Ernesti, Johann August - Vertheidigung der göttlichen Gerechtigkeit in den großen Gerichten über die ungläubige Verachtung seines Wortes.

Ernesti, Johann August - Vertheidigung der göttlichen Gerechtigkeit in den großen Gerichten über die ungläubige Verachtung seines Wortes.

Ueber Matth. 23, 34-59.

Da das Wort Gottes das einzige wahre und zulängliche Mittel ist, welches die Güte und Weisheit Gottes verordnet hat, den Verstand der Menschen zu erleuchten, daß sie seine wahre Herrlichkeit, seine weisen Absichten, seinen gnädigen Rath von ihrer Seligkeit, und den Weg dazu, recht erkennen könnten, und ihr Herz in eine solche Verfassung zu setzen, bey der sie seine Gnade annehmen, und ihn mit wahrhaftiger Liebe und mit rechtem Gehorsame ehren könnten: so hat Gott auch alles gethan, um ihm ein solches Ansehen unter den Menschen zu geben, wodurch sie zur Ehrerbietigkeit gegen dasselbe gelenket, und von der Verachtung desselben abgeschrecket werden möchten. Er hat es zuförderst selbst, hernach durch solche Personen geprediget, welche von ihm mit allem nöthigen Ansehen ausgerüstet waren: erst durch eine Menge Propheten, deren göttliche Sendung das Volk, unter dem sie lehreten, selbst aus ihren Wundern, aus ihren untrüglichen Verkündigungen des Zukünftigen, und aus dem außerordentlichen Nachdrucke ihres Vortrages erkennen mußte: zuletzt durch seinen eigenen Sohn, den er durch seine Stimme vom Himmel, durch die Menge und Größe seiner Wunderwerke, durch die Macht seiner lehre, durch seine Verherrlichung nach seinem Tode, in seiner Auferstehung und Himmelfahrt, in den Wundergaben seiner Apostel, auf eine solche Art für seinen Sohn erkläret hat, daß man, ohne seinen Verstand zu verleugnen, und ohne vorsätzliche Bosheit daran nicht zweifeln konnte.

Mit welcher Menge von Verheißungen hat Gott ferner eben dieses sein Wort für diejenigen angefüllet, welche ihm Gehör geben, und es mit Ehrerbiethung und Willigkeit des Herzens, als sein Wort, annehmen würden? Wie herrlich und lieblich hat er den Inhalt desselben, seine Kraft in unserm Verstande, Herzen, und Leben, wenn wir es wahrhaftig annehmen, und die Früchte desselben in dem gegenwärtigen und zukünftigen Leben beschrieben und vorgebildet? und wie hart sind dagegen die Drohungen, welche er auf die Verachtung und Verwerfung desselben gesetzt hat? wie erschrecklich endlich die Strafen und die Gerichte, welche wirklich über diejenigen ergangen sind, die bey dem allen hart und unempfindlich gegen dasselbe geblieben sind, und es selbst und seine Lehrer verachtet und verworfen haben?

Wie aus dem allen eine sehr sorgfältige Güte Gottes für die Menschen und die Beförderung ihrer wahren Wohlfahrt hervorleuchtet, welche sie durch alles, was über ihr Herz mächtig seyn kann, durch Güte und Ernst, durch Hoffnung und Furcht, zur Annehmung dieses Mittels zu ihrer Seeligkeit zu reizen und zu ziehen gesucht hat: so offenbaret sich auch in den erschrecklichen Gerichten über die Verächter eine große und ernstliche Gerechtigkeit, welche eben sowohl unserer Bewunderung, als jene Güte unserer Liebe werth ist.

Aber so geneigt man auch seyn mag, die Güte zu erkennen und zu rühmen, welche Gott darinnen bewiesen hat; so abgeneigt ist man vielfältig, seiner Gerechtigkeit dabey gleiches Recht wiederfahren zu lassen: und man ist oft auch hierinnen schwer zu bereden, daß theils in den harten Drohungen, theils in der Rache über die Verächter der Wahrheit nichts sey, das mit der Größe der göttlichen Güte, und mit den Gesetzen einer Gerechtigkeit streite, welche Gott anständig seyn könne. Denn man will nur einen gütigen, und in der Güte weisen, heiligen und gerechten Gott erkennen, weil man sie wünschet, aber keinen, der gerecht in der Rache über die Verachtung der Wahrheit sey, weil man sie fürchtet. Man will insonderheit nicht glauben, daß ein gütiger Gott die Irrthümer in der Religion, welche der heil. Schrift entgegen sind, so hart bestrafen könne; und man sieht nur die groben Laster mit ihren äußerlichen Wirkungen für dasjenige an, woran sich die strafende Gerechtigkeit Gottes beweisen müsse.

Da das heutige Evangelium der Verachtung des Wortes Gottes in dem Munde Jesu Christi und seiner Lehrer unter dem jüdischen Volke so harte Gerichte verkündiget, welche auch wirklich über dasselbe ergangen sind: so habe ich es für eine bequeme Gelegenheit angesehen, die göttliche Gerechtigkeit in diesem Verfahren kürzlich zu vertheidigen. Hierbey ist meine Absicht, nicht nur diejenigen zu erschrecken, welche sich einer Verachtung des Wortes Gottes bewußt sind, sondern auch, und noch vielmehr, die Ehrerbiethung gegen dasselbe zu erwecken und zu stärken, und dadurch der Laulichkeit gegen dasselbe vorzubauen; und ich werde meinen Vortrag beyden Absichten gemäß einzurichten suchen.

Abhandlung.

Der Inhalt des vorgelesenen Evangelii ist so klar, daß er einem jeden, der es liest, in die Augen fällt. Er besteht theils in einer ernstlichen Bestrafung der Juden, wegen der unter ihnen herrschenden Verachtung der Wahrheit, welche er sie lehrete, theils in einer Verkündigung der großen Strafen, welche deswegen über sie, ihre Stadt und ihr Land kommen sollten.

