Heuser, Wilhelm - Abrahams Führungen - X. Abrahams Opferweg.

Heuser, Wilhelm - Abrahams Führungen - X. Abrahams Opferweg.

Meine theuren Freunde! Vielleicht ist manchem unter euch bekannt, welch ein Bekenntniß Luther, dieser hocherleuchtete Mann, auf die Frage: wodurch ihm doch diese seine reiche und gründliche Schrifterkenntniß aufgeschlossen worden sei, gegeben hat. Er sagt, das seien drei Stücke gewesen, und er könne sie einem jeden als probehaltig und bewährt anrathen. Zuvörderst das ernste und stille Forschen in Gottes Wort, dann das fleißige und brünstige Gebet neben dem Wort, und endlich die innerliche und äußerliche Anfechtung wegen des Worts. Forschen, Gebet, Anfechtung, diese drei. Der Bund, worin sie stehn, ist unauflöslich; auch möchte schwer zu entscheiden sein, welches unter diesen drei Stücken das größte Gewicht habe, ob die Forschung, oder das Gebet, oder die Anfechtung, welches also dieser drei eigentlich am gründlichsten in die Erkenntniß der Wahrheit zur Gottseligkeit einleite. Sie können nicht von einander getrennt werden, sie gehören zusammen; ihr harmonisches Zusammenwirken allein bildet den eigentlichen wahren Schriftgelehrten.

Wir können jedoch von diesem sinnreichen Ausspruch Luthers eine weitere und umfassendere Anwendung machen. Mit gutem Fuge läßt sich nämlich sagen, daß es hauptsächlich drei Dinge sind, welche dem Christen überhaupt die Theilnahme an dem Reiche Gottes und die Bürgerschaft in demselben bestätigen. Von der einen Seite nämlich der stille Mariensinn, der, beflissen, gern sich niederläßt zu Jesu Füßen und andächtig auf die Worte des ewigen Lebens lauscht, welche aus dem Munde der himmlischen Weisheit fließen. Auf der andern Seite der brünstige und eifrige Gebetsgeist, der gestützt auf die Vollmacht der Kinder Gottes, die sie haben, in den Verdiensten Jesu fleißig vor den Thron der göttlichen Gnade tritt und Bitte und Gebet sammt Fürbitte und Danksagung kund werden läßt. Zu beiden aber muß die Anfechtung hinzukommen; sie, von der, was jenes Forschen im Wort betrifft, die Schrift rühmt: Anfechtung lehrt auf's Wort merken; sie, die, was jenes Beten neben dem Worte betrifft, den ermatteten Eifer desselben so mächtig wecket: Herr, wenn Trübsal da ist, so suchet man dich; sie, die Anfechtung ist's, die auch ein Christenleben mit Trübsal und Leid, mit Kummer und Angst an Leib und Seele, das Herz mit seinem Glauben und mit seinem Gehorsam, mit seiner Treue und Gottseligkeit auf die Probe stellt, und dem, der sie in Geduld siegreich besteht, die Worte auf die Lippen legt: wir rühmen uns der Trübsal, denn wir wissen, daß Trübsal Geduld bringt, Geduld aber bringt Erfahrung, Erfahrung bringt Hoffnung und Hoffnung läßt nicht zu Schanden werden. Unter der Anfechtung Stößen und Stürmen schlägt der Stamm des Glaubens und der Gottseligkeit immer tiefere und festere Wurzeln; von ihrem Segen rühmet einmal ein anderer Gottesgelehrter, spät nach Luther, er habe in den dreißig Tagen einer schweren Krankheit mehr Theologie, mehr Gotteserkenntniß gelernt als in den dreißig Jahren seines angestrengtesten Fleißes. Wohlan denn, werden wir Nachfolger der heiligen Apostel! Rühmen wir uns, wie wir schon von einem derselben gehört, der Trübsal. Achten wir es, wie ein andrer sagt, eitel Freude, wenn wir in mancherlei Anfechtung fallen! Und damit wir darin gestärkt werden, so laßt uns in der Geschichte Abrahams erkennen, daß zwar allerdings ein gleicher Weg von Anfechtung uns beschieden ist, aber auch ein gleicher Segen, wenn nur der Glaubensblick dahin gerichtet bleibt, wo Abrahams Auge haftete.

l. Mose 22. 4-8.

