Bunyan, John - Pilgerreise - Neunzehntes Kapitel.

Bunyan, John - Pilgerreise - Neunzehntes Kapitel.

Unwissenheit und Abfall.

Nun bemerkte ich ferner in meinem Traume, daß Hoffnungsvoll hinter sich blickte und Unwissend kommen sah, welchen sie zurückgelassen hatten. „Sieh doch,„ sprach er zu Christ, „wie fern kommt jener Jüngling hinter uns her geschlendert. “

Chr. Ja, ja! ich sehe ihn. Es liegt ihm Nichts an unserer Gesellschaft.

Hoffn. Und doch glaube ich, daß es ihm nicht zum Schaden gewesen wäre, wenn er bisher mit uns Schritt gehalten hätte.

Chr. Da hast du allerdings Recht, allein ich bürge dafür, daß er anderer Meinung ist.

Hoffn. Das glaube ich auch, laß uns aber dennoch auf ihn warten.

Und so geschah es. Darauf wandte sich Christ zu ihm mit den Worten: „Komm vorwärts, lieber Mann, warum bleibst du so zurück?

Unwissend. Ich finde viel mehr Vergnügen daran, allein zu gehen, als in Gesellschaft, es müßte denn sein, daß sie mir besonders gut gefiele.

„Sagte ich dir nicht„ — sprach Christ zu Hoffnungsvoll, „daß ihm an unserer Gesellschaft Nichts liege? Doch, wir wollen uns nichts desto weniger in dieser einsamen Gegend mit ihm zu unterhalten suchen. “ Hierauf wandte er sich Unwissend zu und sprach: „Komm! Wie geht's? Wie steht es zwischen Gott und deiner Seele?

Unw. Ich hoffe, gut; denn mein Herz ist immer voll guter Gedanken, die mich trösten auf meiner Wanderschaft.

Chr. Was für gute Gedanken sind das? Sage es uns doch.

Unw. Ei nun, ich denke an Gott und den Himmel.

Chr. Das thun die Teufel und die verdammten Seelen auch.

Unw. Aber ich denke nicht bloß an Gott und den Himmel, sondern ich habe auch ein Verlangen darnach.

Chr. So thun Viele, die wahrscheinlich nicht in den Himmel kommen. Der Faule begehret und kriegt es doch nicht. 1)

Unw. Allein ich denke so daran, daß ich um ihretwillen auch Alles verlasse.

Chr. Das muß ich in Zweifel ziehen; denn Alles verlassen ist sehr schwer, und zwar schwerer, als Manche sich vorstellen. Aber weßhalb oder wodurch bist du überzeugt, daß du Alles verlassen hast um Gottes und des Himmels willen?

Unw. Mein Herz sagt es mir.

Chr. Der Weise sagt aber: Wer sich auf sein Herz verläßt, ist ein Narr. 2)

Unw. Das sagt er von einem bösen Herzen, aber mein Herz ist gut.

Chr. Wie beweisest du aber das?

Unw. Es tröstet mich mit der Hoffnung auf den Himmel.

Chr. Damit kann es dich aber auch betrügen; denn das Herz des Menschen kann ihn mit Hoffnungen trösten, zu denen er gar keinen Grund hat. 3)

Unw. Aber mein Herz und mein Leben stimmen miteinander überein, und darum hat meine Hoffnung auch einen guten Grund.

Chr. Wer hat dir denn gesagt, daß dein Herz und Leben mit einander übereinstimmen?

Unw. Mein Herz selbst sagt es mir.

Chr. Wie, dem Herz sagt dir das? Darüber kann nur Gottes Wort entscheiden, jedes andere Zeugniß hat hierin keinen Werth.

Unw. Wie, ist das aber nicht ein gutes Herz, welches gute Gedanken hegt? und ist das nicht ein gutes Leben, das mit Gottes Geboten übereinstimmt?