Der Herr Jesus bestrafet nicht allein, oder vornehmlich, diejenige Verachtung des göttlichen Wortes, welche in dem Ungehorsame gegen die Gebothe Gottes und die Regel unsers Thuns bestehet: sondern er redet eigentlich und vornehmlich von der andern, mit der die Juden die Wahrheit, welche Jesus gelehret, von seiner Person, der Absicht seiner Ankunft in die Welt, und dem ganzen Rache Gottes von der wahren Seeligkeit der Menschen durch ihn, verschmäheten. Denn gegen diese hatten sich vornehmlich die Juden größtenteils unempfindlich bewiesen, und sie mit einem Herzen voll Haß gegen ihn selbst verworfen. Und der Herr Jesus sahe vorher, daß sie auch nach seinem Abschiede von der Erde, in dem Vortrage der von ihm verordneten Lehrer, kein anderes Schicksal haben würde. Siehe, ich sende zu euch … zur andern.

Jesus beschreibt diese Verachtung, als eine vorsätzliche, muthwillige, anhaltende, und in ihren Wirkungen boshafte und grausame. Er hatte verschiedene Jahre die Wahrheit unter ihnen gelehret. Zuweilen war er eine ziemliche Zeit nacheinander täglich im Tempel gewesen, und hatte seine Lehre vorgetragen. Man hatte gefühlet, daß er gewaltig, mit einem Nachdrucke und einer Kraft lehrete, welche man in keines andern Menschen Vortrage gefunden hatte. Seinen Beweisen für die Wahrheit, seinen Widerlegungen der Irrthümer, die seiner Lehre entgegen stunden, hatte keines Gelehrten Scharfsinnigkeit widerstehen können. Seine Wunder, darunter einige neu und unerhört waren, hatten eine so offenbare und so bezeugte Gewißheit, daß sie nicht geleugnet werden konnten; und eine solche Größe, welche sie gegen den Vorwurf eines Betruges, oder einer menschlichen Kunst, völlig schützte. Gleichwohl hatte sie das alles nicht zur Annehmung seiner Person und Lehre und seines Heils bewegen können. Wie oft habe ich deine Kinder … aber ihr habt nicht gewollt. Ja sie haßten die Wahrheit und ihren Lehrer so sehr, daß sie ihm so lange nach dem leben trachteten, bis sie ihre grausame Absicht erreicht hatten; und mit gleicher Bosheit wütheten sie nach seinen Zeiten überall gegen die Lehrer des Evangelii.

Darum sollte nun endlich über sie das Gericht ergehen, und sie sollten dafür gänzlich zu Grunde gerichtet werden. Der Herr Jesus selbst wollte ihnen weiter nicht predigen, und nicht eher wieder nach Jerusalem kommen, als bis es Zeit wäre, sich zu seinem Tode einzufinden, der durch die Zerstörung ihres Tempels, ihrer Stadt und des ganzen Landes, und eine unaufhörliche Zerstreuung des Volkes, nach nicht gar langer Zeit, gerochen werden sollte. Daß nun in diesem strengen Verfahren Gottes gegen die Verächter der Wahrheit und des Wortes Gottes nichts sey, das mit der göttlichen Gerechtigkeit streite, sondern vielmehr alles, was die wahre Gerechtigkeit erfordert, das werdet ihr, wie ich hoffe, deutlich erkennen, und zur Ehre Gottes bekennen, wenn ich überhaupt die göttliche Gerechtigkeit bey den Strafgerichten über die Verächter des göttlichen Wortes vertheidigen werde.

Ich werde mich hierbey nach dem Inhalte des vorgelesenen Evangelii einschränken. Ich werde jetzo nur von der Verachtung des Wortes Gottes reden, welche die Wahrheit betrifft, die darinnen gelehret wird: denn die Verachtung des Wortes Gottes, welche sich im Leben durch den Ungehorsam gegen Gottes Gesetz beweiset, für strafbar zu halten, macht niemand Schwierigkeit. Aber die andere Art der Verachtung, welche eine Verwerfung der Wahrheit im Worte Gottes ist, da man die darinnen vorgetragenen Lehren von Gott, den Personen in seinem Wesen, von seinen Anstalten zur Seeligkeit der Menschen durch seinen Sohn Jesum Christum, und den Mitteln darzu, nicht glauben, und sich nicht zu Nutz machen will; da man das Buch selbst, in welchem diese Lehren enthalten sind, als ein bloß menschliches Werk, voll menschlicher Einfälle und Irrthümer, ansiehet; diese, sage ich, scheinet einigen nicht von der Beschaffenheit zu seyn, daß man sie für eine Sünde halten müsse oder könne, gegen welche die Gerechtigkeit Gottes ihren Strafeifer beweisen müsse. Man wollte sie lieber unter die Irrthümer des Verstandes zählen, die unschuldig und unstrafbar sind. Man meynet, es könne Gott nicht sowohl daran gelegen seyn, daß man Wahrheit im Verstande habe, als daß man tugendhaft im Herzen und Leben sey. Wider diese itzo sehr einreißende Meynung wird also unser Vortrag vornehmlich gerichtet seyn. Ich werde erstlich zeigen: daß die Gerechtigkeit Gottes die Verwerfung seines Wortes und der Wahrheit nicht ungestraft lassen könne: zum andern, daß keine Strafe für sie zu groß und ungerecht seyn könne.

Der erste Theil.

Die Gerechtigkeit Gottes kann die Verwerfung seines Wortes nicht ungestraft lassen. Dieß ist das erste, was wir beweisen wollen.

Die Gerechtigkeit ist eben sowohl eine Eigenschaft Gottes, eine eben so nothwendige, und von der göttlichen Natur unzertrennliche, und anbethenswürdige Eigenschaft, eben sowohl eine reine und heilige Quelle seiner höchsten Seeligkeit, als die Güte, die Macht und die Weisheit: und die strafende Gerechtigkeit ist es nicht weniger, als die belohnende.

