Harms, Ludwig - Der Psalter - Der 42 Psalm.

Harms, Ludwig - Der Psalter - Der 42 Psalm.

Dieser Psalm ist von David gebetet und gesungen worden in den Zeiten, die er als Verbannter in der Wüste zubringen mußte, etwa als er von Saul verfolgt wurde. Oder es könnte dieser Psalm auch in jener Zeit gebetet und gesungen sein, als er vor seinem aufrührischen Sohne Absalom aus Jerusalem fliehen mußte. Auf dieser Flucht ging er über den Jordan, und weil er auch hier vor dem anrückenden Kriegsheer Absaloms nicht sicher war, so zog er sich in die Wüste und Einöde zurück. In einer solchen Zeit seines Lebens hat David diesen Psalm gebetet. Wenn er sagt: Wie der Hirsch schreiet nach frischem Wasser, so schreiet meine Seele, Gott, zu Dir, so drückt er damit das sehnsüchtige Verlangen seines Herzens aus, und zwar durch das Wort: Nach Dir, sein sehnliches Verlangen nach Gott, nach dem lebendigen Gott. Wenn er sagt: Wann werde ich dahin kommen, daß ich Gottes Angesicht schaue, so redet er da nicht zunächst vom Sterben und vom Seligwerden, - so weit war David damals noch nicht, - sondern er redet davon, daß er Gottes Angesicht da gern sehen möchte, wo es überhaupt nur auf Erden zu sehen war, nämlich bei den Gottesdiensten im Tempel. Nach Jerusalem wollte er gehen mit dem Haufen derer, die da wallen, .zu schauen die schönen Gottesdienste; kurz, wie wir sagen würden: Er drückt aus seine Sehnsucht in die Kirche zu gehen. Und weil er das in der Wüste nicht kann, weil er in der Einöde keinen Tempel hat, darum sagt er: Meine Thränen sind meine Speise Tag und Nacht, weil man täglich zu mir sagt: Wo ist nun dem Gott? Das ist sein Weinen, das ist seine Bekümmerniß, daß er nicht an den Gottesdiensten Theil nehmen kann. Was ist denn sein Verlangen? Er möchte gern hingehen mit dem Haufen derer, die da feiern, und mit ihnen wallen zum Hause Gottes, mit Frohlocken und Danken. Das ist's, wonach seine Seele sich sehnt, wonach sie lechzet, hungert und dürstet: Nach den Gottesdiensten des HErrn. O was ist das doch für ein David gewesen! Da geht er herum in der Wüste, nirgends hat er Ruhe, ist wie ein gejagtes Reh, allenthalben sind ihm die Soldaten Sauls auf den Hacken; aber das kümmert ihn nicht, darum vergießt er keine Thränen. Ein Bett hat er nicht, in Höhlen und Klüften muß er hausen, aber gern will er das; ob er in der Wüste wohnt oder in einem elsenbeinernen Palast, das ist ihm einerlei. Der Hunger ist sein Küchenmeister, doch will er gern Hunger und Durst leiden und hat auch oft an allem Nöthigen Mangel gehabt, aber darüber klagt er nicht. Ja, als die Noth so groß wurde, daß seine leiblichen Eltern vor dem Grimm Sauls in Israel nicht bleiben konnten, so daß er für sie Schutz suchen mußte bei dem Amoriterkönig, klagte und weinte er nicht. Was weint er denn nun? Darum, weil er nicht in das Haus des HErrn gehen kann, weil er ohne Gottesdienst, ohne Gottes Wort sein muß im fremden Lande, wett er nicht mit der Gemeinde des HErrn den HErrn preisen kann. Das ist das Einzige, was ihm Thränen auspressen kann, darum sagt er: Wie der Hirsch schreit nach frischem Wasser, so schreiet meine Seele, Gott, zu Dir. Meine Seele dürstet nach Gott, nach dem lebendigen Gott. Wann werde ich dahin kommen, daß ich Gottes Angesicht schaue? Ja, er hat auch Recht; in den Gottesdiensten des HErrn zeigt sich klar und offenbart sich das Angesicht Gottes. Ich kann Ihn auf Erden