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1) Keßlers Geburt und Studien

Da wir unsere vorzüglichsten Berichte über die wiedertäuferischen Gräuelscenen, die sich in den Jahren 1525 und 1526 in der Stadt St. Gallen zutrugen, großentheils den Schriften Johannes Keßlers, dieses ehrwürdigen Reformators der genannten Stadt, entnommen haben, so werden einige vorausgeschickte Nachrichten aus dessen Jugend- und Studienjahren, hier nicht am unrechten Orte stehen.

Johannes Keßler stammt aus einer alten und angesehenen Bürgerfamilie der Stadt St. Gallen, wo er im Jahr 1502 geboren ward1). Die Schulanstalten seiner Vaterstadt waren damals noch in keinem blühenden Zustande, doch befand sich hier schon lange vor der Reformation eine lateinische Schule, und darneben einige Primarklassen. Man sah zu seiner Zeit das Schulwesen noch nicht als eine Angelegenheit des Staates an, daß einer eigenen Aufsicht bedürfe, daher auch die dortigen Stadtschulen nicht einmal unter obrigkeitlicher Specialaufsicht standen. Der Stadtrath wählte und besoldete wohl die Lehrer, erachtete es aber erst im Jahr 1554 für nöthig, einen eigenen Schulrath zu ernennen. Jünglinge nun die es weiter bringen, und sich dem Gelehrten-Stande widmen wollten, traten aus der Stadt- in die Klosterschule ein, die sich seit vielen Jahrhunderten in einem sehr blühenden Zustande befand, und wo nicht bloß die teutsche und lateinische, sondern, was damals etwas seltenes war, auch die griechische Sprache gelehrt wurde.

Von hier begab sich Keßler nach Basel. Dieser im Jahr 1450 errichtete Musensitz war damals in der Schweiz gleichsam der Brennpunkt, von welchem aus sich weit und breit die Lichtstrahlen einer reinen Erkenntniß in der Literatur, und ein besserer Geschmack, verbreitete. So wohl die Freiheit der Presse, als auch der Verein ausgezeichneter Gelehrten, welche sich aus allen Gegenden hierher gezogen und ihren Lehrstuhl aufgeschlagen hatten, waren Vorzüge, deren sich Basel zu Anfang des 16ten Jahrhundert ausschließlich rühmen konnte, und die eben so geeignet waren, diese Stadt, welche an den Gränzen Teutschlands, Frankreichs und der Schweiz, lag, zu einem Sammelplatz aller Gebildeten jedes Standes zu erheben.

Damals als Keßler die dortige hohe Schule besuchte, lebte allda Erasmus von Rotterdam, der als einer der größten Gelehrten und Schriftsteller seiner Zeit anerkannt und geehrt wurde. Keßler scheint zwar nicht mit ihm in näherer Verbindung und Bekanntschaft gestanden zu haben, doch meldet er in der handschriftlichen Chronik seiner Vaterstadt, Sabbatha betitelt (weil er an den Feyertagen und in den Feyerabendstunden an diesem Werke geschrieben) „er habe ihn bei Johann Froben, der ihm zu Lieb, nach seines Landes Brauch, einen besondern Saal erbauet habe, gesehen,“ und meldet bei dieser Gelegenheit von ihm: „Erasmus ist von Person ein Taubengrauer, ehrsamer Alter, und ein kleiner und zarter Mensch, in einem langen, blauen, zusammengegürteten Rock, mit weiten Ermeln bekleidet, und eine Leisten (Binde) von Sammet um den Hals vornen zu beiden Seiten herabhängend, nach des Rockes Länge.“

Unter allen aber war es wohl Oekolampad, der Keßlern nach Basel gezogen hatte; ein Mann der durch seine tiefen Kenntnisse in der griechischen und hebräischen Sprache, sich als einen würdigen Schüler Reuchlins beurkundete, und unter die besten Exegeten seiner Zeit mit Recht gerechnet wurde; der zugleich als der muthvollste Bestreiter päbstlicher Irrthümer, als die erste Zierde der dortigen Akademie, und thätigste Lehrer angesehen ward. Dabei galt er noch überdies als ein Muster jeder Tugend bei Allen die ihn kannten, und von dem Keßler, sein würdiger Schüler, schreibt: „er könne auch von seinen allermißgünstigsten und widerwärtigsten Gegnern in keinerlei Laster angetastet, sondern müsse allezeit gepriesen werden, so sie sprechen: es bekümmere sie nur, daß er, ein so gelehrter und gottesfürchtiger Mann, in so großen Irrthum (wie sie achten), abgetreten sei.“2)