Gott legt sie sich selbst unzähligemal bey: er rühmet sich derselben sowohl als seiner Güte 2 B. Mos. 34,14. und setzet in der Vollkommenheit derselben einen Theil seines Vorzuges vor dem Menschen. Ps. 52, 21. Die Vernunft selbst, wenn sie wahre Vernunft ist, und von Gott nicht nach dem Gefallen der lasterhaften Begierden, und der Liebe zu den Lastern und der Sicherheit bey der Sünde, sondern nach der Wahrheit urtheilet, welche uns die Natur selbst gelehret hat, kann keinen Gott erkennen, dem diese Gerechtigkeit fehlet. Ein Gott, der sich nicht gegen das Unrecht in der Strafe gerecht beweiset, ist kein wahrer Gott, sondern nur ein willkührliches Gedicht des die Gerechtigkeit fürchtenden bösen Herzens und Gewissens. Es giebt eine Menge von Erweisungen der göttlichen Güte, in denen man ein göttliches Willkühr erkennen kann und muß. Es hindert uns gar nichts, zu glauben, daß Gott z. E. anstatt des Volkes Israel ein anders hätte erwählen können, unter dem die wahre Religion erhalten, und aus dem der Messias geboren würde: daß er diese Gnade eben sowohl den Aegyptern, den Mohren oder den Indianern hätte erweisen können. Der Verstand findet darinnen nichts, das mit Gottes Vollkommenheit streite: sondern er siehet vielmehr, daß es damit gar wohl übereinkomme. Aber so bald ich mir vorstellen will, daß Gott dasjenige, was der Mensch wider ihn oder andere Menschen thut, gleichgültig, oder gar eben so, als die Beobachtung der Pflicht, das Böse wie das Gute, ansehe, das Unrecht nicht hasse und nicht bestrafe, sondern auch darinnen willkührlich handele, so empöret sich mein Verstand gegen diese Vorstellung, und die göttliche Weisheit, Güte und Heiligkeit mit ihm. Es ist, wie Elihu im Buche Hiob sagt, 34,10. ferne von Gott, und unmöglich, daß er sollte ungerecht handeln; sondern er vergilt einem jeden nach seinem Thun. Seine Güte gegen die Frommen würde aufhören, Güte zu seyn, wenn sie sich gegen die Bösen eben so erweisen könnte: sie würde nicht Güte, sondern leichtsinnige und einfältige Gutwilligkeit seyn: seine Gerechtigkeit in der Belohnung des Guten würde keine Gerechtigkeit, und ihre Belohnung keines Dankes würdig seyn. Ja, der Unterschied des Guten und Bösen würde entweder ganz aufgehoben, oder ein leerer Gedanke seyn, wenn die Verletzung Gottes und der Menschen ungestraft bliebe: und Gott selbst müßte gegen beyde gleichgültig seyn: das ist, er müßte sich selbst verleugnen, welches unmöglich ist. 2 Tim. 2,13. Aber er ist fürwahr in Ansehung seiner selbst und seiner Majestät gar nicht gleichgültig und kann es auch nicht seyn: sondern er ist ein sehr eifriger Gott für dieselbe 2 B. Mos. 34. und für seinen heiligen Namen. Ez. 39,25.

Und wenn von ihm gesagt wird, daß er in der Strafe ein fremdes Werk thue, Es. 23,21. daß er keinen Gefallen habe am Tode des Gottlosen, Ez. 33. und die Menschen nicht gerne und von Herzen plage und betrübe: Kl. Jer. 3,33. so ist das nur so zu verstehen, daß er nach seiner Güte lieber den Menschen Gutes thue, als Böses, und ihr Verderben an sich ihm nicht angenehm sey: wie ein Vater lieber sähe, daß er keine Ursache hätte, seinen Sohn zu züchtigen; und wie eine gute Obrigkeit sich nie in die traurige Nothwendigkeit gesetzt zu werden wünschet, daß sie Galgen und Rad brauchen muß. Aber die Gerechtigkeit selbst, in so fern sie aus der Heiligkeit und dem Hasse des Bösen entstehet, und ihre Beweisungen in der Strafe des Bösen, wenn es einmal geschehen ist, müssen ihm so lieb, als die andern Eigenschaften mit ihren Wirkungen, und eben so rühmlich seyn. Er liebet nicht den Schmerz des Menschen in der Strafe, sondern die Heiligkeit in der Gerechtigkeit der Bestrafung. Und in diesem Verstande hat er selbst sich darüber also erkläret 5 B. Mos. 28, 63. daß es ihm eben sowohl eine Freude sey, zu strafen, als zu belohnen, oder Gutes zu thun. Wie ich mich gefreuet habe, euch Gutes zu thun: so werde ich mich freuen, euch zu verderben.

Wenn wir nun dieß als nothwendig, und unumstößlich wahr annehmen müssen, da uns die Vernunft und die heilige Schrift so sehr dazu nöthigen; so ist daraus offenbar, daß Gott auch, wegen seiner Gerechtigkeit, die Verwerfung seines Wortes und seiner Wahrheit und die dieser entgegenstehenden Irrthümer unmöglich unbestraft lassen könne: es müßte denn seyn, daß man dieselbe für nichts sündliches, für nichts, die Majestät Gottes beleidigendes, sondern an sich selbst, und Gott etwas gleichgültiges ansehen könnte oder müßte. Aber wenn dem nicht die heilige Schrift selbst offenbar widerspräche, und den Unglauben oft Sünde nennte: so würde die Sache selbst zureichend seyn, die Falschheit desselben zu beweisen. Denn man mag sie ansehen auf welcher Seite man will: man mag auf die Ursachen und Quellen derselben, und auf ihre Wirkung sehen, oder sie an sich selbst betrachten: so wird man allezeit sehen, daß sie gegen Gott auf so vielfache Weise ungerecht und beleidigend sey, daß sie unmöglich unbestraft bleiben könne.