nicht mit leiblichen Augen sehen, aber in den Gottesdiensten, in der Predigt des göttlichen Worts und in der Verwaltung der Sakramente leuchtet mir Sein Angesicht. Darum alles andere kann der Christ entbehren, d. h. der gläubige Christ, aber dieses nicht; und wird es ihm doch auferlegt, so ist es eine unerträgliche Last. Und wenn einer nicht weint, ob ihm gleich Hände und Füße abgehauen würden, weil er, wie es scheint, ein Auge und Herz von Stein hat, so muß er doch weinen, wenn er die Gottesdienste entbehren soll. Das kann auch nur ein Solcher, der sein inneres Leben in den Gottesdiensten gefunden hat; ein Solcher kann keinen Ort aufsuchen, wo er die Gottesdienste nicht hat, und würde er dahin verstoßen, so weint und schreit er so lange, bis Gott ihn wieder an den Ort bringt, wo er die schönen Gottesdienste des HErrn besuchen kann. Das versteht aber der nicht, der die Gottesdienste des HErrn nicht lieb hat. Da sehet ihr, wie dieser Held des Alten Testaments, David, mit jenem Helden des Neuen Testaments, Paulus, übereinstimmt. Er achtet nichts als die Gottesdienste, so sagt auch Paulus: Ich achte alles für Schaden, und rechne es für Dreck, auf daß ich Christum gewinne und in Ihm erfunden werde Phil. 3, 8. 9. Das ist der rechte, wahre Christensinn, das Einzige, was Thränen werth ist, ist die Ermangelung der Gottesdienste des HErrn, die Noth, daß man nicht hingehen kann zum Hause Gottes mit Loben und Danken. Nun ist David aber nicht von selbst in die Wüste gegangen, wo er den Gottesdienst entbehren mußte, das hätte er nie gethan. Er mußte ja flüchten, denn Saul verfolgte ihn. Darum, weil es seine Schuld nicht war, und er nicht nach seinem eigenen Willen in der Wüste verweilte, faßt er seine Seele mit den Worten: Was betrübst du dich, meine Seele, und bist so unruhig in mir? Harre auf Gott, denn ich werde Ihm noch danken, daß Er mir hilft mit Seinem Angesicht. Er will sagen: Du bist ja nicht Schuld daran, warum bist du so unruhig, als ob du durch deine Schuld in der Wüste säßest? Die Noth von Saul hat dich getrieben, dein Feind sitzt dir auf den Hacken und verfolgt dich, was betrübst du dich denn? Nein, harre auf den HErrn und glaube, ganz gewiß sollst du sehen, daß Er dir hilft. Er kann dich nicht lassen, sondern muß dich zurück bringen zu den Gottesdiensten, nach denen du so sehr verlangst. Solcher Kummer und Jammer ist aber nicht etwa ein mal über ihn gekommen, sondern hat sich oft wiederholt. Darum spricht er noch einmal seinen innersten Herzenskummer darüber aus: Mein Gott, betrübt ist meine Seele in mir, darum gedenke ich an Dich, im Lande am Jordan und Hermonim, auf dem kleinen Berge. Das war fast die Nordgrenze von Kanaan, wo der Jordan herausbricht aus dem Gebirge Hermon, dem sogenannten Antilibanon, bis dahin hatte er sich vor seinen Feinden zurückziehen müssen; in diese unwirthbaren Gebirge hatte er flüchten müssen, damit ihn die Hände seiner Feinde nicht erreichen sollten. Da ist seine Seele betrübt, weil er immer weiter und weiter entfernt wurde von den Gottesdiensten zu Jerusalem. Was soll er denn nun machen? „Ich gedenke an Dich“, das war das Einzige, was er thun konnte. Mit den Schaaren derer, die zur Kirche gehen, konnte er nicht wallen, denn er war da ganz allein in der Einsamkeit; aber einen Trost hatte er noch, nämlich den: Sind mir auch die Gottesdienste genommen, - Einen können mir die Feinde nicht