Chr. Allerdings ist das ein gutes Herz, welches gute Gedanken hegt, und das ein gutes Leben, welches mit Gottes Geboten übereinstimmt; allein etwas Anderes ist's, dergleichen zu haben, und ein Anderes, sich nur einzubilden, daß man dergleichen habe.

Unw. Nun, so sage mir doch, was verstehst du denn unter guten Gedanken, und was unter einem Leben, das mit Gottes Geboten übereinstimmt?

Chr. Es gibt gute Gedanken in mancherlei Hinsicht; dieselben können sich beziehen auf uns selbst, oder auf Gott, oder auf Christum und hinwiederum auf andere Dinge.

Unw. Welche Gedanken sind denn gut zu nennen in Hinsicht auf uns selbst?

Chr. Solche, die mit dem Worte Gottes übereinstimmen.

Unw. In welchem Falle stimmen denn unsere Gedanken über uns selbst mit dem Worte Gottes überein?

Chr. Wenn wir dasselbige Urtheil über uns selbst fällen, welches das Wort Gottes über uns fällt. Doch ich will mich näher erklären: Das Wort Gottes sagt von Menschen, die sich im natürlichen Zustande befinden: Da ist Keiner der gerecht sei, auch nicht Einer; sie sind Alle abgewichen und allesammt untüchtig geworden; da ist nicht, der Gutes thue, auch nicht Einer. 4) Da heißt es ferner: Das Dichten und Trachten des menschlichen Herzens ist böse von Jugend auf. 5) Wenn wir so von uns denken und dies in uns selbst empfinden, dann sind unsere Gedanken gut, weil sie dem Worte Gottes gemäß sind.

Unw. Ich werde nimmer glauben, daß mein Herz so schlecht ist.

Chr. Folglich hast du auch in deinem ganzen Leben noch keinen einzigen guten Gedanken in Hinsicht auf dich selbst gehabt. — Aber höre mich weiter. So wie das Wort Gottes unser Herz richtet, so richtet es auch unsern Wandel. Wenn nun unser Herz und unser Wandel mit dem Urtheile übereinstimmen, welches das Wort Gottes über beide fällt, dann sind beide gut, weil sie damit im Einklange stehen.

Unw. Erkläre mir deine Meinung deutlicher.

Chr. Das will ich thun. Das Wort Gottes sagt, daß des Menschen Wege krumme Wege sind, nicht gute, sondern verkehrte Wege; es sagt: sie sind von Natur vom guten Wege abgewichen und haben ihn nicht erkannt. 6) Wenn nun ein Mensch der Art von seinen Wegen denkt, ich meine, wenn er im Gefühle wahrer Demüthigung so von ihnen denkt, dann hat er gute Gedanken von seinen eigenen Wegen, und zwar weil sie mit dem Urtheile des Wortes Gottes übereinstimmen.

Unw. Was verstehst du unter guten Gedanken über Gott?

Chr. Darunter verstehe ich, wie ich in Beziehung auf uns selber bereits vorhin gesagt, solche Gedanken, die mit dem Worte Gottes übereinstimmen; und solche Gedanken haben wir dann, wenn wir von seinem Wesen und seinen Eigenschaften gerade das halten, was uns sein Wort darüber lehrt. Darüber kann ich dir aber jetzt keine weitläufige Erklärung geben. Wir haben richtige Gedanken von Gott, wenn wir uns überzeugt halten, daß Er uns besser kennt, als wir selbst uns kennen, und daß Er Sünde in uns sieht, wenn und wo wir selbst keine in uns sehen; wenn wir überzeugt sind, daß er unsere innersten Gedanken kennt und daß unser Herz mit seinen verborgensten Tiefen immer aufgedeckt ist vor seinen Augen; endlich, wenn wir überzeugt sind, daß all unsere Gerechtigkeit vor Ihm ein unfläthiges Kleid ist, und daß Er's daher nicht dulden kann, daß wir mit irgend einigem Vertrauen, und wäre es auf unsere besten Werke, vor Ihm stehen.

Unw. Meinest du, ich wäre ein so großer Thor, daß ich dächte, Gott könne nicht weiter sehen, als ich? oder daß ich meinte, durch meine besten Werke zu Gott kommen zu können?