Aber wir wollen jetzo alles, was ihr die Ursachen und Wirkungen sündliches und strafbares geben, bey Seite setzen: die Nachläßigkeit und Trägheit in dem Nachdenken über die Wahrheit, und die ihr entgegenstehenden Vorurtheile und Irrthümer, den Stolz der Eigenliebe und der eingebildeten Scharfsinnigkeit und Weisheit, die Liebe der Welt, ihrer Eitelkeit, Thorheit und Lüste, aus welcher, nach des Herrn Jesu wahrem Zeugnisse, die Blindheit des Verstandes, die Empörung gegen die Wahrheit und die Verwerfung derselben kommen, die Kaltsinnigkeit gegen Gott, den Mangel einer wahren Gottesfurcht und Tugend, und die Menge der Laster und Sünden, welche aus derselben nothwendig entstehen: dieß alles wollen wir jetzo bey Seite setzen; da zumal die Strafbarkeit von dem allen niemand in Zweifel ziehen kann. Wir wollen nur die Verwerfung der göttlichen Wahrheit, und die ihr entgegenstehenden Irrthümer an sich selbst ansehen: und wir werden doch sündliches und strafbares genug finden. Wir wollen nur das, was im Verstande des ungläubigen Verächters ist, betrachten, um zu erkennen, daß es unrecht und der göttlichen Strafe werth sey.

Ich weiß wohl, daß nicht ein jeder Irrthum, noch eine jede Unwissenheit sündlich oder strafbar ist: aber, das wird man mir doch zugeben müssen, daß ein jeder Irrthum, und eine jede Verwerfung der Wahrheit sündlich und strafbar sey, daraus für eines andern Ehre und Rechte ein wahres Nachtheil entstehet. Denn es ist darinnen eine offenbare Ungerechtigkeit, und eine wahre Beleidigung desjenigen, dem dieser Nachtheil zuwächst. Wenn eine jede äußerliche That, die von der Art ist, daß sie der Ehre, die jemanden gebühret, und seinem wohlgegründeten Rechte Abbruch thut, ungerecht und strafbar ist, so muß es ja eine Meynung, ein Urtheil von ihm, seiner Ehre, und seinen Rechten nicht weniger seyn; da die Thaten nicht sowohl an sich selbst, als um des ungerechten und nachtheiligen Urtheils willen, daraus sie kommen, die Ehre eines andern verletzen. Und es ist offenbar, daß in Ansehung der Ehre und der Rechte Gottes eigentlich und vornehmlich auf das, was im Verstande des Menschen vorgehet, gesehen werden muß. Denn durch seine Gedanken, Urtheile und Gesinnungen von ihm muß er, als ein Geist, eigentlich und vornehmlich geehret werden. Die wahren Verehrer Gottes verehren ihn im Geist und in der Wahrheit. Joh. 5.

Sind aber die Irrthümer, welche mit dem Worte Gottes streiten, ist der Unglaube, welcher die Lehren des göttlichen Wortes verwirft, nicht von dieser Art, nicht voll von Verletzung der göttlichen Ehre und der Rechte Gottes, und also voller Ungerechtigkeit und Versündigung an Gott und seiner Majestät? Erstlich, bestehet nicht die Ehre Gottes in der Beschaffenheit seiner Natur, in der Vollkommenheit und Vortrefflichkeit seines Wesens und seiner Absichten, Rathschläge und Werke? wovon er jene durch die Natur und die heilige Schrift geoffenbaret, und diese gemacht hat, damit seine Ehre offenbar, erkannt, und eben durch die wahre Erkenntniß derselben gepriesen werde? Ist es nun nicht eine wahre Verletzung seiner Ehre, und eine wahre Ungerechtigkeit? oder kann es ihm und seinem gerechten Eifer für seine Majestät, der er nicht absagen kann, gleichgültig seyn, wenn man seinem Worte nicht glaubet, daß er ein einiger Gott, und in seinem Wesen drey Personen seyn, und sie also auch nicht nach seiner Vorschrift ehret? wenn man Jesum für einen bloßen Menschen, und nicht zugleich für seinen ewigen und göttlichen Sohn hält, den man doch eben um deswillen, weil er sein Sohn ist, so ehren soll, und auch muß, wie man den Vater zu ehren und für den wahren Gott zu erkennen schuldig ist? Ist es nicht eine Verletzung seiner Gerechtigkeit, wenn man sie durch die Güte aufhebet, die Nothwendigkeit einer Versöhnung für die Sünde, und der Versöhnung der Sünde durch das Opfer Jesu Christi selbst, verwirft oder gar verspottet? Ist es nicht die ungerechteste Verletzung seiner Wahrheit, wenn man seinem Worte, das ist, ihm selbst, nicht glaubet? Wer Gott nicht glaubet, der macht ihn zum Lügner, denn er glaubet nicht dem Zeugnisse Gottes, von ihm selbst, und von seinem Sohne. Joh. 5, 10. Sollte nun die göttliche Gerechtigkeit eine solche Ungerechtigkeit, welche nicht ohne Sünde seyn kann, die an ihm selbst begangen wird, ungestraft lassen können, da diejenigen von ihm nicht ungestraft bleiben, die an dem geringsten unter den Menschen begangen werden?

