Caspari, Karl Heinrich - Des Gottesfürchtigen Freud und Leid - Vorrede.

Caspari, Karl Heinrich - Des Gottesfürchtigen Freud und Leid - Vorrede.

In Veröffentlichung hinterlassener Arbeiten bedeutender Männer kann man nicht bedenklich genug sein. Wenn sie auch druckfertig aussehen, so sind sie doch noch lange nicht dermaßen vollendet, dass der Verfasser selbst sie zu veröffentlichen gewagt haben würde; meistens fehlt ihnen auch die wie druckfertig aussehende Form, sie bedürfen fremder Nachhilfe, deren Eingreifen leicht hinter dem Maß des Nötigen zurückbleibt, leicht auch das Maß des Erlaubten überschreitet. Sie sind wie unreife Früchte, denen mit Wegsterben ihres Stammes die Möglichkeit naturgemäßer Ausreifung entzogen ist.

Die Veröffentlichung hinterlassener Predigten mag am wenigsten bedenklich erscheinen. Mit diesen ist der Verfasser bereits, indem er sie hielt, vor die Öffentlichkeit getreten, und zwar in der allerverantwortlichsten Weise, denn es gibt keine Zuhörerschaft, welcher gegenüber der Vortragende höhere Ansprüche an sich selbst zu stellen hat, als die im Hause Gottes versammelte Gemeinde, und es gibt keinen ärgeren Missbrauch menschlicher Sprache, als eine nicht aus betrachtender und betender Vorbereitung hervorgegangene Predigt, welche sich in zufälliger Gedankenverknüpfung aus hohlen Phrasen zusammengesetzt und ihre saft- und kraftlose Ohnmacht durch zentnergewichtiges Geschrei oder gliederpuppenartige Gestikulation zu verdecken sucht, während die Gedanken der Zuhörer, welche sie nicht zu sammeln und zu fesseln versteht, über Berg und Tal schweifen und der Aufenthalt im Gotteshause dadurch aus der süßesten aller Pflichten zu einer schweren Leistung gemacht wird. Solche Predigten haben freilich keine über das Gotteshaus hinausreichende Geschichte, sie lassen keine Pfeilspitze in den Seelen zurück, sie verhallen ohne Nachhall. Dagegen gleichen Predigten rechter Art, wie einmal Scriver sagt, lebendigen Wassern, welche, mittelst des Schöpfeimers der Betrachtung und des Gebets aus der Tiefe des Wortes Gottes geschöpft, Gottes lechzendes Ackerwerk erquicken, und solche Predigten sind, nachdem sie in die Öffentlichkeit ausgegangen, unvergessen fortwirkende Geisteswerke, welche, um schriftlich auszugehen, noch einige Feilung erfordern mögen, nicht aber eines ihnen erst nachträglich anzukünstelnden Lebens bedürfen.