Am dritten Tage hob Abraham seine Augen auf, und sahe die Stätte von Ferne; und sprach zu seinen Knaben: Bleibet ihr hier mit dem Esel, ich und der Knabe wollen dorthin gehen; und wenn wir angebetet haben, wollen wir wieder zu euch kommen. Und Abraham nahm das Holz zum Brandopfer, und legte es auf seinen Sohn Isaac; er aber nahm das Feuer und Messer in seine Hand, und gingen die Beide mit einander. Da sprach Isaac zu seinem Vater Abraham: Mein Vater! Abraham antwortete: Hier bin ich, mein Sohn. Und er sprach: Siehe, hier ist Feuer und Holz; wo ist aber das Schaf zum Brandopfer? Abraham antwortete: Mein Sohn, Gott wird ihm ersehen ein Schaf zum Brandopfer. Und gingen die Beide mit einander.

Wir haben in der vorigen Betrachtung nicht ohne Staunen den ernsten Befehl Gottes an Abraham gehört. Der Herr selbst hat das Schmerzliche, ja das Schauerliche seines Befehles in den Worten angedeutet, mit welchen er ihn ertheilt. Nimm Isaac, deinen einigen Sohn, den du lieb hast, und gehe hin in das Land Morija, und opfere ihn daselbst zum Brandopfer. Wir haben nicht ohne Bewunderung den willigen, augenblicklichen Gehorsam Abrahams gesehen, der auch unter den unfaßlichen Willen Gottes sich schweigend beugt. Auf den Zuruf Gottes: Abraham! antwortet er: hier bin ich; auf den Befehl Gottes antwortet er nicht. Was hätte er sagen können? Er hätte ja nur die innersten Empfindungen seines Vaterschmerzes können laut werden lassen, er hätte, wenn auch nicht widerstrebend, doch nur seufzend und unter Thränen antworten können, darum antwortet er nicht, aber er gehorcht und Gehorsam ist besser denn Opfer. Ersteht des Morgens früh auf, gürtet seinen Esel und nimmt mit sich zwei Knechte und seinen Sohn Isaac und geht hin an den Ort, davon ihm Gott gesagt hatte.

Heute begleiten wir ihn auf seinem Wege. Ein dunkler, schwerer Weg, den er drei lange, bange Schmerzenstage hinaufzieht in das Gebirge. Das Geheimniß des göttlichen Befehls schweigend bewahrend, auf jedem Schritt, der ihn Morija näher bringt, auch innerlich seinen Weg befestigend, mit jedem Blicke, den er auf Isaac richtet, auch sein Auge aufwärts richtend zu dem Gott, der seines Lebens Kraft und der Hort seiner Zuversicht war.

Wie sollen wir einen solchen Weg nennen? Abrahams Opferweg will ich ihn nennen und euch dabei auf ein dreifaches aufmerksam machen, daß nämlich ein Opferweg ähnlicher Art allen angewiesen ist, welche ins Reich Gottes wollen; daß er zwar seine scharfen Dornen, aber auch verborgene, heilige Segnungen habe, und im Glaubensblick auf Morija gewandelt werden müsse.

1.