Gott ist der einige Schöpfer der Welt, weil er sie allein und aus nichts gemacht hat; und darum ist er auch der einige Herr derselben, und sie ist sein wahres Eigenthum, an dem sonst niemand den geringsten Antheil hat. Es kann kein Recht des Eigenthums und der Herrschaft gegründeter und größer, oder so groß seyn, als dieses ist, und es hat kein Mensch in der ganzen Welt über irgend eine Sache ein so großes Recht des Eigenthums, kein Fürst über sein Land eine so große und so eigentliche Herrschaft. Wenn nun ein Mensch die Welt entweder, wie sie ist, für ewig hielte, oder glaubte, daß sie aus einer ewigen Materie nach und nach entstand den wäre; wenn er auch Gott an der Ausschmückung derselben einen Antheil gäbe, welches die drey Meynungen von der Welt sind, in welche sich alle heidnische Weisen theilen, und davon die andere den neuen Jüngern des Epikurs so wohl gefällt: oder wenn er die Vorsehung Gottes und seine Regierung der Welt leugnete, wie die meisten heidnischen Weltweisen, und mit ihnen auch einige neuere thun, welche zwar eine schaffende Vorsehung, aber keine regierende glauben, die doch das vornehmste, eigentlichste und liebenswürdigste Stück der Vorsehung ist, und die Welt und ihre Regierung der Notwendigkeit oder dem Zufalle anvertraute: wäre das nicht eine Schmälerung der Ehre Gottes, seiner Macht, seines Rechtes, und seiner Herrschaft über die Welt? und also wahre Ungerechtigkeit und Sünde? Oder beleidiget und verunehret ein Sohn seinen Vater nicht, und ist er nicht strafbar, wenn er ihn nicht für seinen Vater erkennen will? nicht ein Knecht seinen Herrn, wenn er ihn nicht für den Besitzer seines Hauses und Gutes ansehen und ehren will? oder kann und darf es dem Vater und dem Herrn gleichgültig scheinen? Welcher Fürst kann denjenigen in seinem Lande dulden, der ihn nicht für den Herrn seines Landes erkennen will, wenn er auch sonst noch so unschuldig lebet? und wer getrauet sich zu zweifeln, daß ein solcher Mensch unrecht handle und Strafe verdiene?

Das größte Werk der Weisheit, Güte und Gerechtigkeit Gottes ist das Werk der Erlösung, welche durch seinen Sohn geschehen ist, und die dadurch möglich gemachte Vergebung der Sünde durch den Glauben, nebst den übrigen daraus fließenden Gütern für die Menschen. Aber alle diese Güte, Weisheit und Gerechtigkeit verleugnet man, wenn man dieß seinem Worte nicht glaubet: an allen diesen Eigenschaften Gottes versündiget man sich gröblich, wenn man dieses Werk verachtet und als Thorheit und Unvernunft verspottet, wie zu unsern Zeiten so viele thun. Welche Ungerechtigkeit ist das? Alle diese uns so nöthigen Wohlthaten verschmähet man. Welcher Undank ist das? Und der Undank ist offenbar die allerschändlichste und auch strafbarste Ungerechtigkeit.

Ich hoffe, daß dieß zulänglich seyn wird, diejenigen zu widerlegen, welche meynen, daß ein Irrthum in der Religion dem Menschen nicht für Sünde ungerechnet werden müsse, daß es der göttlichen Gerechtigkeit nicht gemäß oder nöthig sey, ihn oder, den Unglauben zu bestrafen, sondern daß Gott denselben übersehen könne, wenn man seine Gebothe halte und tugendhaft sey. Lasset uns nun weiter gehen, und auch aus der Größe der Ungerechtigkeit und Sünde in der Verwerfung der göttlichen Wahrheit zeigen, daß keine Strafe für dieselbe zu groß seyn könne, und Gott also bey allen Strafgerichten, welche er über sie in diesem und jenem Leben ergehen läßt, gerecht und unschuldig bleibe: damit aller Menschen Mund verstopft, und er gerecht befunden werde, wenn er auch von uns gerichtet wird. Röm. 3.

Der andere Theil.

Hierzu geben uns die Vortrefflichkeit des Wortes Gottes, welches verachtet wird, die Hoheit Gottes, den man durch die Verwerfung desselben verletzet, die Art, wie man ihn dadurch verunehret und beleidiget, und endlich die Größe der mit dieser Verachtung verbundenen Bosheit, Beweise genug an die Hand.

Was uns Gott durch sein Wort für einen großen Schatz von wahrer Weisheit, von herrlichem Troste, zur wahren Beruhigung und Erquickung unserer Herzen im Leben und im Tode, gegeben hat, kann weder ich, zumal jetzo, zulänglich zeigen, noch jemand vollkommen erkennen, oder mit aller menschlichen Beredtsamkeit genugsam rühmen. Alle andere Wohlthaten, die uns Gott in diesem Leben, außer diesem Worte, gegeben hat, sind, bey aller ihrer Größe und Annehmlichkeit, doch gar nicht mit derjenigen zu vergleichen, welche uns durch sein Wort geschenket ist. Ich will also jetzo nur eins zu seinem Preise sagen: und ich hoffe, daß ein jeder, dem ich nicht ganz unbekannt bin, mir zutrauen wird, daß ich es mit gutem Grunde, mit genugsamer Erkenntniß der Sache, aus eigener Erfahrung und Wissenschaft, und einer Anmerkung von vielen Jahren sage, und also auch darinnen mehr Glauben verdiene, als andere leichtsinnige und leichtgelehrte Schwätzer, die das Gegentheil behaupten wollten, ohne die nöthige Wissenschaft der Sprachen zu besitzen, und ohne eine genugsame Untersuchung angestellet zu haben. Ich sage, daß alle Weisheit, welche in den Schriften der griechischen und römischen Weisen zerstreuet zu finden ist, die man sonst billig hochschätzet, an der so viele große Köpfe so viele Jahrhunderte nach einander so eifrig und mühsam gearbeitet haben, in demjenigen, was Gott, seine Natur, Eigenschaften und Werke in der Schöpfung und Regierung der Welt betrifft, in dem Unterrichte von dem wahren, einem unendlich vollkommenen Geiste, und einer vernünftigen Seele anständigen Gottesdienste, und von der wahren Tugend, dem höchsten Gute und der wahren Seligkeit des Menschen, in den Mitteln zur Beruhigung in der Trübsal und in der Stunde des Todes, und zur wahren Freude des menschlichen Herzens, daß sie in dem allen, sage ich, mit demjenigen, was die Bücher der heiligen Schrift, das einzige Psalmbuch, davon in sich fassen, weder an der Deutlichkeit, Richtigkeit und Vollständigkeit, noch an der Zuverläßigkeit und Gewißheit, noch an dem Nachdrucke, dem Geiste und der Kraft, zu vergleichen sey. Was die neuern Weisen von allen diesen Dingen besseres und richtigeres, und mit der wahren Vernunft mehr übereinstimmendes, als die heidnischen, gelehret haben, oder noch lehren, das hat alles seinen Ursprung aus der heiligen Schrift, selbst das allererste, daß Gott ein von der Welt unterschiedener einiger Geist sey, der alles aus nichts gemacht habe; ohne welches licht sie eben so wenig, als jene Heiden, darauf würden gekommen seyn. Man hat es aus der heil. Schrift gelernet, und in den Bau seiner Weisheit einzubringen oder einzuzwingen gesucht. Es ist ungleich leichter, für eine schon bekannte Sache einige leidliche Beweise auszudenken, als eine unbekannte Sache selbst auszudenken und zu erfinden.

