Hahn, Johann Michael - 6. Betrachtung

Hahn, Johann Michael - 6. Betrachtung

Wie Gott durch das Gewissen mit dem Menschen rede, und wie die Unruhe in einer Seele der Anfang zur Wiedergeburt sei. Woher falsche Gedanken und Irrlehren kommen.

Text: Hebr. 2,1-4. Lied: III, 71. 305

Meine Freunde! Wenn das niedersinnliche Leben in einer Menschenseele die Oberhand hat, so ist es begreiflich, daß die untern Kräfte über die obern herrschen. Dies ist zwar bei allen seelischen, natürlichen Menschen der Fall; alle sind aus Zeit und Ewigkeit zusammengesetzt und haben somit untere und obere Kräfte der Seele. Dennoch ist ein großer Unterschied unter ihnen; der Adel der Seelen ist verschieden. Feinere, nachdenklichere Menschen haben von Geburt aus einen Vorzug; aber ein Gewissen, durch das ihnen der alldurchdringende Geist Gottes einsprechen und sich zu fühlen geben kann, haben alle. Nun kommt es hauptsächlich darauf an, ob eine Seele nachdenken und auf das, was in ihr redet, hören will, ob sie auf ihr Gewissen achthaben mag oder nicht. Es kommt nicht auf das in ihrer Natur sich empörende Sündengesetz, noch auf die im Fleisch liegende Vorneiglichkeit zur Finsternis und Sünde an; sondern entscheidend ist das, was die Seele im Innern des Gemüts hegt, ob da ein vorneigliches Lichtsverlangen, ein Wünschen und Wollen, mit dem Lichte eins zu sein, sich findet, und ob die Seele die Finsternis gerne los haben möchte. Wenn es so steht, so ist der Mensch wach und hat Gottesfurcht, die der Weisheit Anfang ist. Solche Seelen werden gemeinhin von Gott dem Vater gezogen; und ob sich das Fleisch und das Sündengesetz oft bis zur Wut empören, so lassen sie sich doch von der Vereinigung mit dem Licht und dem Lichtsgesetz im Gemüte nicht abziehen. Sie stehen in der herrlichen Vorbereitung, das Evangelium mit Nutzen zu hören, im Glauben anzunehmen und wiedergeboren zu werden. So nun das Werk der Wiedergeburt seinen Fortgang hat und sie der Wahrheit getreu verbleiben, werden sie von Klarheit zu Klarheit in das Bild des Urlichts verklärt und in das Bild der Gottmenschheit verwandelt. Durch Treue gegen die Gnadenzucht kommen sie dazu, daß die obern Kräfte über die untern, und das edlere Geistesleben über das niedersinnliche Fleisches- und Naturleben herrschen. An ihrem Wandel stellt es sich heraus, ob sie wahre Auserwählte Gottes sind.

Finsterer Stoff und Erbstaub, also das Sündengesetz, ist in allen, darum auch „das Dichten des menschlichen Herzens böse ist von Jugend auf“. Doch haben alle in dem Zentralsitz der Seele eine Ewigkeit und in dieser ein gewissen. Daher ist klar, daß das Wort vom Anfang des Lebens an mitwirkt. Wenn nun die Seelen eines solchen Ursprungs sind, woher kommt es dann, daß unter denselben ein so großer Unterschied ist? Ist es möglich, daß bei dem einen Menschen mehr Lichts-, bei dem andern mehr Schlangensame mit ins Spiel kommt? Wir lassen uns damit nicht weiter ein, sondern fangen da an, wo uns der Schriftsinn anfangen heißt. Wenn alle ein Sündengesetz in sich haben, so sind von Natur schon alle abgewichen und alle untüchtig geworden und mangeln der Herrlichkeit Gottes. Alle können aber Gott fühlen und finden und in sich hören; allen ist die heilsame Gnade in Christo Jesu erschienen, und sie züchtigt innerlich alle. Also, wo fängt bei den armen Menschenkindern das Abirren an? siehe, es gibt nach unsres Heilands Lehren Menschen, welche die Finsternis mehr lieben als das Licht. Diese erfahren bei ihren Neigungen zur Sünde wohl auch die Lichtszucht; aber sie weichen derselben aus und lassen die Furcht Gottes aus den Augen. Sie suchen zu ihrem eigenen Unglück Verteidigungen, falsche Gründe zur Beruhigung ihres Gewissens und finden sie auch. Jehova ist ihnen zu heilig, und sein Gotteslicht zu rein; sie wollen von der Finsternis nicht geschieden sein. Sie ersinnen sich einen Gottesdienst, bei dem man im allgemeinen bleiben kann, wer man ist, und bei dem man Gott mit Beobachtung gewisser Zeremonien (Kirchengebräuche) befriedigen will. In dieser Herzensstellung ist man fähig, der Lüge zu glauben. Solcher Menschen Gottesdienst ist eitel, und es ist noch gut, wenn sie mit ihrer verborgenen Finsternisliebe für sich bleiben und nicht auch noch andere mit ins Verderben führen.

