Gerhard, Johann - Tägliche Uebung der Gottseligkeit – Vorwort.

Gerhard, Johann - Tägliche Uebung der Gottseligkeit – Vorwort.

Der reiche Segen, den ich selbst beim Lesen der nachstehenden Betrachtungen hatte, erregte in mir den Wunsch, es möchte dieses köstliche Büchlein auch Andern zugänglich werden, die der lateinischen Sprache nicht kundig sind. Da mir nun seine Uebersetzung davon bekannt geworden ist, so entschloß ich mich, selbst eine solche zu fertigen. Bei der Ausarbeitung derselben stießen mir wohl bald ganz eigenthümliche Schwierigkeiten auf, die mich in Versuchung führten, durch bedeutende Veränderungen und Umschreibungen das Büchlein der Ausdrucksweise unserer Zeit genauer anzupassen; da jedoch dies eine völlige Umarbeitung zur Folge gehabt hätte, und das Buch seinen ursprünglichen Charakter dadurch verlieren mußte, so suchte ich lieber den Grundtext möglichst wortgetreu wieder zu geben, um nicht mit dem Wort auch den Gedanken zu verändern oder gar zu verwischen.

Die eigenthümliche Ausdrucksweise hängt eng mit der Eigenthümlichkeit der Gedanken zusammen, welche freilich dem Geschmacke des Zeitgeistes vielfach zuwider ist. Aber das Büchlein ruht auf biblischem Grund und Boden und führt die kräftige Sprache der heiligen Männer Gottes, wodurch es sich seinen Leserkreis für alle Zeiten gesichert hat.

Es besteht aus vier Abtheilungen. Die erste stellt dem Sünder einen Spiegel der Selbsterkenntniß vor die Seele, und gibt dadurch zugleich eine treffliche Anleitung zur Demuth. Die zweite lehrt den unermeßlichen Reichthum der Gnade und Erbarmung Gottes kennen, und öffnet den Mund, zum Dank und Preis, leitet aber nicht minder zur Selbstprüfung und zur Uebung in der Demuth an; denn so viele Danksagungen darin enthalten sind, so viele Gewissensfragen sieht der Leser daraus an sich ergeben, und wer nicht mit dem Verfasser danken kann, der erkenne, wie viel ihm fehlt, und thue Buße! Die dritte öffnet uns die Augen über unsere vielfältigen wahren Mängel und Bedürfnisse, und leitet und an, zu dem unsere Zuflucht zu nehmen, von den alle gute und alle vollkommene Gabe kommt, und der uns selbst die Erlaubniß gegeben hat, ihn anzurufen in der Noth, und solchem Anrufen auch Erhörung verheißen hat. Die vierte öffnet das Herz und den Mund zur Fürbitte. Daß auch diese beiden Abtheilungen gewaltige Ansprachen an das Gewissen enthalten, wird Jeder fühlen, Der die darin enthaltenen Gebete nicht bloß liest, sondern betet.

So eignet sich denn das ganze Büchlein vortrefflich zur Vorbereitung zur Beichte, und dient weit besser zur Selbstprüfung, als alle Anleitungen, die man hiezu in Beichtbüchern gewöhnlich in einer langen Reihe von Gewissensfragen findet, da dieses Büchlein den Leser unmittelbar in die Gegenwart Gottes und in's Gebet führt, und dadurch ein kräftiges Schutzmittel gegen Heuchelei und Schmeichelei und alle Art des Selbstbetrugs bietet, indem es den Sünder dem gegenüber stellt, der das Herz kennet und die Nieren prüft.

Möge der Herr auf dasselbe auch in gegenwärtiger Gestalt seinen reichen Segen legen!

Geschrieben am 12. Mai 1841,

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