Wenn man nun hieraus nicht sehen will, daß jene Schriften, deren Sammlung wir die Bibel nennen, welche unleugbar ungelehrte Leute, vom Hirtenstecken, vom Pfluge, vom Fischnetze, vom Zolltische und ähnlichen niedrigen Lebensarten, zu Verfassern gehabt haben, und das in einem Volke, welches sich nie auf die Weisheit geleget hatte, daß sie, sage ich, eines höhern und göttlichen Ursprunges seyn müssen, sondern sie gleichwohl als bloß menschliche Schriften anstehet und verachtet: machet man sich nicht offenbar der größten Thorheit schuldig, und versündiget sich auf eine so grobe und ungerechte Art an Gott, seiner Weisheit und Güte, daß man der allergrößten Strafe werth wird?

Denn das siehet man wohl leicht ein, daß die Verachtung des Wortes Gottes und seines Inhaltes auf Gott selbst fällt, wie ich bereits im ersten Theile gezeiget habe, und wie sich unser Herr Jesus auch selbst darüber mit allen seinen Aposteln erkläret hat. Wer euch, sagte er seinen Jüngern, das ist, euer Wort und eure Lehre, verachtet, der verachtet mich und meine Lehre, wer aber mich verachtet, der verachtet den, der mich gesandt hat. Luc. 10, 16. So hat auch Gott allezeit die Verwerfung und Verachtung seines Wortes angesehen. Ist es aber möglich, daß eine Verachtung und Verwerfung Gottes, des höchsten Wesens, das unser Schöpfer und Herr ist, zu hart, oder hart genug, bestraft werden könne? Gott mag sie bestrafen so hart als er will, so bestraft er sie allezeit noch weit unter ihrem Verdienste. Aber die Menschen sind nie unbilliger, als wenn sie das Verfahren Gottes gegen die Menschen beurtheilen. Er kann ihnen weder gütig, noch weise, noch gerecht genug handeln. Wenn sie selbst sich von einem andern sehr beleidiget zu seyn glauben: wenn ihnen an ihrem Vermögen, oder an ihren Rechten, und an ihrer Ehre, Abbruch geschehen ist, so können oft weder Menschen, noch Gott, das Unrecht genug rächen: sie sind ihnen nie gerecht genug: aber wenn Gott von den Menschen auf eine so ungerechte Art, durch die ungläubige Verwerfung seines Wortes, verletzet worden ist; da soll seine Güte alles übersehen, da soll seine Gerechtigkeit ruhen, nichts empfinden, nichts thun, alles zu gute halten, oder doch sehr gelinde strafen: da soll er alles nach ihrem Wunsche vergeben und vergessen, und Böses mit Guten belohnen.

Die ungläubigen Verächter des Wortes Gottes erheben die Güte Gottes so gar sehr. Daran thun sie wohl. Sie kann nicht genug erhoben werden. Aber sie erheben sie zum Nachtheile seiner Gerechtigkeit und Heiligkeit. Gott soll lauter Güte seyn, und alle andere Eigenschaften Gottes sollen ihr weichen: in ihr allein soll die höchste und eigentliche Majestät Gottes bestehen. Wohlan, es sey also, wie sie es glauben oder wünschen! Aber verdammen sie sich nicht dadurch selbst, und machen sie sich nicht desto größerer Versündigung und Ungerechtigkeit wider Gott, und also auch desto größerer Strafe schuldig? Denn niemand versündiget sich mehr an der Güte Gottes, als sie: und sie verunehren sie durch nichts mehr, als durch die Verwerfung seines Wortes. Und wenn nun in der Güte die höchste Majestät Gottes besteht, so versündigen sie sich eben durch ihren Unglauben am allermeisten und Hartesten an der höchsten Majestät Gottes. In der That, die Verächter der göttlichen Wahrheit und des Evangelii verunehren die Güte Gottes unter allen Arten der Sünder am gröblichsten. Denn die Wahrheit, welche es vornehmlich vorträgt, ist die größte Offenbarung der Güte Gottes. Man kann das Evangelium mit allem Rechte das Herz Gottes nennen: sein Vaterherz gegen die Menschen. In ihm ist sein wohlmeynender Sinn gegen uns, sein gütigster Rath über uns, und die liebreichsten Anstalten für uns und unser wahres Heil. Darum heißt es das Wort der Gnade, die Predigt der Gnade, die Offenbarung der Freundlichkeit und Leutseligkeit Gottes unsers Heilandes u. s. w. Diesen so wohlmeynenden Sinn Gottes, diesen so gütigen Rath, dieses liebreiche und väterliche Herz verachten und verschmähen, seinen Sinn, Rath und Anbiethen für Betrug ausgeben, und, daß ich mich dieses harten Ausdruckes bediene, das Herz Gottes zum Herzen des Teufels machen, aus dem aller Betrug kömmt: welch eine erschreckliche Sünde ist das! wie wäre es möglich, daß sie hart genug bestraft würde? Wenn ein Vater unter uns, zu der Zeit, da man sich gegen die Seinigen freygebig zu erweisen pflegt, seinem Kinde ein recht schönes Geschenk zu bereiten besorgt gewesen wäre, vieles daran gewendet hätte, um sein Kind durch seine Güte, und sich durch die Freude des Kindes über seine Güte, recht zu erfreuen, und es nun zur gewöhnlichen Zeit mit freundlichem Angesichte dazu führete: das Kind aber machte ihm diese Hoffnung zu Schanden, das Geschenk stünde ihm nicht an, und würde von ihm verschmähet: wie würde dem Vater das freundliche und fröhliche Gesicht entfallen? wie würden Traurigkeit und Zorn in seinem Herzen abwechseln? und wie würde auch einem Zuschauer dabey zu Muthe seyn? Würde er nicht den guten Vater mitleidig beklagen, das böse Kind hassen, und es dem Vater kaum vergeben, wenn er es nicht scharf bestrafte? Und ist das nicht gerade das Bild Gottes und des Verächters von seiner Wahrheit und seinem Worte? Gott hat sich von Ewigkeit in seinem Sinn und Herzen eine rechte Freude gemacht, alles zum Heil der Menschen zu bereiten: er hat in der Zeit alles mit größter Weisheit veranstaltet und ausgeführet: er hat sichs alles, das Beste, seinen Sohn, kosten lassen. Nun will er den Menschen zu diesem Heile führen: er zeiget ihm das Heil, wo und wie er es finden und nehmen soll: er preiset es ihm aufs beste und lieblichste an: und dieß alles durchsein Wort und Evangelium. Aber da verderbt ihm nun der ungläubige Verächter desselben diese Vaterfreude; er will ihm nicht folgen, ihm nicht glauben, seine Güte nicht erkennen, seine Gaben nicht annehmen, sondern verachtet sie, und verwirft sie spöttisch und trotzig. Was soll und kann man hierbey urtheilen und sagen? Muß man nicht bekennen, daß ein solcher Mensch alles Hasses und aller Strafen werth sey, und ihm nichts ungerechtes und unverdientes wiederfahre, wenn die Gerechtigkeit Gottes ihren ganzen Unwillen durch die härtesten Strafen über ihn ergehen läßt.

