricht, dass die Toten, die in dem Herrn sterben, werden ruhen von ihrer Arbeit und ihre Werke ihnen nachfolgen - solche Sprache, beweist sie nicht, dass er ein persönlich handelnder ist? Wir führen nicht weitere Zeugnisse an, sondern weisen nur auf den Katechismus hin; aber wir wollen das Wort näher betrachten, welches wir als Text voraus haben. Es ist hier die Rede vom Trösteramt des heiligen Geistes. Er hilft unserer Schwachheit auf, sagt St. Paulus, wenn er uns die Gebetswelt eröffnet. Diese Welt ist dem Christen wie verschlossen, und nur der heilige Geist ist der Geist des Gebets. In welcher Schwachheit kommt uns der heilige Geist zu Hilfe? In was besteht diese Hilfe des heiligen Geistes und was vermag sie? Diese 3 Fragen beantwortet unser Text, und sie sollen der Gegenstand unserer Betrachtung sein.
1) Es gibt in dem christlichen Leben zwei Zustände der Schwachheit, welche sehr traurig machen und die Seele in eine peinliche Verlegenheit bringen. Bald ist es, wenn man nicht weiß, was man beten soll, wie sich's gebührt; bald ist es, wenn man nicht weiß, um was man bitten soll, um mit Frucht zu bitten.
Wir wollen in diese zweierlei Lagen ein wenig weiter eindringen.
Das wahre Gebet fängt erst mit der Erschütterung des natürlichen Geistes an. So lange der allgemeine Geist, in welchem man lebt, der irdische Geist ist, und dieser Geist noch keine Stöße bekommen hat, so ist das wahre Gebet unmöglich. Das Gebet wird auch unter den täglichen Beschäftigungen vorkommen, aber als totes Werk, welches die Seele immer in demselben Zustande lässt. Erst mit dem Erwachen des Gewissens und mit dem Hunger und Durst nach dem, was droben ist, fängt das Gebet an; dasjenige, welches ein Werk des heiligen Geistes ist und das allein uns nützt in unserer Beziehung zu Gott. Die Seelen, welche Paulus in unserem Text vor Augen hat, sind solche, in welchen der heilige Geist schon wirkt, und in welchen das wahre Gebet schon einen Anfang genommen hat. Sie sind auf dem Wege; die Bekehrung hat begonnen; aber es ist in diesen Seelen noch viel Elend. Ein Elend ist es, wenn man nicht beten kann. Das Gebet stockt und ist oft wie abgeschnitten; es gibt keinen jämmerlicheren Zustand als diesen. Er stellt sich auf zweierlei Weise dar. Man kann sich in einer geistigen Verlegenheit befinden, welche daher kommt, dass man nicht weiß, wie man beten soll. Man hat gebetet, anhaltend, und immer ohne Erfolg. Man hat wider allerlei Widerwärtigkeiten gekämpft, und diese Widerwärtigkeiten sind dieselben geblieben; man brauchte mancherlei Hilfe, und keine Hilfe ist gekommen; man hat schwere Prüfungen durchgemacht, manches Kreuz getragen, häuslichen Kummer gehabt, und man trug alles nicht leichter, als wenn man nie gebetet hätte. Und daraus folgt eine tiefe Entmutigung; man weiß nicht mehr, wie es angreifen; offenbar hat man schlecht gebetet; aber wo war der Fehler? Man sucht alsdann eine andere Art zu beten hervor, aber ohne mehr Erfolg zu haben. Man sucht wieder, man grübelt, endlich verzweifelt man an sich selbst und befindet sich in einem Chaos von Traurigkeit, aus dem man nicht mehr heraus kann. Das ist der Zustand einer Seele, welche nicht weiß, wie man bitten soll, um recht zu beten.
