Geibel, Johannes - Ordinationsrede bei der Ordination seines Sohnes Carl Geibel

Geibel, Johannes - Ordinationsrede bei der Ordination seines Sohnes Carl Geibel

gehalten zu Lübeck am 19. September 1830.

Der Herr, der Hirte und Bischof unserer Seelen, das einzige Haupt Seiner Gemeinde, lasse uns Seiner gnadenvollen Nähe recht inne werden, und segne die heilige Handlung, die wir zu Seines Namens Ehre jetzt vornehmen wollen! Amen.

Mein lieber Sohn!

Du stehest jetzt hier vor Gott und der versammelten Gemeinde als berufener Hirte und Lehrer einer christlichen Gemeinde zu Braunschweig, und wirst als verordnete Diener des göttlichen Wortes und als Genossen des wichtigen Amtes, das die Versöhnung prediget, wollen dir nun, christlicher Ordnung gemäß und mit Zustimmung des Synodalverbandes, zu welchem die Gemeinde, die dich berufen hat, gehöret, dein Gelübde abnehmen und zu deinem Amte dich ordnen und einsegnen.

Eine feierliche Stunde für dich, für uns, und namentlich für mich, der ich nicht bloß als Diener des Wortes, sondern zugleich auch als Vater zu dir reden soll! Mögen denn die wenigen Worte, die ich zu dir rede, und die aus einem tief bewegten, von der Heiligkeit des Predigtamts und von inniger Liebe zu dir durchdrungenen Herzen kommen, in dein innerstes Leben dringen und sich unauslöschlich deinem Geiste und deinem Herzen einprägen!

Du bist von einer christlichen Gemeinde berufen; aber du weißt, wie der Christ in Allem, was durch Menschen geschiehet, nur den Herrn sieht, und wie er besonders den Ruf, Arbeiter an seiner Gemeinde zu sein, nur als Seinen Ruf ansehen kann und darf. Denn Sein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit-; Sein die Gemeinde und ihre Arbeiter. Der Herr hat dich berufen - das mußt du besonders lebendig erkennen und fühlen. Denn als ein Fremdling kamst du zu der Gemeinde, ohne Bekanntschaft, ohne weltliche Verbindungen. Wer war es, der dir die Herzen öffnete? So viel Demuth und Selbsterkenntniß traue ich dir zu, daß du das nicht deinen Verdiensten, deinem Rufe, deiner Kenntniß und Geschicklichkeit, deinen Gaben zuschreibest. Der Herr hat dir die Herzen geöffnet: und nur Ihm, nur Seiner Gnade, verdankst du deinen Beruf! O, gieb Dem, der dich berufen hat, dein ganzes Herz, und höre auf Seine Stimme mit ganzer Seele; denn zu einem großen Amte hat Er dich berufen!

Wahrlich ein großes Amt! „Das ist je gewißlich wahr, sagt der Apostel Paulus, so jemand ein Bischofsamt begehret, der begehret ein köstlich Werk.“ Und wiederum schreibt er: „Gott hat uns mit ihm selber versöhnet, durch Jesum Christum, und uns das Amt gegeben, das die Versöhnung predigt. Denn Gott war in Christo, und versöhnete die Welt mit Ihm selber und rechnete ihnen ihre Sünden nicht zu, und hat unter uns aufgerichtet das Wort von der Versöhnung. So sind wir nun Botschafter an Christus Statt; denn Gott vermahnet durch uns; so bitten wir nun an Christus Statt: Lasset Euch versöhnen mit Gott!“ Auch das schreibt er: „Christus hat Etliche zu Aposteln gesetzt, Etliche zu Propheten, Etliche zu Evangelisten, Etliche zu Hirten und Lehrern, daß die Heiligen zugerichtet werden zum Werke des Amtes, dadurch der Leib Christi erbauet werde!“ Wahrlich ein köstlich Werk! An Gottes, an Christi Statt zu vermahnen, zu verkündigen die Versöhnung der Menschheit mit Gott durch Christum; Ihm, dem Erlöser, Seelen zu gewinnen; und die schon gewonnenen zu nähren und zu stärken mit dem Brode des Lebens, daß sie immer mehr Eins werden unter einander, Ein Leib; und wachsen in allen Stücken an Dem, der das Haupt ist, an Christo. Gibt es ein größeres Werk?

