Krummacher, Friedrich Wilhelm - XVII. Der König im Felde.

Krummacher, Friedrich Wilhelm - XVII. Der König im Felde.

Der Kriege und des Kriegsgeschrei's wird in der Welt kein Ende werden, bevor die ersehnte Zeit hereinbrach, da nach der Weissagung Sacharjas „auf den Schellen der Rosse stehen wird: Heilig dem Herrn, und kein Canaaniter mehr sein wird im Lande.“ Der Krieg steht mit der ursprünglich von dem Schöpfer gesetzten Ordnung in grellem Widerspruch; denn Gott wollte nicht, daß seine „zu seinem Bilde geschaffenen“ Kinder sich untereinander zerfleischten, sondern daß sie sich auf Händen der Liebe trügen. Die „Engel des Friedens“ möchten bitterlich weinen, wenn sie aus ihrer seligen Höhe auf unsre Schlachtfelder herabschauen, während wir vielleicht Angesichts der letztem freudetrunken Lorbeerkränze winden, und Jubelhymnen anstimmen. Diese blutgetränkten Aecker sind ja nur Zeugen, als welch' eine furchtbare Großmacht die Sünde, diese Mutter des Krieges, sich noch auf Erden geltend mache. Nichtsdestoweniger übt der Herr Geduld und Nachsicht, und statt noch einmal im Hinblick auf das entartete Geschlecht zu sprechen: „Alles Fleisches Ende ist vor mich gekommen, da die Erde voll Frevels von ihnen ist, und siehe, ich will die Sünder verderben mit der Erde,“ läßt er sich herab, auch in die Kriegesstürme der Menschen lenkend und regierend einzugreifen, und sie seinem Reichsplane dienstbar zu machen. Durch sie führt er seine Gerichte aus? weckt er die geistlich Todten aus ihrer Starrsucht, gebietet er den Leichtsinnigen Halt, und reinigt die Luft von manchen bösen Elementen. So läßt er sichs sogar gefallen, daß sein Knecht Moses ihn 2, Mos. 15, 3, den „rechten Kriegsmann“ nennt. Und er ist es, und der Sieg ihm allezeit gewiß. Wie wirr auch oft die Fäden der Weltgeschichte sich durchkreuzen mögen, der Tag bleibt nicht aus, an welchem über den Kreis der Erde wie eine Stimme vieler Donner der Ruf erschallen wird: „Halleluja! Der Allmächtige hat das Reich eingenommen!“ - Wohl darum Allen, die zu Sein er Sache stehen, und seiner Bundesgenossenschaft sich zu erfreuen haben. Sie werden mit ihm triumphiren. Wehe dagegen denen, die unter dem Banner des „Fürsten dieser Welt“ den Interessen des Himmelreichs widerstreben, während sie denselben doch nur unwissend und widerwillig dienen müssen. Diese werden einst der über sie verhängten positiven Strafe das niederschlagende und peinigende Bewußtsein sich beigesellen sehen, daß ihr ganzes Erdenleben nur einer Brandung gleich gewesen sei, die erfolglos ihre Macht an einem unwandelbaren Felsen versuchte und erschöpfte.

O, selig der Mann, dem dringender nichts am Herzen liegt, als daß bei all' seinem Thun er mit Gott, und Gott mit ihm sei. Wir werden diesem Manne heute, und zwar im Könige David, auf's neue begegnen.

2. Sam. 5, 19. „David fragte den Herrn und sprach: Soll ich hinaufziehen wider die Philister?“

David ist kaum zum Herrscher über das ganze Israel gekrönt, und auf den Händen seines huldigenden Volks getragen, in seine Zionsburg eingezogen, als abermals aus seiner stolzen Ruhe die Kriegsdrommete ihn auf den Kampfplatz ruft. Als König betritt er denselben zum ersten Male; aber nur, um zur Stärkung seines Glaubens mit drei Erfahrungen gesegnet zu werden, um die ihn jeder Fürst und Feldherr beneiden durfte. Fassen wir dieselben näher in's Auge.