Wahre Lichtskinder empfangen, wenn sie im Licht der erkannten Wahrheit befestigt werden, nicht nur Heiligungs- sondern auch Bedienungsgaben. Durch den Umgang mit dem Herrn bekommen sie auch ein geistliches Vermehrungsvermögen, das sich jungfräulich in ihnen regt. Hier ist aber nicht von bekehrsüchtigen Neulingen, die im Triebe des Naturfeuers sich in Eigenheit aufblasen, die Rede, sondern von Seelen, die zur Volljährigkeit und Jesusähnlichkeit reifen, die, vom Geist Gottes gedungen und gedrungen, das Leben, Leiden und Sterben Jesu verkündigen und verklären sollen.

So wie es heilige Verbreiter des Reiches Jesu, Charaktere des Lichts und der Lichtwelt gibt und gegeben hat, so gibt es auch unglückliche Höllenkinder, Charaktere des finstern Reichs, die zu Erstlingen des Satans ausreifen. Diesen ist es nicht genug, daß sie für sich verkehrt und verfinstert sind, sondern sie wollen auch, da sie vom Einfluß der finstern Tinktur mit Irrtum erfüllt sind, im Triebe des Satans das Reich der Hölle in gröberer oder feinerer Weise verbreiten, vermehren und offenbaren. Je mehr nun ihre Sache einen frommen oder guten Schein hat, desto gefährlicher ist sie; denn in ihrem Herzen sitzt Lichtshaß. Von diesen Finsterniskindern wird das Licht des Lebens gar geleugnet, oder wird von der Lehre der Rechtfertigung, vom Versöhnungstode Jesu so gesprochen, daß man Christum zum Sündendiener macht, oder lehrt man zur Moral (Sittenlehre) und glaubt, dadurch selig zu werden. Obschon unter diesen Irrtümern ein großer Unterschied ist und mancher Irrende noch zurecht kommen könnte, so leuchtet doch aus ihnen heraus, daß die Wahrheit nicht rein und ganz geliebt wird. - Somit könnten wir verstehen, woher falsche Gedanken und falsche Lehren kommen.

Auch unter den Gesandten Gottes ist ein großer Unterschied wie zwischen dem Herrn selbst und seinen Engeln. Wenn nun das alttestamentliche Gesetz, das durch die Engel verordnet worden ist, solche Geltung hatte, daß jede Übertretung desselben bestraft wurde, was wird es dann für Folgen haben, wenn das, was der Herr selbst gelehrt und gesprochen hat, übertreten wird oder dessen Heilsanstalten verachtet werden? Darum lasset uns auf Jesum aufmerken! Denn wir sind durch ihn nicht zum Berge Sinai gekommen, das Gebot, das nicht lebendig machen kann, zu empfangen, sondern Kap. 12,18 zu dem Berg Zion.

Bd. IV, Hebr. S. 115.

Mel. Mein Glaub ist meines Lebens Ruh.

So höre denn, o Menschenkind, sei doch nicht so verstockt und blind, den Sohn aus Gottes Herzen! Willst du denn deine Seligkeit von nun an bis in Ewigkeit gar mit Gewalt verscherzen? Ei nicht; nimm doch dein Heil in acht, das dir so nahe ist gebracht!

Ich bitte dich, sei doch so gut, sei besser noch auf deiner Hut; dein Heil bedenke heute! O höre, was Gott in dir spricht; denn morgen hört's ein mancher nicht und ist der Hölle Beute! Hör also dein Gewissen an, solang es dich bestrafen kann!

O Lebenslicht, ach leuchte mir, bis daß ich ewiglich bei dir im ew'gen Lichte wohne! Ich kann nicht mehr im Finstern sein, weil unerträglich ist die Pein; mir fehlt die Lebenskrone. Denn Sünd, Natur und Eitelkeit ist nichts als Geistverzehrlichkeit.

Bd. IV, Hebr. S. 128

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