Krummacher, Gottfried Daniel - Die Sonne der Gerechtigkeit - 1. Predigt über Maleachi Kap. 4, V. 2.
Es ist in der Tat betrübt, wenn wir vernehmen, dass schon Abraham Ursache zu der Besorgnis hatte, er sei auf seinen Reisen, die er nach göttlichem Willen machen musste, in ein Land gekommen, wo keine Gottesfurcht anzutreffen sein möchte. Denn so äußerte er sich gegen den König des Landes, wohin er gekommen war: ich dachte, vielleicht ist keine Gottesfurcht an diesem Ort, und werden mich erwürgen. 1. Mos. 20,11. Hätte Abraham das Gegenteil vermutet, so würde er getrost gewesen sein, nun aber besorgte er mit Recht, dass da, wo keine Gottesfurcht ist, es auch an dem Damm fehlt, welcher der Ausübung des Bösen und allerlei Unordnungen Einhalt tut. Heutzutage soll freilich, was das öffentliche Leben anbetrifft, die Polizei den Mangel an Gottesfurcht ergänzen. Wie es ihr gelingt, liegt am Tage, da ja ach! Gott erbarm's - auch unter uns allerlei Unfug getrieben wird, und sogar - es ist schrecklich zu sagen - Mordtaten begangen worden sind. Ach! wäre Gottesfurcht so allgemein, wie sie es leider nicht ist, würde die Polizei leichte oder gar keine Arbeit haben, und es sich ausweisen, wie wahr ein König gesagt hat: Gottesfurcht erhöht ein Volk.
Wäre sie einheimischer in den Häusern, wie viel gesitteter, ordentlicher, besser würde es da zugehen. Würde dadurch nicht die so häufige Zwietracht zwischen Eheleuten, zwischen Kindern und Eltern und Nachbarn verbannt, und mit derselben Eintracht und Friede einkehren? Würde des Schwelgens und Lärmens nicht ein Ende werden, wenn sich die Menschen nicht wie das Vieh von dem Sturm ihrer wilden Leidenschaften, sondern von der Gottesfurcht regieren ließen? Würde durch dieses nicht der zunehmenden Armut am kräftigsten gesteuert werden, da sie verhüten würde, dass die Menschen sich nicht dem Müßiggang und der Liederlichkeit ergeben, und sie anleiten würde, Fleiß und Sparsamkeit anzuwenden. Nun muss manchmal Not und Druck der Zeiten das erzwingen, was Gottesfurcht von selbst erzeugt, und in viel besserer Art, und Nahrlosigkeit1) statt desjenigen Dammes dienen, den die Gottesfurcht bauen sollte. Was murren die Leute im Lande also? Öffnet nicht der Mangel an Gottesfurcht ihren frechen Mund, da ihr Dasein sie in allem auf Gottes Hand aufmerksam machen, und sie sanft und kräftig an leiten würde, sich unter ihre Gewalt zu demütigen, dass er sie erhöhte zu seiner Zeit.
Wohnte Gottesfurcht in deinem Herzen, würdest du dann wohl solch faul und gottlos Geschwätz führen, wie du nun tust, so lügen, fluchen und schwören; würdest du so stolz, so geizig, so betrügerisch, so falsch sein; würdest du dich selbst so aller Gnadenmittel berauben, und so leben können, wie du tust? Gewiss nicht.
Wir haben nun zeitliche Vorteile der Gottesfurcht angedeutet. Wie groß sind ihre Vorteile auch außerdem, dass sie die Verheißung dieses Lebens hat, erst für das Zukünftige. Einer von denen der Gottesfurcht zugesagten Vorteile soll diesmal den Gegenstand unserer Betrachtung ausmachen.
Text: Maleachi 4, 2.
