Bunyan, John - Pilgerreise - Dreizehntes Kapitel.

Bunyan, John - Pilgerreise - Dreizehntes Kapitel.

Die Pilger in der Stadt Eitelkeit.

Darauf bemerkte ich in meinem Traume, daß sobald sie die Wildniß hinter sich hatten, eine Stadt vor ihren Augen lag, mit Namen Eitelkeit. In derselben wird ein Jahrmarkt gehalten, welcher der Eitelkeitsmarkt heißt. Er dauert das ganze Jahr lang. Er wird aber darum Eitelkeitsmarkt genannt, weil die Stadt, wo er gehalten wird, Weniger wiegt, denn Nichts, 1), und weil Alles, was dort zum Verkaufe ausgeboten wird, oder dorthin kommt, eitel ist, wie der Prediger spricht: Es ist Alles ganz eitel. 2) Dieser Markt ist nicht erst in neuerer Zeit eingerichtet worden, sondern besteht schon von Alters her. Ich will Etwas von der Entstehung desselben hier erzählen.

Schon vor ungefähr fünftausend Jahren gab es Pilgrime, die zu der himmlischen Stadt wanderten, gleich diesen beiden redlichen Männern. Da nun Beelzebub, Apollyon und Legion mit ihren Genossen an dem Pfade, den die Pilger gingen, es merkten, daß ihr Weg nach Zion durch die Stadt Eitelkeit führe, so kamen sie auf den Gedanken, hier einen Jahrmarkt zu veranstalten, wo alle Arten von Tand das ganze Jahr hindurch feil geboten werden sollten. So kann man denn dort kaufen: Käufer, Ländereien, Gewerbe, Anstellungen, Würden, Beförderungen, Titel, Landschaften, Königreiche, Lustbarkeiten, Vergnügungen und Ergötzlichkeiten aller Art, wie z. B. Lustdirnen, Weiber, Gatten, Kinder, Herrschaften, Dienstboten, Leben, Blut, Leiber, Seelen, Silber, Gold, Perlen, Edelsteine und wer weiß was Alles noch! Überdies sind auf diesem Markte zu jeder Zeit zu sehen: Gaukler, Betrüger, Possen- und Glücksspiele, Narren, Affen, Schelme und Schurken und das von aller Art.

Auch kann man hier, und zwar umsonst noch sehen: Diebereien, Mordthaten, Ehebruch, Meineide, sämmtlich von rother Farbe.

Und wie es auf andern Märkten, von geringerer Bedeutung, verschiedene Straßen und Gassen von besondern Namen gibt, wo diese oder jene Waaren zum Verkauf ausgeboten werden — so findet man auch hier besondere Plätze, Straßen und Gassen (nämlich Länder und Reiche), wo die Waaren dieses Marktes auf's Schnellste zu finden sind. Hier gibt's eine englische, eine französische, eine italienische, eine spanische und eine deutsche Gasse, in deren jeder man die besondern Sorten der verschiedenen Eitelkeiten kaufen kann. Wie aber auf andern Märkten gewöhnlich ein Artikel hauptsächlich Abgang findet, so ward hier eine Zeitlang die Waare aus Rom am meisten gesucht, während gegenwärtig die französischen Artikel vorzüglich in Aufnahme gekommen sind.