Chr. Nun, was hältst du denn von dieser Sache?

Unw. Ich will es dir kurzweg sagen; ich halte dafür, daß ich an Christum glauben muß, um gerecht zu werden.

Chr. Wie! du meinest, daß du an Christum glauben müssest, ohne zu erkennen, daß du ohne Ihn nicht zurecht kommen kannst? Du erkennst weder deine Erbsünde noch deine wirkliche Sünde, sondern hast von dir selbst und von dem, was du thust, eine solche Meinung, daß daraus klar hervorgeht, du seist einer von denen, der noch niemals erkannt hat, daß du nur durch die Gerechtigkeit Christi vor Gott bestehen kannst. Wie darfst du denn sagen: ich glaube an Christum —?

Unw. Ungeachtet alles dessen, was du sagst, ist mein Glaube doch ganz gut.

Chr. Welches ist dann das Bekenntniß deines Glaubens?

Unw. Ich glaube, daß Christus für die Sünder gestorben ist, und daß ich vom Fluche erlöst und vor Gott gerecht werde, dadurch daß Er den Gehorsam in Gnaden annimmt, welchen ich gegen sein Gesetz erwiesen. Oder also: Christus macht durch die Kraft seiner Verdienste dem Vater angenehm Alles, was ich thue, um das Gesetz Gottes zu erfüllen, und so werde ich dann gerechtfertigt.

Chr. Laß mich dir auf dieses Bekenntniß deines Glaubens eine nähere Erwiederung geben:

1) Den Glauben, welchen du besitzest, hast du dir selbst eingebildet, denn so wird der Glaube nirgend in dem Worte Gottes beschrieben.

2) Du hast einen falschen Glauben, weil er die Rechtfertigung, so aus der Gerechtigkeit Christi kommt, aufhebt und sie deiner eigenen beimißt.

3) Zufolge dieses Glaubens rechtfertigt Christus nicht deine Person, sondern deine Werke, deine Person aber nur um deiner Werke willen, und das ist falsch.

4) Darum ist dein Glaube ein trügerischer und wird dich am Tage der Offenbarung des Gerichtes Gottes unter dem Zorne lassen; denn der wahrhaft rechtfertigende Glaube macht, daß die Seele, die es fühlt, daß sie durch das Gesetz verloren geht — ihre Zuflucht zu der Gerechtigkeit Christi nimmt. Diese Gerechtigkeit ist aber nicht eine That der Gnade, welche dazu dient, seine Werke vor Gott gerecht und ihn angenehm zu machen, sondern es ist der Gehorsam, welchen Christi Person durch sein Thun und Leiden dem Gesetz geleistet, und wodurch Er für uns gethan und gelitten hat, was das Gesetz von uns forderte. Diese Gerechtigkeit ist es, welche der wahre Glaube ergreift, und mit diesem Kleide bedeckt, wird die Seele sonder Flecken dargestellt vor Gott, von Ihm angenommen und von aller Verdammniß losgesprochen.

Unw. Wie? du willst, daß wir uns allein auf das verlassen sollen, was Christus in seiner eigenen Person ohne uns gethan hat? Dieser Betrug würde ja unsern Lüsten Zaum und Zügel schießen lassen, so daß wir leben mochten, wie es uns beliebte. Denn was liegt daran, wie wir leben, wenn wir durch die Gerechtigkeit, welche Christus selbst vollbracht hat, gerecht werden, sofern wir nur daran glauben?

Chr. Du heißest Unwissend und bist auch in der That, was dein Name besagt. Gerade deine Antwort beweiset, daß das richtig sei, was ich sage. Unwissend bist du in dem, was rechtfertigende Gerechtigkeit ist, und unwissend darin, wie du durch den Glauben an dieselbe deine Seele retten mögest vordem schweren Zorne Gottes. Ja, unwissend bist du auch in Hinsicht der wahren Wirkungen des seligmachenden Glaubens an diese Gerechtigkeit Christi, welcher das Herz beugt und es für Gott in Christo gewinnt, also, daß es Liebe hegt zu seinem Namen, seinem Worte, seinen Wegen und seinem Volke, nicht aber, daß es in der Sünde verharret, wie du nach deiner Unwissenheit es meinst.

