14) Vom Sterben und Zeugen der Wiedertäufer

Den größten Unsinn trieben sie mit ihrem Sterben und Wiederwerden in Christo. Damit hatte es folgende Bewandniß: In ihren Versammlungen fielen oft einige plötzlich rücklings auf die Erde oder an eine Wand, rieben mit dem Rücken hin und her, bläheten sich auf, rangen die Hände, verzerrten ihr ganzes Gesicht, schäumten mit dem Munde, ächzeten und seufzten darzwischen, bis sie in einen heftigen Schweiß und in Verzückungen geriethen, daß man es ohne Entsetzen nicht mit ansehen konnte. Andere hielten mit Fleiß den Odem so lange zurück, bis sie ganz braun und blau, und im ganzen Gesichte aufgeblasen wurden. Dies nannten sie das Sterben:

So wie Spötter der Religion oft alles in der hl. Schrift gefunden haben, was sie suchten, und für die ungereimtesten Meinungen einen Beweis fanden, so glaubten auch diese Schwärmer für ihr Sterben und Zeugen in der hl. Schrift in der Stelle Röm. 6, 3.4. einen Beleg zu finden. Hier sagt nämlich Paulus: Wisset ihr nicht, daß alle die in Jesum Christ getauft sind, die sind in seinen Tod getauft? So sind wir ja mit ihm begraben durch die Taufe in den Tod, auf daß, gleich wie Christus ist auferweckt von den Todten, also sollten auch wir in einem neuen Leben wandeln. - So unverschämt ist man also von je her mit den heil. Schriften umgegangen!

Keßler erzählt, er habe einst auf einem Spaziergang nach Sturzenegg mit seinem Freunde Johannes Reutiner eine solche abscheuliche Scene mit angesehen, und wie wohl er anfänglich geglaubt, er werde wohl so etwas mit Gelassenheit ansehen können, so seyen doch beide von diesem Anblick so tief ergriffen worden, daß sie mit Abscheu und Entsetzen davon geeilt wären.

Wenn nun diese Verzückten eine Weile in diesem Zustande dagelegen waren, kamen sie nach und nach, wie aus einer anderen Welt, wieder zurück, und fiengen von allerlei hohen himmlischen Dingen ein einfältiges Geschwätz an, welches sie Zeugen nannten, gleich als wollten sie jetzt mit dem Sterben bezeugen, daß ihnen Gott allerlei wichtige Dinge geoffenbaret habe, und lockten damit viele Einfältige in ihre Secte. Selbst solche redeten auf diese Weise und zwar dann und wann aus der heil. Schrift, die übrigens weder schreiben noch lesen konnten, und so lange sie redeten, hielten die Wiedertäufer diese Reden für Gottes Wort, und höreten ihnen mit der größten Andacht zu. Dieses Sterben artete gewissermaßen in eine Art von Krankheit aus, und wurde ansteckend, so daß sie oft unwillkührlich in ihren Versammlungen davon ergriffen wurden. Es nahm auf der Landschaft und in der Stadt St. Gallen so überhand, daß sich die Obrigkeit dagegen setzen, und verbieten mußte, daß in Zukunft Niemand mehr sterben solle, weil man glaubte, es sey ein bloß angenommenes phantastisches Wesen.

Man erzählte sich damals folgenden lächerlichen Vorfall, der sich in Gaist, Kant. Appenzell zugetragen hatte. Einer dieser wiedertäuferischen Phantasten befand sich in der dortigen Kirche; mitten unter der Predigt fiel es ihm ein, zu sterben. Sein Nachbar, kein Freund vom Sterben, bewies ein großes Mißfallen darüber, und nicht faul, holte er eilends einen großen Kübel mit Wasser, goß es dem Verzückten über den Kopf, und durchnäßete ihn dermaßen, daß diesem das Sterben alsbald vergieng, aufsprang und wie von den Todten erstand.