Nun, wie ich vorhin bemerkte, führt der Weg zur himmlischen Stadt mitten durch den Ort, wo dieser lustige Jahrmarkt gehalten wird. Wer aber zur himmlischen Stadt und hier doch nicht hindurchziehen wollte, der müßte die Welt räumen. Als der König aller Könige hienieden war, ging er selbst durch diese Stadt zu seinem eigenen Lande hin, und zwar gerade auch an einem Markttage. Und Beelzebub, der Herr des Marktes, lud ihn, so viel ich mich erinnere, ein, von seinen Eitelkeiten zu kaufen; ja er würde ihn zum Herrn des Marktes gemacht haben, wenn er ihm nur seine Huldigung dargebracht hätte, als er durch den Ort kam. Und weil Beelzebub eine Person von hohem Ansehen in ihm erkannte, führte er ihn von einer. Straße in die andere und zeigte ihm in wenigen Augenblicken alle Reiche der Welt, daß er, wo möglich, den Hochgelobten verlocke, auf seine Eitelkeiten zu bieten und sie zu erhandeln. Aber er hatte keinen Gefallen an der Waare, und verließ daher diesen Ort, ohne auch nur einen Heller für diese Eitelkeiten auszulegen. 3) Dieser Markt besteht also seit uralter Zeit und ist ungeheuer groß.

So mußten denn, wie gesagt, auch unsere Pilger nothwendigerweise über diesen Markt kommen. Und so geschah es denn auch. Kaum hatten sie aber einen Fuß auf den 'Markt gesetzt, als alle Leute in Bewegung geriethen, ja es war, als wenn die ganze Stadt ihretwegen in Aufruhr gekommen wäre, und zwar aus mehreren Ursachen; denn

1) die Pilger trugen ein Gewand, wie sonst Keiner von allen Marktleuten eins anhatte; sie wurden daher mit großen Augen von ihnen angesehen. 4) Einige sagten: es sind Narren, Andere: es sind Tollhäusler und noch Andere: es sind Ausländer 5) — und

2) wie ihnen ihr ganzer Aufzug wunderlich vorkam, so war es dasselbe mit ihrer Sprache; nur Wenige verstanden, was sie sagten. Sie redeten natürlich die Sprache Kanaans, aber die, welche den Markt hielten, waren Kinder dieser Welt. Und so kam es denn, daß sie von einem Ende des Marktes bis zum andern sich ganz fremd und unverständlich waren. 6)

3) Was aber die Handelsleute nicht wenig befremdete, war, daß diese Pilgrime sich aus all ihren Waaren gar Nichts machten. Es lag ihnen so wenig daran, daß sie dieselben nicht einmal in Augenschein nahmen, und wenn man ihnen zurief, Etwas zu kaufen, so hielten sie sich die Ohren zu und beteten: Laß mich nicht dem Eiteln nach weichen,7) und blickten in die Höhe, um anzuzeigen, daß ihr Handel und Wandel im Himmel sei. 8)