Der alte Feind Israels steht wieder gerüstet auf dem Plane. Gott der Herr weiß den Ermuthigungen, die er seinen Freunden zu Theil werden läßt, jederzeit auch des Demüthigenden so viel beizumischen, als hinreicht, sie vor der Gefahr, das Gleichgewicht zu verlieren, sicher zu stellen. Die Philister, die überhaupt noch nicht aus allen Winkeln des Landes vertrieben waren, sind mit verstärkter Heeresmacht wieder in Juda hereingebrochen, und bis zum Grunde Rephaim, einer fruchtbaren südwestlich von Jerusalem sich ausbreitenden Ebene, durch welche sich die Grenze der Stämme Juda und Benjamin hindurch zog, vorgedrungen. Sie hörten von der begeisterten Huldigungsfeier in Hebron und von der Erhebung des Mannes, der einst den Stolz ihres Landes, den Helden Goliath, erschlug, auf den Thron Sauls, und erachteten es an der Zeit, mit Allem, was ihnen an Reisigen und Rossen zu Gebote stand, ihm, den sie noch nicht hinlänglich gerüstet glaubten, die Spitze zu bieten. Leicht konnte es den Schein gewinnen, als wolle Gott sich ihrer nachträglich noch als einer Zuchtruthe wider David für die in ihrer Mitte begangenen Fehltritte bedienen. Zudem mochte dem David die Erinnerung an die Gastfreundschaft, welche die Philister ihm, dem Flüchtlinge, einst gewährten, den Kampf gegen sie, die Retter seines Lebens, nicht wenig erschweren. Freilich hatten sie jetzt nach frevelhaftem Friedensbruche sein Vaterland überfallen. Aber konnte es nicht dennoch gerathen erscheinen, daß David vorab wenigstens einen Versuch machte, durch Friedensunterhandlungen der Nothwendigkeit des Blutvergießens auszuweichen? In der That bedurfte der König, um mit voller Entschlossenheit und Freiheit seiner Seele in den Kampf einzutreten, eines unzweideutigen Rathes aus der Höhe; und so wandte er sich denn, nachdem er bereits seine Burg verlassen, und mit seinem Heere den andringenden Philisterhaufen gegenüber auf einer von der Natur befestigten Felsenhöhe Stellung genommen hatte, wiederum, ob unmittelbar oder durch Vermittlung des Priesters wird nicht gemeldet, mit der demuthsvollen Frage an den Herrn: „Soll ich hinauf ziehen wider die Philister, und wirst du sie, falls ich es soll, in meine Hand geben?“ Und der Herr antwortete in anbetungswürdiger Herablassung seinem Knechte: „Zeuch hin; ich gebe die Philister in deine Hand!“ Von diesem Augenblicke an war David an Muth, Thatkraft und Siegesgewißheit wieder ein ganzer Mann. Neu belebt durch des Herrn Wort, ließ er zum Angriff blasen. Die Heere stürmten wider einander; aber die Philister hielten nicht lange Stand, sondern wurden geworfen und in die Flucht geschlagen. David gab dem Herrn die gebührende Ehre, sprechend: „Der Herr hat meine Feinde vor mir von einander gerissen, wie die Wasser reißen.“ Der Sinn dieser seiner Worte war: Der Herr hat sie einem Strome gleich gemacht, der durch die Dämme brechend, wild und brausend in das Brachfeld sich ergießet. Vielleicht, daß David bei jenem Ausspruch auch an die Wogen des rothen Meeres gedachte, die auf einen Wink Jehova's sich zertheilten, und dem Volke freien Durchgang gewährten. Der Ort, wo die siegreiche Schlacht geschlagen war, hieß fortan „Baal-Prazim,“ d.i. „der Herr hat zersprengt,“ wobei zu bemerken, daß damals das Wort „Baal,“ d. i. „Herr“ noch nicht, wie in späterer Zeit, nur zur Bezeichnung des phönicischen Götzen, sondern auch noch zu der des wahren lebendigen Gottes Israels diente. Wie gründlich aber der Schrecken gewesen sein mußte, der auf die Philister gefallen war, bezeugte unter Anderm der Umstand, daß sie ihr Kostbarstes, für welches ihnen sonst Leben und Blut ein geringer Preis dünkte, ihre Götterbilder, als Beute für die Sieger hinter sich zurückgelassen hatten. Diese säumten nicht, sie zusammen zu raffen, errichteten in der Eile einen Scheiterhaufen, und verbrannten sie zum Preise des Einen wahren und lebendigen Gottes, des Gottes Abrahams, Isaaks und Jakobs, der ihnen so wunderbar und herrlich zur Seite gestanden hatte. Dies war die erste der drei glaubenstärkenden Erfahrungen, die dem Könige in jenem Kriegszuge zu Theil ward. Wir sehen uns hier auf's neue in der Ueberzeugung bestärkt, daß die Kriege der Kinder Israel alle in ihrer tiefsten Bedeutung Religionskriege waren; aber solche, die nicht etwa eine zwangsweise Ausbreitung ihres Glaubens, sondern nur eine Abwehr der heidnischen Finsternis; von ihren Grenzen zum Zweck hatten, und darum des Wohlgefallens Gottes, des Lenkers der Schlachten, sich erfreuen durften.