Es wird aber die Strafbarkeit dieser Verachtung, durch ihre Wirkungen in dem Leben der Menschen, und durch das erschreckliche Verderben des Herzens und der Sitten, welches daraus entsteht, noch größer. Wohin die jüdische Nation zu allen Zeiten, insonderheit aber zu den Zeiten Christi und der Apostel, und nach ihnen verfallen ist; was für Gottlosigkeit, Zerrüttungen, Aufruhr und Grausamkeit unter ihr geherrschet haben; wie sie sich überall gegen ihre Obrigkeit, ja gegen das ganze menschliche Geschlecht empöret, und es dahin gebracht hat, daß ihr ein Haß des menschlichen Geschlechts mit Recht beygeleget, und sie dagegen von allen Menschen gehasset worden ist, das lehren die Geschichtschreiber ihres eigenen Volkes und anderer Nationen. Und sehen wir nicht, daß bey ihrer fortdaurenden Verachtung und Lästerung der Wahrheit, dieses erschreckliche Verderben noch unter ihnen herrschet, und in vielen Stücken größer geworden ist? Dieser Nation, welche vor den Zeiten Christi den Ruhm gehabt hat, daß sie die getreueste unter allen wäre, daß man bey ihr auf den Eid und die beschworne Treue sich sicher verlassen könnte, und die deswegen von vielen Königen in ihre Länder, und in die von ihnen angelegten Städte gelocket, und zu solchen Diensten gebraucht worden ist, welche vornehmlich Treue erfordern: dieser Nation ist der Geiz, die Begierde zu betrügen, die Bosheit, die Arglist natürlich geworden; es ist ihr nichts lieber, als ein Werkzeug des Betruges und der Ungerechtigkeit zu seyn; und sie ist deswegen immer noch der Haß und die Verachtung des menschlichen Geschlechtes.

Es kann überhaupt ohne Gottes Wort keine wahre Tugend seyn. Die Herolde der philosophischen Tugend mögen bey ihrer Verachtung des göttlichen Wortes sagen, was sie wollen. Denn bey ihnen selbst ist ja die Tugend, die Menschenliebe und die Großmuth nur im Munde und in der Feder; und wenn sie die Macht haben, so sind sie um nichts besser, als die Verächter des Wortes Gottes, die wir jetzo beschrieben haben. Selbst unter denen Nationen, welche ohne das Wort Gottes gelebet, und also nicht ganz eigentlich Verächter desselben gewesen sind, hat ja ein so erschreckliches Verderben geherrschet, das allen Glauben übersteigt. Mir ist es vielfältig wiederfahren, daß ich versucht worden bin, an der Wahrheit der Erzählungen in den heidnischen Geschichtschreibern zu zweifeln, in denen ich so oft eine Bosheit gefunden habe, welche die Fähigkeit der menschlichen Natur und die Möglichkeit zu übersteigen schien. Und ich würde sie als Erdichtungen verworfen haben, wenn ich nicht von der Sicherheit der Geschichtschreiber versichert gewesen wäre, und noch mehr, wenn ich nicht von dem Apostel Paulo Röm. 1. gelernet hätte, daß dieß die ordentliche Folge, eben sowohl von dem Mangel, als von der Verachtung des göttlichen Wortes wäre. Die Geschichte der Griechen und Römer lehret uns zwar, daß diese Nationen in ihren ersten Zeiten den Ruhm der Mäßigkeit, der Treue und anderer Tugenden gehabt haben, und man pflegt daher wohl ihr Exempel den Christen zur Beschämung vorzuhalten. Aber mehr als einer von ihren Weisen, ja, wer der allerweisesten und größten Männer unter ihnen, hat gestanden, daß es Tugenden der Zeiten und nicht der Menschen, der Gewohnheit und nicht des Herzens, gewesen waren. Und dieses Unheil bestätiget die Sache selbst. Denn so bald sich die Zeiten unter ihnen änderten, und, anstatt der Armuth und der Niedrigkeit, Reichthum und Macht gekommen war, herrschet unmenschliche Unzucht, ein Geiz, eine Verschwendung, Ungerechtigkeit und Grausamkeit, davor auch der Leser erschrickt. Was unter den christlichen Völkern erfolget, wenn die Verachtung des Wortes Gottes überhand nimmt, das sehen wir ja selbst in den gegenwärtigen Zeiten, in welchen durch sie die Laster, die Unbarmherzigkeit, die Ungerechtigkeit, die Geldbegierde, die Verschwendung, zu einer solchen Größe und Hartnäckigkeit gekommen sind, daß die Menschen darinnen sich selbst und andern unerträglich werden, und in der Fortsetzung und Vergrößerung derselben Gott, und allen seinen Schickungen, und der ganzen Welt Trotz biethen: und sie werden, wenn diese Verachtung des Wortes Gottes nicht nachlassen wird, in dem allen noch so hoch kommen, daß sie das gänzliche Verderben der Völker und der Häuser, in denen sie herrschet, nach sich ziehen wird. Können wir uns nun wundern, daß Gott so sehr gegen die Verwerfung und Verachtung seines Wortes eifert, daß er ihr so große Strafen drohet, daß er so große Gerichte über sie ergehen läßt? Man muß vielmehr sich über die Größe der Langmuth verwundern, mit der Gott derselben, wie ehedem bey den Juden, so lange zusieht, und so oft vor den Strafen derselben warnet, als daß man bey den erfolgten Strafen an seiner Güte zu zweifeln, und seine Gerechtigkeit anzuklagen Ursache haben kann.