Da sagte Einer, der das Benehmen der Pilger ansah, zu ihnen: „Was wollt ihr kaufen, ihr Leute?„ Sie aber blickten ihn ernstlich an und sprachen: Wir kaufen Wahrheit. 9) Durch diese Antwort fand man sich veranlaßt, die Pilger noch mehr zu mißachten. Einige spotteten dieselben aus, Andere beschimpften sie, wieder Andere machten ihnen grobe Vorwürfe und Etliche suchten Leute aufzureizen, um die Pilger durch Schläge zu mißhandeln. Endlich kam es zu einem Aufstande und großen Tumult auf dem Markte, so daß Alles drunter und drüber ging. Alsbald ward dem Herrn des Marktes davon Kunde gebracht; dieser eilte herbei und beauftragte einige seiner vertrautesten Freunde damit, die Männer, welche den Markt so zu sagen umgeworfen hatten, zur Untersuchung zu ziehen. Auf diese Weise kamen die Pilger dann in's Verhör. Die Richter fragten sie: woher sie kämen? wohin sie wollten und was sie in dem seltsamen Anzuge hier vorhätten? Die beiden Männer sagten: Wir sind Gäste und Fremdlinge auf Erden und wollen in unsere Heimath, welche ist das himmlische Jerusalem. 10) Wir haben weder einem Bewohner dieses Ortes, noch auch den Handelsleuten auf dem Markte irgend Etwas gethan, das sie veranlassen könnte, uns so zu mißhandeln und uns aufzuhalten auf unserer Reise, es müßte denn sein, daß sie sich darum beleidigt gefühlt hätten, daß wir, wenn man uns fragte, was wir kaufen wollten, zur Antwort gaben: wir wollen die Wahrheit kaufen. Diejenigen aber, welche zu ihrem Verhör bestellt waren, glaubten nicht anders, als daß sie Tollhäusler und Verrückte seien, oder daß sie nur hierher gekommen, um Alles auf dem Markte in Verwirrung zu bringen. Darum nahmen sie dieselben und schlugen sie und bewarfen sie mit Koth. Darauf sperrte man sie in einen Käfig, daß sie allen Leuten, die auf dem Markte waren, zum Schauspiel sein sollten. Hier lagen sie nun eine Zeitlang und dienten Jedermann, um an ihnen seinen Spott, seine Bosheit oder seine Rache auszulassen. Der Großherr des Marktes lachte aber obendrein über Alles, was man ihnen anthat. Allein da die Pilger sich geduldig erwiesen und nicht Scheltwort mit Scheltwort vergalten, sondern dagegen segneten,11) und da sie böse Worte mit guten, und erlittenes Unrecht mit Freundlichkeit erwiederten: so fingen doch Einzelne auf dem Markte, die etwas genauer zusahen und mehr vorurtheilsfrei waren, an, den Pöbel wegen der fortwährenden Mißhandlungen, die sie den Männern anthaten, auszuschelten und dem losen Treiben Einhalt zu thun. Aber nun wandte sich der Zorn des Pöbels auch gegen diese Besserdenkenden. Man rief: „ihr seid ebenso nichtsnutzig, wie die Beiden im Käfig, ihr scheint mit ihnen zu halten und man sollte es euch daher gerade machen wie ihnen!“

Hierauf sagten die andern: „so viel wir sehen können, sind diese Leute ruhig und nüchtern und wollen Niemandem etwas Leides thun. Auf unserm Markte aber gibt es Viele, die es eher verdient hätten, in den Käfig gesteckt, ja an den Pranger gestellt zu. werden, als diese Männer, die ihr so mißhandelt. „ Nachdem man sich so auf beiden Seiten mit Worten gestritten (während die Pilger sich klüglich und bedächtiglich hielten), wurden die Streitenden handgemein, so daß es endlich zu blutigen Händeln kam. Nun wurden die beiden armen Männer wieder, vor ihre Richter gebracht und von denselben für schuldig erklärt, den Aufruhr auf dem Markte angestiftet zu haben. Nachdem man sie darnach geschlagen und in Ketten gelegt, führte man sie den Markt auf und ab, damit Andere durch das Beispiel abgeschreckt würden und Keiner Etwas zu ihren Gunsten sagen oder sich ihnen anschließen möchte. Christ und Getreu benahmen sich aber nur immer vorsichtiger und nahmen die Schmach und Schande, die man ihnen anthat, mit so viel Sanftmuth und Geduld hin, daß sie dadurch Mehrere von den Marktleuten, wenn auch nur Wenige im Verhältnisse zu den Übrigen, für sich gewannen. Dadurch ward jedoch die Gegenpartei in noch größere Wuth versetzt und zwar bis zu dem Grade, daß sie den Beschluß faßten, die beiden Männer umzubringen. Daher drohten sie ihnen: „da weder Käfig noch Ketten euch auf andere Gedanken gebracht, so sollt ihr des Todes sterben, wegen des Schadens, den ihr angerichtet, und weil ihr die Marktleute verspottet habt!“

Hiernach wurden sie bis auf weitere Ordre in den Käfig zurückbefohlen. So sperrte man sie denn in denselben wieder ein und legte ihre Füße in den Stock. 12)

Als sie nun vereinsamt da saßen, erinnerten sie sich daran, wie ihnen ihr treuer Freund Evangelist gesagt, was ihnen begegnen werde, und wurden dadurch noch mehr gestärkt, daß sie ausharreten auf ihrem Wege und in ihrer Trübsal. Auch trösteten sie einander damit, daß derjenige der glücklichste sein würde, welchen das Todesloos träfe. Und so wünschte Jeder von ihnen im Stillen, daß ihm dieser Vorzug zu Theil werden möge. Indem sie sich aber dem anheimstellten, der alle Dinge weislich lenkt und ordnet, hielten sie ganz zufrieden aus in der Lage, worin sie waren, bis etwas Anderes über sie verhängt werde.