2.

Die zur Flucht genöthigten Philister hatten sich bald wieder gesammelt, und ihre Lücken durch neue Zuzüge ausgefüllt. Abermals gelang es ihnen, bis zu der früheren Wahlstatt im Grunde Rephaim vorzudringen. Da begab sich, was nachträglich im 23. Kapitel unsres Buches berichtet wird. Die Philister haben Bethlehem besetzt. In geringer Entfernung davon schlug David in einer natürlichen Bergfeste, sein Lager auf. Ihm selbst und seinen Feldherrn dient die bekannte Höhle Adullam zum Gezelt. Seine Leute tragen ihr Haupt hoch. Wie sollten sie auch nicht? Es vereinigt sich so mancherlei, um ihnen ein erhebendes Selbstgefühl zu geben. Sie wissen sich zuvörderst als die Banner-, Schild- und Waffenträger dessen, der nicht aus menschlichem Auftrag, sondern durch allerhöchste Belehnung an ihrer Spitze steht. Sie dienen in unmittelbarster Bethätigung einem Vertreter der göttlichen Weltordnung auf Erden. Sie bilden in ihrer Gesammtheit, als Armee, den lebendigen Spiegel, in welchem heller als irgendwo sonst, die Strahlen der Majestät und Glorie des Herrscherthrones eines Statthalters Gottes sich brechen. Sie stellen in ihrer organischen Gliederung, in ihrem unbedingten und doch freien Gehorsam, und in ihrer dienstlichen Pünktlichkeit und Mannszucht der Welt ein hehres Ideal vor Augen, das einem Gesetze entspricht, welches nicht menschlichen Ursprungs ist, sondern von oben stammt, und in jedem Gewissen das Ansehen einer unumschränkten Macht beansprucht: es ist das Ideal der unverbrüchlichen gottgewollten sittlichen Weltordnung. Und höher, als dies „schwellt ihnen den Busen noch ein Anderes. Nicht ist's das, daß sie sich als die Blüthe, das Mark und den tatkräftigen Kern ihres Volkes wissen, sondern daß sie sich wissen als die göttlich bestellten Wächter und Hüter sowohl des Herdes, des Throns und Altars, als überhaupt der edelsten und unveräußerlichsten Güter ihres Volks gegen Angriffe von Außen und von Innen. Als die gerüstete Mannschaft des Landes bilden sie den ehernen Schirmwall des Reiches Gottes und die Achtung gebietende Umzäumung des Bodens, auf welchen ihr Volk geistlich wie leiblich dem Ziele der ihm durch Gott gesetzten nationalen Bestimmung entgegenreifen solle. Solch reiches Bewußtsein mußte den Kriegsleuten Davids ja einen besondern Schwung ertheilen. Es gab ihnen den rechten Ritt ersinn, wie es denn bis zu dieser Stunde noch dem Kriegerstande erst den wahren Adel verleiht.