„Euch aber, die ihr meinen Namen fürchtet, soll aufgehen die Sonne der Gerechtigkeit; und Heil unter desselbigen Flügeln.“
Maleachi war einer von den wenigen Propheten, welche Gott dem jüdischen Volke nach der babylonischen Gefangenschaft erweckte, und unter diesen der Letzte, also dass zwischen ihm und Johannes dem Läufer ein Zeitraum von 410 Jahren ablief. Sein Büchlein ist besonderen Inhalts. Der Herr schilt und tadelt das Volk über mancherlei, fängt aber mit der Versicherung an: ich habe euch lieb; und bei wem das feststeht, der kann schon was Verweise ertragen. Auf alles, was der Herr ihnen vorhält und vorrückt, haben sie eine Gegenfrage, und ich weiß kaum, was ich davon sagen soll. Wenn der Herr z. B. sagt: Ein Sohn soll seinen Vater ehren und ein Knecht seinen Herrn. Bin ich nun Vater, wo ist meine Ehre? Bin ich Herr, wo fürchtet man mich? so antworten sie: womit verachten wir dich denn? Spricht er: ihr redet hart wider mich, so tun sie die Gegenfrage: was reden wir wider dich? und Gott antwortete durch den Propheten: damit, dass ihr sprecht: es ist ums sonst und eitel Mühe, dass man Gott dient, und was nützt es, dass wir seine Gebote halten, und hart Leben führen vor dem Herrn Zebaoth, darum preisen wir die Verächter, denn die Gottlosen nehmen zu. Was waren das für Fragen? Lag ihnen Demut zum Grunde und ein bußfertiger Sinn, der gern bereit ist, sich über seine Unarten aufklären zu lassen, und es gern zugibt, dass sie erst aufgedeckt und dann erst weggeräumt werden? Oder lag diesen Gegenfragen eine trotzige Selbstgerechtigkeit zum Grunde, die nicht gefehlt haben will, oder deren Versehen nichts auf sich haben soll? Leute, die so gesinnt sind, wie es die letzte Antwort auf die Frage: was reden wir wider dich? voraussetzt, sind gewiss aus unbußfertigem Trotz zusammengesetzt. Doch waren auch solche da, die den Namen des Herrn fürchteten. Ist das nicht aber auch besonders, dass mitten durch das finstere Gewölk von Vorwürfen die lieblichsten Sterne der Verheißungen schimmern, wenn es z. B. eben geheißen hat: ihr macht den Herrn unwillig durch eure Reden, und sie nach gewohnter Weise entgegnen: womit? worauf sie die Antwort bekommen: Damit, dass ihr sagt: Wer Böses tut, gefällt dem Herrn, oder wo ist der Gott, welcher strafe? so heißt es doch gleich darauf: Bald wird kommen zu seinem Tempel der Herr, den ihr sucht, und der Engel des Bundes, des ihr begehrt; die schöne Zusicherung: Ich bin der Herr, der nicht lügt, und es soll mit den Kindern Jakobs nicht gar aus sein, folgt unmittelbar auf die Drohung: ich will zu euch kommen und euch strafen, und will ein schneller Zeuge sein wider die Zauberer, Ehebrecher und Meineidigen. Wer die Gründe des Gnadenbundes, die freie Gnade Gottes und die Genugtuung Christi versteht, wird das ganz in der Ordnung finden.
So strahlt auch der helle Stern der Verheißung unseres Texts, aus einem finstern Gewölk, da es im 1. V. heißt: Siehe, es kommt ein Tag, der brennen soll wie ein Ofen, da werden alle Verächter und Gottlose Stroh sein, und der künftige Tag wird sie anzünden, spricht der Herr Zebaoth, und wird ihnen weder Wurzel noch Zweig lassen. Euch aber, die ihr meinen Namen fürchtet, soll aufgehen die Sonne der Gerechtigkeit, und Heil unter desselbigen Flügeln; und ihr sollt aus- und eingehen und zunehmen wie die Mastkälber. Er bezeichnet genau die Personen, welchen es gilt: euch, die ihr meinen Namen fürchtet. Diesen wird die Verheißung gegeben: soll aufgehen die Sonne der Gerechtigkeit. Wir betrachten denn:
- die Personen,
- die Zusage.
