Francke, August Herrmann - An einige auswärtige christliche Freunde.

Francke, August Herrmann - An einige auswärtige christliche Freunde.

Halle im Jahre 1700.

Ich wünschte öfters, wenn es des Herrn Wille sein möchte, diejenigen, von welchen ich mit Freuden höre, wie sie in der Wahrheit Jesu Christi wandeln, von Angesicht zu sehen. Da nun aber solches meine Umstände nicht gestatten, will ich gegenwärtiges Schreiben meine Stelle vertreten lassen. Doch bitte ich, dieses nicht also anzusehn, als wenn ich mir eine besondere Autorität über andere anmaßen, ihr Lehrer und Meister sein oder gar über ihr Gewissen herrschen wollte. Der Herr weiß, was meine Seele für einen Eckel hat vor aller solcher Meisterschaft. Ich halte mich für nichts, als für einen Knecht und Diener, und so mir nun der Herr die Fackel seines Worts in die Hände gibt, solche andern, wie einem Diener gebühret, vorzutragen, begehre ich um deßwillen nichts mehr zu sein, als diejenigen, welchen ich mich mit meinem Vorleuchten zum Dienst begebe. Es ist aber der Wille des Herrn, daß wir uns unter einander ermahnen. Lasset uns das Kennzeichen nicht verlieren, das uns Christus gegeben hat, daß wir uns unter einander lieben, gleichwie er uns geliebet hat, auf daß man daraus erkenne, daß wir seine wahrhaftigen Jünger seien. Wenn wir den elenden und verderbten Zustand der Leute überall erkennen, und uns die übermachte Bosheit und Gottlosigkeit vor Augen schwebt, so lasset uns desto mehr in die allgemeine Liebe eindringen, und wie in einer großen Feuersbrunst man alles stehen und liegen lässet, und vornehmlich suchet, daß man das Feuer löschen und weiterem Schaden zuvorkommen möge, also lasset auch uns in Gott die Kräfte der Liebe erneuern, nicht Oel ins Feuer gießen durch Zorn und Härtigkeit, sondern das Wasser der Liebe herzuführen und uns also mit einander im Herrn vereinigen, dem Verderben zu steuern. Man hat traun nicht Ursache, sich in seinem Sinne hoch zu setzen und die brüderlichen Ermahnungen zu verachten; sondern es wäre zum höchsten nothwendig, daß, wo an einem Orte nur zwei sind oder drei, die Gott suchen, sie ohne Unterlaß einander erweckten zur wahren Lauterkeit und Einfältigkeit in Christo, und wo ihrer mehr wären, sie solches zu ihrer desto größeren Erbauung anwendeten, einander desto mehr mit dem Wort der Ermahnung zu Hülfe kämen, und also einer dem andern diente mit den unterschiedlichen geistlichen Gaben, die sie von Gott empfangen hätten, ja daß auch Abwesende durch Briefe einander aufrichteten und ermunterten. Keineswegs aber ist es zu loben, wenn an einem Orte unterschiedene sind, welche alle meinen, sie suchen Gott von Herzen, und haben die Liebe der Welt verläugnet, sehen aber ein jeglicher nur auf seinen eigenen Weg, kommen gar nicht oder doch wunderselten zu einander, vereinigen sich nicht mit einander im Gebet und stärken sich nicht durch's Wort Gottes. Und wenn sie ihnen gleich dünken ließen, daß sie auf ihre Weise vollkommener wandelten, als Andere, so wandeln sie doch nicht recht in der Liebe, und sind vergeblich aufgeblasen in ihrem Sinne. Ich habe schon manchmal aus der Erfahrung gelernt, daß an den Orten, wo einer den andern mit einfältigem Herzen erbauet, und wo man sich mit einander im Gebet und im Worte Gottes übet, daß daselbst der Segen immer weiter fortgehet, die Herzen in ihrer Brünstigkeit erhalten und stets noch andere hinzugethan werden, welche sich durch solches von Christo selbst gegebene Kennzeichen, nämlich durch den heiligen Wandel der Liebe gewinnen und auf einen guten Weg bringen lassen. Hingegen wo ein jeder für sich bleibet, da sehe ich keinen Fortgang und Segen, sondern wohl mancherlei Mißverstände, Argwohn, Zerrüttungen, Selbstgefälligkeit und ander Unkraut, welches der Satan nicht würde säen können, wenn man in kindlicher Einfältigkeit sich mit einander im Gebet vereinigte nach dem Exempel der ersten Christen. Zwar, wenn zuerst an einem Ort das Wort Gottes in manchen Seelen fruchtbar wird, so ist da nichts, als herzliche Liebe, und freut sich einer über den andern, und wünschet ein jeglicher, daß nur alle gleicher Gnade möchten theilhaftig werden, vereinigen und verbinden sich mit einander in der Furcht Gottes und im Gebet. Da vermag Satan mit aller Verfolgung, Lästerung und Verläumdung, die er gegen die unschuldigen Zusammenkünfte frommer Christen erweckt, solche Vereinigung in der ungefärbten Bruderliebe nicht zu hindern. Ja es wird da manchmal in dem an sich erbaulichen Zusammenkommen nicht die Maß gehalten, welche wohl die christliche Bescheidenheit, daß nicht einer den andern in seiner unaussetzlichen Berufsarbeit hindere, und daß nicht die Welt ohne Noth zum Aufsehen und zum Widerstand alarmiret werde, erfordert. Aber wenn die erste Hitze vorbei ist, da man meinen sollte, man würde nun in viel zarterer und lauterer Liebe, wiewohl in viel heiligerer Ordnung zusammenkommen, und sich in viel größerer Kraft unter einander erbauen, so sichtet denn Satan den einen mit diesem, den andern mit jenem Abwege, so daß keine Zusammenfassung mehr bleibet.

Quelle: Renner, C. E. - Auserlesene geistvolle Briefe der Reformatoren

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