Als nun eine gelegene Zeit zu ihrem Verhör gekommen war, wurden sie vor's Gericht geführt, um ihr Urtheil zu empfangen. Hier standen sie vor ihren Feinden und Anklägern. Der Name des Richters war Herr von Hassegut. Die Anklage war in der Hauptsache die nämliche wie früher, und nur etwas anders ausgedrückt. Sie lautete also:

Ihr seid Feinde und Zerstörer unseres Handels; ihr habt Aufruhr und Zwiespalt in der Stadt angerichtet und überdem habt ihr Anhänger eurer höchst gefährlichen Grundsätze, zur Verachtung der Gesetze unseres Fürsten, für euch gewonnen. 13)

Darauf verantwortete sich Getreu, indem er sprach: „Ich habe mich nur gesetzt gegen das, was sich gegen Den setzt, welcher der Allerhöchste ist. Was aber den Ausstand angeht, so habe ich denselben nicht veranlaßt, denn ich selbst bin ein Mann des Friedens. Anhänger haben wir darum gewonnen, weil es Leute unter euch gibt, die eingesehen haben, daß wir Männer von Wahrheit und Unsträflichkeit sind, und so haben denn unsere Anhänger weiter nichts gethan, als daß sie sich vom Schlechten zum Guten gewandt. Was schließlich den König betrifft, von dem ihr redet, so kann ich ihm und all seinen Engeln nur Verachtung und Trotz bieten, denn es ist Beelzebub, der Widersacher unseres Herrn. “

Darauf wurde ein Ausruf verordnet, daß Jeder, welcher Etwas zu Gunsten ihres Herrn und Königs wider den Gefangenen vor den Schranken vorzubringen habe, sofort erscheinen und Zeugniß ablegen solle. Hierauf fanden sich drei Zeugen ein, mit Namen Neid, Aberglaube und Kriecher. Es ward ihnen die Frage vorgelegt: ob sie den Gefangenen vor den Schranken kännten? und was sie für den König, ihren Herrn, gegen ihn zu sagen hätten?

Da trat zuerst Neid vor und sprach: Mein Herr Richter, ich habe diesen Mann schon lange gekannt und will auf meinen Eid vor diesem hochachtbaren Gericht aussagen, daß er —

Richter. Halt! lasset ihn erst den Eid ablegen. So nahmen sie ihm denn den Eid ab. Darauf sagte Neid: Herr Richter, dieser Mann ist ungeachtet seines schönen Namens einer der schlechtesten Menschen in unserm Lande. Er fragt weder nach Fürst, noch Volk, weder nach Gesetz, noch Sitte; er bietet aber Alles auf, was er kann, um Jedermann für seine gesetzwidrige Meinungen zu gewinnen und nennt dieselben die Grundsätze des Glaubens und der Heiligkeit. Namentlich habe ich ihn einmal selbst behaupten hören, daß das Christenthum und die Sitten unserer Stadt Eitelkeit in geradem Widerspruch gegen einander ständen, und daß sie sich nun und nimmermehr vereinigen ließen. Indem er aber so spricht, Herr Richter, verdammt er nicht allein all unsere löblichen Handlungen, sondern auch uns selbst, die wir sie ausüben.