Keßler schien es daran gelegen zu seyn, zu erforschen, was es eigentlich mit diesem Sterben und Zeugen für eine Bewandtniß habe, und ließ sich von einem seiner Anverwandten, Nikolaus Güldi, darüber in Kenntniß setzen. Dieser Mann, selbst lange Zeit in diese Schwärmerei versunken, war in der Folge wieder zu einer bessern Erkenntniß gekommen, und versicherte Keßlern mit betrübtem Herzen: dieses Sterben sey wirklich bei vielen keine angenommene Weise, sondern sie wären mit großer Noth, wider ihren Willen dazu gezwungen, denn da er dieses grausame Sterben selbst versuche, so sey es ihm in seinen Gliedern nicht anders gewesen, als ob ihn - wie er sich ausdrückt - der fallende Siechtag bestünde (das fallende Weh überfiel) dem er nicht habe widerstehen können, wenn es ihm auch gleich die ganze Welt zu unterlassen geboten hätte. Ob aber dieses Zeugniß gültig sey, wenn dieser Freund Keßlers ferner bemerkt: er habe gesehen, wie Knaben und Mädchen von 7 oder 8 Jahren niedergelassen, ganz schwarz geworden, und 5 bis 6 Stunden lang sprachlos liegen geblieben wären; die, nachdem sie angefangen hätten zu sprechen, seltsame und wunderbare Dinge aus dem Alt. und Neu. Testam. geredet, wiewohl sie weder schreiben noch lesen, noch weniger davon etwas gehört oder gelernt hätten – dies will ich den Lesern dieser Schrift zur nähern Prüfung überlassen.

Könnte der sel. Keßler nur für kurze Zeit in sein Vaterland zurückkehren, oder auch nur in unsern Tagen einen Blick auf die entweiheten Gefilde von Wildenspuch richten, wie würde er erstaunen, sich vielmehr entsetzen, daß Christen, durch die Lehre Jesu erleuchtet seyn sollende evangelische Christen noch jetzt, mithin 300 J. nach ihm, so tief in Aberglauben und in schwärmerischen Unsinn, der zu den schrecklichsten Ausschweifungen und Lastern führte, versinken, die Aussprüche der heil. Schrift so gewaltsam verdrehen, das Christenthum entehren, den Menschenverstand verläugnen, und sich gleichsam unter das unvernünftige Geschöpf herabwürdigen konnten! Er würde aber auch solche Unglückliche Bemitleiden, schmerzlich beklagen und fragen: ist es auch möglich, daß der Mensch, das Ebenbild seines Schöpfers, seine erhabene Würde gänzlich ablegen, und sich von Gott und seinem Worte so weit verirren kann? Wir wollen ihm aber gern beistimmen, wenn er bei wehmuthsvollen Betrachtungen, zu denen er bei dem Blick auf seine Mitbürger damals veranlaßt wurde, seine Augen in die Tage des grauen Alterhums richtet, und vertraut mit den klassischen Schriften der alten Römer sich an den Wahrsager-Geist erinnert, den Virgil in seiner Aeneide Buch VI, 43 und folg. der Sybille beilegt. Diese Stelle, und Keßlers eigene Uebersetzung, mag hier einen Platz finden:

Ventum erat ad liman, quum virgo. „Poscere fat
Tempus“ sit: „deus, ecce deus! „Cui talia fanti
Ante fores subito non vultus, non color unus,
Non comtae mansere comae: sed pectus anhelum,
Et rabie fera corda tument; majorque videri,
Nec mortale sonans, adflata numine quando
Jan propiore dei.1)

Keßlers gereimte, buchstäblich treu ausgezogene Uebersetzung aus seiner Sabbatha lautet so:

Demnach sy komend für das Huß
Sybilla sprach: die Zit ist uß,
Der Gott ist die des nemand war
Wirt uch beschaiden offenbar
Diewil sy stundend vor der Port
Alsbald sy redet dise Wort. -
Ir G'sicht, Farb, that sy verschiben,
'S Har wolt nitt mer g'flochten bilden
Die Brust zackt (zuckt) ir, blaht sich mitt Grim
Sy gab von ihr kain menschlich Stim
Vil großer ward sy dann geacht
So Gott ir naht mitt Gaistesmacht.

1)
J.H. Voß übersetzt obige Stelle so:
Jetzt war die Mündung erreicht, da die Jungfrau fordert das Schicksal!
Rufte: der Gott! o schauet, der Gott! - Wie sie solches am Eingang
Redete, plötzlich erschien nicht vorige Farbe noch Antlitz,
Nicht in geordneten Locken das Haar: nein keuchend der Busen,
Heftig in Wuth aufschwellend das Herz, auch höher das Ansehn,
Und nicht sterblich der Ton; als nun sie des mächtigen Anhauchs
Füllte der nähere Gott.
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