Hoffn. Frage ihn doch einmal, ob sich ihm Christus jemals geoffenbaret hat in seinem Herzen.

Unw. Was? bist du ein Mann, der an wunderbare Offenbarungen glaubt? Ich glaube, daß Alles, was ihr Beide und eures Gleichen über diese Sache sprecht, nichts als das Erzeugniß eines kranken Gehirns ist.

Hoffn. Was sagst du da? Der natürliche Mensch steht Christo so fern, daß Keiner ihn zu seiner Seligkeit erkennen kann, es sei denn, daß ihm der Sohn vom Vater offenbaret werde.

Unw. Das ist euer Glaube, aber der meinige ist es nicht; und dennoch zweifle ich nicht, daß der meinige ebenso gut ist, wie der eurige, obgleich ich nicht so viele Grillen im Kopfe habe als ihr.

Chr. Erlaube mir, daß ich ein Wort dareinrede. Es geziemt dir nicht, über diese Sache so verächtlich zu reden. Ich behaupte es kühn und standhaft, wie es so eben mein lieber Gefährte gethan, daß Niemand Jesum Christum erkennen kann, dem es der Vater nicht offenbaret. Auch der Glaube, durch welchen die Seele Jesum Christum ergreift, muß, wenn er rechter Art sein soll — durch die überschwängliche Größe seiner mächtigen Kraft hervorgebracht werden. Aber was die Kraft und Wirkung dieses Glaubens angeht, bist du, wie ich sehe, lieber Unwissend, ganz unwissend. So wache denn auf, erkenne dein Elend und nimm deine Zuflucht zum Herrn Jesus so wirst du durch seine Gerechtigkeit, welches ist die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, denn er selbst ist Gott, von der Verdammniß erlöset werden. 7)

Unw. Ihr gehet so schnell, daß ich nicht mit euch Schritt halten kann: daher gehet ihr nur vor; ich muß ein wenig zurückbleiben.

Darauf sprachen Christ und Hoffnungsvoll noch:

So willst, Unwissend, du uns denn nicht hören,
Dich als ein Thor des guten Raths erwehren?
Verschmähst du ferner ihn, wirst bald du seh'n,
Wie's einem trotz'gen Sünder muß ergeh'n:
Die Strafe bleibt nicht aus. Bedenk's bei Zeiten,
Brich deinen Stolz; zu Christo fasse Muth,
In Ihm die Seligkeit dir zubereiten,
Ergreif' Ihn schnell — es gilt dein höchstes Gut!
Unwissend! hör', ich bürge dir: wer Christi Blut verschmäht,
In Zeit und Ewigkeit verloren geht.

Nun wandte sich Christ also an seinen Gefährten: So komm denn, mein lieber Hoffnungsvoll, ich sehe, daß wir Beide wieder allein wandern müssen.

Ich sah hierauf in meinem Traume, daß sie rasch voranschritten, Unwissend aber hinkend hinterdrein kam. Christ sagte indessen zu seinem Gefährten: „Ich bedaure den Mann von ganzem Herzen, denn zuletzt wird es gewiß sehr übel gehen.„

Hoffn. Ach, dieser Art Leute gibt es gar viele in unsrer Stadt: ganze Familien, ja, ganze Straßen und sogar Pilgrime. Gibt es deren aber schon so viele in unserer Heimath, wie viele muß es deren erst in Unwissend's Geburtsort geben!

Chr. Ja wohl. Die heil. Schrift sagt: Er hat ihre Augen verblendet und ihr Herz verstockt, daß sie mit den Augen nicht sehen, noch mit dem Herzen vernehmen und sich bekehren und ich ihnen hülfe. 8) Aber da wir hier allein sind — was denkst du von solchen Leuten? Glaubst du, daß sie nie eine Überzeugung von ihren Sünden haben und daher auch nicht über die Gefahr ihres Zustandes in Furcht gerathen?

