Carnotensis, Arnoldus - Auf Reminiscere.

Carnotensis, Arnoldus - Auf Reminiscere.

Sieben Worte.

"Wahrlich, ich sage dir, heute wirst du mit mir im Paradiese sein!"

„Herr, unser Herrscher, wie herrlich ist dein Name in allen Landen,“ der du auch aus dem Munde der Gottlosen dir Lob zurichtet. Siehe nur, einer von den Verlorensten wird angenommen. Jenen Mörder, der dir zur Seite hing, einen Mann, der um Uebelthat willen zum Tode verurtheilt war, denselbigen hast du zum Herolde deines Sieges gemacht, du hast ihm aus Gnaden das Leben geschenkt und ihn in das Paradies gesendet.

Wie großen Anstoß nahm hieran der Erzfeind, und der Ketzerrichter, und der verworfene Jünger, der dich verrieth, und das Volk der Juden, das dich verachtete.

Von den Pharisäern ward Christo zum Verbrechen gerechnet, daß er mit den Sündern, die das Gesetz vom Volke abschied, nicht nur redete, sondern auch zu Tische saß, wodurch in ihren Augen dem Gesetze Eintrag geschah. Denn da dasselbe nach vorgeschriebenen Bräuchen und Ordnungen die Aussätzigen und Unreinen aus den bewohnten Orten hinaus stieß, da durch dasselbe für die Häuser, in denen sie gewohnt hatten, nachdem ihre Wände abgekratzt waren, ja selbst für die Bänke, auf denen sie gesessen hatten, eine sonderliche Reinigung angeordnet war, machten sie es Christo zum Vorwurfe, daß er weder Tisch noch Haus derartiger Personen mied, sondern sie annahm und gesund machte. Ihr blinder Glaube hatte sie verdüstert, und indem sie eine fleischliche Auslegung des Gesetzes zum Vorwande nahmen, verfolgten die Diener des Gesetzes die Sünde, obschon sie selbst von Sünde nicht frei waren, und indem sie dem Erbarmen keine Stätte vergönnten, unterschrieben sie ihr eigenes Verdammungsurtheil. Sie glaubten, es sei Unrecht, daß Christus am Sabbath heilte, daß er lehrte Barmherzigkeit sei besser als Gericht. Gleich also thun auch einige Ketzer, die als Vertheidiger der Kirche angesehen sein wollen. Sie meinen, daß Alle, die nach der Taufe in irgendwelche Sünde fallen, die Buße verscherzt haben, und ihre Gottlosigkeit stellt den Grundlatz auf, daß überhaupt Niemand wieder Gnade erlangen kann, der durch menschliche Schwäche in irgend eine Sünde gerieth.