Es gibt eine andere Verlegenheit, welche nicht weniger groß ist, nämlich wenn man nicht weiß, was man bitten soll, um recht zu beten. Einmal suchte man die Stimmung zum Gebet; ein andermal suchte man den Inhalt des Gebets und findet ihn nicht. Du kannst dich in Verlegenheiten und Schwierigkeiten befinden, die nach allen Seiten hin unauflösbar erscheinen. Du weißt nicht, welchen Entschluss fassen, und machst dich ans Gebet. Aber wo anfangen, wo aufhören? Oft nimmt man als Hauptsache einen Nebenpunkt, oft nimmt man eine Sache leicht auf, die sehr bedenklich ist durch die Folgen, die sie haben kann. Man befindet sich alsdann in einem allgemeinen Unbehagen. Je mehr man den Herrn in dieses Labyrinth einführt, desto mehr scheint er sich darin zu verlieren, und anstatt mit einem in Gott gefassten Entschluss aus dem Gebet hervorzugehen, ist man oft verwirrter, ist die Seele ermüdeter, als wenn sie keine Hilfe im Gebet gesucht hätte. Gewöhnlich kann uns in einem solchen Fall Niemand raten, noch helfen. In derartigen Zuständen müssen wir uns allein abplagen, und Keiner kann in unsere Geistesstimmungen und in die missliche Lage eingehen, in der wir uns befinden. Ein Freund nur bleibt uns: der heilige Geist. Er ist der einzige, der uns nicht im Stich lässt und uns in unserer Schwachheit aufhilft. Die Art, wie er sich dabei benimmt, ist wunderbar. Wenn unser eigenes Licht erlöscht, dann fängt das Licht des heiligen Geistes zu leuchten an. Außerdem ist das Licht des heiligen Geistes auch das Leben des heiligen Geistes, und dieses Leben kündigt sich durch Seufzen an.
2) Nie sind wir dem wahren Gebet näher als in diesen Ängsten. Was ist das Gebet in der Tat? Ein großer Seufzer der Seele, ausgestoßen nach Gott aus irgend einer Tiefe. So sieht man das Gebet gewöhnlich nicht an. Viele Christen glauben, nicht gebetet zu haben, wenn sie Gott nicht etwas Ganzes darbringen. Wenn ihr Gebet keinen Anfang, Mitte und Ende hat, sind sie unruhig, und meinen, es sei kein Gebet. Aber hat man immer Zeit, also zu beten? Ist man immer in der gehörigen Stimmung für solche Logische Gebete? Müssen wir uns nicht üben, auch anders zu beten? Gott übt uns darin, wenn er uns in solchen Zustand von Schwachheit verseht, wie wir ihn eben beschrieben haben. Wenn man keine Ordnung mehr in seinen Ideen hat, keine fließenden Worte mehr, kein Vertrauen mehr zu sich selbst, so gibt uns der heilige Geist etwas Anderes. Er gibt uns unaussprechliche Seufzer. Anfangs glauben wir, dass es unsere eigenen Seufzer sind; aber es sind zuerst die Seufzer des heilige Geistes, die nachher unsere eigenen hervorrufen. Der Geist selbst vertritt uns, er macht aus unserer Sache die seinige und kommt uns zu Hilfe in unsern Ängsten, indem er ihnen den wahren Ausdruck und wahre Erleichterung gibt. Was kann ein einziger Seufzer nicht in sich fassen!