Die Personen werden in der Anrede genau bezeichnet. Euch die ihr meinen Namen fürchtet; mit Ausschließung, von welchen es Kap. 3,5 heißt: sie fürchten mich nicht. Es gibt also Menschen, die Gott nicht fürchten, es gibt aber auch solche, die ihn fürchten. Lasst uns diese näher kennen zu lernen suchen. Es heißt hier: die meinen Namen fürchten, meinen Namen, statt mich. Doch ist der Name Gottes nicht bloß der merk würdige Gedenkname, den er sich selbst gegeben, der Name Jehovah, welcher die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft in sich fasst, sondern alles, was von ihm gesagt werden kann. Alle seine Eigenschaften zusammen genommen, bilden seinen Namen, den folglich kein Mensch aussprechen, oder fassen, oder denken kann. Denn Niemand, auch unter den Engeln kennt Niemand den Vater, als nur der Sohn, denn um ihn ganz zu kennen muss man selbst unermesslich sein, wie er es ist, und das ist außer ihm niemand. Wer das Meer in ein Gefäß schöpfen wollte, müsste ein solches haben, das den gleichen Raum, wie das Meer selbst, enthielte. Ein leises Wörtlein haben wir davon vernommen, sagt Hiob, wer aber, seht er hinzu, kann den Donner seiner Macht verstehen. Niemand wird leben, der mich sieht, heißt es. Und wollte sich Gott irgendeiner Kreatur in seiner ganzen Herrlichkeit, sei es in seiner Heiligkeit oder Liebe, seines Ernstes oder seiner Güte offenbaren, so müsste sie vergehen. Kann niemand die Sonne ansehen, wie viel weniger den Schöpfer. Jegliche seiner Eigenschaften ist von der Art, dass sie sein Name ist. Nennen wir ihn den Mächtigen, den Gütigen, so ist er das, und zwar in einer Weise, wie außer ihm Niemand, und keiner als nur durch ihn. Wir nennen ihn allmächtig, nennen ihn allwissend und reden recht. Aber wo ist der, welcher es nur von ferne fasst, was er sagt?
Sein Name deutet auch auf seine besondere Werke. Die Schöpfung in ihrem ganzen Umfang, das majestätische Zelt des Himmels über unserm Haupte, die Erde unter unsern Füßen, jetzt im Frühling wie im Brautkleide, bald im Reichtum ihrer goldenen Frucht, zuletzt im Leichentuche des Schnees ohne Leben, nennt uns ihn auf mannichfaltige Weise. Auch die Blumen und Gewächse haben ihre Sprachen, leise zwar, doch dem zarten Ohr vernehmlich genug, und reden freundlich von dem Freundlichen, wie die himmelanstrebenden Berge, und das unermessliche Meer, und der heulende Sturm, erhaben von dem Erhabenen. Hört das Gebrüll des majestätischen Donners, von welchem, sagt Hiob, die Säulen des Himmels erzittern, und sich entsetzen vor seinem Schelten. In der Natur spricht alles etwas von dem göttlichen Namen aus, das eine mehr und vernehmlicher, das andere weniger und leiser. Ein feuerspeiender Berg, welche Sprache beredet er! Unter den lebenden Wesen, worauf weiset die Majestät des gewaltigen Löwen, die Klugheit des unförmigen Elefanten und die Größe eines Walfisches, aber auch die bunte Pracht eines Schmetterlings, der gewesenen Raupe, die Kunstfertigkeit der fleißigen Biene, die Zeit- und Länderkenntnis der ihr bedürfenden Zugvögel? Wer kann dies alles mit einigem Nachdenken betrachten, ohne mit dem Psalmisten auszurufen: Groß und viel sind deine Werke, sie sind alle weislich geordnet, und die Erde ist voll von deiner Güte.
Der Name Gottes umfasst auch alles, was von seinetwegen gesagt und getan wird. Vorzugsweise gilt dies von jenen heiligen Männern Gottes, welche redeten, getrieben durch den heiligen Geist, deren Aussprüche wir nicht als ihre eigenen Gedanken und Ansichten, sondern als göttliche Aussprüche und folglich als entscheidende Norm und Regel, wie unseres Glaubens, so unseres Verhaltens und unserer Hoffnung zu verehren, verbunden sind. Vorzugsweise ist dies die Schuldigkeit aller Prediger des Evangeliums, deren Vorträge sich genau an das geoffenbarte Wort Gottes anschließen müssen, dann aber auch, und insofern das geschieht, gerechte Ansprüche daran machen dürfen, dass ihr Wort nicht als Menschen-, sondern, wie es denn auch wahrhaftig ist, als Gottes Wort auf und angenommen werde, und das Wort Christi auch von ihnen gelte, wo er sagt: wer euch hört, der hört mich, wer aber euch verachtet, der verachtet mich. Dies gilt auch von der Bedienung der heiligen Sakramente, wie es billig von allen Predigern in ihrem Maße gelten sollte, was Christus insbesondre und vorzugsweise zu den Aposteln sagt: ihr seid es nicht, die da reden, sondern eures Vaters Geist ist es, der durch euch redet; so könnte man auch sagen: ihr seid es nicht, die da taufen, konfirmieren und Abendmahl ausspenden, sondern seid nur Handlanger dabei, und man hat dabei gar nicht auf euch, sondern auf den zu sehen, dessen Stelle ihr unwürdig vertretet, und auf den dabei alles ankommt, wenn er gleich die Gnade haben will, sich eurer Lippen und Hände dazu zu bedienen.