Hoffn. Ich möchte hierauf nicht antworten; thue du es lieber, da du älter bist als ich.

Chr. Nun gut; ich glaube doch, daß sie zuweilen ihre Sünden und die Folgen derselben erkennen. Aber weil sie von Natur unwissend sind, so sehen sie es nicht ein, daß diese Überzeugung zu ihrem Besten dienen soll; deßwegen suchen sie dieselben denn verwegenerweise zu unterdrücken und verharren, indem sie sich selbst schmeicheln, auf dem Wege, den sie nach eigenem Gutdünken erwählet haben.

Hoffn. Ich glaube auch, daß jene Furcht den Menschen zum Besten dienen und sie antreiben kann, sich zur Pilgrimschaft nach Zion vorzubereiten.

Chr. Ganz gewiß bewirkt die Furcht Solches, wenn sie rechter Art ist, denn es steht geschrieben: Die Furcht des Herrn ist der Weisheit Anfang?9)

Hoffn. Aber nun sage mir, wie müßte die rechte Furcht denn beschaffen sein?

Chr. Die wahre oder rechte Furcht erweiset sich in folgender Art:

1) Sie entspringt aus der heilsamlichen Erkenntniß der Sünde;

2) sie treibt das Herz an, Christum als den einigen Heiland zu ergreifen;

3) sie erzeuget und unterhält in dem Herzen eine heilige Ehrfurcht vor Gott, seinem Worte und seinen Wegen; sie macht das Gewissen zart und behutsam, daß man weder abweicht zur Rechten noch zur Linken, auch sich nicht zu irgend Etwas hinwendet, wodurch Gott verunehrt, der innere Frieden gestört, der heil. Geist betrübt oder dem Feinde Veranlassung zur Lästerung gegeben werden könnte.

Hoffn. Das ist ganz richtig, wie ich glaube. Was meinst du, sind wir nun bald über den Taumelgrund hinüber?

Chr. Wie meinst du das? Bist du dieses Gesprächs müde?

Hoffn. Nein, das nicht; allein ich möchte wissen, wo wir uns jetzt befinden.

Chr. Wir haben jetzt nicht weit mehr. Aber laß uns wieder auf den Gegenstand unseres Gesprächs zurückkommen. — Die Unwissenden sehen es nicht ein, daß die Überzeugungen, wodurch sie in Furcht gesetzt werden, zu ihrem Besten dienen sollen, und daher suchen sie dieselben zu unterdrücken.

Hoffn. Warum thun sie das denn wohl?

Chr. 1) Weil sie meinen, solche Furcht sei vom Teufel hervorgebracht, da sie doch von Gott bewirkt ist, und in dieser Meinung widerstehen sie derselben, als einer Sache, die sie geradezu in's Verderben bringe. 2) Weil sie ferner meinen, daß diese Furcht dahin gehe, sie um ihren Glauben zu bringen; aber leider haben diese armen Leute gar keinen Glauben, und deßhalb verhärten sie ihr Herz gegen jene Furcht. 3) Weil sie wähnen, es gezieme ihnen nicht, sich von ihr hinreißen zu lassen, und daher nehmen sie, trotz derselben, in ihrer Vermessenheit zu. 4) Weil sie sehen, daß jene Furcht ihre alte elende Selbstgerechtigkeit zu nichte macht, und darum sträuben sie sich gegen erstere mit aller Macht.

Hoffn. Davon weiß ich Etwas aus eigener Erfahrung; denn ehe ich zur Erkenntniß meiner selbst kam, stand es ebenso mit mir.

Chr. Nun, hiermit wollen wir denn unsern Nachbar Unwissend sich selbst überlassen und uns zu einer andern heilsamlichen Frage wenden.

Hoffn. Herzlich gern, aber du mußt den Anfang machen.