Auf einem Vorsprunge der Anhöhe steht David wie auf einer Warte und harrt auf Verstärkung aus Juda, um dann wider den Feind im Thale Kephaim zum Angriff zu schreiten. Nach langen, aber stets mit Sieg gekrönten Kreuz- und Querzügen erfreut er sich einmal einer augenblicklichen Waffenruhe, wenn einer flüchtigen Pause dieser Name zukommt. Umgeben von einigen seiner Feldhauptleute blickt er hinaus in die Ferne. Vornehmlich aber ruht sein Auge auf seinem Geburtsstädtlein, das er schon länger nicht mehr geschaut noch betreten hat. Tausend Erinnerungsbilder aus den Tagen, da er, ein harmloser, glücklicher Knabe, dort noch die Heerde seines Vaters weidete, umschweben bewegend seine Seele. - Der Tag ist heiß und schwül. Da regt sich in ihm ein Verlangen nach einem Trunk des köstlichen, heute noch berühmten Wassers, das unter dem Thore Bethlehems quillt, und welches ihn in seiner Jugend so manchmal gelabt hatte. - Unwillkürlich entschlüpft seinen Lippen die Frage: „Wer will mir zu trinken holen des Wassers aus dem Brunnen zu Bethlehem unter dem Thor?“ Kaum ist diese Frage verlautet, als auch schon drei seiner Tapfern: Tachkemoni, Eleasar und Samma, zu deren Ohren sie drang, im Fluge auf und davon sind. „Sie rissen,“ meldet die Geschichte, „ins Lager der Philister,“ und ehe noch die heidnische Wache von der Ueberraschung dieses Ueberfalles sich erholt, und wieder Athem zum Allarmblasen gewonnen hat, haben die Muthigen schon des Wassers aus dem Brunnen geschöpft, und den Rückweg angetreten, um es ihrem Herrn zuzutragen. Eine ritterliche That dies! Aber war sie nicht Tollkühnheit vielmehr, wenn nicht gar „Servilität“, und hieß dies nicht Luxus treiben mit dem Muth, und verschwenderisch mit dem Leben umgehn? - Diese Frage ähnelt derjenigen, mit welcher einst Judas Ischarioth die Salbung der Maria zu Bethanien zu bemäkeln sich herausnahm. Lautere Liebe hat ihr Maaß in sich selbst, und entzieht sich in ihren Aeußerungsformen jeder Kritik. Freilich weihete Maria dort das Köstlichste ihres Besitzes keinem sterblichen Fürsten, sondern dem Erlöser der Welt, ihrem einigen Seligmacher. Aber auch die opferfreudige That der drei Helden galt nicht sowohl dem Menschen David, als vielmehr in ihm dem „Gesalbten des Herrn,“ und somit dem Herrn selbst. Hätte ein Wunsch oder Befehl ihres menschlichen Gebieters und Kriegsherrn mit irgend einem Gebote Gottes in Widerspruch gestanden, ohne Zweifel hätten sie dann gesprochen: „Uns ziemt es, Gott mehr zu gehorchen, denn den Menschen,“ aber in demselben Momente auch ihren Degen, ja, ihr Haupt dem Könige zu Füßen gelegt.

Die drei wackern Kriegsleute, deren That die Geschichte mit den einfachen aber bedeutsamen Worten feiert: „Das thaten die drei Helden!“ langen unversehrt bei der Höhle Adullam wieder an, und reichen das Gefäß mit dem frischen Labetrunk aus dem Betlehemsborne dem Könige dar. Dieser nimmt die Schaale aus den Händen der Getreuen huldreich entgegen; aber statt sie zu seinen Lippen zu bewegen, gießt er den Inhalt derselben, „dem Herrn als ein Trank- und Dankopfer,“ auf die Erde, und spricht: „Das lasse der Herr ferne von mir sein, daß ich's trinken sollte! ist das Wasser nicht das Blut der Männer, die dahin gegangen sind, und ihr Leben gewagt haben!“ - Auch dies ein schöner Zug ritterlichen Hochsinns! Der König begehrt es im Felde nicht besser zu haben, als seine Krieger. Alle Mühseligkeiten und Entbehrungen will er mit ihnen theilen. Das Trankopfer war übrigens in Israel vornehmlich Bezeichnung der Bußtrauer. David beugte sich vermittelst jener sinnbildlichen Handlung reuig darob vor dem Herrn, daß er so unüberlegt das: „wer will mir des Wassers holen?“ an seine Tapfern gerichtet, und ohne Noth das Leben dreier seiner edelsten Trabanten auf's Spiel gesetzt hatte. Zugleich aber bezeugte er damit dem Herrn seinen zwar stummen aber tiefgefühlten Dank dafür, daß er ihm so treu ergebene und willfährige Diener zugeführt habe. Also Edelsinn auf allen Seiten! -