Da fragte ihn der Richter: „hast du sonst noch etwas zu sagen?„

Neid. Herr, ich könnte noch viel mehr sagen, ich fürchte jedoch dem Gericht dadurch lästig zu werden. Sollte es aber nöthig sein, so werde ich, wenn die andern Herren ihr Zeugniß abgegeben, und noch Etwas zu seiner Verurtheilung hinzukommen müßte, mein Zeugniß gegen ihn noch vervollständigen. So ward er nun geheißen, abzutreten.

Darauf wurde Aberglaube hereingerufen. Es ward ihm befohlen, den Gefangenen vor den Schranken anzusehen. Auch er ward gefragt, was er wider denselben für ihren Herrn, den König, vorzubringen habe. Nachdem er vereidet worden, begann er folgendermaßen:

„Herr Richter, ich stehe in keiner genauen Bekanntschaft mit diesem Manne und begehre auch nicht etwas Näheres von ihm zu erfahren. Das weiß ich jedoch aus einer Unterredung, die ich in diesen Tagen in unserer Stadt mit ihm hatte, daß er ein höchst gefährlicher Mensch ist; denn er sagte mir geradeheraus, daß unsere Religion nicht tauge und von der Art wäre, daß ein Mensch dadurch Gott durchaus nicht gefallen könne. Was aus solchen Reden folgt, wissen Eure Gnaden sehr wohl, nämlich, daß unser ganzer Gottesdienst vergeblich, daß wir noch in unsern Sünden sind und daß wir endlich verdammt werden. Das ist es, was ich zu zeugen habe. “

Hiernach wurde Kriecher zum Eide gelassen und dann geheißen, zu sagen, was er zu Gunsten ihres Herrn, des Königs, gegen den Gefangenen vor den Schranken zu erklären habe.

Kriecher. „Edler Richter und verehrter Herr! Diesen Kerl habe ich schon seit langeher gekannt und habe ihn Dinge sagen hören, die man nicht aussprechen sollte. Er hat sich nämlich Schmähungen über unsern edlen Fürsten Beelzebub erlaubt und sich auf verächtliche Weise ausgelassen über seine ehrenwerthe Freunde, als da sind: Herr Altermensch, Herr Fleischeslust, Herr Üppig, Herr Ruhmsucht, der liebe alte Herr Unzucht, der ehrenwerthe Herr Habgier und wie die übrigen Vornehmen unserer Stadt heißen mögen. Dabei bemerkte er, daß wenn es möglich wäre, allen Leuten seine Ansichten beizubringen, kein Einziger von diesen Edelleuten länger in dieser Stadt verbleiben sollte. Übrigens machte er sich Nichts daraus, auch Euch, die ihr gegenwärtig zum Richter über ihn verordnet seid, zu beschimpfen, indem er euch einen gottlosen Schurken hieß und noch mit andern Schimpfnamen belegte, und ebenso machte er's den übrigen angesehensten und vornehmsten Personen unserer Stadt. „

Als Kriecher seine Aussage vollendet, wandte sich der Richter an den Gefangenen vor den Schranken und sprach: „Du Abtrünniger, du Ketzer und Verräther, hast du gehört, was diese redlichen Herren wider dich gezeugt, haben?“

Getreu. Ist's erlaubt, einige Worte zu meiner Vertheidigung zu sagen?

Richter. Kerl! du bist nicht werth, daß du länger lebest, sondern auf der Stelle hingerichtet werdest. Damit aber Jedermann unsere Leutseligkeit gegen dich erkennen möge, laß hören, was du zu sagen hast.

Getr. So erwidere ich denn erstlich auf das, was Herr Neid erklärt hat: Niemals habe ich etwas minderes gesagt als Folgendes: wenn eine Vorschrift, oder ein Gesetz, oder eine Sitte, oder ein Volk gegen Gottes Wort streite, so wäre es dem Christentum gradezu entgegen. Habe ich darin geirrt, so überweise man mich meines Irrthums und ich bin bereit, meinen Irrthum sofort vor euch zu widerrufen.

