Flattich, Johann Friedrich - An Pfarrer Hartmann in Kornwestheim.

Flattich, Johann Friedrich - An Pfarrer Hartmann in Kornwestheim.

Münchingen, d. 11. Jan. 1782.

Auf die Frage, woher die Verschiedenheit der Lehrbegriffe komme, will ich einige Antworten hier beisetzen.

1) Bei der Bekehrung der Juden und Heiden in den Zeiten der Apostel meinten die bekehrten Juden, es müssen die bekehrten Heiden ebenso gesetzlich leben, wie sie: es wurde aber solcher Streit durch ein Concilium geschlichtet, daß die bekehrten Heiden davon dispensirt sein sollen. Da nun auch bei uns einige als gesetzliche, einige als ungesetzliche Menschen in's Christenthum hineingehen, so fordern die gesetzlichen Christen von den ungesetzlichen, daß sie auch ein gesetzliches Leben führen sollen, welches eine Verschiedenheit unter beiden erregt. Daher sollte man auch bei uns auf den Unterschied merken, ob man sich als ein gesetzlicher Jud oder als ein ungesetzlicher Heid bekehrt.

2) Bei den Corinthern war unter den Brüdern der eine kephisch, der andere apollisch und der dritte paulisch. Um nun dieser Verschiedenheit zu steuern, lehrte sie Paulus, daß sie nicht mehr Kinder und fleischlich seien, sondern sich allein an Christum halten sollen. So gehet es auch bei uns, daß sich der eine an diesen, der andere an jenen Menschen oder menschliches Buch hält: daher sollte man nicht blos an einen Menschen oder an ein menschliches Buch, sondern an Christum und sein Wort angewiesen werden.

3) Unter den Corinthern entstund eine Verschiedenheit in Ansehung der Speisen und Wählung der Tage, da der eine alle Speisen für gut und alle Tage für gleich hielt, und deßwegen einander richteten. Paulus aber wollte haben, daß sie hierinnen einander die Freiheit lassen sollten. Ebenso findet man auch heutzutag, daß man in leiblichen und äußerlichen Sachen einander richtet. Daher sollte man auch hierin einander mehr Freiheit lassen, und keine so große Einförmigkeit der Gebräuche (uniformitatem rituum) beanspruchen.

4) Ein Handwerksmann erzählte mir von der Gemeinschaft in seinem Ort, daß zwischen ihnen und auch ihrem Pfarrer etliche Jahre eine große Harmonie gewesen. Weil aber nun Uneinigkeiten entstanden, indem der Eine dieses, der Andere ein anderes Buch für das Beste halte und lese, und ihr Pfarrer gewisse Bücher nicht leiden könne, so möchte ich meine Meinung sagen, warum sie sich nicht mehr so viel an ihren Pfarrer halten könne, wie vorher. Ich antwortete ihm: wenn ein Junge Lust zu einem Handwerk habe, so halte er sich an seinen Meister, und thue alles, was sein Meister sage; wenn er aber einmal in seinem Handwerk geschickt sei, und bei dem Meister ausgelernt habe, so wolle er auch ein Gesell sein, und sich nicht blos nach ihm modeln, sondern auch selbst probieren, und suche auch einen Meister, bei welchem er weiter kommen könne. Ebenso gehet es einem Anfänger, der Freude am Christenthum hat, daß er sich eine Zeitlang von einem Andern modeln läßt; wenn er aber weitergekommen, so sucht er Leute und Bücher, wodurch er weiter zu kommen hofft. Weil aber solches Manche nicht leiden können, so entstehen Uneinigkeiten. Daher sollte man die, welche zu wachsen begehren, nicht an ihrem Wachsthum hindern wollen.

5) Ich wurde von manchen Ehemännern gefragt, wie sie es machen sollen, um mit ihren Weibern in Einigkeit zu leben: worauf ich antwortete: man sage im Sprüchwort, der Gescheiteste gebe nach. Weil nun der Mann des Weibes Haupt und mithin der Gescheidteste sein soll, so sei es dem Mann eine Schande, wenn das Weib ihm nachgeben müsse. Um nun die Einigkeit zu erhalten, so müsse ein Mann seinem Weib auf eine gescheidte Art nachgeben lernen. Ebenso sollten Brüder, die älter sind, oder sonst einen Vorzug zu haben meinen, mehr nachgeben lernen, und den Spruch beobachten: wir, die wir stark sind, sollen der Schwachen Gebrechlichkeit tragen, und keinen Gefallen an uns selber haben.

Quelle: Renner, C. E. - Auserlesene geistvolle Briefe der Reformatoren

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