Durch den in Rede stehenden Ausspruch aber vernichtet Christus und schlägt er völlig zu Boden sowohl die Ketzer, diese falschen Vertheidiger des Glaubens, als auch die Juden, diese Feinde der Gnade. Er wandelt das Gesetz in Gnade, den Schrecken in Freundlichkeit, die Härte in Milde, den Schatten in Wahrheit, das Gericht in Barmherzigkeit. „Neuer König, neu Gesetz; neuer Herzog, neues Licht.“ Die ersten Tafeln werden zerbrochen, der Stein wird am Felsen zerschlagen, das Kreuz steht auf dem Titelblatt der neuen Gesetzesbücher, und in ihnen gebietet die Barmherzigkeit und Alles entscheidet die Liebe. In den drei Weltsprachen, „der hebräischen, lateinischen und griechischen“, wird Liebe geschrieben. In den drei Weltsprachen, „der hebräischen, lateinischen und griechischen“, wird das Königthum Christi geschrieben, und auf dem Kreuze steht eingegraben seine Herrschaft über alle Völker. Auch wollte Pilatus nicht ausstreichen, was er einmal geschrieben hatte; obschon die treulose Rotte der Juden mit viel Geschrei die Zurücknahme des so hohen Ehrentitels begehrte, vermochten sie das doch durchaus nicht zu erlangen. Schon zog der gekreuzigte Mörder diese Inschrift auf sich und jene Schriftzüge erwiesen an ihm ihre Alles umfassende Kraft; schon erwachte die Hoffnung in seinem gewandelten Herzen, denn da ihm die Welt gekreuzigt war, lehnte er sich nach dem Himmel. Die Liebe hatte einen Blick geweitet, er sah mit Abscheu und Verachtung auf das, was unten ist, sprach mit Christo von seinem Reiche und streckte sich nach dem, was droben ist. Und als sich bereits seine Seele zum baldigen Abscheiden rüstete, als schon der Tod ihm auf der Zunge saß, und das letzte Stündlein nahte, zog er im Frieden seine Straße. Die Furcht vor den ewigen Strafen quälte nicht sein Gewissen, das, wie er deutlich fühlte, reingewaschen war durch das Blut Christi, das er fließen sah. Die Juden schärften ihre giftigen Zungen zur Lästerung Christi, sie erhoben. Geschrei und stießen Schmähungen aus, sie höhnten den Gekreuzigten, als wären sie die Sieger. Die Apostel waren geflohen, nur der versunkene Pöbel trieb unter stechenden Schimpfreden seinen Spott mit ihm. Die römischen Soldaten dagegen, die dem aufrührerischen Tumulte weichen mußten, thaten wohl auf höheren Befehl ihren Dienst, hatten aber keinen Gefallen daran. Auch einer der Uebelthäter gab dem Volke Beifall und schalt ihn, weil er weder Andern noch sich helfen könne; er verlachte seinen Leidensgenossen, daß der auf ihn, den er mit sich in gleicher Verdammniß sah, seine Hoffnung setzte; es schien ihm vollständig närrisch, den für einen König oder Gott zu halten, den mit ihm dieselbe Schande und die gleiche Marter zu Boden drückte. Der eine also war ein Spötter, der andere ein Bekenner, der eine voller Vorwürfe, der andere voller Verehrung, dieser voll Hoffnung, jener voll Verzweiflung, dieser voll Achtsamkeit, jener voll Gleichgültigkeit. Jener Widerstreit fand einen Richter, der das Urtheil sprach, und den Lästerer zur Hölle, den Bekenner aber ins Himmelreich sandte. Hat doch der Uebelthäter, um den es sich hier handelt, in Sanftmuth, und wie es einem Zeugen Christi ziemte, vor der versammelten Menge von seinem Glauben Zeugniß abgelegt, und von ganz neuen Gedankenkreisen aus, im völligen Vergessen seiner großen Qual, mit jenem Lästerer von der Furcht Gottes und von der Gerechtigkeit geredet. Er sprach: „Und du fürchtet dich auch nicht vor Gott, der du doch in gleicher Verdammniß bist? Und wir zwar sind billig darin, denn wir empfangen, was unsere Thaten werth sind; dieser aber hat nichts Ungeschicktes gehandelt.“ Er glaubt und bekennt, er bezeugt die Unschuld Christi; er schilt den Spötter, schont auch dabei sich selbst nicht, sondern treibt die Selbstanklage so weit, daß er die Gerechtigkeit des über ihn ergangenen Urtheils offen anerkennt. Die Verdammniß, meint er, ist zwar die gleiche, aber die Ursache derselben ist eine ganz verschiedene; dieser hier ist dazu bestimmt um seines Gehorsams willen, wir aber um Uebelthat willen. Er klagt die Ursache an, aber verwirft nicht die Strafe; er verflucht sein Verbrechen, aber mäkelt nicht am Gericht. Er sagt: „Und du fürchtet Gott auch nicht?