Aus jener Lagerscene dämmert uns manches Vorbildliche entgegen. Auch wir wissen ja von einem offenen Brunnen Bethlehems, dessen Wasser den Durst der Seele auf ewig stillt. Gnade, Vergebung, Rechtfertigung und Kraft zur Heiligung ist das Wasser, das hier geschöpft wird, und des Wassers Wirkung ist der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft. Auch dieser Brunnen war einst unter Verschluß in der Philister Händen. Die drei Helden, welche durchrissen, um ihn uns wieder zugänglich zu machen, wer kennt sie nicht? Luther, Calvin und Zwingli sind ihre Namen. Buße, Gebet und Glaube sind die drei, die heute uns das Wasser zum Munde führen. Wir freilich trinken es, und so geschieht uns, was einst zu der Samariterin gesagt ward: „Wer des Wassers trinken wird, das Ich ihm gebe, in dem wird es ein Brunnen des Wassers werden, das in das ewige Leben quillet.“ Dann aber ergießt sich auch wieder das, womit wir getränkt wurden, in einem nie mehr versiegenden Strome der Liebe und Dankbarkeit gegen Den, der der persönliche Urborn alles Lebens ist, und so treten wir auch in demjenigen Momente dem Vorbilde des Sohnes Isais wieder nahe, in welchem er das Trankopfer vor dem Herrn und zu des Herrn Preise ausgoß. Möchten wir Alle nur erst, wie damals David nach dem leiblichen, so nach dem geistlichen Brunnen unter dem Thore Bethlehems „lüstern“ werden! Auf den Tummelplätzen der Welteitelkeiten wird dieser heilige Durst sich selten fühlbar machen. Brennend erwacht er in uns erst in der „Höhle Adullam“, wo die „allerlei Leute“ sich sammeln, welche „in Noth, Schulden und betrübten Herzens sind.“

3.

Zurück auf den Kampfplatz! Der Sturmlauf der drei Helden gegen Bethlehem war nur ein ritterliches Zwischenspiel in dem ernsten Drama. Die Philister hatten sich in drohender Schlachtordnung dem Heere Israels gegenüber aufgestellt. An Streitkräften sind sie demselben zur Zeit noch überlegen. Aber Davids Losung heißt: „Bei Gott ist der Fels meiner Stärke!“ Er fragt den Herrn, ob es sein Wille sei, daß er den Angriff wage, und erhält die Antwort: „Du sollst den Feinden nicht entgegenziehn, sondern wende dich von hinten zu ihnen und nähere dich ihnen bis zu den Maulbeerbäumen. Hörst du dann auf deren Wipfeln ein Rauschen einhergehn, so eile dich! (d. i, so schlage drein): denn der Herr ist alsdann ausgegangen vor dir her, das Heer der Philister zu schlagen!“

Ein auffallender Zug dies; aber man lasse sich denselben nicht befremden, sondern erinnere sich, wie es nicht blos dem Volke Israel, sondern der ganzen Welt zu Nutz und Frommen geschah, daß der Herr aller Herrn einmal, und zwar an dem Volke seiner Auswahl, in handgreiflichster Weise als einen lebendigen Gott, als den allwaltenden Hüter, Führer und Erzieher der Menschheit sich bezeugen wollte. Es sollte einmal in dem Bereiche sinnlicher Wahrnehmungen zur Anschauung kommen, wie weit seine Herablassung zu den Sterblichen gehe, und wessen diejenigen, die Ihm vertraulich nahten, zu seiner Leutseligkeit sich versehen dürften. Mit einer dem blödesten Auge leserlichen Thatsachenschrift sollte es in die Geschichte hineingeschrieben werden, daß Er überall von denen, die ihn suchen, sich auch finden lasse, und daß er es nicht unter seiner Würde achte, mit ernstlichen Betern ob auch ohne hörbare Worte wie ein „Mann mit seinen Freunden“ zu verkehren. Wir haben darum Vorgänge, wie den, vor welchen wir eben stehn, als zu dem lebendigen Exempelbuche Gottes gehörig zu betrachten, in welchem er zur Stärkung unseres schwachen Glaubens dasjenige einmal in die Außenwelt heraustreten zu lassen beabsichtigte, was in der verschleierten Welt der Geister dem Wesen nach fort und fort sich wiederholen werde. Nicht Vermenschlichungen Gottes, sondern symbolische Gottesakte sind jene in menschlicher Form auftretenden Selbstoffenbarungen, welche der Herr etwa folgen dermaßen hätte bevorworten können: „Damit ihr für alle Zeiten wisset, wie ich zu euch, den Kindern des Staubes, stehe, und nach Maßgabe eures Verhaltens mich stets an euch bezeugen werde, will ich mein Walten auf Erden einmal sinnlich greifbar wie in lebenden Bildern vor euch enthüllen; und dies soll in der Führung meines Volkes Israel geschehen.“

David hat dem göttlichen Befehle gemäß die ihm angewiesene Stellung eingenommen. Mit gespannter Erwartung sieht er dem angekündigten Zeichen entgegen. Plötzlich stellt es sich ein. Es rauscht in den Gipfeln der Maulbeerbäume, als zöge ein unsichtbares Heer darüber hin. Wir wissen, was diese Erscheinung ihm bedeutete. Nichts Geringeres, als was einst dem Jakob sein Himmelsleitertraum, dem Moses der brennende Busch, der nicht verbrannte, dem Elias das linde sanfte Sausen am Horeb, und dem Saulus das Licht, das vom Himmel ihm umleuchtete. Der Herr war nahe und für ihn ausgezogen. Des freudigsten Glaubens voll ruft David sein „Vorwärts!“ In hellem Wiederhall schallt's aus dem Munde der Feldhauptleute durch die Streiterreihen weiter. Der Sturm bricht los und der Ausgang des Kampfes ist der, daß die Philister auf's Haupt geschlagen und mit großem Verluste von Geba in Juda bis zur Kanaaniter Stadt Gaser verfolgt werden.