Und dieses Werk kann keiner recht treiben, dem nicht die Gnade Gottes in Christo hell im Geiste erschienen ist; der nicht erfahren hat an seinem eigenen Herzen, was es heiße: An Christo haben wir die Erlösung durch sein Blut, nämlich die Vergebung der Sünden; der sich nicht fühlet an Ihm als ein lebendiges Glied Seines Leibes, der nicht mit Ihm verbunden ist, wie die Rebe mit dem Weinstock; in dessen Herz nicht ausgegossen sind die Ströme der Liebe Gottes durch den heiligen Geist, so daß er den liebt von ganzem Herzen, der ihn zuerst geliebet hat. - Simon Jona, hast Du mich lieb? fragt darum der Herr den Petrus, als Er ihn von Neuem in sein Amt einsetzte, und nur als dieser erklären konnte: Herr, Du weißt alle Dinge, Du weißt auch, daß ich Dich lieb habe! bekam er den Befehl: So weide meine Schaafe, meine Lämmer! - O daß die überschwengliche Liebe Gottes in Christo dein ganzes Herz durchglühete, und die Liebe zu Ihm hell in dir aufflammte, damit du durch sie geläutert, gestärkt, begeistert, und alles Nichtige verlassend, in dein Amt einträtest! Denn es ist ein schweres Amt.

Schwer, in Beziehung auf unsere große Schwachheit. Du mußt nicht nur mit dem Worte Gottes dich selbst immer mehr vertraut machen, immer tiefer eindringen in seinen Zusammenhang, in seine Tiefe und Bedeutung; du mußt es nicht nur täglich mehr in seiner Wahrheit und Gotteskraft erkennen und erfahren: sondern du sollst es auch rein, klar, eindringlich und überzeugend verkündigen. Du sollst durch dasselbe die Sünder erwecken, die Irrenden zurückbringen, die Unwissenden belehren, die Schwachen stärken, die Wankenden befestigen, die Traurigen trösten, die Gebeugten und Kleinmüthigen aufrichten, die Suchenden sichern, und die Gläubigen vervollkommnen. Und dabei sollst du nicht auf dich sehen, sondern auf den Herrn; du sollst dich selbst verläugnen, selbst vergessen; keiner Mühe und Beschwerde, keines Widerstandes, keiner Verunglimpfung achten, und immer fest und treu an der Wahrheit halten, die du erkannt hast, und im Glauben und im Vertrauen auf den Herrn unermüdet fortarbeiten, auch wo du nicht stehest.

Schwer ist das, unserer Schwachheit wegen, mit welcher wir, so lange wir noch hienieden leben, auch nach langer Arbeit immer noch zu kämpfen haben. Und doch ist's an und für sich leicht, wenn wir in der rechten Gemeinschaft stehen mit dem Herrn. Denn Er will ja bei uns sein alle Tage, bis an der Welt Ende, und wo zwei oder drei in Seinem Namen versammelt sind, da ist Er mitten unter ihnen. Er gibt den Müden Kraft, und Stärke genug den Unvermögenden. Er stehet uns bei in jeder Prüfung, und bittet für uns, daß unser Glaube nicht wanke. Er lasset uns nie versucht werden über Vermögen, sondern macht, daß die Versuchung immer ein solches Ende gewinnet, daß wir es können ertragen. Er ist uns Licht in der Nacht, und eine Feuer- und Wolkensäule auf dem Gang durch die Wüste des Lebens. Sein Geist gibt Zeugniß unserem Geiste, daß wir Gottes Kinder sind, und daß denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen müssen. Und er öffnet uns auch die Herzen, und läßt uns erfahren, daß unsere Arbeit nicht vergeblich sei.