Abrahams Opfergang allen beschieden die in's Reich Gottes wollen? Ich antworte: Ja! Gleichwie er den Befehl überkommen hatte: Opfere Isaac, deinen einigen Sohn, den du lieb hast, mir zum Brandopfer, so ist allen, die den Namen des Herrn bekennen, eine Aufgabe gleicher Art gestellt. Alle Christenmenschen haben den apostolischen Befehl: begebet euch zum Opfer, das da lebendig, heilig und Gott wohlgefällig sei. Allen, so wiederhole ich, die den Namen des Herrn bekennen, ist die Aufgabe gestellt, nicht etwa ein Fremdes, sondern sich selbst, das Liebste, den eignen Willen, das eigne Leben, das du lieb hast, wie Abraham seinen einigen Sohn, Gott zum Brandopfer zu opfern. Verstehst du, was dadurch angedeutet wird? Meine Freunde, wir verstehn doch wohl, wozu wir von Gott berufen sind. Was wir jetzt in der Welt sind, reichbegütert oder blutarm, gerühmt oder ungeachtet, überall vom Glück getragen, oder bedrängt von allen Seiten, das ist von gar keiner Bedeutung; das ist bald alles verschwunden und vergessen, sammt dem Gedächtniß unsres Namens auf Erden. Aber was wir jetzt werden, wie und wozu wir auf dem Acker der Gegenwart, unter der Sonne der göttlichen Gnade, für die Ewigkeit reifen, das ist von Bedeutung und allein von bleibendem Werth. Wir sind Kinder der Zukunft und diese Zukunft ist keine andre als die, „daß wir in seinem Reich unter ihm leben und ihm dienen in ewiger Gerechtigkeit, Unschuld und Seligkeit.“ Die Berufung zu dem Himmelreich unsres Gottes, sehet, das ist unsre Bestimmung, eines jeden Einzelnen persönliche Bestimmung, die meine, die deine unser aller. Wie verschieden unsre Lebensstellung hienieden ist, unsre Christenstellung ist nur eine, allen gemeinsame, für alle die gleiche. O daß wir es erkennten! daß uns doch die himmlische Berufung Gottes in Christo die drei Tage unsrer Wallfahrt immer vor Augen schwebte, wie Abraham das Ziel seiner Reise! daß jeder Schritt uns dem himmlischen Morija näher brächte!

Nun aber verstehn wir auch weiter, alles was von der Welt ist, kann nicht mit in den Himmel; alles, was unrein, Gott widerstrebend, von einem Geruch des Todes durchdrungen ist, kann nicht mit uns leben. Fleisch und Blut kann das Reich Gottes nicht ererben. Wer fasset es nun recht, wie ich's meinte, daß der Christen Weg ein Opferweg sei? Wir sind Fleisch vom Fleische geboren; wir sind von unten her, folgen wir diesem Naturzug, so können wir den Weg des Lebens nicht finden. Deshalb züchtigt uns die heilsame Gnade, daß wir verleugnen das ungöttliche Wesen und hie weltlichen Lüste und züchtig, gerecht und gottselig leben in dieser Welt (Tit. 2,11.) und in demselben Augenblick, wo der Mensch diesem Geist der Zucht das Herz öffnet, da gelüstet auch den Geist wider das Fleisch und das Fleisch wider den Geist, (Gal. 5, 17.) der Streit beginnt, das Gesetz des Geistes, der da lebendig macht in Christo Jesu, erhebet sich mächtig wider das Gesetz der Sünde, das in den Gliedern wohnt. (Röm. 8, 2.) Die Stunde des Opferns ist da! Wahrlich, so du von Herzen bekennest und glaubest, daß Jesus Christus der Herr sei, dein Herr sei, so giebst du ihm auch die Herrschaft über Leib und Seele, über das Herz und jede seiner Regungen; du giebst dich selbst auf, sagst dir selbst ab, kreuzigst das Fleisch sammt allen bösen Lüften und Begierden, tödtest alle Selbst- und Eigensucht, kurz, du stirbst dir selbst, daß er in dir lebe, Christus!