Insbesondere ist Jesus Christus sein lebendiger Name, von dem Gort schon in der Wüste sagte: mein Name ist in ihm. Eigentlich kann Gott nicht in Worten ein Name gegeben werden, der das ganz ausdrückte, was er ist. Sein Name ist wie er selbst, sagt der Psalmist, und ein anderer spricht: kurz, Gott ist Gott, ich hab's gesagt, du selbst musst uns erscheinen. Jesus Christus, der sogar einen Namen hat, der über alle Namen ist, ist der lebendige Name Gottes, ist der Abglanz seiner Herrlichkeit und das ausgedruckte Bild seines Wesens. Wer daher ihn sieht, der sieht den Vater, dessen Wort er ist, worin Gott sich selbst ausgesprochen hat und ausspricht. Darum wohnt alle Fülle der Gottheit wesentlich in ihm, die er wiederum in uns ausgießen kann, und in die Gläubigen wirklich ausgießt, die aus seiner Fülle empfangen Gnade für Gnade. Sein Name wird uns wiederum in der Schrift unter allen Buchstaben genannt, damit wir ihn daraus kennen lernen, und der eine Name ergänze, was der andere nicht angab, welches alles sich in seinem Jesusnamen zusammendrängt. Wohl denen, die freiwillig in diesem Namen ihre Knie beugen, die auf seinen Namen hoffen, der da ist wie eine ausgeschüttete Salbe.
Endlich deutet der Name Gottes auf alles das, was ihn von allem andern unterscheidet. Da ist er der Gütigste unter allen Gütigen, und ist allein gütig, der Weiseste unter allen Weisen, und allein weise, der Furchtbarste unter allen Furchtbaren, und allein furchtbar, der Liebenswürdigste unter allen Liebenswürdigen, und allein liebenswürdig, der Ursprung aller Dinge und ihr Wesenhalter. Von ihm, durch ihn und zu ihm sind alle Dinge.
Die Gesinnung gegen diesen Namen wird in den Worten ausgedrückt: die ihn fürchten. Es ist wahr, dass diese Beziehung der Gottseligkeit mehr dem Geist des alten als des neuen Testamentes entspricht. Dort herrschte ein sklavischer Geist zur Furcht, hier ein kindlicher Geist, durch welchen wir rufen: Abba, lieber Vater! Dennoch sagt auch Petrus: Führt euren Wandel, so lange ihr hier wallt, mit Fürchten, und Paulus: Lasst uns fürchten, dass wir die Verheißung empfangen; sei nicht stolz, sondern fürchte dich. Es gibt allerdings eine Furcht, die Pein hat, von der Liebe, wenn sie völlig ist, ausgetrieben wird, und bei ihrer Völligkeit, welche Freudigkeit gibt, nicht bestehen kann. Nach dieser Völligkeit der Liebe, wie sie der neutestamentlichen Verfassung angemessen ist, soll jeder Bußfertige streben. Die Verheißungen sind aber einesteils so mit hinzugefügten Bedingungen umzäunt, dass denjenigen der Zutritt zu denselben verwehrt wird, die die erforderten Eigenschaften nicht besitzen. Wenn es z. B. in unserem Text ausdrücklich heißt: Euch, die ihr meinen Namen fürchtet, so beschränkt sich die Verheißung: soll aufgehen die Sonne der Gerechtigkeit, ausschließlich auf die also bezeichneten Personen mit Ausschließung aller derer, welche diese Gesinnung nicht haben; wenn es Ps. 149 heißt: Er hilft den Elenden herrlich, so wird die herrliche Hilfe lediglich auf die Elenden beschränkt. Es heißt nicht uneingeschränkt: sie sollen getröstet werden, sondern mit der Beschränkung: die da Leid tragen; nicht ohne weiteres: sie sollen satt werden, sondern diejenigen sollen es, die da hungern und dürsten nach Gerechtigkeit; nicht unbedingt: sie sollen Gott schauen, sondern die reines Herzens sind. Auf diese Weise wird das Brot für die Kinder aufgehoben, die Andern aber zurückgewiesen.