Was aber zweitens das Zeugniß des Herrn Aberglaube wider mich anlangt, so habe ich nur behauptet, daß zum rechten Gottesdienste ein göttlicher Glaube erforderlich sei, nun kann es aber einen solchen Glauben nicht geben ohne eine göttliche Offenbarung des Willens Gottes. Was aber in den Gottesdienst hineingedrängt worden und nicht mit der göttlichen Offenbarung übereinstimmt, kann nur aus menschlichem, selbsterwähltem Glauben kommen, und ein solcher Glaube kann unmöglich nütze sein zum ewigen Leben.

In Bezug auf die Aussage des Herrn Kriecher endlich sage ich, ohne jedoch zu wiederholen, was er von Schmähungen und dergleichen bemerkt: Der Fürst dieser Stadt mit dem ganzen Geschmeiß, nämlich der ganzen Umgebung, die dieser Herr namhaft gemacht, passen besser für die Hölle, als für diese Stadt und dieses Land. Und so sei mir denn Gott, der Herr, gnädig!

Darauf sagte der Richter zu den Geschworenen, welche die ganze Zeit über dagestanden hatten, um Alles zu hören und zu überlegen: Meine Herren Geschworenen, Sie sehen da den Menschen, um deß willen ein so großer Aufruhr in dieser Stadt entstanden ist: auch haben Sie vernommen, was diese ehrbaren Herren gegen ihn gezeugt haben, und ebenso haben Sie seine Entgegnung und sein Geständniß gehört. Es liegt nun in Ihren Händen, ihn zum Tode zu verurtheilen, oder frei zu sprechen. Indessen will ich Sie noch insbesondere auf die Bestimmungen des Gesetzes hinweisen:

In den Zeiten Pharao's des Großen, des Dieners unseres Fürsten, ward ein Gesetz erlassen, welches also lautet: Damit die Zahl derjenigen Menschen, welche sich zu einer Religion bekennen, die der Religion des Königs entgegensteht, sich nicht zu sehr vermehre, und dieselben dem Könige nicht zu mächtig werden, sollen ihre Knäblein in's Wasser geworfen werden. 14) Ebenso ward ein Gesetz erlassen in den Tagen Nebukadnezar's, des Großen, eines andern Dieners unseres Fürsten, daß Jeglicher, der nicht vor ihm niederfallen und sein goldenes Bild anbeten werde, in den glühenden Ofen geworfen werden sollet) Desgleichen erschien ein Gesetz in den Tagen des Königes Darius, daß derjenige, welcher für eine bestimmte Zeit Etwas bitten werde von irgend einem Gott, ohne von ihm Mein, solle zu den Löwen in den Graben geworfen werden. 15) Nun aber, fuhr der Richter fort, hat dieser Rebell wider den Sinn dieser Gesetze gehandelt, nicht nur in Gedanken, welches schon nicht zu dulden ist, sondern auch mit Wort und That, was durchaus nicht gestattet werden darf.

Was das Gesetz Pharao's anlangt, so ward dasselbe bloß auf Vermuthung hin gegeben, um dadurch einem Unheil vorzubeugen, wahrend die That eines Verbrechens noch nicht vorlag. Was aber das zweite und dritte Gesetz betrifft, so sehen Sie, daß dieser Mann gegen unsere Religion streitet, und endlich hat er wegen des Hochverrats, den er eingestanden, den Tod verdient.