Chr. Wohlan denn. Hast du nicht vor etwa zehn Jahren einen gewissen Unbeständig in deiner Gegend gekannt, der damals sehr eifrig war in seinem Gottesdienst?

Hoffn. Ja freilich; wie sollte ich den nicht gekannt haben? Er wohnte in Gnadenlos, einer Stadt, die ungefähr zwei Meilen von Ehrbarkeit liegt, gleich neben dem Hause eines gewissen Kehrum.

Chr. Richtig, die Beiden wohnten unter einem Dache. Nun ja. Dieser Mann gerieth einmal in große Unruhe über sich. Ich glaube, daß er damals einige Erkenntniß von seinen Sünden und ihren traurigen Folgen hatte.

Hoffn. Ich glaube es ebenfalls, denn da mein Haus nicht weit von dem seinigen entfernt lag, kam er oft zu mir, und zwar mit vielen Thränen. Und wirklich, der Mann dauerte mich, aber ich hatte doch einige Hoffnung für ihn. An ihm kann man jedoch sehen, daß nicht Alle, die „Herr! Herr!“ sagen, in's Himmelreich kommen 10)

Chr. Eines Tages sagte er mir, daß er entschlossen sei, sich wie wir auf die Pilgrimschaft zu begeben; aber auf einmal machte er die Bekanntschaft eines gewissen Hilfdirselber und wendete sich dadurch von mir ab.

Hoffn. Nun wir einmal auf ihn zu sprechen gekommen sind, so laß uns doch untersuchen, worin die Ursache liegt, daß er und andere seines Gleichen so schnell abfällig geworden sind.

Chr. Diese Untersuchung mag wohl sehr zweckmäßig sein, indessen nimm du zuerst das Wort.

Hoff. Nun gut; meiner Ansicht nach liegt die Ursache davon in vier Stücken:

1) Obgleich das Gewissen solcher Menschen aufgeweckt ist, hat sich ihr Herz doch nicht verändert: sobald daher das Gewicht der Schuld abnimmt, schwindet sogleich auch das, was sie dazu bewog, ein frommes Leben anzufangen, und so kehren sie dann natürlich wieder zu ihrem alten Wandel zurück. 11) Wie sie nun bloß aus Furcht vor den Qualen der Hölle mit heißem Eifer nach dem Himmel verlangten, so erkaltet dieser Eifer in demselben Grade, worin ihre Furcht verschwindet. Auf diese Weise kommt es dann aber auch, daß sie das alte Leben wieder anfangen.

2) Es überwältigt sie eine sklavische Furcht, hier meine ich nämlich die Furcht vor den Menschen, denn vor Menschen sich scheuen, bringt zum Fall. 12) Wiewohl sie also für den Himmel entbrannt zu sein scheinen, so lange die Flammen der Hölle ihnen so zu sagen um den Kopf schlagen, so fallen sie, wenn der Schrecken ein wenig vorüber ist, alsbald wieder in ihre früheren Gedanken zurück, und meinen, es wäre doch gut, den Klugen zu spielen, um nicht Gefahr zu laufen, Alles, (sie wissen aber selbst nicht was?) zu verlieren, oder sich wenigstens nicht selbst in unvermeidliches und unnöthiges Ungemach hineinzubringen. Und so stürzen sie sich denn auf's Neue der Welt in die Arme.

3) Die Schmach, mit welcher das Bekenntniß des Evangeliums begleitet ist, liegt ihnen wie ein Stein im Wege. Sie sind stolz und hochmüthig, das Evangelium von Christo ist aber in ihren Augen niedrig und verächtlich. Sobald sie deßwegen die Furcht vor der Hölle und dem zukünftigen Zorne verloren haben, kehren sie wieder auf ihre vorigen Wege zurück.

