Erichson, Alfred - Zwingli's Tod und dessen Beurtheilung durch Zeitgenossen - Nachwort

Erichson, Alfred - Zwingli's Tod und dessen Beurtheilung durch Zeitgenossen - Nachwort

In den vorausgegangenen Urtheilen über Zwingli's Tod, die einen so tiefen Einblick in ein bewegtes Zeitalter und in den Charakter hervorragender Persönlichkeiten gewähren, spricht sich einerseits der Schmerz der Freunde des Gefallenen aus, anderseits aber die Freude nicht nur der Feinde des evangelischen Glaubens, sondern auch der lutherischen Gegner. Man hört sonach die verschiedenen Bedenken, die seitens einzelner Gesinnungsgenossen gegen das Eingreifen des Reformators in die Politik laut wurden und welche Baum so treffend mit den Worten bezeichnet: „Mäkelnde Klugheit und Weisheit, die, wenn derselbe Mann mit den Seinen siegreich in Zug oder in Luzern eingezogen wäre und dort dem Evangelium eine Gasse geöffnet, nicht allein es gut geheißen, sondern es frohlockend gepriesen haben würde.“ Wir begegnen ferner ängstlichen und schwankenden Gemüthern, die aus Liebe zum Frieden, aus Unterwürfigkeit oder aus Pietät für das Haupt der deutschen Reformation, den Muth nicht fanden, für ihre innerste Ueberzeugung einzutreten. Nur die Zürcher, in erster Linie Bullinger, haben gegen Luther's Handlungsweise energischen Protest eingelegt. Den reichsten Stoff zu ernsthafter Betrachtung liefern die zahlreichen Kundgebungen dieses Letzteren. Erwägt man die Stellung und den unermeßlichen Einfluß dieses Mannes auf Mit- und Nachwelt, so wird man nicht unstatthaft finden, daß nun auch der unbarmherzige Richter selbst vor dem Forum der Geschichte und des christlichen Gewissens erscheinen muß.

Nach dem bei Mühlberg erfochtenen Siege kam Karl V. nach Wittenberg und trat in der Schloßkirche zur Grabplatte hin, unter welcher Luther's Gebeine ruhten. Granvella, der ihm vorschlug, diese Ueberreste ausgraben und verbrennen zu lassen, erhielt aus kaiserlichem Munde die abweisende Antwort: „Nicht mit den Todten, nur mit den Lebenden führe ich Krieg.“ - O daß Luther, voller Einsicht, nach Zwingli's Fall dieselbe Regel befolgt hätte! Wäre es nicht ebenso im Interesse des Reformators als der evangelischen Kirche überhaupt gewesen, den alten Groll über der blutigen Leiche verstummen zu lassen und die Parteileidenschaft zu vergessen? Mehr als je lag damals eine Annäherung zwischen Lutheranern und Reformirten im Bereich der Möglichkeit, zumal Letztere einer derartigen Versöhnung nicht abgeneigt schienen. Allein es sollte dem nicht also sein. Die unaufhörlichen Hetzereien erweiterten vielmehr noch die Kluft, welche zum größten Schaden des gesamten Protestantismus die Kirchen feindlich trennte.

Sind aber keine mildernden Umstände für das Benehmen Luther's anzuführen? Herrschte nicht in seiner Zeit, im Ausdruck wie im Gefühl, eine gewisse Härte und Derbheit, die unserm Geschlecht auffallen muß, damals aber zu entschuldigen war? Ganz gewiß, wenn nicht auch die Zeitgenossen, sei es, daß sie den streitenden Parteien ferner standen, oder zu vermitteln suchten oder es mit Luther hielten, selbst schon an dessen zügelloser Sprache Anstoß genommen hätten. Seine Reden,„ sagt Hase, „sind oft derber, als selbst seiner derben Zeit erlaubt schien.“

Wenn Luther noch so sehr tobt und noch so bissig schreibt, war es, denken vielleicht Etliche, nicht so böse gemeint und sein ungestümes Wesen schloß mildere Anwandlungen nicht aus, wie er selber von sich sagte: „Meine Schale mag hart sein, aber mein Kern ist lind“ und Melanchthon einmal äußerte: „Ich wußte, daß er schärfer schreiben würde, als er fühlt.“1) Immerhin ist es zu bedauern, daß der Mann, der einst zu Marburg das Selbstbekenntniß ablegte: „Er sei eben auch Fleisch und Blut“ der Mahnung Melanchthon's, „sein Gemüth und seinen Zorn zu überwinden“2) nicht besser gefolgt sei.