So übernimm denn im Vertrauen auf Ihn, und aus Seiner Hand das heilige Amt. Wer an Ihn glaubt, wird nimmer zu Schanden. Bitte Ihn täglich um Seinen Geist, der ein Geist der Weisheit, der Wahrheit, des Friedens und des Trostes ist. Lasse dich von Seinem Leben recht durchdringen, und du wirst dann ein treuer Hirte der dir anvertrauten Gemeinde sein. Sie wird es inne werden, daß du nicht das Deine suchst, sondern ihr ewiges Heil; daß es dir am Herzen liegt, ihr Vorbild zu sein, und selbst voran zu gehen auf dem Wege, den du ihr zeigst, und vertrauensvoll werden dir die Herzen entgegenkommen. Sei ein Zeuge der Wahrheit, der reinen apostolischen Lehre, ohne Zusatz und ohne Weglassung. Predige Jesum Christum, den Gekreuzigten und Auferstandenen, den einzigen Heiland der Sünder. Zu diesem Quell führe immer, und zeige, wie alle Scheinweisheit dieser Welt nur ein löcherichter Brunnen ist, der kein Wasser halt. Beweise Dich als einen guten Streiter Christi, der da richtig das Wort theilt, und Irrlehren kräftig zu begegnen vermag. Wie Aaron auf feinem Brustschilde die Namen der zwölf Stämme auf dem Herzen trug, so trage deine Gemeinde auf dem Herzen. Sie sei jeden Tag dein erster, und dein letzter Gedanke. Bete für sie ohne Unterlaß, bete, daß Alle zur seeligen Erfahrung kommen der Wahrheit, Freiheit und Herrlichkeit, die in Christo Jesu ist. - Nimm dich besonders des Unterrichtes der Jugend an, und präge tief ihrem Verstände und ihrem Herzen die christliche Wahrheit ein. Ihr Herz ist empfänglich, und ihr Verstand gewöhnlich noch unbefangen. Zwar wirst auch du die Erfahrung machen, daß Vieles von dem, was du einpflanztest, und was auch aufging, wieder zerknickt und ausgerissen wird durch die dem Tand und dem Verkehrten nachjagende Welt, oder durch die Stürme der Begierden und Leidenschaften. Aber laß dich das nicht entmuthigen. Einiges bleibt doch, und entwickelt sich nur desto kräftiger, und manches, was abgerissen war, treibt in späteren Jahren, oft nur unter Leiden und Trübsalen, wieder aus der Wurzel hervor. Trübsal und Leiden gehören in dieser Weltordnung zu den Wirksamsten Erziehungs- und Bildungsmitteln des Herrn. Darum richte deinen Blick auch besonders auf die Armen. Nicht- ohne tiefe Bedeutung spricht der Herr: „Den Armen wird das Evangelium verkündigt.“ Das sind nun allerdings die Geistig-Armen, mögen sie äusserlich reich oder arm sein, aber leugnen laßt sich's doch nicht, daß eben die äußere Armuth am leichtesten zu einem lebendigen Bewußtsein der innern Armuth bringt. Auch müsse kein Gefallener von dir übersehen werden. Sie stehen, ihre Sündhaftigkeit fühlend, dem Herrn näher, als die, welche auf ihre eigne Gerechtigkeit stolz sind. Und Ihm ist kein Mensch zu verderben, kein Sünder zu groß; Er spricht nur ein Wort in die Seele hinein, und der dürre Baum grünt wieder auf, und bringt reiche Frucht. Ueberhaupt stelle das ganze Leben in das Licht des Evangeliums. Bei der Taufe, bei der Confirmation, bei der Abendmahlsfeier, bei der Einsegnung der Ehe, am Krankenbette und bei Todesfällen, bietet sich dazu die günstigste Gelegenheit dar. Des' Evangeliums Licht strahlet in Alles herrlich hinein, und verklärt Alles, und des Evangeliums Kraft vermag alles Irdische himmlisch zu machen. Sein Licht leuchte in dir, und durch dich, und seine Kraft erfülle dein Leben, und verbreite sich in deinem Kreise.

Doch ich enthalte mich über den Sinn deiner Amtsführung und deiner Berufspflichten mehr zu sagen, um Keinen zu ermüden, theils, weil ich manches davon schon in meiner Predigt gesagt habe, theils, weil der Apostel Paulus darüber umständlich genug, besonders in den Briefen an den Timotheus und Titus, sich ausgesprochen hat. Und ich mache es dir daher zur Pflicht, jetzt diese Briefe mit gesammelter Seele zu lesen, sie so zu lesen, als ob du sie noch nie gelesen hättest, und du wirst in ihnen reiche Anweisung und Belehrung finden.

Ist es nun, mein lieber Sohn, dein heiliger Ernst, und dein redlicher Vorsatz vor Gott, ein treuer Diener Jesu Christi zu sein, willst du zu dem Ende das Wort Gottes rein, wie wir es in der heiligen Schrift haben, ohne allen Zusatz, und ohne alle Weglassung, als das Wort des Lebens, deiner Gemeinde verkündigen? so antworte: Ja!

Willst du, weil das Wort Gottes unendlich reich und tief ist, unablässig in demselben forschen, um immer Heller und tiefer seinen Sinn zu erkennen, und von seinem Geiste dein ganzes Leben durchdringen lassen? so antworte: Ja!

Willst du durch dein Wort und deinen Wandel deiner Gemeinde Lehrer und Führer sein, und mit ganzer Seele darnach streben, Christo Seelen zu gewinnen, und Sein Reich auf Erden nach deinem Vermögen zu fördern? so antworte: Ja!

Du hörtest, Herr, was Dein Diener sprach. Gib Du ihm Kraft, sein Versprechen treulich zu halten! Nimm ihn auf unter die Zahl Deiner Knechte! Ordne, weihe, und segne Du selbst ihn durch unsre Hand!

Knie nieder!

Im Namen unseres Herrn Jesu Christi, unter Anrufung Seines Geistes und zur Ehre des Vaters ordnen, weihen und bestellen wir dich zum Amte, das die Versöhnung predigt, zur Verkündigung des Reiches Gottes, zum Haushalter über Seine Geheimnisse. Amen! Seine Liebe verherrliche sich an dir! Sein Geist ruhe auf dir! Sein Segen begleite dich! Amen!

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