“ Er schämt sich nicht den als Gott anzuerkennen, von dem er wohl wußte, daß er aus Neid, und nicht weil er es verdient hatte, gekreuzigt war. Denn nicht Fleisch und Blut, sondern er selbst, für den er Zeugniß ablegte, hatte ihn bereits zur Einsicht zu bringen vermocht, daß, was da geschah, aus freiem Willen und nicht aus Zwang geschah. Darum hat er die gewonnene Wahrheit verkündigt und frei öffentlich bekannt, gerade in der Stunde, da nicht nur die erschrockenen Apostel die Flucht gaben, sondern auch selbst die bösen Geister, die bereits schäumend in das ihnen angelegte Gebiß knirschten, mittelst ihres vor Zeiten gebrauchten Werkzeuges, mittelst der Zunge der Frauen bemüht waren jene Zusammenrottungen der Gottlosigkeit in Auflösung zu bringen. Sie merkten recht wohl, daß dieser starke Gewappnete sie mit zweischneidigem Schwerte aus dem lange besessenen Palaste dieser Welt austreiben werde. Nachdem also jener ausgezeichnete Prediger das süße Räuchwerk eines guten Bekenntnisses und Glaubens dargebracht und den lästernden Uebelthäter zum Schweigen gebracht hat, will er Angeld und Palme des Sieges von seinem Richter erlangen. Er wendet sich zu Christo und spricht: „Herr, gedenke an mich, wenn du in dein Reich kommt.“ Der Ort wo, die Art und Weise wie, die Zeit wann sich dies Ereigniß zutrug, will wohlerwogen sein, und nicht minder die schnelle Erhörung, die offenes Bekenntniß fand, der große Segen, den Reue bringt, schließlich der Umstand, daß der gnädige Herr auch den sündigen Knecht nicht unbeachtet läßt, der erst im letzten Augenblicke voller Herzensangst zu ihm schreit. Die Todesstunde war herbeigekommen, die Seele des Bekenners war schon im Entweichen begriffen, seine Zunge begann schon kalt und starr zu werden. Selbst ein Apostel hätte daran verzweifeln mögen, in so kleinem Räumlein von Zeit noch Heil zu erlangen. Die Art des Leidens, das Kreuz, war unter allen Todestrafen die schimpflichste und schrecklichste. Der Uebelthäter, der ihrer nicht achtet, der seiner Wunden und seines Blutes so gut als vergißt, wird aus einem Uebelthäter ein Hauptprediger des Evangeliums, und von seinem Kreuze herunter bekennt er sich zu Christo als zu seinem Gott, (eine Ueberzeugung, die in jener Stunde ihre Schwierigkeiten hatte), dort am Kreuz bittet er ihn, dort trägt er ihm seine Verehrung entgegen. Er thut viele Werke der Frömmigkeit zugleich. Er glaubt, er fürchtet sich, er schlägt in sich, und er empfindet Reue, er bekennt, und er predigt, er liebt, vertraut und betet. Der Glaube erleuchtet ihn, die Furcht beugt ihn, die Buße erweicht ihn. Die Reue erschüttert ihn, das Bekenntniß reinigt ihn, die Predigt erweist seinen Eifer, die Liebe macht ihm das Herz weit, das Vertrauen weckt seine Hoffnung, seine Bitte findet Gewährung. Zürne nicht, du Fürst der Apostel, ich meine dich, Petrus, dem die Schlüssel des Himmelreiches anvertraut sind. Auch nach dir wandte Christus sich um, da du bitterlich weintest, und vergab dir die Schuld der Verleugnung; warst du doch nicht mit Vorbedacht, sondern aus Schwachheit von ihm abgefallen. Aber freilich sehe ich dich nicht neben dem Kreuze, erschrocken hast du dich versteckt; du folgt nicht einmal der Mutter Christi und den heiligen Frauen, die unbeweglich dastanden im Anblick des traurigen Schauspieles. Du machst keinen Gebrauch von deinem apostolischen Vorrechte dort, wo an den neben einander aufgerichteten Kreuzen der Sünderheiland und der Sünder zusammen herzliche Wechselreden tauschen. Du warst nicht zu finden, und machtet damals dein Amt der Schlüssel nicht geltend. Der höchste Hohepriester muß deine Stelle vertreten. Und nachdem die alten Riegel zurückgeschoben sind, wird der Uebelthäter, als der Erstling unter den Verlorenen ins Himmelreich eingeführt, das Christus ihm aufschließt. Hinweg muß von der Paradiesespforte der fortwährend wachsame Wächter und jenes drohende hauende Schwert, das der Cherub nicht von Alters her geschwungen hat. Dorthin wird der Uebelthäter versetzt, von wo Lucifer seinen Fall that. Der mehr als sieben zigmal siebenmal Verschuldete, dem du vielleicht nicht mehr als siebenmal vergeben würdest, der wird vom gnädigen Jesus gänzlich freigesprochen, der verkehrt nur mit den Engeln. Wohlan, so lerne vergeben, und zähle nicht länger die Sünden, und schiebe den Zeitpunkt nicht weiter hinaus, wo du verzeihen willst. Die göttliche Barmherzigkeit wird durch keine Zahl beengt, sie ist zu keiner Zeit aus und zu Ende, sie kennt überhaupt keine Schranken: Rufe nur, er wird dich erhören; thue nur erst Buße, er wird es an Vergebung nicht fehlen lassen. Es wird diesem Bußfertigen nicht vieljähriges Fasten auferlegt, er wird nicht zum Barfußlaufen oder zum Sack und der Asche verurtheilt. Sobald er bekennt, sobald wird er auch gerechtfertigt und zur Herrlichkeit erhoben. Siehe auf die Stunde, merke auf den Mann. Es war die letzte Stunde, er war ein sündiger Mann. Seine vielen langjährigen Sünden nimmt die Gnade auf der Stelle hinweg. Die Vergebung vermindert und verzehrt nicht erst in allmählichem Fortgange und Verlaufe der Zeit den Rost der Schuld, sondern so plötzlich als der Schrei nach Hülfe zum Himmel aufsteigt, so plötzlich senkt sich der Heilige Geist herab. Was aber noch vom Aussatz der Sünde bedeckt war, wird völlig rein; auch nicht die geringste garstige Spur bleibt von einer Wunde zurück, die das Reinigungsbad der Barmherzigkeit abgewaschen hat.