Die Rede ist sehr langsam, sehr ungenau neben jenen Ausbrüchen, welche wir Seufzer nennen. Nicht die Worte machen das Gebet, sondern die Aufrichtigkeit des Herzens und die Inbrunst des Geistes. Bist du immer wahr und brünstig in deinem gewöhnlichen Gebet? Ob man mit Andern oder allein betet, ist man selten wahr, wenn man dem Gebet eine abgerundete Form geben will. Oft auch geschieht es, dass, je schöner die Worte, desto weniger brünstig der Geist. Nicht so ist es bei jener andern Art zu beten, durch welche der heilige Geist uns unterstützt. In einem innigen Seufzer ist mehr Wahrheit und Innigkeit, als in dem pathetischsten Gebete; und so verächtlich die Form des Seufzers auch sei, so gibt es doch auch da Anfang, Mitte und Ende. Dies ist auch das am wenigsten ermüdende Gebet. Wir zerstreuen uns oft durch unsere Worte, wenn wir sie zu weit suchen. Die Seele bedarf dessen nicht immer. Welche Psalme erbauen uns am meisten? Diejenigen gewiss, in denen David seinen Seufzern den Lauf lässt; da, wo er ausgeschüttet ist wie Wasser, wo er sein Lager mit seinen Tränen netzt, und wo er nicht mehr weiß, wie, noch was er bitten soll. Da ist er wahr, und der Grund seiner Seele kommt ans Licht. Nichts ist so erbaulich als die Wahrheit, wenn sie recht klagend erscheint und nur noch Seufzer hat. Hat Jesus Christus nicht selbst so gebetet? Wenn er vor dem Taubstummen steht und dieser Unglückliche ihn an all' die verschlossenen Ohren und stummen Lippen erinnert, was tut er? Er seufzt. All' das Mitgefühl und die Barmherzigkeit, die er im Grunde seiner Seele hat, kommt in diesem Seufzer an den Tag. Und da in Gethsemane seine Seele betrübt ist bis in den Tod, zu welcher Erleichterung nimmt er seine Zuflucht? Zu Geschrei und Tränen. Wie Vieles und wie viele Menschen hat der Herr nicht in diesen Seufzer eingeschlossen! Und der, der Jesu Christo die Seufzer eingab, gibt uns auch die unsern ein. Derselbe Geist hilft unserer Schwachheit auf, wenn wir nicht wissen, was wir beten sollen, wie sich's gebühret. Diese Seufzer, welche zu Tage treten, sind die Eingebungen des heilige Geistes; der Tröster regt sich in uns und für uns. Diese Seufzer der Seele gelten als das Stammeln des Mundes, und was wir von uns selbst weder anfangen, noch vollenden konnten, gibt uns der heilige Geist auf einmal, um uns zu helfen. Ein Fest, ein Pfingsten bereitet sich vor in einer armen, gebrochenen Seele. In solchem Schrei der Seelenangst, in solchem unaussprechlichen Seufzer besteht das große Hilfsmittel des Christen und die Rüstkammer seiner Stärke. Du, der du nie so gebetet hast, hast nie gebetet. Gott will weder feine noch runde Wendungen, er will einen geängsteten Geist, ein zerschlagenes Herz; das sind seine Opfer, die Meisterwerke seines Geistes. Wir kennen nicht immer den Sinn, aus welchem diese Gebete hervorgehen, aber der die Herzen forscht, der weiß, was des Geistes Sinn sei, denn er vertritt die Heiligen nach dem, das Gott gefällt. Wir wollen von den Folgen dieser Art von Gebeten sprechen.