Ist auch nicht in Abrede zu stellen, daß „Zwischenträger, Ohrendüttler und Schmeichler“ und mitunter die Reformirten durch ihre Entgegnungen ihn zu Heftigkeiten reizten, so bleibt die unerhörte Polemik, von welcher wir so viele Beweise gesehen haben, dennoch ohne Entschuldigung.

Man könnte noch vorbringen, daß der Abscheu vor dem Blutvergießen und überhaupt vor aller Gewaltthätigkeit auf Luther's Urtheil einen nicht unerheblichen Einfluß übte. Hat er aber selber und zu jeder Zeit die Hülfe der Staatsgewalt für die reformatorischen Zwecke verschmäht und abgelehnt? Hat er nicht den bewaffneten Bund der Schmalkalder gebilligt und die Fürsten dereinst aufgefordert, den Bauernaufstand im Blut zu ersticken? Und warum zieht er in dasselbe Verdammungsurtheil den Namen Oekolampad's, jenes Mannes des Friedens herein, der stets von den kriegerischen Unternehmungen abgemahnt und nicht auf einem Schlachtfeld, die Waffen in der Hand, den Tod gefunden hat, sondern unter den Gebeten der Amtsbrüder sanft entschlafen ist?

Fragen wir nach Ursachen, so liegen sie in der oft genug zur Schau getragenen Abneigung Luther's gegen den freien Republikaner der Schweiz, den Feind des Kaisers und großen Theologen, der allein ihm die Stange hielt,3) noch mehr aber in dem tief eingewurzelten Vorurtheil, daß das Heil und die Seligkeit von der Rechtgläubigkeit abhängen. „Wo Luther einmal Unrecht erkannte, sah er nichts als Hölle“ (Hase). So hielt er Diejenigen für verloren, welche in einem so wichtigen Lehrpunkte, wie das Abendmahl, von seiner Ansicht abwichen oder ihr widersprachen. Hierin hat er in gutem Glauben gehandelt, die Sache Gottes selber zu führen. Bucer konnte deshalb schreiben: „Die Verdammung so trefflicher Männer, wie Zwingli und Oekolampad, muß ich tragen, weil ich's nicht bessern kann, denn ich weiß, dazu treibt ihn der Eifer um Gottes Wort.“ (An Blaurer, 21. Dezember 1545). In demselben Sinn betheuerte Melanchthon bei der Leichenfeier seines Freundes: „Die Härte, so er wider die Feinde der Lehre in Schriften gebrauchte, kam nicht aus zänkischem und boshaftem Gemüth, sondern aus großem Ernst und Eifer für die Wahrheit.“ Das war eben das Verkehrte bei Luther, daß er über dem dogmatischen Interesse das sittliche Element im Christenthum in den Hintergrund drängte und über der Korrektheit des Bekenntnisses die Liebe verläugnete, wie dieser Mann, der nie geheuchelt, es selber in wahrhaft erschreckender Weise aussprach: „Verflucht sei die Liebe in den Abgrund der Hölle, die erhalten wird mit Schaden und Nachtheil der Lehre, der billig Alles weichen soll, es sei Apostel, Engel vom Himmel und Alles, was es sein mag!“4) Kommt man aber nicht dahin, wenn den Schwerpunkt der Religion in die „reine Lehre“ verlegt, statt in das innere gottselige Leben und in den Glauben, der durch die Liebe thätig ist?

Der Umstand, daß diese in dem späteren „Lutherthum“ sich noch steigernde Anschauung auch in unsern Tagen noch zahlreiche Vertreter zählt, dürfte dieser Studie etwas mehr denn nur ein historisches Interesse gewähren. Geht doch aus derselben eine wichtige Lehre für die Gegenwart hervor, um derentwillen man es uns nicht verargen möge, wenn in vorliegender Schrift unerfreuliche Erinnerungen wachgerufen und unwillkürlich Schwächen und Fehler großer Männer in's Licht gezogen worden sind.