Andern Teils aber sind die Verheißungen durchgängig nach dem Herzen und den Bedürfnissen der Lämmer, der Kleinen, eingerichtet, sie zu ermuntern, nicht aber niederzuschlagen. Wo sind denn eigentlich die Verheißungen, welche den Fröhlichen, den Seligen, den Starken und Heiligen gegeben werden? Sie bedürfen auch derselben so sonderlich nicht, da sie die Erfüllung schon in sich haben. Es heißt deshalb ja auch nicht: selig sind, die satt geworden, selig sind die Getrösteten. Und gegen eine Verheißung solcher Art, gibt es zehn solche, wo nach dem Herzen der Allerkleinsten geredet wird, wie es auch in unserem Text geschieht, denn zu den Kleinen will er seine Hand kehren, so sehr, dass es auch solche Verheißungen gibt, worin Gott selbst dasjenige zu schenken verspricht, was bei einer andern zur Bedingung gemacht und vorausgesetzt wird. Hier z. B. wird die Furcht des Herrn vorausgesetzt, anderswo aber verheißen: ich will meine Furcht in ihr Herz geben. Nicht ohne Ursache heißt es hier: die meinen Namen, im Gegensatz gegen anderes, namentlich gegen Menschenfurcht, wo man sich göttlicher Dinge um der Menschen willen schämt, und sich scheut, Wahrheiten zu bekennen, Vorschriften auszuüben, dieses zu missbilligen und zu meiden, weil man besorgt, sich dadurch ihr Missfallen oder Unwillen, oder wohl gar ihren Spott zuzuziehen, statt sich sorgfältig zu hüten, dass man nicht mit der Welt verdammt werde, und deswegen eifrigst von ihr auszugehen und sich abzusondern. Dagegen ist derjenige gottesfürchtig zu nennen, der sich scheut, etwas zu denken, zu reden oder zu tun, was ihm das göttliche Missfallen zuziehen könnte, und sich hingegen alles desjenigen befleißigt, was dem Herrn gefällt, missfiel es auch der ganzen Welt. Paulus schämte sich des Evangeliums um der Juden und Heiden willen doch nicht, und wir alle sollten so gesinnt sein, dass wir ehe alle Kreaturen übergäben, denn im Geringsten wider des Herrn Willen täten.
Liebe ohne Furcht ist eine vollkommene Liebe, aber je mehr sie das ist, desto zarter ist auch das Aufmerken und die Rücksicht auf ihn, auf alle seine Anordnungen und Satzungen. Die edelste und höchste irdische Liebe, die wir kennen, ist die Mutterliebe, wie ist sie ohne alle Furcht, aber auch wie voll der zartesten Rücksicht auf den Säugling. Furcht ohne Liebe ist Sklavensinn, und wenn er auch Gehorsam erzwingt, so erzeugt er doch Widerwillen, Hass gegen den Gefürchteten und Neigung sein Joch, sobald sich Gelegenheit dazu zeigt, abzuschütteln. So feierten die Juden den Sabbat freilich, aber gegen Abend guckten sie nach den Sternen, und fragten: Ist der verhasste Sabbat bald um, dass wir an unsere Geschäfte kommen. Sie fasteten, weil sie mussten, forderten aber alsbald trotzig den Lohn, um deswillen sie es taten, und fragten frech: warum fasten wir, und du siehst es nicht an? Im vorigen Kapitel nennen sie die Gottseligkeit: ein hart Leben führen vor dem Herrn Zebaoth. Solch ein Sinn taugt nichts. Der Herr will umsonst aus Liebe gedient sein.