Es leugnet niemand, das ist der klare und unwidersprechliche Wille unsers Gottes. Der Herr ruft: wer sein Leben erhalten will, der wird es verlieren, wer das Leben verliert um meinetwillen, der wird es erhalten. (Luc. 9, 24,) Die Inschrift, welche seine Hand über die Eingangsthür des Himmelreichs schreibt, lautet: Wer nicht absagt allem, was er hat, der kann nicht mein Jünger sein. (Luc. 14, 33.) Der Apostel aber, der uns, wie wir vorhin hörten, zu diesem Opfer unsrer selbst ermahnt, nennt dies den vernünftigen Gottesdienst, den Christen leisten. (Röm. 12, 1.) Es handelt sich im Christenthum nicht um die Erkenntniß allein, sondern um die innerste Gesinnung. Da, in dem innersten, eigentlichen Quell des Lebens, in der Tiefe der Gesinnung und des Willens, da muß der Bruch mit dem ungöttlichen Wesen erfolgen. Das Christenthum ist nicht ein Spiel der Empfindungen, sondern ein Ernst der That, nicht das Leben des eignen natürlichen Sinnes, sondern der Tod des Fleisches, nicht ein Kleid, das man über den alten Menschen hinüberzieht, sondern ein neuer Mensch, der das alte Kleid zerreißt und von sich wirft, es ist ein Sterben, ein täglich Sterben des alten Menschen. Der kranke und verderbte Wille des Fleisches, dieser Isaac, den wir lieb haben, muß geopfert werden und dieses Opfer muß jeder persönlich darbringen. Lasset euch erinnern und ermahnen, meine Lieben, hierin treu zu sein und fest und entschieden! Niemand ist auf dem Wege des Lebens, der sich noch weigert, das Widerstreben der Natur zu überwinden, und alles in Denken und Meinen, in Ueberlegen und Beschließen, in Thun und Lassen, einem höhern Willen unterthänig zu machen. Danach fraget euch selbst, danach, ob ihr geschickt seid, das eigne Leben, wo es sich zwischen euch und euren Gott drängt, auszustoßen? Es ist die allerernstlichste Frage, die: ob ihr auf dem Wege des Lebens seid, ob ihr dem Reiche Gottes angehört? Ich habe es euch von neuem bezeugt: ein Opferweg, das ist der Weg des Lebens!

2.

Wie bitter ist das! ruft die Welt. Auch dies bejahe ich, und gedenke der heiligen Zucht, durch welche der Herr uns in dieser willenlosen Hingabe unter seinen Willen übt; ich gedenke insbesondere der dunkeln Führungen, die seine Hand über uns verhängt, uns zu Prüfen, ob wir alles, was unser ist, ihm hinzugeben bereit sind; bereit, auch unsre Herzenslust, auch unsre Augenweide, auch unser Liebstes, auch die süßeste Neigung unsres Herzens ihm zu opfern? Oft wachsen Noth und Mühseligkeit des Lebens zu einem langen, herben Drucke an, oder eine rathlose Sorge begleitet uns bis in die Nacht und wieder an den Morgen, oder die Schmerzen einer unbesieglichen Krankheit bohren ihren Stachel immer tiefer ein; oder wir senken eins unsrer Geliebten ins Grab hinab, - o meine Theuren, wie viel kostet es, wenn eins dieser Oder uns begegnet, es ohne Unmuth, in stiller, schweigender Geduld zu überwinden, die Hände zu falten und zu beten: dein Wille geschehe, wie im Himmel also auch auf Erden! Deshalb haben wir wohl recht, worauf wir nun zweitens achten, zu sagen: solch Opferweg hat seine scharfen Uebungen, aber auch seine segnenden Stärkungen. Merken wir denn, in welchen Zügen unsre Geschichte beides, dieses Dunkle und dieses Lichte, dieses Niederschlagende und dieses Stärkende sich abspiegelt. Von dem Schmerz des blutenden Vaterherzens Abrahams, als er den Befehl erhält, daß er Isaac, den Sohn der Verheißung, den einigen Sohn, den er lieb hätte, opfern, daß er ihn mit eigner Hand opfern solle, schweige ich, aber bedenket, drei Tage lang bewegt er auf dem Wege von Berseba nach dem Gebirge Morija das bange Geheimniß in seiner Brust. Welch eine schwere Reisezeit! Sollte man nicht glauben, das Herz habe ihm brechen müssen? Meine Freunde, ein großer Entschluß wird oft schnell und auf einmal gefaßt, eben so schnell wird oft ein Opfer in demselben Augenblick gebracht, wo es von uns verlangt wird. Es giebt Weihestunden, wo ein mächtiger Gedanke uns unwiderstehlich ergreift, der Geist ist willig, die Schwachheit des Fleisches ist überwunden, der arme Mensch ist stark geworden und wird wie auf Adlerflügeln getragen, man fühlt die Wahrheit des Wortes: Herr, du bist mir zu stark geworden, du Haft mich überwunden mit deiner Augen einem. Nun aber die drei Tage, die zwischen dem Entschlusse und der Ausführung liegen? Der lange Weg, auf welchem die Treue erprobt werden muß! Ach, die Zeit hat eine lähmende Gewalt. Oft hat sich schon in weniger als einer Stunde der Aufschwung wieder gelegt, die Flügel sind ermattet, zweifelnde Gedanken schleichen in das Herz, der Mensch wird weich in der Stunde der Trübsal und zur Zeit der Anfechtung fällt er ab. Wo war Petri herrliches Wort: wenn alle dich verlassen, ich nicht, ich bin bereit, mit dir in den Tod zu gehn, als die Gefahr drohte und die Furcht ihn übermannte? Abraham geht den ersten, den zweiten, den dritten Tag - stellet euch vor, was er empfand, was sein Inneres bewegte. Er erfuhr es da, was der Herr sagt: es muß alles mit Feuer gesalzen werden und jedes Opfer wird mit Salz gesalzen. (Marc. 9, 49.) Wir staunen. In seinem Herzen schweiget alles, was darein sprechen konnte, jede Einwendung, jeder Zweifel; keiner Klage öffnet sich sein Mund. Nennet es nicht Stumpfsinn oder Unempfindlichkeit, ahnet es vielmehr, wie mächtig das Gefühl der Liebe zu seinem Kinde gerade jetzt in ihm erwachen mußte, da der zu Opfernde so unbefangen an seiner Seite ging. Aber es ist etwas in ihm, das ist höher als sein Schmerz, stärker als seine Vaterliebe; es ist des Glaubens Kraft in ihm, ein Licht, das immer heller schien, je näher er der Entscheidung kam. Achtet darauf, wie es uns in unsrer Geschichte offenbar wird.