Beschluß.

Es ist überaus viel daran gelegen, Meine Geliebten Zuhörer, daß wir von der Wahrheit alles desjenigen, was ich euch jetzo vorgetragen habe, wahrhaftig versichert sind. Und wenn mein Vortrag bey euch diese Wirkung gehabt hat, so wird der Nutzen davon vielfach seyn.

Denn zuförderst wird derselbe alle Verächter der Wahrheit erschrecken, oder doch aufmerksam und sorgfältig machen können, daß sie mit mehrerm Ernste über die Sache nachdenken, nicht so leichtsinnig den elenden, obgleich vielleicht schönen Schwätzern des Unglaubens Beyfall geben, und verwerfen, was weder diese, noch sie selbst, genugsam geprüfet haben. Wenn das, was wir Gottes Wort nennen, es wahrhaftig ist, so ist offenbar, daß die Verächter desselben und seines Inhaltes in der allergrößten Gefahr sind. Sollen sie denn nicht mehr der Sache selbst, und sich, bey einer unparteyischen und genauen Prüfung glauben, und eilen, dieselbe anzustellen?

Zu welcher Erweckung aber kann nicht diese Betrachtung denen dienen, welche doch kaltsinnig gegen das Wort Gottes sind, ob sie es gleich nicht eigentlich als Irrthum und Betrug verachten und verwerfen? Wenn man dieser Kaltsinnigkeit nicht bald wehret, so nimmt sie nicht nur geschwind zu, sondern sie verwandelt sich endlich gar in Verachtung. Sie bahnet dem Unglauben den Weg. Das Herz wird gegen die Spöttereyen und Lästerungen der Ungläubigen, und die Irrthümer, erst gleichgültig; hernach fangen sie an, zu gefallen; und endlich werden sie gar angenommen. Man muß also sein Herz durch fleißige Betrachtung der Wahrheit und ihrer Vortrefflichkeit erwecken, damit die Hochachtung gegen das Wort Gottes befestiget und vermehret werde.

Am allermeisten wird euch, ihr wahren Liebhaber des Wortes Gottes, dieses alles dienen, theils die Ehrerbiethung gegen dasselbe zu vermehren, theils die Sorgfalt zu schärfen, daß ihr nicht etwa in eurer Hochachtung und Liebe für die Wahrheit des Evangelii irre gemacht werdet, welches bey der jetzigen Menge der mit Verachtung derselben angefüllten Schriften, und der bösen Exempel, bey dem Mangel der Vorsicht und der Nachlässigkeit in den Uebungen des Geistes im Worte Gottes gar leicht geschehen kann. Die Christen wissen und bedenken oft zu wenig, was sie an Gottes Wort haben, und die Welt achtet den Schatz gar nicht, den sie daran hat. Lasset uns doch besorgt seyn, daß wir ihn recht kennen lernen! daß wir durch fleißiges Nachdenken über den Inhalt desselben zu mehrerer Empfindung seiner Kraft, zur Beruhigung, Freude und Besserung unseres Herzens kommen, und ihm mit wahrer Versicherung und Freude des Herzens den Werth geben lernen, den ihm David setzte, und an ihm die Annehmlichkeit rühmen, die eben derselbe daran fand. Das Gesetz deines Mundes ist mir lieber, denn viel tausend Stück Goldes und Silbers. Herr, dein Gesetz ist ohne Wandel, und erquickt die Seele: deine Zeugnisse sind richtig und erfreuen das Herz; sie sind süßer, denn Honig und Honigseim. Wie viel erträglicher wird uns unsere Noth werden, die wir in dem Verluste fühlen, den wir erlitten haben, und noch leiden möchten! wie fröhlich werden wir in der Trübsal und in unserm ganzen Leben, ja auch am Ende desselben seyn, wenn wir einen gleichen Sinn und ein gleiches Herz annehmen! Herr Jesu! gieb doch selbst durch deinen Geist deinem Worte diesen Werth, diese Annehmlichkeit und Süßigkeit in unsern Herzen, daß wir es wahrhaftig hochhalten und lieben, und dadurch gestärket, getröstet, erfreuet, geheiliget und endlich ewig selig werden, Amen, um deiner fröhlichen Geburt willen, Amen!

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