Die Gläubigen hier auf Erden stehen nicht alle auf der nämlichen Linie. Bei einigen schlägt die Liebe vor, weil sie aus Gnaden tief in die lebendige Erkenntnis der Vollkommenheit der Versöhnung eingeleitet sind, also los sind von dem bösen Gewissen, und kein Gewissen mehr haben von den Sünden, weil sie einmal gereinigt sind. In Kraft des empfangenen kindlichen Geistes schreien sie derhalben das Abba Vater! Bei andern Kindern Gottes, die noch nicht so viel Licht in die Versöhnung Jesu Christi empfangen haben, schlägt die Furcht vor, und sie werden sich, ihrem Standpunkte gemäß, am liebsten der allerehrfurchtvollsten Ausdrücke gegen Gott bedienen, als der vertraulichen, welche ihnen, als die Untertänigkeit beleidigend, erscheinen werden. Ein: Herr, Herr Gott! stimmt mehr zu ihrem Gemüte, als ein: Abba, lieber Vater! Während diejenigen, in deren Herz die Liebe Gottes ausgegossen ist durch den heiligen Geist auf eine wunderbar vertrauliche, kindliche Weise beten und reden, wovon das hohe Lied ein Beweis, aber auch eben deshalb schwer verständlich ist, weil die Liebe, die in seinem Liede herrscht, selten angetroffen wird, entsetzen sich die andern vor seinen Rechten, dass ihnen die Haut schauert, und unterstehen sich nicht, ihre kleinen Angelegenheiten, als zu unbedeutend, der allerhöchsten Majestät vorzutragen, wogegen jene ihm jede Kleinigkeit sagen dürfen, und auch wunderbar erfahren, wie er sich derselben so freund-väterlich annimmt, und für Alles sorgt, so dass es sich kaum erzählen lässt. Die Furcht unterstände sich nicht anders, wie es auch recht ist, als in der Gerechtigkeit Christi zu erscheinen, die Liebe umarmt sie; jene zittert über jeden Fehler, jene beweint ihn ohne die Freimütigkeit aufzugeben, und tut umso mehr einen Anlauf des Glaubens auf Jesu Herz, je deutlicher sie durch ihre Fehler an ihre Abhängigkeit von ihm und an die Unmöglichkeit erinnert wird, ohne ihn durchzukommen. So wie diese ihr Haupt fröhlich erhebt, senkt jene es untertänig nieder.
Von allen wahren Christen gilt es aber, dass sie Gott fürchten. Eben deswegen beugen sie sich unter alle Worte Gottes, sie fest zu glauben, mit Hintansetzung aller eigenen Weisheit und aller Einwendungen. Des Herrn Mund sagt es, das ist ihnen entschieden genug. Dies leitet sie eben sowohl in dem theoretisch oder historischen als praktisch und seligmachenden Glauben, welcher jenen vorausseht. Es ist gewiss, dass in beiden Beziehungen Einwendungen genug gemacht werden können und wirklich erhoben werden, sogar dass man selbst auf die Grundlage von Allem, nämlich auf das Wort Gottes selbst Sturm läuft, um mit einem Schlage die ganze Festung zu sprengen. Und wer kann leugnen, dass sie oft scheinbar genug sind. So wie aber ein leichtsinniges, und ohnehin Gott und seiner Wahrheit nicht ergebenes Gemüt darauf eingeht, so bebt ein Gottesfürchtiger davor zurück, und seine Gottesfurcht bringt ihn weiter, als es die ausgesuchtesten Gründe vermögen, indem er mit Psalm 119,36 betet: Lass deinen Knecht dein Gebot fest für dein Wort halten, und wende meine Augen ab, dass sie nicht sehen nach unnützer Lehre. Des Herrn Mund sagt es. Dies ist es auch, was ihm Waffen reicht zur Bestreitung der Einwendungen, die sein eigenes Gemüt gegen den praktischen und seligmachenden Glauben, gegen das herzliche Vertrauen zu Gott durch Christum aufbringt.
Und ob das Fleisch sagt lauter nein,
Lass doch sein Wort gewisser sein,
Und lass dir's ja nicht grauen.
Man ist doch verbunden, Gottes Aussprüche unendlich mehr gelten zu lassen, als unseres eignen Herzens eitle Gedanken, möchten sie sich auch noch so gewaltsam aufdringen wollen, und noch so gegründet erscheinen. Dass z. B. Jesus Christus in die Welt gekommen ist, Sünder selig zu machen, und bleibt doch so gewiss wahr, der Unglaube mag dagegen reden, was er will; dass Gott Missetat, Übertretung und Sünde vergibt, dass er den Müden Stärke, und Kraft genug den Unvermögenden gibt, ist doch alles nicht weniger wahr. Und schon die Ehrfurcht vor seinem Wort soll und kann uns Waffen in dem Glaubenskriege darreichen, den Unglauben damit zu befehden, und die sichern Plätze bezeichnen, wo man den Anker des schwankenden SchiffIeins auswerfe. Dein Wort, mein Hort, bleibt beständig.