4) Über ihre Schuld und große Strafwürdigkeit nachzudenken, ist ihnen eine Qual. Sie mögen ihr Elend nicht ansehen, bevor sie drin sind. Und doch würde der frühere Hinblick auf dasselbe sie vielleicht treiben, dort ihre Zuflucht zu suchen, wo sie der Gerechte gefunden, und auch sie gerettet werden könnten; aber weil sie, wie ich vorhin bemerkte, jeden Gedanken an Schuld und Strafe scheuen, so verhärten sie, wenn sie sich einmal von dem ersten Schrecken vor dem Zorne Gottes losgemacht haben, ihre Herzen mit Freuden, indem sie solche Wege erwählen, auf denen sie in ihren Sünden immermehr befestigt werden.

Chr. Du bist der Sache sehr nahe gekommen, denn der Grund von diesem Allen liegt darin, daß ihr herz und Wille nicht umgewandelt worden. Und o kann man sie vergleichen mit einem Missethäter, der, o lange er vor dem Richter steht, zittert, bebt und wahrhaft reuig zu sein scheint, sich aber lediglich vor dem Galgen fürchtet, und nicht, weil er einen wahren Abscheu vor seinem Verbrechen hätte. Erhält derselbe seine vorige Freiheit wieder, so wird er abermals ein Dieb und Schurke wie früher. Das würde jedoch nicht der Fall sein, wenn wirklich eine Umwandlung seines Herzens statt gehabt hätte.

Hoffn. So habe ich dir nun die Gründe ihres Rückfalls angegeben. Zeige du mir jetzt die Art und Weise, wie Solches geschieht.

Chr. Recht gern.

1) Zunächst ziehen sie ihre Gedanken ab von Gott, Tod und dem zukünftigen Gericht.

2) Dann stellen sie nach und nach ihre stillen Übungen in der Gottseligkeil ein, wie z. B. das Beten im Kämmerlein, die Bekämpfung ihrer Lüste, das Wachen, die Bekümmerniß über ihre Sunden und dgl.

3) Ferner scheuen sie sich vor dem Umgange mit lebendigen und warmen Christen.

4) Darnach werden sie lau gegen die öffentlichen Übungen des Gottesdienstes, wie im Besuch der Kirche und dem Anhören und Lesen des göttlichen Wortes.

5) Sodann fangen sie an, Flecken (wie man zu sagen pflegt) auf den Rock gläubiger Leute zu bringen, und zwar in der satanischen Absicht, um dadurch den Schein für sich zu gewinnen, daß sie mit Recht aus der Kirche wegbleiben.

6) Hierauf treten sie in Verbindung mit fleischlichgesinnten, losen und liederlichen Menschen.

7) Ferner geben sie sich heimlicherweise weltlichen und liederlichen Gesprächen hin, und haben ihre Freude daran, wenn sie bei Einem, der für fromm gehalten wird, dergleichen antreffen können, damit sie es auf den Vorgang eines Solchen hin desto dreister wagen dürfen.

8) Nachher fangen sie an, mit kleinen Sünden ein offenes Spiel zu treiben.

9) Und wenn sie sich auf diese Weise nach und nach in der Sünde verhärtet haben, zeigen sie sich zuletzt in ihrer wahren Beschaffenheit. So schwimmen sie denn wieder auf dem reißenden Strome des Verderbens, und müssen, wenn nicht ein Wunder der Gnade es verhindert, in ihrem Selbstbetruge ewiglich verloren gehen.

1)
Sprüch. 13,4.
2)
Sprüch. 28,26.
3)
Vgl. Jerem. 37,9. Obadj. 3.
4)
Röm. 3,10. 12. S. V. 23.
5)
1 Mos. 6,5. 8. 21. Vgl. Röm. 1,21.
6)
Ps. 125,5. Sprüch. 2,14. 15. Röm. 3,12. 13.
7)
Matth. 11,28. Röm. 10,3. 4. Ephes. 1,17-19. Röm. 13,11. Eph. 5,14. Hebr. 4,16.
8)
Joh. 12,40. Jes. 6,10.
9)
Hiob 28,28. Ps. 111,10. Spruch. 1, 7; 9, 10.
10)
Matth. 7,21.
11)
2 Petr. 2,22,
12)
Sprüch. 29,25.
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