Vier Tage schon hatte Lazarus im Verwesungsmoder des Grabes gelegen; als er auferweckt war, spürt er nichts von Mattigkeit, er richtet sich auf, man löset ihn los, und alsbald vermag er zu Tische zu sitzen. Keine Aussatznarbe, keine einzige Runzel blieb im Antlitz des Simon zurück. In voller Gesundheit erweist er als Wirth seinem Retter fröhlichen Dienst; zugleich Tischgenoß und Diener bietet er den Begleitern des Meisters nichts dar, worüber sie sich hätten entsetzen können. Weinend und flehend liegt Maria Magdalena zu den Füßen Christi, die trocknet sie mit ihrem Haar und salbt sie mit Salben. Und Christus schilt nicht ihr verworfenes schamloses Leben; er hält ihr nicht den Schmutz vor Augen, den er abwäscht; er wirft ihr nicht erst vor, was er verzeiht. Was er auch thut, vollendet auf ein Winken in Eile der Heilige Geist; er holt dazu nicht erst von anderswo Zustimmung ein, er, der was er sagt, auch thut, was er erleuchtet, auch umwandelt, der in einem Augenblicke Fischer zu Lehrern, Unwissende zu Predigern macht. Seine Gnade martert die Erwartung nicht mit Aufschub, zwischen Wunsch und Gewährung drängt sich keine Zeit ein. David sagt: „Ich habe gesündigt!“ und der Prophet: „Deine Sünde ist vergeben!“ An Kain ergeht das Wort: „Du hast gesündigt, aber Niemand soll dich erschlagen.“ An das Weib, das im Ehebruche begriffen ward: „Ich will dich nicht verdammen, aber sündige hinfort nicht mehr.“ Soll ich noch an die Niniviten erinnern, deren Buße plötzlich den Richter sein Urtheil vernichten ließ? Soll ich auf Ahab und Manasse hindeuten, diese gottlosen Könige, deren Reue in der Nothstunde von der göttlichen Barmherzigkeit nicht verschmäht ward? Unter andern frommen Vorbildern steht unser Uebelthäter voraus als ein rechtschaffen Bußfertiger, als ein aufrichtig Bekennender, als ein Herold der Sündenvergebung, als ein Beispiel der Hoffnung. Während er noch seufzt, findet er plötzlich, was er sucht, empfängt er, was er bittet, hört er alsbald das Wort: „Heute noch sollst du mit mir im Paradiese sein.“ Der eine Sünden bekannte, wird nicht ins Fegefeuer verwiesen und in die Flammen, die zur Rache über die Uebelthäter brennen; er wird nicht an den Ort der Finsterniß und der Qual geführt; der Widerpart der Gnade Gottes wagt nicht irgendwelche Ränke an ihm zu üben. Die eine Strafe des Kreuzes nimmt alle Schuld hinweg. Ja, wir sollten das Kreuz nicht Strafe, sondern Gnade NOTION. So wird denn ins Paradies vorausgesendet er, der Verkündiger unserer eigenen Sündenvergebung. Und als der Erstling der wahrhaft Freien, als ein Zeuge unserer eigenen Freiheit, tritt er als Erster ein unter die Paradiesesbewohner, die voll Erwarten und Verlangen uns entgegensehen. Amen.

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