Wer wahrhaftig Gott fürchtet, beugt sich unter alle Anordnungen und Zulassungen Gottes, und untersteht sich nicht, sie zu meistern, und vor seinen unbefugten Richterstuhl zu ziehen, denn Gottesfurcht macht demütig. Wie schmerzlich er auch die Folgen des Sündenfalles an sich selbst spürt, so wortlos, ja manchmal freudig beugt er sich unter das verehrungswürdige Gutfinden Gottes, nach welchem er alles unter dem Unglauben beschlossen, auf dass er sich aller erbarme, und ist so weit entfernt, als es vergeblich und sträflich sein würde, dagegen anzubellen. Nicht weniger, oder soll ich nicht sagen: noch weit bereitwilliger, beugt er sich unter die herrliche Anstalt Gottes, da er seinen Sohn in die Welt sandte zur Versöhnung für unsere Sünden, dass wir durch sein Blut aus seiner Gnade und ohne Zutun des Gesetzes gerecht würden, dass er ein Opfer brächte für unsre Sünde, das ewiglich gilt. Er beugt sich, bald in tiefer Verleugnung alles Vertrauens auf eigenes Vermögen, Weisheit und Gerechtigkeit, bald anbetend, bewundernd und lobpreisend unter das Walten der freien Gnade. Gottes, wonach es nicht liegt an jemandes Wollen oder Laufen, sondern an Gottes Erbarmen. Er genehmigt's in Untertänigkeit, dass Gott zunichtemacht, was etwas ist, dass er nur Narren weise macht, und Gottlose gerecht, und Sünder heiligt, und nur in Schwachen mächtig sein will. Mag's auch nicht ohne Seufzer und Tränen, mag es auch nicht ohne ein missbilligtes Widerstreben geschehen, er gibt doch seine Einwilligung dazu, dass wir durch viel Trübsal ins Reich Gottes gehen, und nur unter der Bedingung mit Christo herrschen, dass wir auch mit ihm leiden. Die unaufhörliche und gänzliche Abhängigkeit von dem Herrn und den Gnadenwirkungen des Heiligen Geistes, wie missfällig auch dem Fleische, das Gott gleich sein möchte, hat seinen untertänigen Beifall, so dass er auch je länger je weniger etwas für sich selbst zu sein begehrt, darum schickt er sich auch willig zu einem unablässigen Gebet, um all sein Anliegen mit Gebet und Flehen vor Gott kund werden zu laffen, ohne dadurch reicher in sich selbst werden zu wollen. Er schickt sich zum Anhalten im Gebet, ohne zu ermüden, wenn er sich auch zu einem geduldigen, dass ich nicht auf hebräische Art sage: zähen Herrn anschicken muss. Kurz, wer dem Herrn sein Herz gibt, lässt auch, seinem innersten Sinne nach, dessen Wege seinen Augen wohlgefallen.
Das gilt auch von seinen Geboten. Er, der Gottesfürchtige, unterschreibt sie in ihrem ganzen Umfange. Er respektiert das Gesetz als Gesetz, und zum Werkbund gehörend in seinem durch aus unausführbaren Forderungen, denen niemand untertan zu sein vermag, und in den angeführten Drohungen, die niemand ertragen kann. Er verehrt es in seiner, dem Sünder tödlich furchtbaren, Majestät, als heilig, recht und gut. Er gesteht es ein, dass es so sein müsse, wie es ist, wenn es ein Zuchtmeister zu Christo sein und uns nötigen soll, dasjenige bei Christo zu suchen, was dem Gesetz unmöglich ist, sintemal es durch die Sünde geschwächt ist. Er lässt sich durch dasselbige aller eigenen Gerechtigkeit berauben, um sie da zu suchen, wo sie probehaltend gefunden wird, mag dies auch nicht ohne Verwundung und Zermalmung hergehen. Noch weit bereitwilliger genehmigt er die Gebote, insofern sie einen gesegneten Teil des Gnadenbundes ausmachen, und also im eigentlichen Sinne Verheißungen sind, obschon sie wie Forderungen lauten. Wie gern ist er's zufrieden, ja wie lebhaft wünscht er's, wie dringend betet er darum, dass der Herr seine Gebote in sein Herz schreibe in seinen Sinn gebe, und einen solchen Menschen aus ihm mache, der in seinen Geboten wandele, seine Rechte halte, und danach tue. Wie bereitwillig ist er, Buße zu tun, seine Sünden zu beweinen, zu hassen und zu meiden; wie bereitwillig, Christum durch wahren Glauben so anzunehmen, wie er uns von Gott gemacht ist zur Weisheit, Gerechtigkeit, Heiligung und Erlösung, und fortzufahren mit der Heiligung in der Furcht Gottes, und sich in allen Stücken zu erweisen als ein Diener Christi, der seine Lehre mit seinem Wandel ziert.