Dieser Art waren die Predigten unseres heimgegangenen Freundes. Wenn er predigte, freute sich die Gemeinde im Voraus, und wie die Königin, die, wo möglich, keinen der schönen Gottesdienste versäumte, saßen viele Hundert Seelen lautlos still nach dem Vorbilde Marias zu den Füßen des an Christi Statt eindrücklich vermahnenden Lehrers. Es war nicht der Glanz chrysostomischer Beredsamkeit, wodurch er die Zuhörer mit sich fortriss, und nicht der Zauber einer mit der inneren Begeisterung korrespondierenden Beweglichkeit der Aktion, wodurch er sie fesselte - er gewann die Herzen durch die Weisheit von oben, mit welcher er das Leben außer Gott und das Leben in Gott aus der Erfahrung treffend zu zeichnen und jenem die trügerische Larve zu entreißen, dieses mit seiner verborgenen Seligkeit bis auf den Grund durchsichtig zu machen wusste. Alle ungeistliche Effekthascherei war ihm zuwider, aber auch durch geistliche Machtbeweisungen wie mit elektrischen Schlägen aufzurütteln war ihm nicht gegeben. Seine Gabe war edle Einfachheit im Gegensatz zu Trivialität und Bombast, liebliche Sinnigkeit im Gegensatz zu Bizarrerie und Scheintiefe, überzeugend treue Darstellung im Gegensatz zu aller Unwahrheit rednerischer Kunstgriffe. Seine Rede donnerte und blitzte nicht, sie floss aber wie ein durchdringender Regen. Er verstand es, das Menschenleben und das Menschenherz bis in die geheimsten Falten mit dem Worte Gottes zu beleuchten und zu diesem Zwecke das Textwort wie einen Spiegel nach allen Seiten zu wenden. Er hatte das Geschick, welches Luther von einem Prediger fordert, „aus einer Blume des göttlichen Worts eine ganze Wiese zu machen.“ Seine Belesenheit in den Alten, die er mit Ahlfeld gemein hat, kam ihm dabei nicht wenig zu statten. Wie wir die Propheten und Apostel einen auf den andern zurückweisen sehen, so soll man auch von einem Prediger den Eindruck gewinnen, dass er mit einer von Jahrhundert zu Jahrhundert zurückreichenden Kette von Zeugen in Reih und Glied steht. Er soll nicht verschmähen, seine Vorgänger zu benutzen und sein eignes Zeugnis mit Zeugnissen der Alten zu unterstützen. Das ist's, womit Caspari seine Predigten würzte. Fern davon, sie mit Historien, Liederversen und Sprüchen zu überladen, griff er zu rechter Zeit in die Schatzkammer der Alten zurück, in welcher er sich heimisch gemacht hatte, und bot seinen Zuhörern goldene Äpfel in silberner Schale. Kurz, seine Predigtweise wusste, wie es der Herr (Matth. 13, 52) von jeglichem Schriftgelehrten verlangt, der zum Himmelreich gelehrt ist, Altes und Neues in gefälliger und wirksamer Mischung zu verbinden; sie war eigentümlich und doch nicht manieriert, geistlich und doch nicht unnatürlich, gemeinfasslich und doch nicht oberflächlich; sie war weder vorherrschend erwecklich noch vorherrschend mystisch, sie bewegte sich nicht minder gewinnend als fördernd in gesunder praktischer Mitte.

Deshalb haben die hinterlassenen Predigten des seligen Caspari, welche, bevorwortet von dem Präsidenten unseres Oberkonsistoriums v. Harless, unter dem Titel „Von jenseit des Grabes“ ausgegangen sind, auch über diejenigen Kreise hinaus, wo man den Hingeschiedenen persönlich kannte und verehrte, eine solche Anziehungskraft bewährt, dass von mehreren Seiten angefragt ward, ob sein schriftlicher Nachlass keine weitere Ausbeute gewähre. Leider lässt sich aus demselben eine zweite Predigtsammlung gleichen Umfangs nicht zusammenstellen. Nur die nachfolgenden zehn Psalterpredigten glaubten wir den Freunden des Unvergessenen darbieten zu sollen: sie zeigen ihn uns als Wochenprediger und Beichtiger und dienen hierdurch zu wesentlicher Ergänzung des Bildes, welches wir aus seinem Predigtjahrgang gewonnen haben. Der Herrichtung für den Druck hat sich Professor Köhler wie bei der größeren Sammlung, so auch bei dieser kleineren mit eben so sicherer als zarter Hand unterzogen. So übergeben wir sie denn als letzte Gabe der Erinnerung allen denen, die ihn lieb hatten, vorab seiner Witwe und seinen Kindern, welche zugegen waren, als er noch in seinem letzten Kampfe sich an dem Psalter stärkte und unter dem leisen Gebete: „Lobe den Herrn meine Seele und was in mir ist seinen heiligen Namen!“ seine edle Seele aushauchte, und wünschen, dass dieser Predigt-Psalter von zehn Saiten in vielen Lesern einen Wiederhall von Gefühlen und Entschließungen wecken möge, welche würdig sind unsrer nach Gottes Bilde geschaffenen und durch Christi Blut aus dem Verderben zurückerworbenen Seele.

Erlangen, Sonnabend vor Oculi 1863.

Friedrich Delitzsch

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