Niemand wird heute dem „vaterländischen Priester“ noch den Vorwurf machen wollen, daß er, wie früher schon in den italienischen Feldzügen, im Kapellerkrieg seines geistlichen Amtes wartete. Man sollte aber auch nicht mehr von „strafwürdiger Verirrung“ reden hören, weil Zwingli, zur Erreichung seines Ideals: eine kirchlich und staatlich einige, evangelische Schweiz, frei vom Söldnerdienst und unabhängig von auswärtigem Einfluß, die Mittel brauchte, die ihm nicht bloß die geeignetsten, sondern die allein anwendbaren schienen: Bündnisse mit fremden Mächten, Staatshülfe und der Krieg selber, den er „ein dapfre arzny“ nannte.5) In dem damaligen Ineinandergreifen der geistlichen und weltlichen Interessen, der religiösen und der politisch-sozialen findet dies alles vollends seine Entschuldigung.6)

Nur von alttestamentlichem Standpunkt aus (Lukas XIII,1-5) kann endlich das Unglück, das den Gegner trifft, als ein Gottesgericht dargestellt werden, und ist solch eine Geschichtsanschauung ebenso wenig eine christliche als eine moderne, die höchstenfalls in katholischen Kreisen vorkommen dürfte.

Ein Ueberrest dieses jüdischen Geistes ist leider als ein verderblicher Sauerteig doch auch in unserer Zeit zurückgeblieben. Wir sind noch immer nicht von jener Parteileidenschaft befreit, die den Blick trübt und Härte und Ungerechtigkeit gegen Andersdenkende billigt. Immer noch treten die bitteren Folgen der Lieblosigkeit zu Tage, welche die Ueber- und Alleinschätzung der „reinen Lehre“ nach sich zieht. Das freisinnige Christenthum hat die Aufgabe seines Vorkämpfers Ulrich Zwingli übernommen, die Geister auf das eigentliche Wesen der Religion zurückzuführen und, bei aller Verschiedenheit der Ansichten, überall das Gleiche, das Einzige, was Noth thut, das ächt Religiöse auch in Sinn und Gemüth zu schaffen. Möge diese Lehre für Diejenigen, denen diese Blätter zu Gesicht kommen, nicht unverloren sein!

Was den großen Eidgenossen betrifft, so bedarf er unserer Rechtfertigung nicht. Schon längst hat die Weltgeschichte seinem Ausspruch beigestimmt: „Ich vertraue Gott, die Wahrheit wird obsiegen, auch nachdem meine Gebeine zu Asche gemacht sein werden.“ Ob er seinem Herrn und Meister das Wort nachgesprochen oder nicht, so hat es sich doch an ihm als wahres Wort bestätigt und es hätte die dankbare Nachwelt keine passendere Inschrift als diese auf den Granitblock setzen können, der die Todesstätte des Helden bezeichnet: „Den Leib können sie tödten, nicht aber die Seele.“

1)
Opp. Melanth. An Dietrich, 25. Oktober 1543.
2)
Hospinian, Hist. sacrament. II, 189 b.
3)
Vgl. 4. Erichson: „Das Marburger Religionsgespräch, nach ungedruckten Urkunden.“ Straßburg, 1880. S. 50 ff.
4)
Vorrede des Kommentars zum Brief an die Galater.
5)
Eidg. Abschiede, IV, 1 b. 963.
6)
Anklagen wie die Lüthi's: Zwingli sei nicht gewissenhaft gewesen in der Wahl seiner Mittel; sein Vorgehen gegen die V Orte sei von glühendem Haß und Rachsucht, von Leidenschaft und Blutdurst diktiert gewesen; er würde die Eidgenossenschaft zertrümmert haben, wenn Bern ihm nicht entgegengetreten („Die bernische Politik in den Kappelerkriegen,“ 1878) hat H. Escher durch die jüngst erschienene treffliche Schrift: „Die Glaubensparteien in der Eidgenossenschaft und ihre Beziehungen zum Ausland,“ 1882, hoffentlich endgültig zurückgewiesen. Für Diejenigen, welche Zwingli noch immer jeglichen Patriotismus absprechen und die Niederlage bei Kappel wegen der Vereitelung seiner Pläne als ein Glück für die Schweiz bezeichnen, sei ferner noch auf die Darstellung J. Werder's hingewiesen: „Zwingli als politischer Reformator.“ Der katholische Verfasser resümiert seine ganz richtige Beurtheilung in den Schlußworten: Das eben ist das Tragische in der Erscheinung Zwingli's, daß er das Gute und das Hohe wollte, dies aber, so wie zu jener Zeit die Dinge lagen, nur durch die Aberkennung wohlerworbener Rechte Anderer erreichen konnte. (Beiträge zur vaterl. Gesch., Basel 1882, S. 289).
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