Wer des Herrn Namen fürchtet, der hält auch seine Verheißungen hoch und teuer. Er nennt sie mit Petro die teuersten und allergrößten Güter, gibt ihnen, wie sich's gebühret, den Vorzug vor allen andern Gütern, und begehrt vor allen andern Dingen, dass sie an ihn in Vollzug gesetzt werden mögen. Er achtet den treu, der's versprochen hat, dass er's auch tun werde, und bemüht sich, auch ohne Sehen und Fühlen, der gesegneten Führung entgegen zu harren, und sich auch in dunkeln, widerwärtigen Wegen daran festzuklammern, und sich durchzuglauben auf Hoffnung, wo nichts zu hoffen ist.
Wer den Namen des Herrn fürchtet, der schätzt sein Wohlgefallen über alles hoch, und betrachtet es als das größte Übel, ihm zu missfallen. Könnte er die größten irdischen Vorteile, die glänzendsten Ehrenstellen, den Beifall einer halben Welt, die ausgesuchtesten Vergnügungen erlangen, jedoch nicht anders, als dass er das göttliche Wohlwollen dabei aufs Spiel sehe, müsste er sich, um dies göttliche Wohlwollen nicht zu gefährden, den empfindlichsten Nachteilen bloßstellen, seine Wahl wäre schon getroffen, dass er lieber mit Jesu sterben, als wider ihn leben möchte, wenn gleich seine Natur darob erzitterte, dass ihm nur eine solche Wahl gestattet wäre. Wie erhaben erscheint hier Abraham. Entschlossen, das größte Opfer zu bringen, rief's nun über ihm: nun weiß ich wahrhaftig, dass du Gott fürchtest. Ein ähnlicher Sinn stände jedem Menschen ungemein wohl an, und wäre seine größte Zierde. Wer ganz davon entblößt ist, ist eine verächtliche Seele, und wäre er der Gegenstand allgemeiner Bewunderung.
Endlich heben wir aus dem Charakter des Gottesfürchtigen noch den Zug hervor, dass er sein ganzes Bestehen und Beginnen, sein Tun und Meinen, sein Lassen und Wirken stets auf Gott bezieht, und wie vor seinen Augen wandelt. Was dem Steuermann Steuerruder und Kompass, dem Baumeister sein Bauplan, was dem Schützen das Ziel ist, das ist Gott demjenigen, der seinen Namen fürchtet. Er handelt, er glaubt, er redet, er schweigt nicht nach eigenem Gefallen, sondern im Aufblicken, mit steter Rücksicht auf den Herrn, sein Gebot und Wort.
Dies sind einige Züge aus dem Bilde eines solchen, der den Namen des Herrn fürchtet. O! möchtet ihr alle eure innere Gestelltheit in diesen Zügen erkannt haben, dann seid ihr die Personen, denen die Sonne der Gerechtigkeit, wofern sie euch noch nicht aufgegangen ist, noch aufgehen soll mit Heil unter ihren Flügeln. Möchtet ihr wenigstens einen prüfenden Blick in euer Inneres geworfen haben und noch werfen, um zu erfahren, ob auch wohl über euch eine himmlische Stimme ausrufen würde: ich weiß wahrhaftig, dass du Gott fürchtest. Es muss muss so sein. So lange So lange keine wahre Gottesfurcht bei euch ist, mangelt's euch auch noch sogar an dem Anfange der wahren Weisheit, und ihr seid erschreckliche Toren. Und leider gibt's deren nur allzu viele, die Gott nicht fürchten, und eben deswegen von dem höllischen Grauen und Entsetzen werden überfallen werden. Darum fürchtet den Herrn, ihr seine Heiligen; denn die ihn fürchten, haben keinen Mangel. Amen.