Das Wort des Herrn: „Sobald du hören wirst das Rauschen auf den Wipfeln der Maulbeerbäume einhergehn, so eile dich!“ gilt in einem bildlichen Sinne auch uns für den geistlichen Kampf mit den Kindern des Unglaubens in der Welt. Es thut's auch da noch nicht, daß man mit eignen Kräften und lediglich in der menschlichen Rüstung der Vernunft und Wissenschaft den Widerpart befehde. Auf Erfolg ist nur zu rechnen, wenn unter dem Wehen des heiligen Geistesodems und bei unmittelbarer beseligender Erfahrung der Gnadengegenwart des Herrn und der Wahrheit feines Wortes gekämpft wird. Dann bricht das aus unserm Innern hervor, was wir „Zeugniß“ nennen: ein Reden aus gegenwärtigem Heilsgenuß, ein von einem gleichzeitigen lebenskräftigen Innewerden der Unfehlbarkeit dessen, für das man eintritt, getragenes Reden; ja ein Reden der ganzen begeisterten Persönlichkeit. Das schlägt durch. Dem widerstehet kein Bollwerk falsch berühmter sophistischer Kunst. Man halte den Glaubenshelden Luther in dem Religionsgespräche zu Marburg mit demjenigen in der Verantwortung vor Kaiser und Reich zu Worms zusammen. Welch' ein Unterschied zwischen jenem und diesem tritt hier zu Tage, obwohl sein Bekenntniß an beiden Orten dasselbe war. Zu Marburg redete er aus dem eignen Geist. Zu Worms rauschte es über ihn in „den Wipfeln der Maulbeerbäume“, und der alte römische Riesenbau wankte unter der Wucht seines Wortes, und wird, so weit er heute noch steht, nur noch zur Noth durch künstliche Stützen und Reife aufrecht erhalten.

Nach seinen beiden Triumphen über die Philister im Grunde Rephaim, und sonderlich nach dem letzteren, der der entscheidendere war, sang David eins seiner Sieges- und Jubellieder. Wahrscheinlich war es dasjenige, welches im 29. Psalm uns antönt. Nachdem er in demselben mit weitem Aufthun seines Mundes Alles, was Odem hat, auch die Engel im Himmel nicht ausgeschlossen, aufgefordert, dem Namen Jehova's mit ihm die Ehre zu geben, preiset er die „Stimme des Herrn“, welche auch in das auf den Wipfeln der Maulbeerbäume einhergehende Rauschen sich verkleidete, und sinnbildlich das den Sieg verbürgende: „Nun eile dich!“ ihm zurief, und, vergleicht sie der Stimme des im Gefolge des Blitzes über den Wolken dahin rollenden Donners. „Die Stimme des Herrn“, singt er, „ist Kraft; die Stimme des Herrn ist Pracht. Die Stimme des Herrn zerbricht die Cedern des Libanon, und macht sie hüpfen wie ein Rind, und den Libanon und Sirjon (d. i. Hermon) wie ein junges Einhorn. Die Stimme des Herrn hauet mit Feuerflammen; sie macht zittern die Wüste, die Wüste Kadesch. Sie macht Hindinnen (vor Schrecken) kreisen, und entblößet die Wälder, und in seinem Tempel spricht Alles: Ehre Ihm! Der Herr saß bei der Fluch“, (welche die Sünder einst hinwegschwemmte von der Erde), „und also sitzet er als König in Ewigkeit“ den Gottlosen zum Verderben.) „Der Herr“ so schließt der Sänger seinen Preisgesang, „wird seinem Volke Kraft geben; der Herr wird sein Volk segnen mit Frieden!“ - O, thue der Herr ein Gleiches auch unserm Volke! - Es geschieht, sobald das Volk in ehrfurchtsvoller Unterthänigkeit sich Seiner Stimme beugen wird.

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