Am dritten Tage Hub Abraham sein Auge auf und sah die Stätte von ferne. Der Opferberg lag vor ihm, und was er bisher nur innerlich in sich getragen, das sollte nun heraustreten in die äußerliche That. Abraham sprach zu seinen Knechten: bleibet ihr hier mit dem Esel; ich und der Knabe wollen dorthin gehn und wenn wir angebetet haben, wollen wir wieder zu euch kommen. Wieder zu euch kommen, wie konnte Abraham dies sagen? Ich und der Knabe, den er doch zum Brandopfer opfern, das heißt nach seinem Sterben sogar verbrennen sollte? Ja, er sagt so: ich und der Knabe, ob lebend, ob seine Gebeine, ob als der Wiedererweckte, das kümmert ihn nicht - genug, es ruhet die göttliche Verheißung auf seinem Kinde, er hat das Wort des wahrhaftigen Gottes, daß in eben diesem Isaac ihm eine zahllose Nachkommenschaft und der Welt die Segnung aller Völker aufgehn werde. Dies Wort war das Licht in der finstern Nacht, die vor seinen Augen lag, und der Glaube daran war der feste Stab, der ihn anstecht hielt. Wir werden wiederkommen, spricht er, denn er zweifelte nicht an der Verheißung Gottes durch Unglauben, sondern war stark im Glauben und gab Gott die Ehre, und wußte auf's allergewisseste, daß, was er verheißet, das könne er auch thun (Röm. 4, 24.) und dachte, Gott kann auch wohl von den Todten erwecken. (Hebr. 11, 13.) So gehet er mit Isaac allein den dornigsten aller Pfade fort, in standhafter Ergebung, in heiliger Stille, in erhabner Ruhe. O Macht des Glaubens!