3) Diese Gebete sind einer Erhörung gewiss, weil sie das Werk des heilige Geistes sind, und weil der Geist, der sie hervorgebracht hat, auch der Geist ist, der nach dem Willen Gottes ist. Ohne dass wir uns dessen versehen, dringen diese Gebete in die Wolken und bis in das Herz Gottes. Nichts widersteht ihnen, weder in der Welt, noch im Willen Gottes. Nicht so ist es mit den Gebeten, die wir selbst hervorbringen. In unsern eigenen Gebeten ist zu viel Fleisch und Blut, zu viel eigenes Leben, zu viel eigene Kraft; dieser Sinn ist nicht von Gott und macht, dass unsere Gebete nicht erhört werden. Der heilige Geist schlägt Alles das nieder, und macht aus uns ein zerknicktes Rohr, einen Docht, der kaum noch glimmt. Alsdann gibt der heilige Geist Zeugnis unserm Geiste, und unser Geist wird eins mit dem heilige Geist. Folge den Bewegungen deiner Seele, wenn mitten in einer Sorge dein natürlicher Geist plötzlich einen andern Charakter annimmt. Ein demütiger, hingebender Geist ersetzt die Stelle des eigenen Willens und den Weltsinn. Dieser neue Geist ist schon eine Erleichterung. Der Zug des heilige Geistes ist der deinige geworden, und von da an sei gewiss, dass du auf gutem Wege bist. Ein neues Blut hat sich in deine Adern ergossen; eine neue Gebetskraft wurde dir gegeben. Gott ist dir näher und du bist Gott näher. In deiner Seele ist eine Stille, die nicht aus dir kommt und die Gegenwart des Trösters ankündigt. Diese Gegenwart beruhigt dich und ihr überlässt du dich. Du lässt diese unaussprechlichen Seufzer aufsteigen; der Herzenskündiger merkt auf; und du darfst glauben, dass er dich hört und dass ein Gedenkbuch vor ihm geschrieben wird. Harre auf den Herrn, er wird sich zu dir neigen und dein Flehen hören. Du stehst erleichtert vom Gebet auf, erquickt bis in Mark und Bein. In der Verwirrung ist Ordnung; in der Niedergeschlagenheit eine Rückkehr zum Mut; in der Traurigkeit ein Grund der Freude.
An die Schwachen ist das Alles gerichtet, den Schwachen hilft der Geist auf, vertritt sie, seufzt für sie. Pfingsten ist kein glänzendes Fest, wie die weltlichen sind: das Reich Gottes kommt nicht mit äußerlichen Gebärden; das wahre Pfingsten ist das Fest der Armen und Elenden; derer, die Wasser suchen und ist nichts da; deren Zunge verdorret vor Durst. Auf diesen Davids-Samen, diese Einwohner Jerusalems gießt der Herr der Heerscharen den Geist der Gnade und des Gebets. In ihrem erloschenen Leben zündet er ein neues Leben an und dieses Leben beginnt mit Seufzen. Aber wie, eine Quelle, zuerst kaum bemerkbar, nach und nach ein großer, majestätischer Fluss wird, so wird auch dieses Leben unter Tränen sich entwickeln und zum Lobgesang führen. Diese Schwachen sind die Starken Gottes, wenn er sie sendet und sie in seiner Kraft wandeln. Petrus, welcher vor einer Magd sich fürchtete, ist am Pfingsttage eine eiserne Säule. Jener Luther, welcher in seiner Zelle gezittert hatte, trug den Namen Christi vor Könige und Herren, ob er auch dabei so viel Teufel als Dachziegel hätte antreffen müssen. Dieser Schatz von Kraft ist in einem irdenen Gefäß, auf dass die überschwängliche Kraft sei Gottes und nicht von uns. So stark diese Schwachen auch sind, werden sie doch ihre Schwachheit behalten; denn wenn sie schwach sind, sind sie stark. Und mit ihnen geht Etwas, das ihre Seele zugleich an ihre Schwachheit erinnert und der Stärke teilhaftig erhält nämlich die Seufzer des heilige Geistes, das göttliche Mitgefühl dieses himmlischen Freundes, welcher sie begleitet. Sieht er sie stark, so macht er sie schwach; sieht er sie schwach, so macht er sie stark. So werden sie denn nicht allein sein und sich nicht verirren. Sie werden der Welt ein Leben der Widersprüche und ein Schauspiel darbieten, wie es die Erde nicht bietet: sie sind als die Sterbenden, und siehe, sie leben; als die Gezüchtigten, und doch nicht ertötet; als die Traurigen, aber allezeit fröhlich; als die Armen, aber die doch Viele reich machen; als die nichts inne haben, und doch Alles haben. Sieh' an den Schlüssel zu diesem Geheimnisse: der Geist hilft ihnen in ihrer Schwachheit auf und lässt sie immer siegen durch Seufzer, welche sie selbst nicht aussprechen können.