Durch die hellen Lehren die er in dessen Vorlesungen ausschöpfte, gelangte er nach und nach zu bessern und geläuterten Einsichten in der Religion, und begab sich von Basel nach Wittenberg, um dem in ihm aufgegangenen Lichte dort weiter nachzuspüren. 3) Hier bewarb er sich besonders um die Gunst und Freundschaft des berühmten Philipp Melanchthons, der wegen seines menschenfreundlichen und liebevollen Herzens, mit welchem er sich der Studierenden annahm, nicht weniger als durch seinen durchdringenden Verstand, und der Menge seiner Kenntnisse, die Studierenden an sich zog. Er hörte mehrere Vorlesungen bei ihm. Mit vielem Vergnügen werden wir folgende Schilderung, welche Keßler in seiner Sabbatha von diesem seinem Lehrer macht, lesen. „Melanchthon,“ sagt er, „nach Leibesform eine kleine, unachtbare Person, vermeinest, er wäre ein Knab nit über 13 Jahren, so er neben dem Martino Luther geht; wenn sie aus innerlicher Liebe, ohne Unterlaß, bei einander wohnen, stehen und gehen, übertrift ihn Martinus nach der Länge mit ganzen Achseln. Nach Verstand aber, Gelehrte und Kunst, ein großer starker Ries und Held, daß einen verwundern möcht, in einem so kleinen Lib, so einen großen u. übersehlichen Berg, Kunst und Weisheit verschlossen liegen. Diesen Philippum hat der Churfürst gen Wittenberg im 1518 Jahre, seines Alters ungefähr im 26sten beschickt. Alda lebt er noch in gründem Alter, wo ihn Mart. Luther mit einem ehelichen Span versehen, bei welchem er wandelt in Segen Gottes vieler und hübscher Kinder. Ist bei allen Gelehrten von wegen seiner Gaben in hoher Achtung. Ja es müssen Freund und Feind sich an ihm als einen David gegen den erschlagenen Goliath, doch verwundern.“

Nächst Melanchton war aber gewiß auch sein Blick auf Luthern gerichtet, dessen Bekanntschaft er bereits auf seiner Hinreise, zu Jena, gemacht hatte. Keßler giebt in seiner Sabbatha von ihm und seinen Eltern folgende anmuthige Schilderung: „Martinus Luther zu Isleben in der Grafschaft Mansfeld erboren, von seinem Vatter Hanßen Luther, Meistern einer Hütten, allda man das Küpfer lütheret, und seiner Mutter Margaritha, beide klaine und kurze Personen, die Martinus und seine Geschwisterig mit Länge und Liebliche baide übertreffend; ein brunlacht Volk. Und wie ich Martinum, seines Alters 41 Jahr, 1522 gesehen, war einer natürlichen ziemlichen Feiste, eines ufrechten Gangs, also daß er sich mehr hinder sich dann fürder sich naiget, mit uffgehebtem Angesicht gegen den Himmel, mit tiefen schwarzen Augen und brunen, blizend und zwitzerend wie ein Stern, daß sie nit wohl mögend angesehen werden.“

1)
Die Taufregister in St. Gallen, welche über das Jahr 1500 hinaufreichen, wurden zu Anfang der Reformation von dem damaligen Pfarrer N.N. der der päpstlichen Lehre treu blieb, mit aus der Stadt genommen, und nie wieder zurück gestellt. Daraus entstand in der Folge die Ungewißheit, ob Keßler 1500 oder 1502 geboren worden sei, welchs erstere Angabe in Huders St. Galler Predigerbiographie, Manuse, gefunden wird. Da aber Keßler in seiner Sabbatha schreibt, er habe den 29. October 1525, da er 23 Jahre alt gewesen, sich verheirathet, so folgt daraus, daß er 1502 müsse geboren worden seyn. Von seinen Eltern ist wenig oder gar nichts bekannt, nur so viel weiß man, daß sein Vater Hans Keßler geheißen; welchen Namen und Geschlecht die Mutter geführt, welchen Gewerb seine Eltern getrieben, konnte nicht erforscht werden.
2)
Keßler blieb ohne Zweifel bis an Oekolampads Tod (1531) ein stiller Verehrer dieses seines unvergeßlichen Lehrers, bei welchem er einige Propheten, und die Briefe an die Römer und Johannis gehört hatte. Ja er würde sich sogar dazu verstanden haben, dessen Leben zu beschreiben, wie er in seiner Sabbatha sagt, wenn er nicht vernommen hätte, daß Simon Grynäus dasselbe angekündigt hatte.
3)
Seine Reise dahin fällt in den Monat März 1522, und so wie damals gerade Mart. Luther am Freitag vor dem ersten Sonntag in der Fasten von der Wartburg wiederum zu Wittenberg den 6ten März unerwartet ankam, so traf auch Keßler am Samstag darnach, dort ein. Keßlers Zusammentreffen bei dieser Gelegenheit zu Jena im Gasthofe zum Bären, mit Luthern kann hier, so interessant auch des jungen Reisenden Beschreibung davon ist, keinen Platz finden; man lese dasselbe im helvetischen Almanach Jahrg. 1808.
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