nehmen, meinen treuen Gott und HErrn. Darum sagt er, gedenkt in dieser meiner Noth meine Seele an Gott. Sein Gott ist mit ihm in die Wüste gegangen und ist bei ihm geblieben, an Ihn und an Sein Wort denkt er, das bewegt er in seinem Herzen, denn er hat es ja in den Gottesdiensten gelernt und erfahren und hat es bewahrt in seiner Seele. Daran gedenkt er, dessen kann er sich getrösten; denn so glücklich, wie jetzt die Menschen sind, daß sie die Bibel in die Tasche stecken können, war David noch nicht, nur was er davon in seinem Kopfe und Herzen hatte, konnte er mitnehmen. Damals gab es noch keine gedruckte Bibeln, auch war die Bibel noch lange nicht so dich wie jetzt, sondern was von den heiligen Schriften da war, bestand aus den fünf Büchern Mose, dem Buche Josua und dem Buch der Richter, und das lag im Tempel zu Jerusalem. Die Juden hatten z. B. nicht einmal die fünf Bücher Mose in ihren Häusern; was sie etwa davon wußten, hatten sie im Tempel gehört. Wie manchmal mag er auf dem kleinen Berge gesessen und aufgesehen haben zu seinem Gott, wie oft mag er gedacht haben an all die schönen Worte, die er im Tempel gehört und nun mit in die Wüste genommen hatte. Aber das ist ihm noch nicht genug, sondern es heißt weiter: Der HErr hat des Tages verheißen Seine Güte und des Nachts singe ich Ihm, und bete zum Gott meines Lebens. Den Tag über erfreut er sich in dem HErrn, seinem Gott, und so lange der Tag scheint, sieht er in dem hellen Tageslicht gleichsam den Glanz des Angesichts seines Gottes, der über ihm aufgeht. Aber was thut er des Nachts? Da singt und betet er zu dem Gott seines Lebens. So kann er auch allein Gottesdienst halten, nicht weil er die gemeinsamen Gottesdienste verachtet, sondern weil ihn die Noth dazu zwingt. Zwar kann er nicht die Predigt hören, aber er kann doch an Gottes Wort denken; zwar kann er nicht mit der Gemeinde singen und beten, aber er kann doch allein singen und beten; und so macht er sich, da er keinen Gemeindegottesdienst haben kann, einen Einzelgottesdienst und wird vor Gottes Angesicht erquickt. Weiter: Ich sage zu Gott, meinem Fels: Warum hast Du meiner vergessen? Warum muß ich so traurig gehen, wenn mein Feind mich dränget? Es ist als ein Mord in meinen Beinen, daß mich meine Feinde schmähen, wenn sie täglich zu mir sagen: Wo ist nun dein Gott? Wenn er nun auch hier sich allein Gottesdienst hält, so gedenkt er doch zugleich daran, wie seine Feinde ihn schmähen, höhnen und spotten: Wo ist nun dein Gott, auf den du vertrautest und der die Frommen in der Wüste herum laufen läßt? Das ist ihm zwar ein Mord in seinen Gebeinen, wenn sie so sprechen; aber er spricht: Ich weiß wohl nicht, was ich darauf antworten soll, doch vergessen kannst Du meiner nicht. Ich darf Dich geradezu fragen: Wie lange willst Du meiner vergessen? aber ich weiß, auf die Länge kannst Du es nicht, ob Du gleich Dein Angesicht einen Augenblick vor mir verborgen hast, es kann doch nicht so bleiben, ich habe die volle Ueberzeugung, daß Du mir helfen mußt. Die Feinde können nicht Recht haben, zur rechten Zeit wirst Du Dich offenbaren und mich wieder führen zu den Gottesdiensten, daß meine Seele genese. Darum nur getrost: Was betrübst du dich, meine Seele, und bist so unruhig in mir? Harre auf Gott; denn ich werde Ihm noch danken, daß Er meines Angesichts Hülfe und mein Gott ist. Amen.

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