Und Abraham nahm das Holz zum Brandopfer und legte es auf seinen Sohn Isaac, er aber nahm das Feuer und Messer in seine Hand. So gingen die beiden mit einander. Da sprach Isaac zu seinem Vater Abraham: Mein Vater! Der junge Mann hat nie den Vater so schweigsam still gesehn. Er unterbricht die schweigende Stille. Kannst du dir das Gefühl denken, mit welchem er ihn anredet, mein Vater? Wie oft hat er von den Tagen seiner Kindheit an, bis zu diesem, seinem kräftigen Jugendalter hinauf, ihn so angeredet und immer ist seiner kindlichen Liebe die zärtlichste Väterliehe begegnet. Jetzt gehet der Vater so feierlich, so tiefsinnig, so in sich gekehrt an seiner Seite. Er kann das Seltsame nicht fassen. Die Einsamkeit des unbetretenen, wegelosen Gebirges, keine Begleitung der Knechte, auf seinem Rücken das Opferholz, in den Händen des Vaters den Feuerbrand: siehe, fährt er fort, hier ist Feuer und Holz: wo ist aber das Schaaf zum Brandopfer? O diese arglose, unschuldvoll vertrauende Frage, wie mußte sie des Vaters Herz zerreißen! Was sollte er antworten? Er läßt die Antwort unentschieden. Er weist den Fragenden auf den Gott hin, dessen Wort das Licht in seinem Herzen, dessen Macht der Stern über seinem Haupte war. Mein Sohn, entgegnet er, Gott wird ihm ersehn ein Schaaf zum Brandopfer. Nur diese Frage, nur diese Antwort. Und gingen die beiden mit einander. Beide in gleicher Ehrfurcht und Stille; auch in Isaacs Herzen keine Verwunderung, kein Drängen der Neugier, kein Warum? Stille aus Gott, in Gott und zu Gott: Gott wird's versehn, wenn das in der Seele lebt, auch aus dornigtem, rathlosem, rings verzäuntem Wege, was hat's dann für Noch? Sehet da, meine Freunde, und bewundert die Frucht und den Segen, die Kraft und die Stärke, die unter den schweren Prüfungen, wo der treue Gott an unsrer Schwachheit arbeitet, uns zu bewähren und zu vollenden, dann gewonnen wird, wenn wir uns dem Willen Gottes unbedingt und auf ewig ergeben, und unsre Eigenheit ist gebeugt, gebrochen, geopfert und wir stehn fest in dem Glauben, der nicht sieht und dann erst rechter Glaube ist! Wie macht dann dieses: Gott wird's versehn, die Seele so still und zufrieden, so stark und fröhlich in ihrem Gott! O so zittre denn nicht, wenn du diesen Verleugnungsweg, den ich einen Opferweg genannt, geführt wirst. Harre nur aus unter der Zucht deines Gottes, er will dich kräftigen, stärken, bewähren und selig ist der Mann, der die Anfechtung erduldet, denn nachdem er bewähret, wird er die Krone des Lebens empfahen! (Jac. 1, 42.)

3.

Begehrest du diesen überschwenglichen Segen der Hingabe an Gott? Möchtest du sie gewinnen, diese schweigende Ergebung, diesen Frieden, der auch unter Thronen die Wege Gottes preiset, diese Stärke des Glaubens, die auch da hofft, wo nichts zu hoffen ist und auf den Gott trauet, dessen Verheißung nicht wanket? Soll sie dein Eigenthum und der Reichthum deines armen Lebens werden, diese Festigkeit des Sinns, die alles Zweifeln und Klagen und Zagen überwindet und eine innerliche Klarheit und Gewißheit schenkt, die uns mit allem zufrieden macht, weil sie in allem, was Gott thut, Gedanken des Friedens sieht? Dieser freudige Muth, der den Gehorsam leicht macht und die Verleugnung, das Ausreißen des ärgernden Auges, das Kreuzigen der Geschäfte des Fleisches, das tägliche Sterben aus einer schweren, ängstlichen Arbeit in ein williges und freies Werk verwandelt? Diese lebendige Hoffnung auf die Krone der Bewährung? Möchtest du das? Ich weiß die Antwort nicht, die ein Jedes von euch geben wird, aber das weiß ich, es sind große Güter, die Gott denen spendet, die in seinem Reiche unter ihm leben. Denn das Reich Gottes ist in Wahrheit ein Himmelreich; selig ist, wer das Brod isset im Reiche Gottes!