Darauf zogen sich die Geschworenen zurück: Es waren die Herren: Blindmann, Nichtgut, Bosheit, Wollust, Zuchtlos, Starrkopf, Hochmuth, Feindschaft, Lügner, Grausam, Lichthasser, und Unversöhnlich. Jeder von ihnen gab sein Gutachten gegen den Verklagten besonders ab und darauf beschlossen sie einstimmig, vor dem Richter das „Schuldig„ über ihn auszusprechen. Zuerst trat der Vorsitzende, Herr Blindmann, vor und sprach: „ich sehe deutlich ein, daß dieser Mann ein Ketzer ist.“ Darnach Herr Nichtgut: „Aus der Welt mit solch einem Kerl!„ Herr Bosheit: „Recht so! denn schon der Anblick des Menschen ist mir unerträglich!“ Herr Wollust: „Ich habe ihn niemals leiden mögen!„ Herr Zuchtlos: „Es geht mir ebenso, denn er hat immer über meine Wege das Verdammungsurtheil ausgesprochen!“ Herr Starrkopf: „An den Galgen mit ihm! an den Galgen!„ Herr Hochmuth: „Es ist ein elender Schuft.“ Herr Feindschaft: „Mein Innerstes empört sich gegen ihn!„ Herr Lügner: „Es ist ein Schurke!“ Herr Grausam: „Für den Galgen ist er zu schlecht!„ Herr Lichthasser: „ Lasset uns nur machen, daß er aus dem Wege geschafft wird!“ Herr Unversöhnlich: „Wenn mir einer die ganze Welt gäbe, so könnte ich mich nicht mit ihm aussöhnen: darum lasset ihn uns nur ohne weitere Umstände zum Tode verurtheilen.„

Wie gesagt, so gethan. Getreu ward sofort verurtheilt, von dem Platze, wo er war, wieder dahin geschleppt zu werden, von wo er gekommen, um dort unter den furchtbarsten Dualen den Tod zu erleiden.

Deßhalb brachten sie ihn hinaus, um nach ihrem Gesetze mit ihm zu verfahren. So wurde er denn zuerst von ihnen gegeißelt, dann mit Fäusten geschlagen und hierauf sein Fleisch mit Messern durchstochen; darnach steinigten sie ihn, durchbohrten ihn mit ihren Schwertern und verbrannten seinen Leichnam endlich auf dem Scheiterhaufen. So kam Getreu zu seinem Ende.

Hinter dem Volkshaufen sah ich aber einen Wagen mit 2 Pferden bespannt stehen. Derselbe wartete auf Getreu und nahm ihn, sobald die Feinde seine Hinrichtung vollzogen, auf. Flugs ging's nun mit ihm, unter Posaunenschall durch die Wolken und auf dem nächsten Wege zur Pforte des Himmels hin.

Was nun aber Christ anlangt, so wurde ihm noch eine Frist gegeben und er wieder in's Gefängniß zurückgeführt. Darin blieb er denn noch eine Zeitlang. Der aber, welcher alle Dinge in seiner Gewalt und auch die Wuth der Feinde in seiner Hand hat, lenkte es so, daß Christ ihnen entwich und seines Weges weiterziehen konnte. Als er nun so daherging, sang er:

Wohlan, Getreu, du hast getreu bekannt
Den Herrn, der dich erfüllt mit Himmelsseligkeit!
Wenn einst die Ungetreun in ihrer Lüste Tand
Vor Qual und Jammer schrein im Höllenmeer der Ewigkeit:
Dann jubelst, jubelst du, Getreu, im ewgen Leben,
Wiewohl dir Menschen hier den Todesstoß gegeben.

1)
Ps. 62,10.
2)
Pred. 1,2. 2,11—17. Jes. 40,17.
3)
Matth. 4,1-11. Luk. 4, 5-8.
4)
Hebr. 10,33.
5)
1 Kor. 4, 9. 10. Hiob 12, 4. 1 Joh. 3,1.
6)
1 Kor. 14,11.
7)
1 Sam. 12,21.
8)
Philipp. 3,20. 21.
9)
Sprüch. 23,23.
10)
Hebr. 11,13-16.
11)
1 Petr. 3,9.
12)
Apgesch. 16,24.
13)
Apgsch. 19,24. ff. Kap. 24.
14)
2 Mos. 1,22.
15)
Dan. 3,6.
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