Erichson, Alfred - Zwingli's Tod und dessen Beurtheilung durch Zeitgenossen - IV. Die Zürcher.

Erichson, Alfred - Zwingli's Tod und dessen Beurtheilung durch Zeitgenossen - IV. Die Zürcher.

Allein nicht bloß von Außen kamen die Angriffe auf Zwingli's Andenken. In den trüben Wintermonaten, welche auf die Kappeler Niederlage und das ebenfalls unglückliche Gefecht am Gubel vom 24. Oktober folgten, bot die Stadt und Landschaft Zürich einen jämmerlichen Anblick dar. Es herrschte Mißstimmung und Zwietracht unter den Bürgern, die sich die Verantwortlichkeit für das Geschehene gegenseitig zuwälzten. Daß die dem alten Glauben treu gebliebene Partei Oel in's Feuer goß, darf uns nicht wundern. „Der Teufel,“ hieß es, „hette den Zwingli und viel seiner Schreyer hingfüert; man habe wohl gedacht, die lidenlosen (unerträglichen) Pfaffen würden das Schiff also verfuehren und müßte es bald ein anders werden.“1) Immer lauter ließ sich die Anklage hören, daß „etliche hochmüthige, unruhige Leute geistlichen und weltlichen Standes“ und besonders Zwingli an allem Unheil die größte Schuld trügen, und „war also“, berichtet Bullinger in seiner Chronik (S. 237), „des zwyträchtigen wäsens, des verwyssens und brummens kein end noch maas“.

Feinde ringsum und Feinde in der eigenen Stadt, im eigenen Lager. Nach allen Seiten hin, durch Leo Judä auf's Beste unterstützt, verwandte sich Bullinger mit voller Kraft für die Ehrenrettung des Geschmähten, in Wort und Schrift, auf der Kanzel und vor dem Rath. So ergriff er die Gelegenheit einer am Karlstag (28. Januar) üblichen Feier, um eine lateinische Rede zu veröffentlichen, welche die Ungunst der Zeiten ihm nicht erlaubte vor den versammelten Geistlichen zu halten. Von dem „Amt eines Propheten“ handelte dieser evangelische Hirtenbrief, der zugleich als eine Pastoraltheologie für alle Zeiten dasteht.2) Eine hohe Begeisterung für Zwingli gibt sich darin kund: „Was suche ich alte Beispiele hervor, da ich doch an einheimischen und recht zutreffenden keinen Mangel habe? In Ulrich Zwingli, unserm so weit berühmten Lehrer, wird man alle Eigenschaften eines wahren Propheten Gottes vollständig vereinigt finden. Ich weiß nicht, ob die Welt einen menschenfreundlicheren, oder in seinen Sitten reineren, oder in der Leitung der wichtigsten Geschäfte erfahreneren Mann je gesehen hat. Mögen die Römer ihren Cicero für die Redekunst, ihren Brutus für den Kampf um die Freiheit loben, mögen die Griechen ihre Feldherren und Gesetzgeber, einen Themistokles, einen Perikles, einen Lykurg oder Solon preisen, wir rühmen mit mehr Wahrheit und Recht unseren Zwingli, der für die Wiederstellung der Freiheit und für die Erneuerung der heiligen Studien so Außerordentliches geleistet hat.“ Ferner werden Zwingli's Verdienste als Prediger, als Lehrer, als Erklärer und Uebersetzer der heiligen Schriften, als Sittenverbesserer und Erneuerer der Kirche aufgezählt. Diejenigen, die an seinem Tod Anstoß nehmen, erinnert Bullinger an die Todesart von Sokrates, Jesaias, Jeremias, Zacharias, Stephanus und Johannes dem Täufer. Wie viele Frommen sind nicht im Kampfe für eine gerechte und gottgefällige Sache unterlegen! Ausdrücklich wird endlich betheuert: nicht Kriegslust, sondern der Befehl der Obrigkeit habe dem Reformator die Waffen angelegt. Bullinger denkt hier an einen der Hauptvorwürfe, welche nicht nur von den Feinden, sondern auch von Freunden wider Zwingli erhoben wurden. Es wurde allgemein mißbilligt, daß er mit dem Heer in's Feld gezogen sei.

Deshalb hielt es auch Leo Judä für nöthig, sein Andenken vor aller Welt in Schutz zu nehmen, indem er der Psalmen-Uebersetzung von Zwingli, die er im Januar 1532 herausgab und von welcher er hoffen durfte, daß sie bald in die Hände Vieler kommen würde, in elegantem Latein, in Form einer „Ermahnung an den christlichen Leser“, ein beredtes Zeugniß unbeschränkter Verehrung für den verstorbenen Freund und Lehrer voranschickte. Er schrieb: „Vor kurzem hat uns, in einem unglücklichen Treffen, eine ruchlose Hand unseren Zwingli seligen Andenken entrissen, doch nicht ganz. Sterbliche können zwar gegen den Leib wüthen, ihn vernichten oder nach dem Tod den Unschuldigen durch Verläumdungen zerreißen. Der Tod des Tapfern aber, sagt Cicero, kann nicht schmählich, der des Weisen nicht elend sein. Er lebt und wird ewiglich leben, der Helden tapferster, und läßt ein unvergängliches Ruhmesdenkmal zurück, welches kein Feuer zerstören, keine Flamme verzehren kann. Dem Leibe nach ward er von denen erschlagen, an deren Wohlfahrt und Rettung er sein Leben lang, mit Aufwand aller seiner Kräfte, gearbeitet hatte. Indem er sein Volk zur Verehrung des einigen, wahren Gottes, zu der alten Sitteneinfalt, zu der in allen Jahrhunderten bewährten Treue der Ahnen zurückzuführen suchte, wurde er durch das Verhängniß, gegen seinen Wunsch, auf's Schlachtfeld gerissen und durch diejenigen des Lebens beraubt, für deren Leben und Heil er sich allen Gefahren und dem allgemeinen Haß ausgesetzt hatte. O welche Schamlosigkeit! welch' unverzeihlicher Undank! Indessen ward ihm ein glänzendes Los zu Theil, denn seine Tugend kann durch kein Vergessen ausgelöscht, durch kein Verschweigen begraben werden. Gott, dessen Ruhm er bis zum Tod gefördert, ja mit seinem Blut vertheidigt hat, wird dafür sorgen, daß, gegen den Willen und den Widerspruch aller Feinde, dieses Mannes Gedächtniß ruhmvoll und unvergänglich bleibe. Das wird auch das Bestreben aller Rechtschaffenen sein. Lernet am Vorbild dieses Helden, wie man den Tod für Recht und Wahrheit nicht scheuen, sondern unverzagten Herzens ihm entgegen gehen soll.“3)

1)
Archiv für schweiz. Reformationsgeschichte, III, S. 647, 667.
2)
De prophetae officio. Tig. Froschower 1532. Das seltene Büchlein trägt auf dem Titel den Spruch: Dies ist mein geliebter Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe, den höret. Matth. XVII. (Ein Exemplar befindet sich in der Bibliothek des theolog. Studienstifte zu Straßburg).
3)
Opp. Zuinglii (Ed. Schultheß), V.
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