So vernehmet denn auch in wenig Worten den Rath, auf welchen diese Geschichte hinweiset: Lasset den Blick eurer Seele unverrückt mit Abraham auf Morija gerichtet sein! Ich meine das neutestamentliche Morija, den einen über alles heiligen Felsenhügel dieses Gebirges, dessen andere Höhen ein Jahrtausend später die Zionsburg und Salomons Tempel schmückten; ich meine die Stätte, auf der auch wohl Abrahams Fuß stand, ich meine Golgatha. Diese Höhe hatte wohl Abraham betreten, hier der Berg, den der Herr ihm zu sagen verheißen. Da sollte das Opfer Isaacs zwar nicht vollzogen werden, aber es ward im Geiste gebracht, als Vorbild jenes einigen, ewigen Opfers, das der Sohn Gottes am Kreuze auf Golgatha vollbracht hat. Wir werden darüber nächstens reden. Bedenket aber schon jetzt, wie könnten wir uns, abgesehn von dem Zwecke der Prüfung, das Opfer, das von Abraham gefordert wurde, anders als aus diesem Gesichtspunkte erklären? War denn Abraham, fraget ihr, dieses große Geheimniß offenbar? Der Herr antwortet selbst auf diese Frage: Abraham ward froh, daß er einen Tag sehn sollte und er sah ihn und freuete sich. (Joh. 8, 51.) In Kraft dieses Blickes auf das Heil der kommenden Erlösung, die Gottes unergründliche Liebe beschlossen, hat es Abraham vermocht, dieser Liebe über alles zu vertrauen. In Kraft dieses Blickes auf die geschehene Erlösung haben alle, die in Abrahams Fußstapfen wandelten, ein Gleiches vermocht. So, um nur einen zu nennen, Paulus, wenn er spricht: in dem allem überwinden wir weit, um deßwillen, der uns geliebet hat. Da enthüllt er uns das Geheimniß seiner Stärke, seiner Freudigkeit, seiner Ueberredungskraft. Es ist der Blick auf die erbarmende Vaterliebe dessen, der das in der That gethan, was Abrahams Vorbild uns zeigt, der seines eingebornen Sohnes nicht verschonet hat, sondern hat ihn für uns alle dahin gegeben, daß dadurch der Nachhall auch in unsrer Seele erweckt werde: wie sollte er mit ihm uns nicht alles schenken! Es ist der Blick auf die stellvertretende, vollkommne Genugthuung des Sohnes, der, gehorsam bis zum Tode, ja bis zum Tode am Kreuze, Schuld und Strafe der Sünde getilgt, Tod und Hölle besiegt, Gnade und Gerechtigkeit erwirkt und den ewigen Friedensbund mit seinem Blute besiegelt hat. Christen, verstehet, fühlet diese Liebe, die sich an euch verherrlicht hat! Wenn Gott selbst sie also preiset, o so seid auch ihr nicht stumm, preiset sie mit dem Lobopfer eurer Lippen, mit dem Danke eurer Herzen, mit den Werken eures Lebens! Ist es denn möglich, wo diese unverdiente Erbarmung das Herz durchgeht, daß wir uns selbst leben und nicht dem, der für uns gestorben ist? Ist's möglich, dieser großen Gnadenthat gegenüber, uns noch dem leisesten Mißtrauen zu überlassen und der Verzagtheit zur Beute zu fallen? Ist es möglich, wo man die Fülle der Gnade in Christo erkannt hat, daß man nicht für Schaden erachtet, was Tausenden Gewinn heißt, auf daß man ihn gewinne und in ihm erfunden werde. Höret meine Bitte: Lasset Morija euch vor Augen schweben! Dadurch ward der heilige Apostel, was er war. Morija lebte in seiner Seele, der Gekreuzigte füllte sein Inwendiges. Glücklich, geborgen, zum Leben gebracht ein jeder, der von Herzen sagen kann:

Liebe, die mich hat gebunden
An ihr Joch mit Lieb und Sinn,
Liebe, die mich überwunden,
Und mein Herz hat ganz dahin,
Liebe, dir ergeb ich mich,
Dein zu bleiben ewiglich! Amen,

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